Mit der Abkühlung der chinesischen Wirtschaft brechen für die Autoindustrie härtere Zeiten an. Allen voran in Europa. Hier sanken die Autoverkäufe zwischen 2007 und 2012 von 15 auf geschätzte 12,4 Millionen. Wenn jetzt noch Absatzprobleme in China dazu kommen, könnte die Schließung von acht bis zehn Fabriken drohen. Das würde die Vernichtung von 250.000 Arbeitsplätzen bedeuten. Für Europas Autoindustrie naht der Tag der Abrechnung titelte die New York Times.
von Stephan Kimmerle, London
Die fortgesetzte Krise in Europa und die Folgen der Kahlschlagpolitik, gerade in Südeuropa, spiegeln sich auch in der Zahl der Autoverkäufe wider: Stagnation in Deutschland, aber ein Rückgang um 14 Prozent in Frankreich, 20 Prozent in Italien sowie 40 Prozent in Griechenland und Portugal sind die Folge. Der Einbruch in Südeuropa trifft Peugeot und Ford besonders schwer. In Köln hat Ford bereits wieder Kurzarbeit angemeldet.
Gewinner und Verlierer
Während Volkswagen seine Marktanteile erhöhen konnte, stehen Peugeot und die europäischen Werke von General Motors (Opel, Vauxhall) besonders schlecht da. Bei Opel denkt die Konzernspitze bereits laut über die Schließung eines Betriebs in Eisenach oder Bochum nach. Selbst Rüsselsheim wird nach dem nächsten Modellwechsel mit massiven Überkapazitäten zu kämpfen haben.
Peugeot will ein Werk in der Nähe von Paris dicht machen. Als diese Pläne im Juni bekannt wurden, provozierte das landesweit Protestaktionen. Gegen die zögerliche Haltung der Gewerkschaftsführung setzte ein Treffen von Delegierten der verschiedenen Werke durch, dass die Gewerkschaft CGT für den 9. Oktober zu einer Demonstration in Paris aufruft, da der Vorstand an diesem Tag in der Hauptstadt seine neuen Modelle vorstellen möchte.
Folgen die Unternehmer dem US-Beispiel?
Als die Krise 2009 ihren Lauf nahm, mussten Beschäftigte mit Kurzarbeit und entsprechenden Einbußen bluten. Gleichzeitig wurden Milliarden von Euro mobilisiert, um den Autokonzernen in Europa unter die Arme zu greifen. Doch im Gegensatz zum Beispiel zu den USA wurden diese Gelder nicht dafür verwendet, um Kapazitäten abzubauen und Betriebe plattzumachen. In den USA intervenierte der Staat, indem die Regierung die staatlichen Rettungsmaßnahmen bei General Motors und Chrysler (zwei der drei US-Autoriesen) mit entsprechenden Auflagen verknüpfte. Leider erwies sich die Führungsriege der United Auto Workers (UAW) hierbei als willfähriger Gehilfe.
In der Folge wurden gerade im Mittleren Westen Dutzende Betriebe geschlossen und historische Errungenschaften der Arbeiterbewegung beseitigt. Neueingestellte bekommen heute beispielsweise nur noch die Hälfte dessen, was zuvor an Gehältern gezahlt wurde.
Gleichzeitig wurden neue Fabriken im Süden der USA hochgezogen in Bundesstaaten, in denen es kaum gewerkschaftliche Rechte und Traditionen gibt. Daimler und andere sind dort ebenfalls aktiv geworden.
Der Fiat-Chef Sergio Marchionne plädiert nun dafür, seitens der europäischen Autobosse dem koordinierten Kahlschlag der USA nachzueifern und auf EU-Ebene gemeinsam tätig zu werden. In der Tat liegt es in der Logik des Kapitalismus, Krisen durch die Vernichtung von Kapital zu lösen.
Allerdings gibt es einen wesentlichen Unterschied zwischen den USA und Europa. Im Gegensatz zu den USA ist Europa in eine Vielzahl von Nationalstaaten gespalten, die wie sich mit der Politik von Abwrackprämien und Kurzarbeit 2009 zeigte darauf aus sind, gerade ihre jeweiligen Unternehmen auf Kosten der Konkurrenz in den Nachbarländern durchzuboxen. Natürlich sind Absprachen und vorübergehende Allianzen möglich. Aber die Euro-Krise macht deutlich, dass die Kapitalisten heute nicht in der Lage sind, die nationalstaatlichen Schranken zu überwinden. Schließlich haben die verschiedenen Nationalstaaten die Funktion, den Interessen der jeweiligen Kapitalistenklassen zu dienen.
Das erklärt die unterschiedliche Politik nach 2008 in den USA gegenüber Europa. Und es gibt einen Hinweis darauf, welches Hauen und Stechen angesichts der gigantischen Überkapazitäten europaweit noch zu erwarten ist. Zumal sich die Wirtschaftsaussichten deutlich verdüstern.
Perspektiven
Es ist mehr als fraglich, ob die deutschen Autokonzerne, die sich bisher als Gewinner wähnten, weiterhin so gut da stehen werden. Nach dem Einbruch 2009 war es vor allem der chinesische Markt, der den Automobil-Unternehmen in Europa einen Ausweg wies. Aufgrund ihrer Verkaufszahlen in Fernost kamen die Premiumhersteller Daimler, BMW und Audi weitgehend ungeschoren davon. Aber das droht sich jetzt zu ändern.
Daimler hat gerade ein neues Sparprogramm von einer Milliarde Euro angekündigt. Selbst VW spielt mittlerweile mit dem Gedanken, die Produktion in Deutschland um zehn Prozent zu drosseln.
Strategien für Gegenwehr
Die IG-Metall-Führung ließ sich vor drei Jahren auf Flexkonten-Modelle und Kurzarbeit ein. LeiharbeiterInnen landeten auf der Straße, Stammbelegschaften mussten ebenfalls einen Preis zahlen.
Mit der Rückkehr der Auto-Krise darf sich dieser Kurs jetzt nicht wiederholen. Nötig ist eine gewerkschaftliche Strategie für europaweit und international koordinierten Widerstand zur Verteidigung aller Betriebe und Arbeitsplätze. Es muss verhindert werden, dass Belegschaften gegeneinander ausgespielt werden.
Ein gemeinsamer Kampf gegen Verzicht ist nötig. Alle Betriebe, in denen Massenentlassungen und Schließungen drohen, müssen in öffentliches Eigentum überführt und demokratisch kontrolliert und verwaltet werden. Aber aufgrund der gegenseitigen Abhängigkeiten der einzelnen Betriebe voneinander und der Überkapazitäten darf sich die Verstaatlichung nicht nur auf die Betriebe beschränken, für die die Unternehmer keine Verwendung mehr haben. Die ganze Industrie gehört von den Beschäftigten, den Gewerkschaften und dem Staat demokratisch verwaltet. Es gilt, einen Plan zu entwickeln, wie sich die Autoindustrie neu organisieren und das Know-How und die Kompetenzen der Belegschaften bestmöglich nutzen lässt. Das schließt die Umstellung von Teilen der Produktion auf alternative Güter und eine Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohn ein.
Um das zu ermöglichen, müssen die Gewerkschaften wieder zu echten Kampf-organisationen gemacht werden. Dafür braucht es eine kämpferische Bewegung in den Betrieben und Gewerkschaften, die sich um eine direkte Vernetzung zwischen den Fabriken und Ländern bemüht und die Hindernisse hin zu einem gemeinsamen Kampf überwindet. n
Stephan Kimmerle ist Mitglied im Internationalen Sekretariat des CWI
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