Viel Panikmache, wenig wahrer Kern
Bei der Diskussion über Maßnahmen der Europäischen Zentralbank (EZB) gegen die Wirtschaftskrise warnen Stammtischpolitiker und Talkshowökonomen ständig vor Inflation. Tatsächlich ist die Inflationsgefahr viel geringer und kommt aus ganz anderen Richtungen.
von Wolfram Klein, Plochingen bei Stuttgart
In den letzten Jahren hat die EZB durch niedrige Zinsen und das Aufdrehen des Geldhahns versucht, die Wirtschafts- und Euro-Krise zu begrenzen. Viele Politiker und Ökonomen behaupten, durch eine Ausweitung der Geldmenge drohe Inflation.
Die erste Frage ist: Welche Geldmenge?
Es gibt verschiedene immer weiter gefasste Definitionen. Zum Beispiel die umlaufenden Banknoten und Münzen, Bankguthaben mit verschiedenen Kündigungsfristen, verschiedene Wertpapiere. Das Mengenverhältnis dieser Geldformen hat sich durch die Krise der letzten Jahre teils deutlich verändert. Wenn beispielsweise Bank A Bank B kein Geld mehr leiht, sondern bei der EZB Geld hinterlegt und die EZB dafür Bank B Geld leiht, vergrößert das die Geldmenge insgesamt nicht.
Zweitens dient Geld nicht nur dem Kaufen und Verkaufen von Waren und Dienstleistungen in der „Realwirtschaft“. Vielmehr haben sich in den letzten Jahrzehnten die Finanzmärkte ungeheuer ausgedehnt und mit ihnen die Geldmengen zur Abwicklung dieser Geschäfte. Deshalb ist in den letzten Jahren die Geldmenge viel stärker gewachsen als die Wirtschaft, ohne dass das zu Inflation geführt hätte.
Was bestimmt dann die Preise?
Die Preise werden grundlegend durch die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit bestimmt. Wenn ein Auto ein Vielfaches eines Fahrrads kostet, ist das auf die viel größere notwendige Arbeitszeit (angefangen mit der Zeit für die Förderung der in ihm enthaltenen Rohstoffe, zur Erzeugung der bei der Herstellung verwendeten Energie et cetera) zurückzuführen. (Auf Prozesse wie die Herausbildung einer Durchschnittsprofitrate, wie sie Karl Marx im III. Band des „Kapitals“ beschrieben hat, kann hier nicht eingegangen werden).
Kurzfristige Schwankungen werden dann durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Dies führt dazu, dass im Normalfall bei Hochkonjunktur Inflationsgefahr besteht, während bei Wirtschaftskrisen das Gegenteil (Deflation) droht. Viele Ökonomen sind auf die Erfahrung der „Stagflation“ (die Kombination von Stagnation und Inflation) der siebziger Jahre fixiert. Aber dass diese Bezeichnung damals geprägt wurde, zeigt schon, dass das damals, nach 150 Jahren kapitalistischer Konjunkturzyklen, ein neues Phänomen war, verursacht unter anderem durch den „Ölpreisschock“ von 1973. In den letzten Jahren gab es in Ländern wie China und Brasilien mit boomender Wirtschaft hohe Inflation. Kaum kühlte sich dort die Wirtschaft ab, ging auch die Inflation zurück.
Wir müssten uns Sorgen machen, dass die EZB-Maßnahmen zu Inflation führen, wenn sie zu einem Wirtschaftsboom führen würden. Aber momentan ist die Gefahr viel größer, dass sie nicht greifen und die europäische Wirtschaft immer tiefer in die Krise schlittert. Es ist bezeichnend, dass gerade Griechenland die niedrigste Inflation der Euro-Zone hat.
Nahrungsmittel und Energie
Erfahrungsgemäß schwanken die Preise für Nahrungsmittel und Energie am stärksten. Und in diesen Bereichen drohen gerade Preissteigerungen. In den USA bedroht eine Dürre die Mais- und Sojabohnen-Ernte, von Mitte Juni bis Mitte August stieg der Maispreis um 65 Prozent. Es könnte einen neuen Ölpreissprung geben, wenn Israel seine Kriegsdrohungen gegen den Iran wahrmachen sollte. Damit droht nicht nur eine neue Hungerkatastrophe in vielen Ländern. Wenn in „reicheren“ Ländern Güter des täglichen Bedarfs (wie Nahrung und Energie) teurer werden, müssen die Menschen anderswo sparen (oder Schulden machen). Das kann bedeuten, dass der Kauf von langlebigen Konsumgütern (Autos, Möbel, Fernseher und so weiter) hinausgezögert wird und dort die Preise einbrechen … Nur haben wir nichts davon, weil wir uns nicht mehr leisten können, sie zu kaufen.
Falls unsere Inflationsparanoiker sich durchsetzen, würde die Wirtschaftskrise noch zusätzlich verschärft.