Dieser Artikel von Herbert Wulff erschien zuerst am 22. November in der Tageszeitung junge welt
Das kategorische Streikverbot, das die Kirchen ihren Beschäftigten aufzwingen wollen, ist nicht zu halten. Diese Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom Dienstag nachmittag ist uneingeschränkt zu begrüßen. Angesichts der Tatsache, daß Diakonie und Caritas längst wie profitorientierte Privatkonzerne agieren – Lohndumping, Ausgliederungen und Leiharbeit inklusive – war dieser Schritt überfällig. In der mündlichen Begründung der BAG-Präsidentin Ingrid Schmidt finden sich allerdings Aussagen, die diese an sich positive Entscheidung konterkarieren.
Der Schutzbereich des noch aus der Weimarer Republik stammenden »Selbstordnungsrechts« der Kirchen umfasse auch die Regelung der Einkommens- und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten, so die Richterin. Die Religionsgemeinschaften könnten daher weiterhin »ein am Leitbild der Dienstgemeinschaft ausgerichtetes Arbeitsrechtsverfahren« praktizieren. Falls dessen Ergebnisse für alle Einrichtungen verbindlich und die Gewerkschaften »organisatorisch eingebunden« sind, soll das Streikrecht nicht gelten. Diakonie und Caritas haben also die Möglichkeit, ihren Beschäftigten – übrigens unabhängig davon, ob sie sich zum christlichen, muslimischen oder überhaupt keinem Glauben bekennen – zu »kollektivem Betteln« zu verdonnern. Denn nichts anderes sind Verhandlungen ohne das Recht auf Streik, das haben klügere Richter am BAG schon vor Jahren festgestellt.
Die evangelische Kirche kürzt den Diakoniebeschäftigten mit Verweis auf ihren »Verkündungsauftrag« bis zu zehn Prozent des Lohns (im Vergleich zum öffentlichen Dienst) und verweigert ihnen ein grundgesetzlich geschütztes Menschenrecht. Eine erstaunliche Form der Nächstenliebe. Ob das nur vorgeschoben ist, um sich gegenüber der Konkurrenz auf dem Gesundheitsmarkt Wettbewerbsvorteile zu verschaffen, dürfe ein weltliches Gericht nicht überprüfen, so das BAG. Für die Kirchen mit ihren rund 1,3 Millionen Beschäftigten – keineswegs eine Randgruppe, wie Richterin Schmidt betonte – sollen Recht und Gesetz also nicht gelten. Das Mittelalter läßt grüßen.
Es ist gut, daß ver.di das »Angebot« zur Teilnahme am »Dritten Weg« ausgeschlagen hat. Denn es ist vergiftet. Die Gewerkschaft dürfte zwar mitspielen – für ihre Mitglieder etwas durchsetzen könnte sie aber nicht. Für ver.di bedeutet das Urteil zunächst, daß sie unbegrenzt zu Streiks aufrufen darf. Denn die vom BAG genannte Voraussetzung eines verbindlichen »Dritten Wegs«, bei dem die Gewerkschaften voll einbezogen sind, existiert nirgendwo. Ver.di sollte diesen Zustand nutzen, um in möglichst vielen diakonischen Einrichtungen und Verbänden Tarifverträge durchzusetzen. Gelingt es, das Kräfteverhältnis durch Mobilisierung zugunsten der Belegschaften zu verändern, wird das auch für den juristischen Konflikt – der früher oder später beim Bundesverfassungsgericht landet – positive Folgen haben.