Die Wahlen in Frankreich und Griechenland erschüttern den Kontinent
Die Wahlen in Frankreich und Griechenland erschüttern den Kontinent
Die Wählerinnen und Wähler – in ihrer großen Mehrheit Lohnabhängige, Erwerbslose, RentnerInnen und Studierende – in Frankreich und Griechenland haben der kapitalistischen Kürzungspolitik eine Ohrfeige verpasst! Deutlicher hätte die Ablehnung der Verarmungspolitik von Sarkozy, Papedemos, Merkel und den hinter ihnen stehenden Kapitalistenklassen kaum ausfallen können. Doch ein Politikwechsel im Interesse der Millionen von Sozialkürzungen und Massenarbeitslosigkeit betroffenen ist trotzdem nicht in Sicht.
von Sascha Stanicic, Berlin
„Der Tag, der alles änderte“ – so lautete die Schlagzeile eines Artikels auf SPIEGEL Online über den 6. Mai 2012, den Tag der zweiten Runde der französischen Präsidentschafts- und der griechischen Parlamentswahlen. „Alles“ hat sich zwar nicht geändert – immer noch herrschen Kapitalisten und Bänker in Europa -, aber die Wahlergebnisse kommen einem Erdbeben gleich, das die politischen Verhältnisse in der EU durcheinander wirbelt und auch große wirtschaftliche Auswirkungen haben kann. Nicht zuletzt weil die Wahlen am Beginn einer neuen Stufe der Euro-Krise (siehe Artikel hier) stattfanden und gleichzeitig die niederländische Regierung abdanken muss, bei den britischen Kommunalwahlen die Regierungsparteien der Konservativen und Liberalen abgestraft wurden, sich die politische und ökonomische Krise des Kontinents also verstärkt.
Frankreich
„Sarkozy dégage!“ – 200.000 feierten in der Nacht von Sonntag auf Montag die Abwahl des verhassten Nicolas Sarkozy und riefen „Hollande président“. Sorgenfalten machen sich gleichzeitig in den Gesichtern von Merkel und EZB-Chef Draghi breit, die in der Forderung des neuen französischen Präsidenten nach Nachverhandlungen des EU-Fiskalpakts eine Herausforderungen ihrer rücksichtslosen Austeritätspolitik sehen.
Hollande hat sich weit aus dem Fenster gelehnt, nicht zuletzt auch wegen des Drucks durch die erfolgreiche Wahlkampagne der Linksfront mit ihrem Spitzenkandidaten Mélenchon in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen, und wird kaum schnell von seiner Forderung nach Nachverhandlungen des Fiskalpakts abrücken. Doch inhaltlich ist es keineswegs so, dass seine Positionen mit denen von Angela Merkel inkompatibel sind. Hollande fordert Wachstumsimpulse und drückt damit die Erkenntnis, die in wachsenden Teilen des Bürgertums zunimmt, aus, dass die zur Zeit betriebene Kürzungspolitik für die von der Staatsschuldenkrise am meisten betroffenen Länder nur eine Vertiefung der Rezession bedeutet und die Lösung dieser Krise damit selber untergräbt. Diese Überlegungen sind nicht von dem Wunsch getragen, die Interessen von Lohnabhängigen und Erwerbslosen zu vertreten, sondern die Profitraten für die französischen Banken und Konzerne zu erhöhen. Ein Infragestellen der derzeit vorherrschenden einseitigen Kürzungspolitik bedeutet noch nicht, dass damit für Reformen im Interesse der Arbeiterklasse eingetreten wird. Zwar macht Hollande auch hier ein paar Versprechungen, wie die Erhöhung der Reichensteuer, die Einstellung zehntausender neuer LehrerInnen und eine Wiedereinführung des Renteneintritts mit 60 Jahren (bei 41 Beitragsjahren), aber trotzdem sind alle Vergleiche seines Regierungsprogramms mit dem von Francois Mitterand 1981 unpassend. Dieser bildete damals eine Regierung mit der Kommunistischen Partei auf der Basis eines linksreformistischen Regierungsprogramms, das unter anderem die Verstaatlichung einer Reihe von strukturbestimmenden Unternehmen vorsah. Die französischen Kapitalisten traten daraufhin in einen Investitionsstreik und Mitterand änderte seinen Kurs und wurde ein pro-kapitalistischer Staatsführer wie jeder andere. Hollande fängt da an, wo Mitterand aufhörte. Obwohl die Wahl vor allem eine Anti-Sarkozy-Abstimmung war, hat der Wechsel im Elysée-Palast sicher einige Erwartungen in Teilen der französischen Arbeiterklasse geweckt. Diese werden umso größer sein, sollte auch die Parlamentswahl im Juni ein Ende der konservativen Mehrheit bedeuten. Werden diese Erwartungen nicht befriedigt, wird die nächste Runde auf den Straßen und in den Betrieben ausgetragen werden.
Auch europaweit wird der Wahlsieg Hollandes all diejenigen motivieren, die sich dem Fiskalpakt und der Austeritätspolitik entgegen stellen wollen. So ist zu hoffen, dass die Nein-Stimmen beim irischen Referendum zum Fiskalpakt am 31. Mai gestärkt werden. Wie die Auseinandersetzung zwischen Merkel und Hollande ausgehen wird, hängt aber vor allem vom weiteren Verlauf der Krise und den Ereignissen in Griechenland und Spanien ab. Grundsätzlich ist nicht auszuschließen, dass zum Beispiel neben dem Fiskalpakt ein Wachstumspakt vereinbart wird, wie auch immer ein solcher aussehen würde. So könnte Hollande sein Gesicht wahren, ohne den Fiskalpakt tatsächlich aufzuschnüren. So sind auch die Stellungnahmen aus Berlin zu verstehen, die einerseits betonen, dass der Fiskalpakt nicht mehr verhandelbar sei, aber viel Offenheit für die Frage wachstumsfördernder Maßnahmen zum Ausdruck bringen. Das ist auch der Hintergrund für den nun für den 23. Mai anberaumten EU-Sondergipfel zum Thema Wachstumsförderung. Ob diese dann substanziell wären, tatsächlich Wirtschaftswachstum auslösen und Verbesserungen für die arbeitende Bevölkerung nach sich ziehen würden ist aber eine völlig andere Frage und nicht zu erwarten.
Griechenland
Wenn der Wahlausgang in Frankreich den Herrschenden Europas Sorgenfalten ins Gesicht trieb, dann versetzt das Wahlergebnis in Griechenland diese Damen und Herren in Panik. Zweifellos markiert die Wahl dort eine Zeitenwende und hat unabsehbare Auswirkungen. Der griechischstämmige FDP-Politiker Jorgo Chatzimarkakis brachte es auf den Punkt: „Dieses Wahlergebnis ist ein Erdbeben – und der klare Beweis dafür, dass das bisherige politische System nicht weiter existieren kann. Ich gebe ihm höchstens noch sechs bis zwölf Monate, danach ist Schluss.“
Seit dem Ende der Militärdiktatur 1974 wurde die griechische Politik von den zwei großen Parteien Nea Dimokratia (ND) und PASOK (Panhellenische Sozialistische Bewegung – die griechische Sozialdemokratie) dominiert. Noch bei den Wahlen 2009 erhielten beide Parteien zusammen über 70 Prozent der abgegebenen Stimmen. Nun sind beide abgestürzt, haben 3,2 Millionen Wählerinnen und Wähler verloren und können nicht einmal mehr zusammen eine Regierung bilden (und das obwohl die ND als stärkste Partei nach griechischem Wahlrecht fünfzig Parlamentssitze geschenkt bekommt).
Die Griechinnen und Griechen nutzten die Gelegenheit durch den Wahlgang ihre Abscheu vor diesen beiden Parteien , die willfährig die Kürzungsdiktate der Troika (EU, EZB und IWF) ausgeführt haben, auszudrücken. Es gab eine massive Linksverschiebung mit dem Aufstieg des Linksbündnisses SYRIZA mit 16,8 Prozent zur zweitstärksten Kraft. Auch die Kommunistische Partei (KKE) konnte zulegen und erreichte 8,4 Prozent. Hätten die Linken sich auf eine gemeinsame Kandidatur geeinigt , wären sie zweifellos stärkste Kraft geworden und hätte dies eine Dynamik auslösen können, die die Linke an die Regierung gebracht hätte. Aber gleichzeitig gingen ein Drittel der Wahlberechtigten – trotz Wahlpflicht – nicht an die Urnen und 19 Prozent stimmten für die vielen kleinen Parteien, die die Drei-Prozent-Hürde zum Einzug ins Parlament nicht schafften – darunter auch das antikapitalistische Bündnis ANTARSYA, das 1,2 Prozent erreichte.
Die Faschisten von Chrysi Avgni („Goldene Morgendämmerung“) schafften erstmals den Sprung ins Parlament, während die Rechtspopulisten von LAOS den Preis für ihre Regierungsbeteiligung zahlten und aus dem Parlament flogen. Insgesamt wuchs das rechtsradikale Lage „nur“ von 400.000 auf 620.000 Stimmen, während SYRIZA und KKE circa 800.000 Stimmen hinzu gewannen. Aber ein solcher Wahlerfolg offener Nazis – und das in einem Land, dass unglaublich unter der Besatzung von Nazi-Deutschland gelitten hat – ist eine ernste Warnung an die Linke und die Arbeiterbewegung. Wenn sie dabei versagen, der griechischen Bevölkerung einen Ausweg aus der Krise aufzuzeigen, werden Nationalismus und faschistische Kräfte noch weiter erstarken können.
Aber erst einmal liegt die Initiative bei der Linken und hier vor allem bei SYRIZA. Die Führung des Linksbündnisses unter Alexis Tsipras hat zurecht die Notwendigkeit einer Regierungsübernahme durch die politisch Linke betont und einen entsprechenden Appell an die KommunistInnen gerichtet. Diese haben in ihrem unfassbaren Sektierertum die Möglichkeit einer gemeinsamen Regierung ausgeschlagen. Die KKE-Vorsitzende Papariga hat vor den Wahlen in Interviews sogar gesagt, es sei wichtiger eine starke Opposition zu haben, als eine linke Regierung. Doch es kommt vor allem darauf an, welche Politik eine solche Regierung machen würde. Es ist falsch, dass Tsipras einen Appell an alle Kräfte, die gegen die bisherigen Memoranden (die Kürzungspakete) gestimmt haben, gerichtet hat, zu einer Regierung zusammen zu kommen. Das beinhaltet die rechtskonservativen „Unabhängigen Griechen“, die sicherlich nicht für eine Politik im Interesse der Arbeiterklasse und der verarmten Volksschichten stehen. Eine Regierung der linken Parteien müsste zur Massenmobilisierung im Kampf gegen die Diktate der Troika aufrufen, die Schuldenzahlungen einstellen, die Banken verstaatlichen, diese unter demokratische Kontrolle der arbeitenden Bevölkerung stellen und damit Maßnahmen zum Bruch mit dem Kapitalismus einleiten.
Nachdem der ND-Chef Samaras keine Regierung zusammen bekommen hat, sind Neuwahlen nun die wahrscheinlichste Variante. Wie diese ausgehen werden, ist heute nicht abzuschätzen. Wahrscheinlich werden die Griechinnen und Griechen bis dahin Opfer einer Erpressungskampagne durch die EU, die kapitalistischen Medien und durch ND und PASOK. Die nächste Tranche der so genannten Hilfszahlungen der Troika steht im Juni an. Diese könnte zurück gehalten werden, so lange es keine neue Regierung gibt, die sich den Kürzungsprogrammen verpflichtet. Das wiederum könnte die Pistole sein, die den griechischen WählerInnen auf die Brust gesetzt wird: stimmt für ND/PASOK oder der Staatsbankrott kommt! Ob das wirkt, steht aber in den Sternen. Denkbar ist auch, dass die Polarisierung sich fortsetzt und gerade SYRIZA weiter zulegt, weil sie als die einzige Kraft gesehen wird, die eine Bereitschaft zur Bildung einer alternativen Regierung zeigt. Das wiederum wäre der Alptraum für die EU-Kapitalisten und könnte der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt – und den Rauswurf Griechenlands aus der Eurozone bedeuten könnte. Die Märkte reagierten nach den Wahlen in Frankreich und Griechenland entsprechend nervös, Kurse fielen an den Börsen und auch der Wert des Euros gab nach.
Nouriel Roubini, der weltbekannte Ökonom, der zu den wenigen gehörte, die die Weltwirtschaftskrise vorher sagten, twitterte am Tag nach den Wahlen, dass die Wahrscheinlichkeit des Rauswurfs Griechenlands aus der Eurozone bis Ende 2013 von der Citibank bei 50 bis 75 Prozent eingeschätzt wird. Angesichts der Lage in Spanien und Italien könnte das aber genau die Kettenreaktion auslösen, vor der sich die Herrschenden Europas seit zwei Jahren so fürchten. Eins jedenfalls ist klar: das Jahr 2012 wird noch sehr ereignisreich.