Frankreich: Erste Runde der Präsidentschaftswahlen zeigt Polarisierung

Wahlergebnis für Mélenchon drückt Potential für eine neue Arbeiterpartei aus


 

Während die linken KandidatInnen angesichts der Eurokrise die Verstaatlichung von Banken, Besteuerung von Reichtum, Mindestlöhne und gleiche Rechte in den Vordergrund stellten, versuchte die rechtsradikale Front National Sorgen vor Einwanderung auszunutzen und mit mehr Überwachung zu punkten. Auch die Kandidaten Sarkozy und Hollande, die in die Stichwahl gehen, waren davon getrieben. Der Ausgang der Wahl zeigt die Polarisierung und die wachsende Wut in der französischen Gesellschaft.

von Michael Koschitzki, Berlin

Der Kandidat der sozialdemokratischen Parti socialiste (PS) François Hollande kann sich mit nur 1,5 Prozent Vorsprung gegenüber Präsident Sarkozy seines Sieges nicht sicher sein. Zwar wird ihm die Tatsache helfen, dass er von den unterlegenen linken KandidatInnen als kleineres Übel unterstützt wird und vor allem die verbreitete Ablehnung der Sarkozy Regierung. Schließlich ist seit der Wahl von Sarkozy die Arbeitslosigkeit um 20 Prozent gestiegen, wurde die Arbeitslosenhilfe für Viele gestrichen und 66 Prozent der Bevölkerung gaben an, dieses Jahr Ausgaben für lebenswichtige Güter kürzen zu müssen. Paris war in den Wochen vor der Wahl voll mit Aufklebern gegen Sarkozy, die viele Menschen irgendwohin klebten. Jedoch konnte Sarkozy in den letzten Wochen wieder mit ausländerfeindlichen Parolen an Boden gut machen. Die Morde in Toulouse durch einen rechten islamischen Terroristen spielten ihm dabei in die Hände. Er wird jetzt versuchen seinen Wahlkampf noch mehr auf das rechte Lager zu konzentrieren, was ihm eine knappe Wiederwahl ermöglichen könnte.

Erfolg der Rechten …

Die Kandidatin der rechtsradikalen Front National (FN) Marine Le Pen konnte den größten Wahlsieg in der Geschichte der FN einfahren. Mit 17,9 Prozent der Stimmen, was 6,4 Millionen WählerInnen entspricht, hat sie gegenüber der Wahl ihres Vaters, der es 2002 in die zweite Runde schaffte, nochmal fast eine Millionen Stimmen dazu gewonnen.

Die FN erreichte das nicht auf der Basis eines faschistischen Programms, sondern in dem sie die offensichtlichen Verbindungen zum faschistischen Spektrum abbrach und einem rechtspopulistischen Wahlkampf Viele erreichte, die mit der Sarkozy-Regierung unzufrieden waren.

Dass Sarkozy rechte Töne anschlug und Migration und Sicherheit getrieben durch die FN in die Mitte seines Wahlkampfes rückte, erleichterte es Marine Le Pen mit islamfeindlichen Parolen zu punkten. Sie versuchte die Sorgen um Einwanderung auszunutzen, präsentierte sich darüber hinaus als Kandidatin der ArbeiterInnen und mit Parolen gegen Globalisierung und für den Ausstieg aus dem Euro viele Stimmen von Erwerbslosen für sich gewinnen.

…und der Linken

Viele nennen ihn den französischen Oskar Lafontaine. Gemeint ist der Kandidat der Linksfront Jean-Luc Mélenchon. Er erreichte mit einer Kampagne, die auf radikale Forderungen und Rhetorik setzte, 11,1 Prozent der Stimmen beziehungsweise fast vier Millionen Stimmen. Die Front de gauche ist ein Zusammenschluss Parti communiste français (PCF) und der Parti de Gauche, die sich die LINKE in Deutschland als ein Vorbild genommen hat. Beim Gründungskongress 2008 trat auch Lafontaine auf.

Jean-Luc Mélanchon fordert die Verstaatlichung der Banken, einen Mindestlohn von 1700 Euro, einen Ausstieg Frankreichs aus dem Lissabon-Vertrag der EU und vieles mehr. Sein Programm richtet sich die Beschäftigten, Erwerblosen und Jugendlichen von Frankreich, die durch die kapitalistische Krise betroffen sind. Für seine Wahlkampfveranstaltungen mobilisierte er bis zu 120.000 Menschen.

Damit konnte er teilweise das Vakuum auf der Linken füllen. Die Nouveau Parti anticapitaliste (NPA), die vor einigen Jahren mit großen Hoffnungen startete und deren Kandidat Olivier Besancenot bei der letzten Wahl 1,5 Millionen Stimmen bekommen hatte, konnte daran nicht anknüpfen. Sie erreichten nur 1,15 Prozent beziehungsweise etwas mehr als 400,000 WählerInnen. Die NPA hatte sich in der Krise nicht genug mit einem antikapitalistischen Programm in die bestehenden Kämpfe und Auseinandersetzungen eingebracht. In der Partei gab es zahlreiche Konflikte, die zur Lähmung und zum Verlust zahlreicher Mitglieder führten. (Zur detaillierten Analyse der NPA siehe Artikel im Magazin sozialismus.info) Nachdem Olivier Besancenot sich geweigert hatte, wieder zu kandidieren, wurde sie zusätzlich geschwächt. Zwar stellte sich mit Philippe Potou, einem Ford-Beschäftigten aus Bourdeaux, der erfolgreich Entlassungen bekämpft hatte, einen kämpferischen Kandidaten auf. Aber ohne kämpferische Partei im Rücken konnte auch er, nichts an der Situation ändern.

Die Kandidatin Nathalie Arthaud der Lutte Ouvrière (LO), einer Partei aus einer trotzkistischen Organisation, die sich an keinem Bündnis zur Wahl beteiligt hatte, erreichte 200.000 Stimmen und damit ein halbes Prozent.

Potential für eine neue Arbeiterpartei

Die Unterstützung für Mélenchon zeigt das Potential, das für eine Massenarbeiterpartei mit sozialistischem Programm in Frankreich existiert. Die Diskussion über das Programm und den Charakter so einer Partei muss jetzt breit geführt werden. Mélanchon hat bewiesen, dass radikale Forderungen und antikapitalische Rhetorik mobilisieren können. Jedoch zeigt er keinen Weg auf, wie dieses System wirklich überwunden werden kann. Stattdessen greift er vor allem das „spekulative Kapital“ an und verbindet es mit auch mit republikanischer Rhetorik, beeinflusst durch die französische Revolution. Den Wahlkampf für Mélanchon machten vor allem die Mitglieder der größeren PCF innerhalb der Front de gauche.

Das Wahlergebnis wäre jetzt eine Chance dazu aufzurufen, nicht nur für diese Ideen zu wählen sondern sich aktiv zu beteiligen und eine breite Partei der Arbeiterklasse aufzubauen. Wenn sie die radikalen Forderungen mit einem klaren antikapitalistischen Programm verbindet, das einen Weg aus der Krise, in die Frankreich gerät, aufzeigt, könnte das aktive Massenunterstützung bekommen.

Als es 2005 die Kampagne gegen die EU-Verfassung gab und eine Mehrheit in Frankreich den Verfassungsentwurf getragen von einer breiten Kampagne ablehnte, gab es schon einmal die Chance für eine starke Massenpartei der Arbeiterklasse. Die Parteien LO und LCR, die beide aus einer trotzkistischen Tradition stammen, verpassten damals die Chance so eine Partei aufzubauen. Die später von oben nach unten durch die LCR aufgebaute Partei NPA konnte das Potential vor allem wegen der programmatischen Defizite und dem Aufbau der Partei nicht füllen.

Europa und Hollande

Doch nicht nur für die Linke wirkt die Entscheidung über die EU Verfassung von 2005 nach. Der Favorit für die zweite Runde François Hollande hatte damals für ein Ja geworben. Jetzt versuchte er die KritikerInnen der neoliberalen EU-Politik zu umwerben. Wenn er in der zweiten Runde gewählt wird, hätte das große internationale Auswirkungen. Der Fiskalpakt in Europa müsste mindestens neu verhandelt werden. Die Euro-Rettungspolitik stünde auf dem Prüfstand und auch die Chancen für ein Nein im irischen Referendum würden steigen. Hollande"s Haltung zur Euro-Rettungspolitik ist auch der Grund, warum die deutsche Bundesregierung sich so sehr für ein Sieg von Sarkozy stark macht.

Hollande hat verstanden, welche enorme Wut und Unzufriedenheit es innerhalb der französischen Gesellschaft gibt. Er tritt an mit einem Programm für beispielsweise 60.000 neue Lehrerstellen und der Einführung einer Millionärssteuer von 75 Prozent. Mit solchen Forderungen versuchte er nicht zu sehr hinter Mélenchon zurückzubleiben. Doch von den Forderungen wird nicht viel übrig bleiben, wenn er erstmal gewählt ist.

Während vor einigen Jahren Frankreich noch ein Handesbilanzüberschuss hatte, erwirtschaftete es 2011 ein Defizit von 70 Milliarden Euro. Die staatliche Verschuldung dürfte im Laufe des Jahres auf 90 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen. Hollande hat sich verpflichtet einen ausgeglichenen Haushalt im Laufe seiner Legislatur vorzulegen. Das heißt, dass auch unter ihm die Zeichen auf Sparen gestellt werden. Zusammen damit, dass er die in ihn gesetzten Erwartungen enttäuscht, ist das ein Rezept dafür, dass die Wut der französischen Arbeiterklasse, die jetzt noch unter der Oberfläche brodelt sich in großem Widerstand entladen wird.

Sollte jedoch Sarkozy in der zweiten Runde wieder gewählt, wird er im Gegensatz zu Hollande gar keinen Vertrauensvorschuss haben. Auch wenn es eine Enttäuschung über seine Wiederwahl geben sollte, wird er mit Kürzungsmaßnahmen auf Widerstand stoßen. So oder so ist der Aufbau einer linken Alternative gegen die Politik von Kürzungen und Umverteilung die wichtigste Aufgabe der nächsten Zeit.