Auf der Weltbühne ist der Fall Julian Assange ein Lehrstück über den US-Imperialismus, der die Enthüllungsplattform „WikiLeaks“ nicht einfach straffrei davon kommen lassen kann. Und außer Frage steht, dass der schwedische Staat und die Regierung kein Problem damit hätten, die USA zu unterstützen. Allerdings geht es bei diesem Fall auch um schwerwiegende Anschuldigungen der Vergewaltigung, die aufgeklärt werden müssen.
von Per-Ake Westerlund, „Rättvisepartiet Socialisterna“ (Schwesterorganisation der SAV in Schweden)
Als Julian Assange im August 2010 auf Einladung der christlichen Organisation der sozialdemokratischen Partei nach Schweden kam, wurde er wie ein Held empfangen. Vier Monate zuvor hatte „WikiLeaks“ das Video „Collateral Murder“ veröffentlicht, das US-Soldaten zeigt, wie sie im Irak von einem Hubschrauber aus ZivilistInnen töten, darunter auch Kinder. Und im Juni desselben Jahres wurden von „WikiLeaks“ in Kooperation mit führenden Zeitungen wie der „New York Times“ und „Le Monde“ Enthüllungen über den Krieg der USA in Afghanistan veröffentlicht.
Als Assange am 27. September Schweden wieder verließ, wurde er der Vergewaltigung verdächtigt. Zum erstem Mal wurde am 20. August ein Haftbefehl gegen ihn in Abwesenheit erlassen. Einen Tag später war der Haftbefehl wieder aufgehoben worden. Und am 1. September wurden die Untersuchungen wieder aufgenommen. Im November wurde dann wieder Haftbefehl in Abwesenheit erlassen und Interpol stellte einen internationalen Haftbefehl aus: In einem Fall wegen Vergewaltigung, aufgrund zweier Anklagen wegen sexueller Belästigung und in einem Fall von Nötigung. Nach zwei Wochen stellte Assange sich der Polizei in London.
Dann begann ein mehr als anderthalbjähriger Prozess um die Auslieferung nach Schweden. Die schwedische Staatsanwältin Marianne Ny hatte das Auslieferungsgesuch gestellt, wogegen Assange dann anzugehen versuchte. Er fürchtete, dass als nächstes dann die Auslieferung in die USA erfolgt wäre. Im Juni diesen Jahres ging Assange in die Botschaft von Ecuador in London und bat um Asyl, das ihm in der vergangenen Woche dann auch gewährt wurde.
Julian Assange hat jeden Grund, einen Vergeltungsschlag der USA zu befürchten. Seit Mai 2010 halten die USA Breanna Manning (früher unter dem Namen Bradley bekannt) gefangen. Manning ist 24 Jahre alt und war für den militärischen Geheimdienst im Irak aktiv. Später verdächtigte man Manning, eine der Haupt-Quellen für „WikiLeaks“ gewesen zu sein. Manning wird der „Unterstützung des Terrorismus“ beschuldigt und damit droht lebenslange Haft. Verschiedene, führende, konservative Politiker in den Vereinigten Staaten haben gefordert, dass mit Assange genauso zu verfahren sei.
In den USA erwägt das Justizministeriums, den Gründer von „Wikileaks“ der Spionage anzuklagen und Berichten der britischen Tageszeitung „Independent“ zufolge, hat es inoffizielle Gespräche zwischen VertreterInnen aus den USA und Schweden über die Möglichkeiten der Auslieferung Assanges gegeben. „Vom Außenminister Carl Bildt wird diese Geschichte allerdings dementiert“, schrieb die schwedische Zeitung „Svenska Dagbladet“ im Dezember 2010.
Es ist die Kritik am US-Imperialismus, die diejenigen verbindet, die auf Assanges Seite stehen. Der Präsident von Ecuador, Rafael Correa, ist von den Regierungen Kubas, Venezuelas, Boliviens, Nicaraguas und Argentiniens in seiner Entscheidung bestärkt worden, Assange Asyl zu gewähren. Alle Regierungen Südamerikas haben verurteilt, dass Großbritannien in Erwägung zieht, die ecuadorianische Botschaft zu stürmen.
In seiner zehnminütigen Rede von einem Balkon der Botschaft Ecuadors am 19. August in London wandte sich Assange auch direkt an die Vereinigten Staaten. Unter dem Applaus der Anwesenden vor der Botschaft forderte er, dass die Untersuchungen des FBI und die Hexenjagd auf „WikiLeaks“ aufhören sollten.
Doch die Verfolgung von Assange durch den US-Imperialismus bedeutet nicht, dass er auch in der Frage der Anschuldigungen der beiden Frauen aus Schweden unschuldig ist. „Allerdings haben einige der Aktivisten, die mit „Occupy“ in Verbindung gebracht werden und zur Botschaft gekommen waren, klargestellt, dass ihre Anwesenheit Solidarität mit „Wikileaks“ zeigen soll und nicht heißt, dass sie notwendigerweise auch Assange unterstützen.“, berichtete die britische Tageszeitung „The Guardian“ am Montag.
Dass die Anschuldigungen gegen Assange – demnach soll er Geschlechtsverkehr mit einer schlafenden Frau gehabt und während des Geschlechtsakts absichtlich ein Kondom kaputt gemacht haben – als Vergewaltigung klassifiziert werden, wird in internationalen wie auch schwedischen Debatten als Argument dafür verwendet, dass die schwedische Rechtsprechung entweder „feministisch“ motiviert oder übertrieben ist.
Dabei zeichnet sich Schweden nicht gerade dadurch aus, besonders streng mit Vergewaltigern umzugehen. Der zugrunde liegende und in Worten schärfere Gesetzestext ist das Ergebnis des Kampfes um die Gleichberechtigung der Frauen, die ihrerseits von der Arbeiterbewegung und dem Rest der Gesellschaft unterstützt wurden. Das bedeutet: „Nein, heißt nein“. Und erzwungener Sex ist eine Straftat, was auch diejenigen, die Assange für unschuldig halten, als Fortschritt verstehen sollten.
Trotz der vergleichsweise strengeren Gesetze werden nur sehr wenige beschuldigte Männer verurteilt oder Untersuchungen gegen sie eingeleitet. Verglichen mit mehr als 6.000 aktenkundigen Fällen gibt es in Schweden jährlich nur 200 Verurteilungen wegen Vergewaltigung. Selbst in Fällen, in denen Ermittlungen eingeleitet werden, wird ein Drittel der Beschuldigten freigesprochen. In diesem Zusammenhang also von so etwas wie „staatlichem Feminismus“ zu sprechen, wie einige SympathisantInnen von Assange dies tun, ist absurd.
Die schwedische Staatsanwaltschaft trat im Jahr 2010 reichlich ungelenk und schwerfällig auf. Als die Untersuchungen wieder aufgenommen wurden, hatte sie drei Wochen Zeit, um Assange vor dessen geplanter Abreise zu befragen. Stattdessen gestattete sie ihm die Ausreise aus Schweden. Seitdem haben es die Staatsanwälte abgelehnt, Assange in London zu verhören, was für diejenigen ein ganz natürlicher Schritt wäre, die die Untersuchungen tatsächlich fortsetzen wollen.
Genauso lehnt es auch die schwedische Regierung ab zuzusichern, dass Assange nicht in die Vereinigten Staaten ausgeliefert wird. Dabei wäre eine derartige Zusage „ein Weg aus der derzeitigen Sackgasse“, so Kristinn Hrafnsson von „WikiLeaks“ in einem von ihr verfassten Kommentar nach der Rede von Assange.
SozialistInnen stehen dafür ein, dass es zu Untersuchungen kommt, wenn jemand der Vergewaltigung beschuldigt wird. Das muss möglich sein, ohne dass die Ausweisung in die Vereinigten Staaten oder andere repressive Maßnahmen gegen „WikiLeaks“ drohen.
Die Enthüllungen von „WikiLeaks“ über den Irak und Afghanistan haben im Kampf gegen Krieg und Imperialismus eine wichtige und positive Rolle gespielt, auch in Schweden. Das hat die kriegstreiberische Rolle vom schwedischen Außenminister Carl Bildt bestätigt und auch gezeigt, dass die Regierung Druck auf den Irak ausübt, um Flüchtlinge daran zu hindern nach Schweden zu kommen. SozialistInnen fordern die Freilassung von Breanna Manning und verteidigen das demokratische Recht von „Wikileaks“ und seiner Quellen. Eine demokratische sozialistische Massenbewegung muss für Redefreiheit einstehen, gegen Gewalt an Frauen, gegen Krieg und Imperialismus.