Hunderttausende boykottieren Haushaltssteuer in Irland
Irland gehört zu den Staaten, die von den Folgen der Weltwirtschaftskrise besonders hart getroffen wurden. Die Flucht unter den Euro-Rettungsschirm hat nicht nur zu der bizarren Situation geführt, dass Pläne für den Staatshaushalt im deutschen Bundestag früher bekannt waren, als im irischen Daíl (dem dortigen Parlament), sondern auch zu fünf Jahren Austeritätspolitik auf der grünen Insel.
Von Sascha Stanicic
Steigende Erwerbslosigkeit, Lohn- und Sozialabbau bedeuten auch für Irland eine zunehmende soziale Krise, wenn auch noch nicht in griechischen Ausmaßen. Laut einer Untersuchung der irischen Genossenschaftsbanken ist das Einkommen für 69 Prozent der Bevölkerung von 2011 auf 2012 gesunken. 1,8 Millionen Menschen haben weniger als einhundert Euro zur Verfügung, wenn sie alle wesentlichen Rechnungen (Miete, Versicherungen, Gebühren, Kredite etc.) gezahlt haben. Kein Wunder, dass die Zahl der Auswanderer Rekordhöhen erreicht. Auf jeweils 50.000 schätzt das Economic and Social Research Institut (ESRI) die Zahl derjenigen, die Verzweiflung und Hoffnung auf Besserung ins Ausland treibt – das sind mehr als auf dem Höhepunkt der Ausreisewelle in den 1980er Jahren.
Es ist auch kein Wunder, dass die Wut der Menschen auf die Regierenden groß ist. Wut in Widerstand zu verwandeln ist aber kein Automatismus. In Irland ist dies in Form einer Boykottkampagne gegen die 2012 neu eingeführte Haushaltssteuer geglückt, die das Land in Atem hält. Der Irish Times-Reporter Dan O’Brien schrieb dazu: “Die Haushaltssteuer hat eine Steuerrevolte enormen Ausmaßes ausgelöst. Hunderttausende haben sich geweigert, zu zahlen und wo immer Phil Hogan, der verantwortliche Minister, erscheint, wird er mit Protesten konfrontiert.”
Die Troika fordert von der irischen Regierung die Einführung einer Immobiliensteuer. Da es aber keine ausreichende Registrierung von Wohneigentümern gibt, versuchte die Regierung in 2012 mit der “nur” einhundert Euro hohen Haushaltssteuer diese Registrierung zu erreichen und das Tor zur Grundsteuer aufzustoßen, die nun 2013 – wie auch Wassergebühren – eingeführt werden soll und 300 bis 500 Euro betragen soll. Beide Steuern werden jedoch als ungerecht empfunden. In einem Land mit einer hohen Eigenheimquote treffen sie vor allem Menschen aus der Arbeiterklasse und den Mittelschichten (abgesehen davon, dass Vermieter die Steuern auf die Miete aufschlagen werden).
Die Zahl der NichtzahlerInnen wird auf 700.000 geschätzt. Das macht die Kampagne gegen die Haushaltssteuer zu einer der größten Bewegungen zivilen Ungehorsams in der Geschichte und lässt Erinnerungen an den Boykott der “Poll Tax” von fast 20 Millionen Britinnen und Briten wach werden, der Anfang der 1990er Jahre der entscheidende Nagel an Margaret Thatchers Grab war. Der historische Hintergrund ist aber ein anderer und das macht den irischen Steuerboykott so spannend: während damals der Kapitalismus seinen Triumphzug nach dem Ende der Sowjetunion begann, steckt er heute weltweit in der größten Krise seit acht Jahrzehnten. Jede soziale Bewegung erlangt so eine größere politische Dimension. So auch die “Kampagne gegen Haushaltssteuer und Wassergebühren” in Irland, die landesweit in örtlichen Gruppen organisiert ist und nicht nur Hunderttausende zum Bezahlboykott gebracht hat, sondern auch Zehntausende zu Versammlungen und Protesten mobilisiert hat. Sie benennt die Haushaltssteuer als Austeritätsteuer und bezieht tausende von Menschen in Aktionen und Debatten ein, die sich bisher nicht an sozialen Bewegungen oder politischen Organisationen beteiligten. Allein durch die Form des Steuerboykotts und der geplanten Aktionen gegen gerichtliche Verurteilungen von NichtzahlerInnen wird sie für Hunderttausenden die Frage auf: dient der Staat eigentlich den Bürgerinnen und Bürgern oder der reichen Elite?
Sascha Stanicic ist SAV-Bundessprecher und verantwortlicher Redakteur des Internetportals sozialismus.info.
“Die Kampagne muss unter der Kontrolle der einfachen Leute sein”
Interview mit Matt Waine, Vertreter der “Campaign Against Household & Water Taxes” und Stadtrat der Socialist Party/Vereintes Linksbündnis in Dublin
1. Warum haben die Haushaltssteuer und die Wassergebühren in der irischen Bevölkerung zu einer solchen Empörung geführt. Inwiefern gibt es hier eine Verbindung zur Wirtschafts- und Schuldenkrise?
Die Haushaltssteuer wurde im Januar 2012 eingeführt. Sie hat eine enorme Gegenbewegung ausgelöst. Dazu gehört der massenhafte Steuerboykott von 700.000 Haushalten, was fast 50 Prozente aller Haushalte sind. 30.000 Menschen haben sich an öffentlichen Versammlungen im ganzen Land beteiligt und 15.000 protestierten im März beim Parteitag der Fine Gael, der wichtigsten Regierungspartei. Die Kampagne wirkt wie ein Blitzableiter für all die aufgestaute Wut von Menschen aus der Arbeiterklasse nach fünf Jahren brutaler Austeritätspolitik, Bankenrettungen und Kürzungen. Die Menschen haben eine klare Verbindung zwischen der Haushaltssteuer und der wirtschaftlichen Krise gezogen.
2. Wie war es überhaupt möglich einen massenhaften Zahlungsboykott zu organisieren? Welche politischen und organisatorischen Mittel habt Ihr dazu eingesetzt? Und: was für Leute sind aktiv geworden? Vor allem Aktivistinnen und Aktivisten oder konnten bisher nicht aktive Menschen einbezogen werden?
Natürlich haben Aktivistinnen und Aktivisten aus der politischen Linken bei der Kampagne eine wesentliche Rolle gespielt. Ich selber bin Mitglied der Socialist Party, die Teil des Vereinten Linksbündnisses ULA ist, und zweifellos eine Schlüsselrolle eingenommen hat. Wir in der SP konnten auf wichtigen Erfahrungen aus den Kämpfen gegen die Wassergebühren in Dublin Mitte der 1990er Jahre und gegen die Einführung von Müllgebühren fünf Jahre später zurückblicken und daraus die Lehren ziehen. Zwei Argumentationslinien waren für den Aufbau der Kampagne entscheidend: erstens haben wir deutlich gemacht, dass es sich um eine Austeritätssteuer handelt, die dazu dienen wird Bänker und Anleihebesitzer zu retten. Zweitens haben wir mit dem Mittel des Zahlungsboykotts eine effektive Taktik vorgeschlagen, die in den genannten Kämpfen der Vergangenheit angewendet wurde und die Menschen davon überzeugt hat, dass es sich lohnt zusammenzustehen und den Drohungen und Einschüchterungsversuchen der Behörden zu trotzen. Wir erklärten, dass der Staat gegen die Nichtzahlerinnen und Nichtzahler machtlos sein wird, wenn es nur genug sein werden. Uns war von Beginn an klar, dass es eine starke Stimmung gegen die Zahlung dieser Steuer gibt. Aber uns war genauso klar, dass diese Stimmung alleine nicht ausreichen wird, sondern in eine aktive, sichtbare und in den Arbeitervierteln verwurzelte Kampagne verwandelt werden muss, um den Menschen das Selbstvertrauen zum Widerstand zu geben. Wichtig dabei waren unter anderem regelmäßige Versammlungen der Kampagne in den Stadtteilen und Ortschaften, die einen Beitrag dazu leisteten Zweifel zu diskutieren und auszuräumen. Ebenso wichtig waren öffentliche Proteste, die den Druck auf die Politiker hoch hielten und diese letztlich in die Defensive brachten.
Die Kampagne unterscheidet sich aber auch von früheren Kampagnen darin, dass es uns gelungen ist, über die traditionellen linken Gruppen und Aktiven hinaus zu gehen und hunderte und tausende einfache Leute aus der Arbeiterklasse bei entscheidenden Stufen der Kampagne einzubeziehen.
Die Kampagne wurde von der Socialist Party zwar initiiert, die dann alle Gruppen und Einzelpersonen eingeladen hat, die aktiv gegen Kürzungen und Angriffe auf die Arbeiterklasse waren. Aber von Anfang an haben wir erklärt, dass die Kampagne nur erfolgreich sein kann, wenn sie die einfachen Leute aus der Arbeiterklasse erreicht, einbezieht und wenn diese tatsächlich die Kampagne prägen und die Kontrolle über darüber erhalten.
3. Wie viele Menschen zahlen immer noch nicht und wie reagiert der Staat auf den Boykott?
Natürlich versucht die Regierung, die Zahlen zu manupulieren. Sie behaupten, dass 60 Prozent der Haushalte die Steuer gezahlt haben. Dabei unterschätzen sie aber die tatsächliche Anzahl von Immobilien, die zur Zahlung verpflichtet sind. Während Hunderttausende mit der Androhung von Strafzahlungen und Sanktionen unter Druck gesetzt wurden, zu zahlen, werden die Zahlen durch Großeigentümer mehrerer Immobilien nach oben geschönt. Der Staat hat nun zehntausende Mahnungen verschickt, in denen die Leute aufgefordert werden zu zahlen und ihnen höhere Strafen und Gerichtsprozesse angedroht werden. Das hat natürlich einige Nichtzahler eingeschüchtert, aber die Ironie dieses Vorgehens ist, dass viele Leute erkennen, dass der Staat einfache Arbeiterinnen und Arbeiter vor Gericht zerren will, während keiner der Architekten der Krise, keine Bänker und Immobilienspekulanten, zur Verantwortung gezogen wurden. Erst jetzt werden in Mayo in Westirland Immobilienhaie vor Gericht gebracht, was aber nur zur Rechtfertigung für das Vorgehen gegen die Boykottkampagne dienen soll.
Die Kampagne hat einen Rechtsschutzfonds eingerichtet und ein Team von Rechtsanwälten gebildet, die die einfachen Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer (nicht die Vermieter) vor Gericht vertreten sollen. Aber unsere Haupttaktik wird sein, jede Gerichtsverhandlung als Ausgangspunkt für neue Massenproteste zu nutzen.
4. Ist denn diese Zahlungsboykottkampagne eine klassische “Ein-Punkt-Kampagne” oder steht sie in einer Beziehung zu anderen Bewegungen, wie zum Beispiel der Bewegung für eine Ablehnung des Fiskalpakts im diesjähirgen Referendum?
Seit dem Beginn der Krise vor fünf Jahren hat es viele Bewegungen und Kampagnen gegeben, die schnell ausgebrochen, aber auch wieder verschwunden sind. Die „Kampagne gegen Hausthaltsteuer und Wassergebühren“ hat seit Jahresanfang 2012 eine konstante Präsenz im politischen Leben des Landes. Auch wenn sie als Kampagne gegen bestimmte Austeritätssteuern und -gebühren gegründet wurde, hat sie doch von Anfang an eine umfassendere Botschaft ausgesendet. Aktive aus der Kampagne haben sich auch an der Kampagne gegen den Fiskalpakt oder auch an Kämpfen gegen Kürzungen kommunaler Sozial- und Dienstleistungen beteiligt.
International wird Irland ja als der „gute Schüler“ aus den PIIGS-Staaten dargestellt. Wir werden als brav und gehorsam präsentiert. Das ist aber nicht der Fall. Die Mehrheit der Bevölkerung ist gegen die Austeritätspolitik und hat bei verschiedenen Gelegenheiten versucht, Abwehrkämpfe zu führen. Bei jedem Versuch wurden sie aber von einer Gewerkschaftsführung gebremst, die einen Kadavergehorsam praktiziert. Die Kampagne gegen die Haushaltssteuer wird als ein Vehikel gesehen, nicht nur diesen einen Aspekt des Regierungsprogramms, sondern alle, zu bekämpfen. In dieser Hinsicht handelt es sich also um eine sehr politische Kampagne. Die Socialist Party schlägt vor, dass in den örtlichen Kampagnegruppen Diskussionen zur Frage politischer Alternativen zur Austeritätspolitik diskutiert werden sollten. Dazu gehört eine Reichensteuer, eine Besteuerung nicht investierter Profite, allgemeine Steuererhöhungen für Banken und Konzerne, öffentliche Investitionsprogramme zur Schaffung tausender Arbeitsplätze. Solche Ideen werden aber nicht nur von uns aufgeworfen, sondern auch von solchen Aktiven, die keinen weiteren politischen Gruppen angehören.
5. Würdest Du denn sagen, dass die Zahlboykottkampagne eine “linke” Kampagne ist und hat sie die politische Linke im Land gestärkt? Treten Aktivistinnen und Aktivisten aus der Kampagne in linke Parteien oder Organisationen ein?
Die Kampagne kann eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung einer neuen politischen Repräsentanz für die Arbeiterklasse spielen. Das erkennen die meisten Aktiven auch. Dass es keinen Sinn macht das politische Establishment auf der Straße und in den Nachbarschaften zu bekämpfen, um dann in der Wahlkabine für genau diese Parteien zu stimmen. Wir brauchen eine neue Partei. Diese kann aber nicht einfach nur aus den bestehenden linken Gruppen bestehen. Sie muss breit und auch organisatorisch plural aufgestellt, aber politisch klar links sein. Das Vereinte Linksbündnis, das vier Parlamentsabgeordnete stellt, besteht zur Zeit aus verschiedenen linken Organisationen, wie der Socialist Party und dem Bündnis „People before Profit“, und ist keine solche neue, breite Partei.
Die Kampagne gegen die Haushaltssteuer aber hat ein aufregendes Potenzial in dieser Hinsicht. Wir haben hier die Möglichkeit der Regierung und der Troika nicht nur eine schmerzhafte Niederlage zu bereiten. Wir können auch die Frage einer neuen Politik und einer neuen Gesellschaft, in der Menschen wichtiger als Profite und Anleger sind, auf die Agenda bekommen.
Das Gespräch führte Sascha Stanicic.
Eine Kurzfassung des Artikels und des Interviews erschien zuerst in der Ausgabe 20 von „lunapark21 – zeitschrift zur kritik der globalen ökonomie“ ( www.lunapark21.net )