Die Linke und die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen
Dieser Artikel erschien am 15. Juni, also vor der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen in englischer Sprache auf socialistworld.net Er setzt sich unter anderem mit der Position der „Revolutionary Socialists“ in Ägypten und der Sozialistischen Arbeiterpartei Englands auseinander, zu denen in Deutschland die Gruppe Marx 21 nahe steht. Ihre Positionen können in deutscher Sprache hier eingesehen werden.
von David Johnson, „Socialist Party“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in England und Wales) und Niall Mulholland, CWI („Komitee für eine Arbeiterinternationale“, deren Sektion in Deutschland die SAV ist)
Achtzehn Monate nach den revolutionären Erhebungen der ArbeiterInnen und Jugend, welche die korrupte Mubarak-Diktatur zu Fall brachten, findet am 16. und 17. Juni in Ägypten nun die sechste Wahlrunde statt. Um die Zusammensetzung beider Kammern des Parlaments zu bestimmen, gab es in den vergangenen sieben Monaten zwei Wahlgänge und anschließend die Präsidentschaftswahlen.
Am 14. Juni verkündete der Oberste Verfassungsgerichtshof, der gespickt ist mit Vertretern aus der Mubarak-Ära, dass die Parlamentswahlen nicht verfassungskonform gewesen seien und löste das Parlament auf. Dieser „geschmeidig durchgeführte Militärputsch“ bedeutet, dass das vom politischen Islam geführte Parlament umgehend aufgelöst wird. Zudem untermauerte der Gerichtshof das Recht des letzten Premierministers von Mubarak, für das Präsidentenamt kandidieren zu dürfen. Die Entscheidungen des Gerichts markieren eine neue Etappe im sich immer mehr zuspitzenden Machtkampf zwischen dem alten Regime und dem wachsenden Einfluss der „Muslimbruderschaft“. Es handelt sich dabei auch um einen weiteren Schritt der Überbleibsel der Mubarak-Zeit, gegen die arbeitenden Massen und die revolutionäre Opposition vorzugehen. Die Gerichtsbeschlüsse können formal dazu führen, dass der Oberste Militärrat Ägypten für weitere 68 Monate anführt.
Dessen ungeachtet wird die letzte Runde der Präsidentschaftswahl mit zwei Kandidaten stattfinden, die beim ersten Wahlgang beide rund ein Viertel der Stimmen erlangen konnten: Mohammed Mursi von der „Partei für Freiheit und Gerechtigkeit“, die der Muslimbruderschaft (MB) angehört, und Ahmed Shafiq, ein Minister des alten Regimes, der einige Tage, bevor Mubarak zum Rücktritt gezwungen wurde, noch zum Premierminister ernannt wurde. Er hatte dieses Amt drei Wochen inne, bevor auch er gezwungen war zurückzutreten.
Trotz der beeindruckenden Zurschaustellung der Unterstützung für Hamdeen Sabbahi, den radikalen Kandidaten, der sich auf den alten ägyptischen Präsidenten Nasser bezieht, der von 1954 bis 1970 das Land regierte und u.a. den Suezkanal verstaatlichte, gibt es nun keinen Kandidaten, für das Präsidentenamt, der die Hoffnungen und Interessen der Arbeiterklasse und der Armen repräsentiert. Sabbahi hatte im ersten Wahlgang nur drei Prozent weniger Stimmen bekommen als Mursi und zwei Prozent weniger als Shafiq.
Konterrevolutionärer Kandidat des Obersten Militärrats
Shafiq wurde vom Obersten Militärrat unterstützt, der Ägypten seit dem Sturz von Mubarak regiert. Es handelt sich hierbei um dasselbe Regime, das auch vor der Revolution vom 25. Januar 2011 das Land beherrschte. Nur Mubarak, seine Söhne und ein paar andere Helfershelfer sind nicht mehr dabei. Shafiq steht für die Fortführung der Herrschaft durch dieses Regime, das die Interessen der Konzerne vertritt. Der Oberste Militärrat sicherte die Macht hinter den Szenen.
Hauptbestandteil des Wahlkampfes von Shafiq waren die Themen „Sicherheit“ und „law and order“. Hinter den Sonntagsreden von der Kriminalitätsbekämpfung steht aber die eindeutige Bedrohung, beim Streik- und Demonstrationsrecht und dem Recht auf Organisierung unabhängiger Gewerkschaften hart durchzugreifen. Nach 18 Monaten des revolutionären Aufruhrs, steht Shafiq für die Konterrevolution. Er will Schluss machen mit der Herausforderung für das Recht auf Ausbeutung der gesamten Gesellschaft durch die herrschende Klasse.
Shafiqs Stimmen kamen in der ersten Wahlrunde von jenen, die mit reichlich nostalgischen Gefühlen in die Vergangenheit blicken. Diese Leute sehnen sich nach der scheinbaren Stabilität unter Mubarak. Dazu gehören auch kleine Gewerbetreibende und Kleinhändler, die nach den revolutionären Aufständen Geld verloren haben – vor allem in der Tourismusbranche. Auch ältere Menschen mit Verbindungen zur ehedem herrschenden Partei von Mubarak sowie koptische Christen, die Angst davor haben, unter einem islamischen Regime zur verfolgten Minderheit zu werden, wählten Shafiq. Schätzungen gehen davon aus, dass im ersten Wahlgang 40 bis 50 Prozent der Stimmen der KoptInnen an Shafiq und 30 Prozent an Sabbahi gingen.
Abschneiden der Muslimbruderschaft
Der Stimmanteil von Mursi belief sich nur auf rund die Hälfte dessen, was die „Partei für Freiheit und Gerechtigkeit“ zu Beginn des Jahres noch bei den Parlamentswahlen erreichen konnte. Und dabei beteiligten sich an diesen Wahlen zum Abgeordnetenhaus weit weniger Menschen als es nun für die Präsidentschaftswahlen der Fall war. In absoluten Zahlen fiel Mursis Stimmanteil somit von 10 Millionen auf 5,8 Millionen. Nachdem der Multimillionär Khairat al-Shater nicht als Kandidat für die Präsidentschaftswahl zugelassen wurde, war Mursi für die „Partei für Freiheit und Gerechtigkeit“ nur zweite Wahl.
In den letzten Tagen hat er versucht, sich selbst als Kandidaten darzustellen, der die Revolution gegen die Restauration des alten Regimes verteidigt. Dabei ist das gar nicht so einfach für ihn, bedenkt man die Rolle der MB vor, während und nach der Revolution. Trotz zahlreicher Verhaftungen und Ingewahrsamnahmen führender Mitglieder hat die Führungsriege der MB es jahrelang vermieden, in direkte Konfrontation mit dem Mubarak-Regime zu geraten. Zunächst hatten sie den Aufstand vom 25. Januar abgelehnt. Erst nachdem eine große Zahl von jungen MB-Mitgliedern ihre eigene Führung ignorierte und sich den jungen Leuten auf dem Tahrir-Platz und an anderen Orten der Stadt anschloss, war die MB-Führung gezwungen, ihre Haltung zu ändern und ihre Unterstützung für die Revolution zu erklären.
Nach dem Sturz von Mubarak arbeitete die MB-Führung dann bis zum November mit dem Obersten Militärrat zusammen. Als sie daraufhin unter massiven Druck von unten kam, unterstützten sie dann eine Demonstration, die für den 18. November anberaumt wurde. Man setzte aber weiterhin darauf zu verhindern, dass es zur offenen Konfrontation mit den Generälen kommen würde. Seither haben die führenden Köpfe der MB immer wieder geschwankt zwischen Kooperation mit dem Obersten Militärrat einerseits und der Opposition andererseits. Das war immer abhängig davon, ob sie sich mehr unter Druck von Seiten der Generäle oder der Massen fühlten.
Die Führung der MB lehnt unabhängige Aktionen der Arbeiterklasse und insbesondere Streiks ab. Einige revolutionäre Gruppen haben einen Aufruf zum Generalstreik ausgegeben und führen eine Kampagne des zivilen Ungehorsams, die am 11. Februar 2012, dem ersten Jahrestag des Sturzes von Mubarak, begann. Diese Gruppen haben keine ausreichende Verankerung in der Arbeiterklasse, um dies zu einer echten Herausforderung für den Obersten Militärrat werden zu lassen. Bisher verurteilt das Führungspersonal der MB diesen Streikaufruf. Der Generalsekretär der MB, Mahmoud Hussein, ging sogar noch weiter. Er mahnte die Menschen, ihr Arbeitspensum zu verdoppeln, damit „das Land wieder aufzubauen und es nicht zum Erliegen zu bringen […]. Diese Aufrufe sind extrem gefährlich und stellen für die Nation und deren Zukunft eine Bedrohung dar“. Mit „Nation“ meint er dabei die Profite der Konzerne. Im März sind die streikenden Busfahrer von Port Said von den Abgeordneten der Muslimbruderschaft nicht unterstützt worden, die nur zwei Monate zuvor gewählt worden waren. Stattdessen haben die Abgeordneten der MB Vorschläge für ein Verbot von Arbeitskampfmaßnahmen vorgelegt.
Die Führungsriege der MB repräsentiert die Interessen einer Schicht innerhalb der Kapitalistenklasse, die zur Zeit des Mubarak-Regimes von der politischen Macht ausgeschlossen war. Sie macht sich den rechtsgerichteten politischen Islam zu Nutze, um sich eine Unterstützerbasis unter den konservativsten Schichten der Gesellschaft zu schaffen. Seit ihrer Wahl ins Parlament versuchen die MB-Abgeordneten, Frauen- und Kinderrechte zu beseitigen. So wird beispielsweise versucht, das Recht der Frau, ein Scheidungsverfahren einzuleiten, abzuschaffen und man schlägt vor, das Mindestalter für Hochzeiten auf 12 Jahre abzusenken. Diese Abgeordneten attackieren alle solche Rechte mit dem Argument, sie seien unter dem alten Regime eingeführt worden, als Mubarak internationalen Vereinbarungen nachkam.
Muslimbruderschaft greift SozialistInnen an
Vergangenen Dezember, legte ein führendes Mitglied der Muslimbruderschaft, Gamal Tag-al-Din, offiziell Rechtsbeschwerde gegen drei prominente Mitglieder der „Revolutionary Socialists“ (RS; ägyptische Sektion der „International Socialist Tendency“) ein, was einen ernsten Schritt darstellt. Er beschuldigte sie geplant zu haben, öffentliche Gebäude niederbrennen zu wollen, was Teil eines Komplotts sein solle, um den Staat abzuschaffen. Solche Anschuldigungen können zu langen Haftstrafen führen und als Vorwand für Repression auch gegen andere revolutionäre Gruppierungen dienen. Die konstruierte Anklage wurde nach breiten Protesten letztendlich wieder zurückgezogen. In einer Stellungnahme der RS hieß es dazu richtiger Weise, dass die Bruderschaft als „Werkzeug des Staates“ benutzt wurde, um gegen revolutionäre AktivistInnen durchgreifen zu können.
Nach den Parlamentswahlen im Februar berichtete die britische Zeitung „Socialist Worker“: „[Die] Bruderschaft ist auch mit offener Feindseligkeit konfrontiert, weil sie als Kollaborateure des Militärs gesehen werden. Nur deshalb haben sie die Mehrheit der Parlamentssitze gewonnen, ein Hinweis darauf, wo sie ihre Wurzeln haben und auf Unterstützung stoßen. Doch obwohl das Parlament erst am Montag zu ersten Mal zusammenkam, werden sie bereits als diejenigen gesehen, die die Leute fallen lassen. Heute dreht sich das gegen die Bruderschaft. „Zeigt eure Gesichter, ihr seid nur unsere Vertreter!“ brüllten die Protestierer. Sie meinten damit, dass die MB die Revolution ausverkaufen würde, nur um Sitze im Parlament zu bekommen.“ (SW, 24.2.12)
Die Fehler der ägyptischen Sektion der „Revolutionary Socialists“
Weniger als drei Monate ist es her, dass die RS von ihrer Pflicht sprach, „sich im Kampf für die Offenlegung der Allianz zwischen Militär und Muslimbruderschaft […] engagieren […]“ zu müssen. (SW 24.3.12)
Im Vorfeld des letzten Runde der Präsidentschaftswahlen am 16. und 17. Juni jedoch hat die RS aufgerufen, Mursi zu wählen, um Shafiq zu schlagen.
Weil es an einer Klassen-Alternative mangelt, werden natürlich viele Ausgebeutete der Gesellschaft für die MB als „das kleinere Übel“ stimmen. Damit wollen sie sich gegen die Generäle und gegen die Kräfte stellen, die mit der Mubarak-Ära in Verbindung stehen. Viele Millionen von WählerInnen haben aber auch schon angedeutet, die Wahlen boykottieren zu wollen.
Für SozialistInnen in dieser Situation muss es erste Pflicht sein, eine unabhängige Klassen-Position einzunehmen. Dazu gehört auch, dass man den ArbeiterInnen und den Unterdrückten die Wahrheit über den Charakter der MB erzählt, um erklären zu können, warum sie keine Lösung für die Probleme der Menschen bringen können und was es für die Arbeiterklasse bedeuten würde, wenn die MB an der Macht wäre.
In der Stellungnahme der RS vom 28. Mai ist die Rede vom „Ausmaß an Irrungen beim Scheitern, zwischen dem Reformismus der Muslimbruderschaft und dem „Faschismus“ von Shafiq zu unterscheiden.“ (2.6.12) – Wo ist der Beleg für diesen „Reformismus“? Bei den Äußerungen von Mursi in den letzten Tagen handelt es sich um nichts anderes als um Wahlkampfgerede. Die RS sollten die ägyptischen ArbeiterInnen und die jungen Leute lieber warnen, dass weder Mursi noch Shafiq in ihrem Interesse handeln werden. Wenn man hingegen sagt, dass Mursi der „Fortschrittlichere“ der Kandidaten ist, dann wiederkäut man die politische Linie der Volksfront, der die „Kommunistischen Parteien“ unter der Ägide von Josef Stalin überall in der Welt anhingen – immer und überall mit desaströsen Folgen. Das führte zur Niederlage der Chinesischen Revolution im Jahr 1927, der Niederlage der Spanischen Revolution in den 1930er Jahren, zur Niederlage der indonesischen ArbeiterInnen im Jahr 1965, zum Scheitern der Iranischen Revolution von 1979 und so weiter und so fort.
Wirtschaftliche Lage verschlechtert sich weiter
Wenn die Wahlen erst einmal vorbei sind, wird die wirtschaftliche Krise Ägyptens in den Mittelpunkt des Interesses treten. Die Devisenreserven gehen jeden Monat um rund 600 Millionen Euro zurück, da die Reichen ihr Geld aus dem Land schaffen und die Einnahmen aus dem Tourismus weiter auf niedrigem Level rangieren. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat Kredite angeboten und an die Bedingung geknüpft, dass es dafür zu „breiter politischer Unterstützung“ kommt. Das bedeutet, dass Politiker aller regierenden Parteien sich einem Programm anschließen, das aus Steuererhöhungen und Kürzungen im öffentlichen Bereich (vor allem bei Subventionen für Lebensmitteln und Kraftstoff) besteht.
Der ursprüngliche Präsidentschaftskandidat der MB, al-Shater, sagte, er stehe nicht grundsätzlich gegen eine Übereinkunft mit dem IWF. Allerdings lehne er den Teil des Vorhabens ab, der vorschreibt, dass ein Teil dieser in Aussicht stehenden Kredite bereits ausgezahlt wird, wenn die vom Obersten Militärrat unterstütze Übergangsregierung noch im Amt ist. Kapitalistische Ökonomen warnen davor, dass ein Scheitern der Kreditverhandlungen mit dem IWF zu drastischen Preisanstiegen führen wird, weil das ägyptische Pfund an Wert verliert. Das ginge dann mit gravierenden Zinssteigerungen und einer Bankenkrise einher. Ob es Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen sind oder eine steigende Inflation und wachsende Arbeitslosigkeit: Der Preis, den die ArbeiterInnen und die Armen am Ende zahlen sollen, ist derselbe. Es geht in beiden Fällen um einen massiven Angriff auf bereits verzweifelt niedrige Lebensstandards.
Auch wenn sie ihren Unterstützungsaufruf für Mursi und die MB an Bedingungen knüpft, so kann die RS am Ende mit Vorwürfen rechnen. Dann nämlich, wenn die Lebensbedingungen der ArbeiterInnen und ihre eben erst erlangten demokratischen Rechte erneut unter Beschuss einer Regierung geraten, die man zuvor als mögliche Option beschrieben hat. Das wird zu der zunehmenden Gefahr führen, dass desillusionierte AnhängerInnen der MB sich abwenden – nicht nach links, sondern noch weiter nach rechts, hin zum politischen Islam der salafistischen „Nour“-Partei.
Die RS unterstütze die Idee ein Präsidentschaftsrat zu bilden, in dem Mursi mit Sabbahi und dem liberalen Islamisten Abdel-Moneim Abul-Fotouh, der vierte im ersten Wahlgang, zusammenarbeitet. In anderen Worten schlagen die Revolutionary Socialists die Bildung einer Koalitionsregierung vor, die von pro-bürgerlichen, pro-marktwirtschaftlichen Parteien dominiert wird. Es ist eine Sache für einen temporären Block der Linken mit anderen politischen Kräften innerhalb eines konkreten Kampfes für demokratische Rechte einzutreten, so lange die SozialistInnen ihre eigene politische Unabhängigkeit wahren können. Es ist aber etwas ganz anderes für Linke und SozialistInnen vorzuschlagen, in eine Regierung einzutreten, die von politischen Parteien dominiert wird, welche die Kapitalisten repräsentieren und der Diktatur des kapitalistischen Marktes folgen werden.
Während SozialistInnen das Programm von Sabbahi – Anhebung des Mindestlohns von 700 ägyptischen Pfund auf 1200 pro Monat, Einführung eines Maximallohns, Arbeitslosenhilfe für Jugendliche, Mindestsicherung von 500 ägyptischen Pfund für die vier Millionen arment Familien und Ablehnung von Kürzungsmaßnahmen – unterstützen sollten, müssen sie erklären, dass die konservative, pro-marktwirtschaftliche Muslimbruderschaft keine größeren Reformen für die Arbeiterklasse durchführen wird. Tatsächlich haben sie signalisiert, dass sie bereit sind sich an Angriffen auf die Lebensbedingungen von Beschäftigten und Jugendlichen zu beteiligen.
SozialistInnen müssen darauf hinweisen, dass um die diese begrenzten Reformen und Verbesserungen für Beschäftigte, die von Sabbahia versprochen werden, bei einer krisenhaften Wirtschaftslage noch viel weitergehende Maßnahmen nötig sind. Dazu gehört die Verstaatlichung der Banken und großen Konzerne und demokratischer Arbeiterkontrolle. Das würde die Vermögenden davon abhalten ihren Reichtum zu ausländischen Banken zu übertragen und es ermöglichen die Wirtschaft demokratisch im Interesse der übergroßen Mehrheit der Gesellschaft zu planen. Die RS allerdings warnt nicht davor, dass weder Sabbahi noch Abul-Fotouh für diese notwendigen Maßnahmen sind und dass Mursi komplett gegen ein solches Programm ist.
Wird die Bruderschaft demokratische und gewerkschaftliche Rechte durchsetzen?
Die Bruderschaft wird auch keine demokratischen und gewerkschaftlichen Rechte durchsetzen, wie sie die RS von ihnen und der „Präsidialen Koalition“ fordert. Während sie von unten unter Druck kommen, mehr demokratische und gewerkschaftliche Freiheiten zu akzeptieren, wird die Muslimbruderschaft an der Macht, vor allem im Interesse der herrschenden Klasse agieren und sofort unter riesigen Druck geraten, die Interessen der herrschenden Klasse und des kapitalistischen Systems zu verteidigen. Unter den Bedingungen einer fortgesetzten ökonomischen, sozialen und politischen Krise werden demokratische und Arbeitsrechte unter jeden bürgerlichen Regime in Ägypten extrem beschränkt werden. Die bürgerliche Klasse wird nicht zögern, sie sofort wieder zurückzunehmen, wenn ihre Macht ernsthaft in Gefahr ist. Die Muslimbruderschaft wird unvermeidlich aufgrund von demokratischen und sozialen Themen mit der Arbeiterklasse in einen Konflikt geraten. Wie die Revolution im letzten Jahr gezeigt hat, kann sich die Arbeiterklasse, um demokratische und soziale Zugeständnisse zu erreichen, nur auf ihre eigene kollektive Stärke und die Methoden des massenhaften Kampfes verlassen. Dazu gehören Generalstreiks und der Aufbau einer starken, politisch unabhängigen Alternativen zu allen pro-kapitalistischen Parteien.
Sozialistische Revolution nötig!
Die RS schreibt weiter: „Wir müssen unbedingt die Muslimbruderschaft und alle politischen Kräfte aufrufen, die Interessen der Revolution vor ihre Parteiinteressen zu stellen und sich einig gegen Shafiq zu stellen, damit wir die Revolution unseren Feinden nicht als einfache Beute ausliefern.“ (Socialist Worker 2. Juni 2012).
Welche Art von Revolution ist es, die laut RS von der „Muslimbruderschaft und allen politischen Kräften“ unterstützt werden soll? Die Revolution vom 25. Januar 2011 markierte den Auftritt der Massen auf der Bühne der Geschichte und führe zum Sturz von Mubarak. Aber die Herrschaft der Kapitalistenklasse und ihrer Generäle besteht fort. Eine zweite Revolution ist nötig um die Gesellschaft grundlegend zu ändern – eine sozialistische Revolution, in der die Arbeiterklasse die Armen, die kleinen Bauern, Mittelschichten und Jugend darin anführt den Bankern, Großkonzernen und SCAF die Macht zu entreißen. Eine Massenbewegung mit sozialistischem Programm könnte auch die Basis des Militärs erreichen und sie von den Generälen weg gewinnen.
Während Mursi vorgibt die Revolution zu verteidigen, ist es bestimmt keine sozialistische Revolution, die er meint. Mursi und die meisten der „politischen Kräfte“, auf die sich die RS bezieht, unterstützen eine Übertragung der Macht von Mubaraks Klan auf sie selbst, aber nicht auf die Arbeitenden und Armen. Die RS macht einen ernsten Fehler, wenn sie die Vorstellung erweckt, dass die Arbeiterklasse und Jugend mit diesen politischen Kräften irgendein gemeinsames Interesse hätte.
Die wichtigste Aufgabe vor der revolutionäre ArbeiterInnen und Jugendliche in Ägypten stehen, ist das Selbstvertrauen der Arbeiterklasse in ihre eigene Stärke aufzubauen. Stärkung und Aufbau von unabhängigen Gewerkschaften und einer Massenarbeiterpartei, welche die ArbeiterInnen, Jugendliche und Armen vereinen kann, um gemeinsam für ihre Interessen zu kämpfen, sind zentrale Aufgaben. ArbeiterInnen müssen die Unabhängigkeit ihrer Organisation aufrecht erhalten, wie die vielen Jahre der Unterstützung der Führung des ägyptischen Gewerkschaftsdachverbandes für das Mubarak-Regime zeigen. Sie haben Kämpfe zurückgehalten und Deals mit den Bossen gemacht, welche die ArbeiterInnen in Armut gehalten haben.
When die Wahlen abgeschlossen sind, kann es je nach Ergebnis ein Gefühl der Demoralisierung unter einigen Beschäftigten und Jugendlichen geben – ein Gefühl, dass die Opfer und Energie, welche sie in den letzten 18 Monaten aufgebracht haben, umsonst gewesen sein könnte. Es ist aber auch möglich, dass grober Stimmenklau der SCAF und die Einmischung der pro-Mubarak Gerichte zu einem „Sieg“ von Shafiq führt. Diese „Peitsche der Konterrevolution“ könnte neue Massenproteste provozieren und zu einem Anstieg der revolutionären Kämpfe führen.
Es ist aber sicher, dass steigende Angriffe auf Lebensstandards und der Versuch neu-gewonnene demokratische Rechte zurückzunehmen, egal durch welches Regime, unvermeidlich zu neuen Wellen des Kampfes früher oder später führen wird. Wenn der Klassenkampf auf der politischen Ebene blockiert ist, wird er auf der betrieblichen Ebene mit mehr Streiks und Besetzungen wieder aufflammen. Das eröffnet die Möglichkeit UnterstützerInnen der Muslimbruderschaft von ihrer Führung weg zu ziehen, wie es schon auf dem Tahrir und anderen Plätzen während des Aufstandes gegen Mubarak passiert ist.
Es wird viele Möglichkeiten geben Arbeiterorganisationen aufzubauen und ArbeiterInnen werden lernen, dass eine zweite, sozialistische Revolution nötig ist. Aber das wird nur in der nötigen massenhaften Größenordnung stattfinden, wenn MarxistInnen kühn ein Programm entwickeln, dass die Lösung der tagtäglichen Probleme mit der Notwendigkeit des Sozialismus verbindet. Der Kampf für wirkliche demokratische Rechte und soziale Verbesserungen, für die Zusammenkunft einer wirklichen verfassungsgebenden Versammlung und für eine Arbeiterregierung führt zu einer grundlegenden Umgestaltung der Gesellschaft.
Vollständige Unabhängigkeit von Arbeiterorganisationen von den Interessen der Unternehmer, egal ob sie militärisch, islamistisch oder säkulär sind, ist essentiell, um in der Lage zu sein, einen Ausweg aufzuzeigen. Die „Bündnisse“, welche die ägyptischen ArbeiterInnen und Jugendliche brauchen sind Bündnisse miteinander über religiöse und ethnische Trennungen hinweg, genauso wie Bündnisse mit anderen Beschäftigten in der Region und in der ganzen Welt, die sich auf den gleichen Kapitalisten und imperialistischen Unterdrückern gegenüber sehen.