Ein linker Programmcheck an drei Piratenforderungen
Seit dem Einzug der Piraten ins Abgeordnetenhaus von Berlin im September 2011 befindet sich die Piratenpartei im Höhenflug. Die Mitgliederzahl hat sich in den letzten sechs Monaten auf 26.000 verdoppelt. Viele sehen die Piraten als Alternative zur Politik der etablierten Parteien. Doch mit welchem Programm treten sie eigentlich an?
von Steffen Strandt, Berlin
Will man sich über das Programm der Piratenpartei informieren, stellt sich zunächst die Frage, welchen Programmtext man lesen soll. Neben einem bundesweiten Grundsatzprogramm verfügt jeder Landesverband über ein eigenes Grundsatzprogramm und ein eigenes Wahlprogramm mit sich teils deutlich widersprechenden Inhalten. An einigen Punkten ist nicht klar, ob die MandatsträgerInnen der Piraten auch die Politik ihrer Mitglieder vertreten. So haben die Berliner Piraten im Abgeordnetenhaus vor kurzem mehrheitlich einer Diätenerhöhung für Abgeordnete zugestimmt, obwohl sich die Mehrheit der TeilnehmerInnen einer Online-Abstimmung dagegen ausgesprochen hatte.
Für die Piraten standen zu Beginn die Themen Datenschutz, Bürgerrechte im Internet und Abschaffung des repressiven Urheberrechts im Vordergrund. Zu vielen drängenden Problemen der Zeit gab es keine Positionen, die soziale Frage wurde nicht gestellt. Dann war von vielen Piraten-PolitikerInnen zu hören, dass zu verschiedenen Themen noch an einem Programm gearbeitet werde. Mit dem Wahlkampf in Berlin rückten die Piraten das Thema Demokratie, aber auch soziale Fragen in den Vordergrund. Die Piraten in Schleswig-Holstein werben nun mit dem Spruch: „Jetzt mit mehr Inhalt!“ Auch wenn die Piraten jetzt daran arbeiten, sich ein breiteres Programm zu geben, sagt die (frühere) Fixierung auf Online- und Bürgerrechtsprobleme viel über die Piraten aus. Sie erkennen nicht, dass die zentralen Probleme aus dem kapitalistischen Wirtschaftssystem und der Klassengesellschaft entstehen, wenn sie sich hauptsächlich mit den Folgen von Digitalisierung auseinandersetzen.
In diesem Artikel soll an den drei Programmpunkten zu Internet, Sozialpolitik und Verkehrspolitik das Programm der Piraten einem linken Programmcheck unterzogen werden.
1. Freiheit im Digitalen Zeitalter – Kernthema der Piraten
Die Piraten analysieren in ihrem Grundsatzprogramm, dass die „Globalisierung des Wissens und der Kultur der Menschheit durch Digitalisierung und Vernetzung [die] bisherigen rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen ausnahmslos auf den Prüfstand“ stellen. Weiter sagen sie, dass auf der Basis von „in-formationeller Selbstbestimmung, freiem Zugang zu Wissen und Kultur und der Wahrung der Privatsphäre eine demokratische, sozial gerechte, freiheitlich selbstbestimmte, globale Ordnung entstehen“ kann.
Doch für eine wirklich demokratische und sozial gerechte Welt ist weitaus mehr nötig: Es reicht nicht, mehr Transparenz einzufordern, den Zugang zu Wissen einfacher, und das bestehende parlamentarische System ein wenig demokratischer zu gestalten. Im Kapitalismus endet die Demokratie spätestens am Betriebstor. Was notwendig ist, ist eine echte Demokratie, in der alle gemeinsam an ihren Arbeitsplätzen, Schulen, Universitäten und in ihren Vierteln entscheiden, was wie produziert wird und wie die Gesellschaft organisiert werden soll. Eine solche echte Demokratie kann aber nur erreicht werden, wenn nicht die Profitmaximierung, sondern die Bedürfnisse von Mensch und Natur im Mittelpunkt stehen. Das ist nur möglich auf Basis des öffentlichen Eigentums an den Produktionsmitteln. Deshalb sind die Vorstellungen der Piraten zu freiem Wissen und zu einer demokratischen Gesellschaft innerhalb des Kapitalismus nicht zu verwirklichen. Die großen Musik- und Filmkonzerne werden es beispielsweise nicht zulassen, dass ihnen die Basis für ihre Profite weggenommen wird und in Zukunft alle das nutzen können, wofür sie bisher abkassiert haben. Um freie Netze und freies Wissen zu erreichen, müssen die großen Medienkonzerne, die Film- und Musikindustrie in öffentliches Eigentum überführt und demokratisch kontrolliert und verwaltet werden.
2. Sozialpolitik
Es gibt nur wenige Informationen, wie sich die Piraten ihre Sozialpolitik vorstellen. Ein zentraler Pfeiler im Bundesprogramm der Piraten ist das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE). Alle Menschen sollen unabhängig von der Höhe ihres Einkommens einen monatlichen Grundbetrag bekommen. Die Vorstellungen von der Höhe variieren sehr stark von 457 Euro plus Warmmiete monatlich bis zu Beträgen über 1.000 Euro. Zur Kritik an der Forderung des BGE: www.archiv.sozialismus.info. Bei der Programmatik der Piraten wird aber eins immer deutlich: Die Piraten akzeptieren, dass es nicht genug gute Arbeit für alle gibt, die einen guten Lebensstandard der ArbeiterInnen sichern kann. Sie verzichten damit auf einen Kampf gegen die Vernichtung von Arbeitsplätzen und auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Dies wäre nur mit einem umfassenden öffentlichen Investitionsprogramm und einem Kampf für radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich möglich. Denn das Problem ist ja nicht, dass es nicht genügend Aufgaben und Arbeiten gibt. Während sich viele Menschen mit 40 und mehr Stunden wöchentlich abrackern, werden Millionen von Menschen von Erwerbsarbeit und damit von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen.
3. Verkehr: Privatisierung oder fahrscheinlos reisen?
Bei der Frage, wie der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) gestaltet werden soll, zeigt sich, wie unterschiedlich die Konzepte der Piraten sind. Die NRW-PIRATEN (die auch in anderen Fragen einen besonders marktfreundlichen Kurs fahren) fordern in NRW mehr Wettbewerb im ÖPNV und die Ausschreibung, also Privatisierung von Verkehrsleistungen. Im Widerspruch dazu lehnen die Berliner Piraten die Privatisierung der Berliner S-Bahn ab. Eine wichtige Forderung von ihnen war im Berliner Wahlkampf die Einführung eines fahrscheinlosen ÖPNV. Der Berliner Abgeordnete Christopher Lauer rechnete in der Talkshow von Anne Will vor, dass alle BerlinerInnen monatlich einen Betrag von circa 24 Euro zahlen sollten, um dann ohne Fahrschein die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen. Klingt gut, aber warum soll die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel überhaupt etwas kosten, wenn durch einen Nulltarif die gesellschaftlichen Folgekosten des Autoverkehrs von Unfällen, Verkehrstoten und Umweltverschmutzung minimiert werden könnten?
DIE LINKE in NRW fordert korrekterweise: „Mineralölkonzerne enteignen! Spritpreise runter! Für einen kostenlosen Personennahverkehr.“
„Für dieses System ist ein Update verfügbar“
An den drei Beispielen wird deutlich, dass die Piraten nicht über das bestehende System hinaus gehen wollen, um echte Demokratie zu erkämpfen. Das machen die NRW-PIRATEN mit einem Plakat sehr deutlich: „Für dieses System ist ein Update verfügbar“. Die Piraten sehen es deswegen auch nicht als notwendig an, sich in ihrem Programm mit den Mächtigen anzulegen und für die Durchsetzung ihrer Forderungen zu kämpfen. Sie wollen mit ihrem Programm Themen setzen und hoffen, die etablierten Parteien von ihren Ideen zu überzeugen und so ihre Punkte durchsetzen. Da ist es nicht überraschend, dass sie immer wieder erklärt haben, sie wären bereit sich an einer Regierung mit bürgerlichen Parteien zu beteiligen. Dass es in dieser Gesellschaft Klassen mit verschiedenen Interessen gibt, spielt bei ihnen keine Rolle.