Der „Daily Maverick“, ein südafrikanisches Online-Nachrichtenportal, berichtete mit einem Artikel von Mandy De Waal ausführlich von der Pressekonferenz des Treffens der südafrikanischen BergarbeiterInnen und auch über die Reaktion der größten Bergarbeitergewerkschaft NUM:
Dieses Wochenende trafen sich in Marikana fast einhundert Streikführer der wilden Streiks in den Bergwerken der Provinzen North West, Gauteng, Mpumalanga und Limpopo. Die während dieses Treffens beschlossenen Resolutionen beinhalten unter anderem die Intensivierung der Bergarbeiterstreiks, die Ausweitung der Arbeitskämpfe, ein Programm zur Besetzung der Schächte und den Aufruf zu einem landesweiten Generalstreik. In einer ersten Reaktion winkte die NUM ab und tat die Drohung durch Arbeiter, die landesweit den Hammer fallen lassen, mit einem müden Lächeln ab. Das hinderte sie aber nicht daran, weiterhin die Polizei dazu aufzufordern, ihre Vorgehensweise zu verstärken. All dies geschieht, da Präsident Jacob Zuma am Freitagabend ein Krisentreffen einberufen hat, an dem die Regierung, Vertreter der Gewerkschaften und Arbeitgeber teilnahmen, um den „angreifbaren Zustand der Wirtschaft“ zu diskutieren. Von MANDY DE WAAL
Am Samstag, dem 13. Oktober, wehrte sich die Sonne trotzig gegen die grauen Wolken und schien auf die Bergleute hernieder, die sich im RDP-Wohnprojekt von Marikana, keine drei Kilometer von dem Ort entfernt, an dem das Blutbad stattfand, zusammengefunden hatten. Sowohl aus den nahe gelegenen Bergwerken der Konzerne „Anglo Platinum“ (dem weltgrößten Platinförderer), „Northam Platinum“, „Samancor“, „Royal Bafokeng Platinum“ wie auch aus den weiter entfernt liegenden Minen in Carletonville (Gauteng) und Burgersfort (Limpopo) waren Streikführer gekommen.
Rund einhundert Arbeiter, Sozialisten und Aktivisten saßen auf Mauersteinen, Kunststoffstühlen oder den Bruchsteinen, die an ein leer stehendes Gebäude angrenzten. Alle Augen richteten sich auf Evans Ramokga, den Streikorganisator aus einer Mine von „Anglo American Platinum“ (Amplats), einer Tochterfirma von „Anglo American“. Dieser Konzern ist sowohl im LSE als auch im JSE (britischer bzw. südafrikanischer Aktienindex; Anm. d. Übers.) gelistet.
„Die NUM (National Union of Mineworkers) wird niemals gewinnen. Wir müssen zu den Minen Harmony und Doornkop in Soweto gehen. Wir müssen sie alle mobilisieren“, sagte Ramokga in einem ganzen Gemisch aus unterschiedlichen Sprachen. „Unser erstes Ziel sind die Platinminen, aber die Goldbranche muss denselben Weg gehen.“
Ramokga ist eine sprachgewandte und charismatische Person mit leidenschaftlicher Überzeugung. Um ihn herum saß eine vornehmlich männlich besetzte Menge von Arbeitern, die seine Rede immer wieder damit unterbrach, dass sie die Fäuste in die Höhe streckte und laut ausrief: „Amandla!“ (Ausruf aus der Zeit des Anti-Apartheid-Kampfes, der in den Sprachen Zulu bzw. Xhosa „Macht“ oder „Kraft“ bedeutet; Anm. d. Übers.).
„Haltet euch immer wieder vor Augen, dass die NUM sich gegen euch als die Führung dieser Streiks wenden wird. Aber wir müssen wie die eigentlichen Anführer handeln. Wenn ein Polizeihubschrauber auftaucht, dürfen wir nicht verängstigt wegrennen. – Als Köpfe der Streiks müssen wir unsere Stellung behaupten. Wir müssen fest und unerschrocken bleiben.“
Dies war das erste Streiktreffen, dass im Platin-Gürtel von Rustenburg abgehalten wurde, um eine derart große und repräsentative Teilnehmerzahl mit Beschäftigten der Bergbauindustrie zustande zu bekommen. Solidaritätsschreiben und Entschuldigungsbriefe, da eine Teilnahme nicht möglich war, kamen von Streikführer und Arbeitern bei den Unternehmen „Impala Platinum“ und aus Bergwerken rund um Klerksdorp.
Ebenfalls anwesend (und neben den örtlichen Sozialisten und Aktivisten sitzend) war Alec Thraves von der linksradikalen „Socialist Party“ (aus England und Wales). Thraves ist auch Mitglied des trotzkistischen „Committee for a Workers‘ International“. „Ich glaube nicht, dass der ANC die Bergarbeiter oder die Arbeiter allgemein vertritt“, sagte Thraves, „sie stehen auf der Seite der Konzerne und deren Chefetagen.“
„Die Welt sieht auf die Bergleute in Südafrika, die Welt unterstützt die Bergleute und ich wünsche mir, dass die Bergleute wie die ganze Arbeiterklasse einen Sieg davontragen. Dass kann nur im Sozialismus Realität werden. Wir müssen dieses stinkende, verfaulte, kapitalistische System loswerden und sicherstellen, dass es zu einer sozialistischen Gesellschaft kommt, in der Bergleute und andere Arbeiter eine angemessene Zukunft haben“, sagte Thraves.
Sehen Sie sich die Rede von Alec Thraves von der linksradikalen „Socialist Party“ (aus England und Wales) an, die er in Marikana gehalten hat:
Der britische Sozialist, der ergänzte, dass das „Committee for a Workers‘ International“ (CWI) in 45 Ländern rund um den Globus für Unterstützung durch die jeweiligen Gewerkschaften für die vorgeschlagenen Massenaktionen in Südafrika sorgen will, erhielt Beifallsstürme.
Viele weitere Streikführer hätten sich gerne noch an die TeilnehmerInnen gewandt, doch Mametlwe Sebei, Mitglied des koordinierenden Streikkomitees, der auch Sprecher des südafrikanischen „Democratic Socialist Movement“ (DSM) ist, musste auf den knappen Zeitplan hinweisen.
Eine geplante Pressekonferenz verzögerte sich und Sebei beeilte sich, die Resolutionen vorzustellen, die das Streikkomitee vorbereitet hatte. Darin enthalten war eine Entscheidung über die Intensivierung der Streiks in der Platinbranche, die Ausweitung der Streiks auf die Goldbranche und darüber hinaus, die Besetzung von Förderschächten und der Aufruf zu einem landesweiten Generalstreik. Auch die Verstaatlichung und die Gründung einer neuen sozialistischen Partei standen auf dem Programm.
„Keine Drohkulisse oder der Tod können uns stoppen. Wir sind entschlossen, den (Bergarbeiter-)Streik fortzusetzen“, sagte Sebei, der ein Programm vorstellte, mit dem die Streikmaßnahmen intensiviert werden sollen und ein landesweit geltender Mindestlohn für die Industrie von 12.500 südafrikanischen Rand (rund 1.100 Euro) erreicht werden soll.
„Der Kampf wird ausgeweitet, und wir bitten alle ArbeiterInnen, sich auf einen landesweiten Generalstreik vorzubereiten“, erklärte Sebei. „Wir rufen dazu auf, in allen Regionen und allen Branchen Solidaritätskomitees zu gründen. Die Konzernchefs, die Regierung und die tripartite alliance werden zusammenarbeiten, um die Streikenden zu brechen – notfalls auch blutig. Aber kein Angriff wird uns abschrecken – egal, wie lange und schwerwiegend er sein mag“, sagte er. [tripartite alliance = politische Allianz zwischen Regierungspartei ANC, Gewerkschaftsbund COSATU und „Südafrikanischer Kommunistischer Partei“ (SACP); Anm. d. Übers.]
Er fügte hinzu: „Was vom Abstimmungsergebnis dieses Treffens hier ausgeht, ist, dass wir eine Regierung brauchen, die keine Soldaten schickt und keine Polizei schickt, um die Konzernchefs zu unterstützen und die Bergleute anzugreifen. Wir brauchen in diesem Land eine Regierung, die aus Arbeitern besteht, eine Regierung, die die Arbeiter vertritt und die die Belange der Arbeiter ins Parlament trägt, um endlich sicherzustellen, dass die Gesetze in diesem Land im Interesse der Menschen aus der Arbeiterklasse und im Interesse der armen Menschen gemacht werden“.
Sehen Sie sich die Rede von Mametlwe Sebei an, der in Marikana bei einem Treffen von Streikführern der wilden Streiks zu einem landesweiten Generalstreik aufruft:
Allerdings verhöhnt die „National Union of Mineworkers“ den Vorschlag eines landesweiten Generalstreiks. In einem Telefongespräch mit dem „Daily Maverick“ sagte der NUM-Sprecher Lesiba Seshoka, dass das „Democratic Socialist Movement“ nichts mit den momentanen wilden Streiks zu tun habe und nicht in der Lage sei, einen landesweiten Generalstreik zu koordinieren.
„Ich glaube nicht, dass die Organisation (das DSM) weiß, was sie tut. Wenn sie einen eintägigen landesweiten Streik organisieren, der illegal sein wird, dann laufen sie Gefahr, wegen der Produktionsausfälle von den Bergbauunternehmen verklagt zu werden, weil man einfach keinen illegalen Streik führen darf“, so Seshoka.
„Wir als Gewerkschaften haben immer gesagt, dass wir nicht an illegalen Aktionen teilnehmen wollen. Ich denke nicht, dass das funktionieren wird. Es wird schiefgehen. Das wird – genau wie der Congress of the People – auf die Ebene des Politischen kommen. Und als es dazu kam, gab es einen Riesen-Dampf, aber wenn man sich ansieht, was die Democratic Socialists auch immer vorhaben zu tun, so macht das noch nicht einmal den Eindruck, wenigstens Dampf zu sein. Es ist unwahrscheinlich, dass das Erfolg haben wird“, fügte er hinzu. [Congress of the People = sozialliberale südafrikanische Partei, die 2008 von abtrünnigen ANC-Mitgliedern gegründet wurde; Anm. d. Übers.]
Seshoka entwarf ein komplexes Bild von Beweggründen, das Parteien haben, um, wie er meinte, eigentlich nur vollkommen eigennützige Interessen zu vertreten. „Es gibt Menschen, die dieses Mittel zur Verstaatlichung nutzen wollen. Es gibt Menschen, die die Gewalt ausnutzen wollen, um Mitglieder zu gewinnen und neue Gewerkschaften zu gründen. Und es gibt viele Parteien, die die Bühne betreten, weil sie hoffen, dass sie aus der Menge derer, die verärgert sind über den ANC, eine Reihe neuer Mitglieder rekrutieren können.“
Der NUM-Sprecher forderte nicht nur für Marikana eine verstärkte Polizeipräsenz, mit der, wie er sagte, in der Bergbaubranche Recht und Ordnung wiederhergestellt werden können. „Die Polizei muss vor Ort sein, und sie muss in größerer Zahl vor Ort sein. Auch wenn sie jetzt vor Ort sind, werden sie die Schlacht gegen Kriminelle verlieren. Sie verlieren nicht die Schlacht gegen die Streikenden, aber gegen die Kriminellen. Diese Leute sind da, um Chaos zu stiften, um sicherzustellen, dass das Eigentum verbrannt wird, dass Menschen ermordet werden. Gesetzlosigkeit können wir nicht unterstützen“, sagte Seshoka.
„Der Streik ist illegal. Sie aber meinen, dass die Beteiligung an einem illegalen Streik sie nicht zu Kriminellen werden lässt. Die Kriminalität beginnt da, wo Menschen Eigentum anzünden, wo Menschen, die zur Arbeit gehen wollen, eingeschüchtert werden und verbrannt oder erschossen werden oder ähnliches“, führte er aus.
Seshoka warf dem DSM vor, opportunistisch zu sein und den wilden Streik für sich einnehmen zu wollen. „Das DSM ist viel zu aufgeregt. Sie meinen, dass dies der kürzeste Weg sei, um zur Verstaatlichung zu gelangen. Aber die NUM ist bekannt dafür, dass sie die Zukunft Südafrikas im Sozialismus sieht. Wenn man heute sagt, dass man morgen den Sozialismus will – wie will man das anstellen? Ist das überhaupt innerhalb des rechtlichen Rahmens, den wir haben, möglich?“, fragte Seshoka.
Die Streikführer trafen sich in Marikana trotz der Anordnung der Regierung, dass „illegale Versammlungen entsprechend behandelt werden“. Die Menschen, die in Marikana und Nkaneng leben, wissen allzu gut, dass damit der Einsatz von Tränengas und Gummigeschossen gemeint ist, was schon mehrere Todesopfer zur Folge hatte. Unter den Opfern war auch die Stadträtin des ANC, Paulina Masuhlo.
Unter den Anwesenden waren auch Streikführer der „Amplats“-Minen und eine große Gruppe von Arbeitern, die ein Ultimatum ihrer Bergwerksleitung ignoriert hatten und nun Widerspruch gegen die Entlassung von 12.000 Beschäftigten einlegen wollen. „Wir haben letzte Woche die Entscheidung getroffen, dass die Arbeiter von Anglo Platinum keinen Widerspruch einlegen und sich nicht an einer disziplinarischen Untersuchung beteiligen werden. Wir sagen, dass wir von der Geschäftsleitung die Wiedereinstellung erwarten und nicht die Entlassung – aber unter den Bedingungen, die die Arbeiter auf den Tisch gelegt haben“, sagte Sebei.
Die Beschäftigten bei „Amplats“, die einen wilden Streik begonnen haben, wollten eine Lohnerhöhung auf 16.000 südafrikanische Rand (rund 1.400 Euro) pro Monat. Das Wochenende brachte einen neue Forderung nach einem Mindestlohn für die Bergbauindustrie von 12.500 südafrikanischen Rand (rund 1.100 Euro). „Kein Arbeiter darf weniger ausgezahlt bekommen“, sagte Sebei.
Im Namen der Streikführer sagte Sebei, dass die Bergleute die Bergwerksschächte besetzten sollten, und rief die Wohn-Gemeinschaften dazu auf, diese Aktionen zu unterstützen, indem sie Lebensmittel und Wasser vorbeibringen sollten. Die Entscheidung, auch mit Sit-In-Aktionen vor den Bergwerken zu beginnen, wurde ebenfalls zum Inhalt einer Resolution, die von den Streikführern und -koordinatoren im Verlauf des Treffens am Samstag beschlossen wurde, das von 10 Uhr vormittags bis 14.30 Uhr andauerte. Im Anschluss daran folgte eine Pressekonferenz, bei der Sebei die Resolutionen gegenüber SABC (südafrikanisches Fernsehen; Anm. d. Übers.], „Sunday Times“, „Daily Sun“ und anderen vertretenen Medien vorstellte.
In einer älteren Erklärung hatte „Amplats“ verlautbaren lassen, dass die Produktion weiterhin unter 20 Prozent des Solls rangiere und dass die meisten Minen nördlich von Rustenburg nicht genug Personal hätten, um den Betrieb aufrecht zu erhalten. Aus der Erklärung geht hervor: „Insgesamt sind in der Platinproduktion 67.000 Unzen verloren gegangen, was schätzungsweise 1,1 Milliarden Rand an ausgebliebenen Einnahmen entspricht. Der durchschnittliche Verlust in der Platinproduktion beläuft sich auf 3.800 Unzen täglich“.
Es ist nun zwei Monate her, dass der Platin-Gürtel von Gewalt heimgesucht wurde, wobei mehr als 50 Menschen ums Leben gekommen sind, eine massive Krise für die Regierung Zuma entstanden ist und die Ratingagenturen „Moody’s“ wie auch „Standard & Poor“ mit Herabstufungen reagiert haben. Mit den Investoren im Nacken, so berichtet „City Press“, setzt sich die Bergbau-Ministerin Susan Shabangu innerhalb des ANC dafür ein, das Thema Verstaatlichung von der Tagesordnung für den Parteitag des ANC in Mangaung zu entfernen.
„In einer Rede nach der Dringlichkeitssitzung zur verletzlichen Lage der Wirtschaft, zu der Präsident Jacob Zuma am Freitagabend Vertreter aus Regierung, Wirtschaft und von Gewerkschaften eingeladen hatte, sagte Shabangu, es würde ’sehr schwer‘ werden, das Vertrauen der Investoren wieder herzustellen“, so der Bericht von „City Press“ (http://www.citypress.co.za/Politics/News/Minister-tells-ANC-to-drop-nationalisation-20121013).
Shabangu sagte gegenüber „City Press“, es seien weniger die Streiks, die die Investoren „nervös“ machten, sondern vielmehr das Gerede über Verstaatlichung und eine mögliche Ausweitung der wilden Streiks. „Der wichtigste Aspekt, wenn es um politische Fragen geht, ist, ob in Mangaung beschlossen wird, dass die Bergwerke verstaatlicht werden. Wir sind mit diesem Thema durch, aber die Investoren kommen immer wieder darauf zurück“, sagte Shabangu.
Das Blatt zitierte den unabhängigen Finanzanalysten Ian Cruickshanks, der sagte, dass Südafrika „nicht länger ein leuchtendes Beispiel für eine gut geführte Demokratie auf dem Kontinent“ ist und dass die Herabstufungen die Wirtschaft noch näher an den Status bringen, der „nicht investieren“ heißt.
Wird Südafrika in der Lage sein, den verlorenen Glanz einer für Investoren attraktiven Volkswirtschaft wieder zu erlangen?
Momentan gleicht die Bergbaubranche einem Boxring, in dem sich Regierung, das Kapital der Minen und die Gewerkschaften, deren besten Tage bereits vorüber sind, wie angeschlagene Schwergewichtler in der einen Ecke befinden. Ihnen gegenüber steht ein frischer, flinker Federgewichtler, der nichts zu verlieren und alles zu gewinnen hat. Die Volksmasse ergreift für den Underdog Partei, weil der Dicke im Ring keine Treffer mehr setzen kann.
Wer auch immer am Ende der Sieger sein wird – sicher ist, dass dieser Kampf wahrscheinlich nicht schon in der ersten Runde entschieden wird. DM