Parteitag hat Ursachen der Krise nicht gelöst, bedeutet aber Chance zum Aufbau der Partei
Der LINKE-Bundesparteitag in Göttingen endete nicht in der von bürgerlichen Medien und Gregor Gysi herbei geredeten Spaltung der Partei. Der vom rechten Parteiflügel versuchte „Durchmarsch“ scheiterte: nicht Dietmar Bartsch, sondern Bernd Riexinger wurde zum Vorsitzenden gewählt. Das ist ein wichtiger Erfolg. Der Parteitag markierte aber keine Richtungsentscheidung nach links, sondern erhält weitgehend den in der Partei bestehenden status quo aufrecht. Ob die Entwicklungsrichtung der Partei gedreht werden kann – weg vom Abgrund und in Richtung erfolgreichem Parteiaufbau – muss sich zeigen. Möglichkeiten dazu sind gegeben.
von Sascha Stanicic, Berlin
Der so genannte Reformerflügel scheint gelassen mit der Niederlage Dietmar Bartschs umzugehen. Kein Wunder: Katja Kipping als weibliche Vorsitzende war eine der MitbegründerInnen des Instituts Solidarische Moderne, welches die Kooperation zwischen LINKE, SPD und Grünen befördern will. Sie kann in wesentlichen politischen Fragen, insbesondere auch in ihrer Haltung zu Regierungsbeteiligungen mit SPD und Grünen als „Reformerin“ betrachtet werden, steht diesem Lager zumindest nahe. Allerdings repräsentiert sie auch eine Orientierung auf soziale Bewegungen und außerparlamentarisches Engagement, was sie wiederum vom im Forum Demokratischer Sozialismus (FDS) organisierten rechten Parteiflügels unterscheidet. Dieser konnte sich die wichtigen Positionen des Geschäftsführers und Schatzmeisters der Partei sichern und ist im neuen Vorstand nicht schwächer vertreten als im alten.
Dass zwar Bernd Riexinger gegen Dietmar Bartsch gewann, nicht aber Heinz Bierbaum gegen den FDS“ler Raju Sharma bei der Wahl zum Schatzmeister, zeigt, dass es auf dem Parteitag nicht nur zwei feste, in „links“ und „rechts“ zu unterscheidende Lager gab, sondern eine „Mitte“, die unterschiedliche abstimmte. Diese Delegierten sahen offensichtlich eine Wahl von Bartsch zum Parteivorsitzenden als Zerreißprobe für die Partei, die sie verhindern wollten.
In wichtigen inhaltlichen Fragen konnte sich die Parteilinke ohnehin in den letzten Jahren meist durchsetzen. So war es beim Erfurter Programmparteitag und auch in Göttingen wurde der Leitantrag des Parteivorstands nach links verbessert und der alternative Leitantrag des FDS zurückgezogen. Auch der Beschluss, die Forderung nach einer Mindestrente auf 1050 Euro zu erhöhen ist positiv und Ausdruck davon, dass Teile der Partei an der Lebensrealität der Menschen dran sind und diese versuchen in Politik zu verwandeln.
Auch im Parteivorstand gibt es eine Mehrheit für die Parteilinke, wenn man dieser das Lafontaine-Lager zurechnet. Das, zusammen mit einem neuen bewegungsorientierten Vorsitzenden Bernd Riexinger, bietet zumindest die Möglichkeit die Arbeit der Partei neu auszurichten und die öffentliche Austragung der Grabenkämpfe zu beenden. Natürlich müssten die „Reformer“ mitspielen und das permanente öffentliche Schießen über die bürgerlichen Medien gegen die Parteiführung unterlassen. Man kann hoffen, dass die anstehenden Bundestagswahlen und die Gefahr, unter die Fünf-Prozent-Hürde zu geraten, einen ausreichend disziplinierenden Effekt auf die „Reformer“ haben werden.
Die tieferen Ursachen der Parteikrise sind jedoch nicht gelöst. Und sie werden früher oder später zu neuen Auseinandersetzungen führen. Lafontaine und die Linken in der Partei haben beim Parteitag darauf verzichtet, diese tieferen Ursachen zu benennen und einen Weg einzuschlagen, sie zu lösen. Das muss eine Debatte darüber beinhalten, mit welchen klar antikapitalistischen Forderungen die Partei auf die weltweite Krise des Kapitalismus reagieren soll. Eine Lösung der Krise wäre nur möglich, wenn für klare linke Mehrheiten gerungen würde und die Differenzen deutlich beim Namen genannt würden. Das wiederum würde beinhalten, dass sich die Bundespartei zum Stellenabbau der rot-roten Regierung in Brandenburg positioniert und aus einer entsprechenden Bilanz der Regierungsbeteiligungen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin die Konsequenz zieht, dass eine solche Politik nicht mit den Grundsätzen der Partei übereinstimmt. So lange das nicht gemacht wird, bleibt die Tür offen für die Wiederholung einer solchen Beteiligung an Sozialabbau und Privatisierungspolitik.
Wie weiter?
Jetzt kommt es darauf an, die Außenaktivitäten der Partei auszuweiten, sie an die bestehenden, wenn auch wenigen, Kämpfe und Bewegungen auszurichten und sich so auf die Bundestagswahlen vorzubereiten und die Mitglieder und UnterstützerInnen zu mobilisieren. Dazu sind einige Kampagnen nötig, die die Partei deutlich vom Rest der Parteienlandschaft unterscheiden. Außerdem ein generelles Auftreten der ParlamentarierInnen und Führungskräfte als widerständige und oppositionelle Kräfte und eine Verstärkung der Beteiligung in Gewerkschaften und sozialen Bewegungen und Kämpfen. Die Mitglieder müssen in einer neuen Art und Weise an den Diskussions- und Entscheidungsprozessen beteiligt werden und eine neue Transparenz in der Partei auf allen Ebenen hergestellt werden.
Konkret: die Partei sollte zwei oder drei zentrale Kampagnen entwickeln. Erstens eine Kampagne gegen den Fiskalpakt und die Europa-Politik der Bundesregierung, von SPD und Grünen, die gleichzeitig eine Kampagne der Solidarität mit den Kämpfen in Griechenland, Spanien und anderen Ländern darstellt. Die Forderung nach Überführung der Banken in öffentliches Eigentum muss einen zentralen Stellenwert in dieser Kampagne haben, so wie sie ein Ende der Bankenrettungspakete, einen Stopp der Schuldenzahlung durch die Schuldnerländer, ein Ende aller Kürzungen und der Verarmungspolitik fordern muss. Mit einem klaren Programm gegen die Austeritätspolitik und gegen diese kapitalistische EU, kann die Partei sich als einzige Kraft für einen anderen Kurs, für Arbeiterinteressen und für eine sozialistische Demokratie in Europa präsentieren. Auf dieser Basis sollte zu den geplanten gewerkschaftlichen Herbstprotesten mobilisiert werden, aber auch in Antikrisenbündnissen, bei Blockupy und in Griechenland-Solidaritätskomitees mitgewirkt werden.
Zweitens könnte das Thema Niedriglohn und Leiharbeit kontinuierlich aufgegriffen werden. Die zentralen Forderungen nach einem Mindestlohn von zehn Euro und dem Verbot der Leiharbeit müssen nicht nur propagiert werden, sondern auch ein Weg zur Durchsetzung aufgezeigt werden. Das beinhaltet auch das Eintreten für eine kämpferische Politik der Gewerkschaften und eine Teilnahme an innergewerkschaftlichen Debatten, wofür der neue Vorsitzende Riexinger eine gute Voraussetzung darstellt. Drittens sollten die Landes- und Kreisverbände unterstützt werden, um lokale Kampagnen zu brennenden Themen zu entwickeln. In vielen Städten werden die Mietpreise bzw. Wohnraummangel zu einem solchen Thema.
Nachdem es vor dem Parteitag überall Regionalkonferenz gab, um die Krise der Partei und die Personaldebatte zu diskutieren, sollte nun in ähnlicher Breite, aber gut vorbereitet, über den Aufbau und die Zukunft der Partei diskutiert werden und die Mitglieder darin einbezogen werden. So könnten in den Basisorganisationen, Ortsvereinen und Kreisverbänden Mitgliederversammlungen mit VertreterInnen des Parteivorstands oder von Landesvorständen durchgeführt werden, sollten regionale Basiskonferenzen und Landesparteitage stattfinden. Vor allem sollten die Vorschläge für Kampagnen mit den Kreisverbänden rückgekoppelt und in einem Diskussionsprozess weiter entwickelt und beschlossen werden. Das wäre ein wichtiger erster Schritt beim demokratischen Umbau der Partei, zu dem auch die Einführung einer jederzeitigen Wähl- und Abwählbarkeit aller FunktionärInnen und die Begrenzung auf Hauptamtlichen-Bezüge und Abgeordneten-Diäten auf einen durchschnittlichen Facharbeiterlohn gehören.
Ein klares Profil als sozialistische Oppositionspartei, engagierte Beteiligung in Gewerkschaften und sozialen Bewegungen, Konzentration auf einige Kampagnen mit radikaler politischer Ausrichtung, ein Ende aller Annäherungsversuche an SPD und Grüne, demokratische Diskussionen und Entscheidungsprozesse – das kann die Basis dafür sein, dass auch neue Mitglieder für die Partei gewonnen werden. Wenn es gelingt deutlich zu machen, dass angesichts der kapitalistischen Weltkrise eine starke linke Partei so dringend nötig ist, wie seit vielen Jahren nicht, kann der Niedergang beendet und der Bundestagswahlkampf zum Ausgangspunkt für eine Stärkung der Partei genommen werden. SAV-Mitglieder werden sich in diesem Sinne in DIE LINKE einbringen.