Mitgliederentscheid als „nächster Schritt“?

Bartsch-Kandidatur und Debatte um Mitgliederbefragung für Parteivorsitz


 

Die Kandidatur von Dietmar Bartsch für den Parteivorsitz der LINKEN, die eigentlich erst beim Göttinger Parteitag im Juni auf der Tagesordnung steht, hat die Scheinharmonie des Erfurter Parteitags – der vom 21. bis 23. Oktober 2011 tagte – postwendend über den Haufen geworfen.

von Heino Berg, Göttingen

Bartsch gilt als Repräsentant des Regierungsflügels, der die Linkspartei auf bedingungslose Bündnisse mit SPD und Grünen einschwören will.

Kandidatur von Bartsch

Wenn es nach Bartsch ginge, dann würden die antikapitalistischen Forderungen des in Erfurt beschlossenen Parteiprogramms zu einem Lippenbekenntnis wie im SPD-Programm degradiert. Darüber hinaus verkörpert er das Erbe der ostdeutschen Staats- und Regierungspartei im Apparat der erst vor wenigen Jahren vereinigten LINKEN.

Der Anpassungskurs von Bartsch und anderen hatte schon die PDS in die Isolation geführt und DIE LINKE in der Berliner Koalition mit der SPD (von 2002 bis 2011) fast 50 Prozent ihrer früheren Wählerstimmen gekostet.

Urwahlverfahren

Anstatt auf seine Kandidatur mit einer inhaltlichen Diskussion über die Bilanz dieser Politik zu antworten, hat sich der linke Parteiflügel auf die Auseinandersetzung über das Urwahlverfahren konzentriert, mit dem Dietmar Bartsch seine Kandidatur ursprünglich verknüpft hatte. Die Kampagne für einen Mitgliederentscheid über den Parteivorsitz stützte sich auf die verbreitete Unzufriedenheit über Kungeleien der Fraktionsführung um Gregor Gysi, denen Gesine Lötzsch und Klaus Ernst ihre Positionen als derzeitige Vorsitzende der LINKEN verdanken. In der Erklärung, in der Bartsch seine Kandidatur und sein Votum für ein Urwahlverfahren begründet, heißt es: DIE LINKE „muss den nächsten Schritt gehen, um als sozialistische Partei in der großen Politik und im Lebensalltag dauerhaft anzukommen.“

Unabhängig davon, ob dieses Verfahren der Parteisatzung entspricht, führt es keineswegs zu einer stärkeren Kontrolle der Mitgliederbasis über ihre Führung. Im Gegenteil: Eine individualisierte Briefwahl entwertet die Basisgliederungen und die Diskussion ihrer gewählten Parteitagsdelegierten. Ähnlich wie eine Direktwahl von Staatspräsidenten (wie zum Beispiel in Frankreich oder in den USA) die Parlamente schwächt, würde sie die Parteiorganisation, ihre Parteitage, Mitgliederversammlungen und Delegierten entmachten. Eine aktive Mitwirkung der Mitglieder am Leben der Partei würde noch mehr als bisher als Zeitverschwendung erscheinen.

Eine offene, ausführlich geführte und vor allem inhaltliche Debatte über Politik und über das Personal, welches für unterschiedliche politische Vorschläge steht, wäre die beste Voraussetzung, Kungeleien und andere Formen bürokratischer Entscheidungsfindungen zu verhindern. Die Parteilinke muss um klare Mehrheiten für einen antikapitalistischen Kurs kämpfen, der eine Fortsetzung der Politik der Regierungsbeteiligungen mit SPD und Grünen ausschließt. Das ist eine Voraussetzung dafür, dass DIE LINKE eine Zukunft als Interessenvertretung der Millionen gegen die Macht der Millionäre und Milliardäre hat.