Wie kann sich der Widerstand gegen Stuttgart 21 neu aufstellen?
Laut Schlagzeile der Stuttgarter Zeitung vom 12. März befindet sich der „Protest im Hamsterrad“. Die Ereignisse der folgenden Stunden zeigten, wie wenig das mit der Realität zu tun hat.
von Wolfram Klein, aktiv bei Cannstatter gegen Stuttgart 21 und im AK Stuttgart 21 ist überall
Am Mittag kurz vor 14.00 Uhr besetzten 11 ParkschützerInnen das Dach des Hauptbahnhof-Südflügels, das heißt des Teils, der noch nicht abgerissen ist. Sie entrollten ein neun mal drei Meter großes Transparent mit der Aufschrift „Alles zerstört, nichts gewonnen: Total versagt, Ramsauer & Co!“ Wegen der Besetzung musste der Abriss für den Rest des Tages gestoppt werden. In einer Presseerklärung wiesen die BesetzerInnen auf neu bekannt gewordene Manipulationen im Stresstest hin: Zusätzlich zu den im letzten Herbst bei „Wikireal“ veröffentlichten Ungereimtheiten wurde eine fehlerhafte Software verwendet. Damit verringert sich die Kapazität des unterirdischen Bahnhofs um weitere 3 Züge. Zugleich verwiesen sie darauf, dass die dritte Ausschreibung für den Bau des Nesenbach-Dükers geplatzt ist. Für diesen essenziellen Bauabschnitt fand sich wegen der geologischen Risiken immer noch keine Baufirma. Nach fast vier Stunden wurden die BesetzerInnen von einem Sonderkommando der Polizei geräumt und nach weiteren anderthalb Stunden freigelassen.
Am Abend fand die 115. Montagsdemo statt, zum ersten Mal auf dem Marktplatz. Dieser Ortswechsel war und ist umstritten. Aber wer erwartet hatte, dass deshalb die Beteiligung zurückgehen würde, hatte sich getäuscht. Obwohl parallel Stuttgart-21-GegnerInnen am Bahnhof die Räumung des Südflügel-Dachs beobachteten und dann auf die Freilassung der BesetzerInnen warteten, waren über 3000 Menschen auf der Montagsdemo, mehr als in den beiden Wochen davor.
Nach einem Demozug zum Hauptbahnhof gab es noch eine Veranstaltung. Unter dem Titel „Von der Protestbewegung zur Demokratiebewegung?“ diskutierten Jutta Ditfurth, Bernd Riexinger (ver.di-Geschäftsführer), Jens Loewe (AK direkte Demokratie) und Thomas Puls (AK Stuttgart 21 ist überall) in einem vollen Gewerkschaftshaus (etwa 700 TeilnehmerInnen). In wichtigen Fragen herrschte Übereinstimmung: bezüglich der Notwendigkeit, auf der Straße präsent zu bleiben (jede Erwähnung der Südflügelbesetzung erntete stürmischen Beifall), die Bewegung mit anderen Bewegungen in Stuttgart (z.B. Beschäftigten im Öffentlichen Dienst, MieterInnen, der Kampagne für die Rekommunalisierung der Energieversorgung) oder dem Kampf gegen unnütze Großprojekte in Deutschland und international zu verbinden. Umstritten war u.a. die Haltung zu Parteien. Für generelle Kritik an Parteien gab es großen Beifall. Aber das Argument von Bernd Riexinger (der bekanntlich auch Landessprecher der LINKEN ist), dass das Verhalten der Grünen seit der Landtagswahl nicht überraschen könne und man die LINKE dafür nicht mitverantwortlich machen könne, sondern nach ihrer eigenen Politik beurteilen müsse, fand auch Zuspruch.
Jutta Ditfurth widmete einen großen Teil ihres Eingangsstatements grundsätzlicher Kapitalismuskritik, für die sie viel Beifall erntete. Das zeigt, wie groß die Offenheit vieler AktivistInnen für grundsätzliche Fragen inzwischen ist. Dafür spricht auch, wie großen Anklang das neue Faltblatt der SAV fand. Wir hatten es extra mit Blick auf die Veranstaltung am Abend zum 12. März fertig gestellt, aber wenn wir nicht ein paar Exemplare zurückgehalten hätten, wäre die gesamte erste Auflage von 150 Stück schon lange vor Ende der Montagsdemo weg gewesen.
Am Samstag um 10.00 Uhr im Rathaus findet der 2. Große Ratschlag statt, auf dem über die Zukunft der Bewegung diskutiert wird. Wer in der Bewegung drin steckt, für den ist offensichtlich, dass große Teile zu einem qualitativen Schritt nach vorne bereit sind, vor allem bezüglich der Vernetzung mit anderen Bewegungen. Wer da ein Hamsterrad zu sehen meint, der will oder kann nicht sehen, was sich entwickelt.