Vor der 84. Oscar-Verleihung
„And the winner is: ‚Nader & Simin‘.“ Ob diese Worte fallen werden, wenn am 26. Februar im Kodak-Theatre von L.A. wieder mal die Oscars vergeben werden? Jedenfalls war das Scheidungsdrama, das die gesellschaftlichen Risse Irans spiegelt, der Film des Jahres. – Immerhin ist das Werk auch für den „besten fremdsprachigen Film“ nominiert.
von Aron Amm, Berlin
Sehenswert waren 2011 auch Mike Leighs „Another Year“ über Verarmung und Vereinsamung in Großbritannien nach 30 Jahren Neoliberalismus und „Dance Town“ über eine Frau, die von Nord- nach Südkorea flieht, um schließlich festzustellen, keineswegs ins „gelobte Land“ gekommen zu sein. Oder „Schlafkrankheit“ über Endstation Entwicklungshilfe. Oder „Und dann der Regen“, der ein Filmteam im bolivianischen Cochabamba schildert, das einen Streifen über die Kolonialisierung vor 500 Jahren plant, während es mit dem Aufstand gegen die Wasserprivatisierung konfrontiert wird. Ja, es gibt das andere Kino – auch in den USA. Zum Beispiel „Winter“s Bone“ über den Kampf einer Familie gegen Zwangsräumung in Zeiten der Wirtschaftskrise.
All diese Filme haben eines gemein: Sie spielen bei der Oscar-Verleihung keine Rolle. Solche Streifen werden in der Regel erst gar nicht berücksichtigt. Und wenn der eine oder andere nonkonforme Film eine Nominierung erhält, dann geht er meist leer aus – wie das letztes Jahr bei „Another Year“ und „Winter“s Bone“ der Fall war (die beide erst 2011 in den deutschen Kinos liefen).
Man hätte meinen sollen, dass „Margin Call“, das Werk zur Lehman-Brothers-Pleite, eine Chance erhält. Schließlich konnte J.C. Chandor für sein Debüt Stars wie Kevin Spacey und Jeremy Irons gewinnen. Doch obwohl „Margin Call“ in der Occupy-Bewegung heiß diskutiert wurde, ignorierte ihn die Akademie ebenfalls.
Fortsetzungsstreifen
Es mag sein, dass der mehrfach nominierte Stummfilm „The Artist“ Charme hat. Aber auch bei dieser Preisverleihung wird sicher, wie fast immer, Gehirnwäsche-Kino bejubelt werden.
Favoritin für die „beste Hauptdarstellerin“ ist Meryl Streep mit ihrer Verkörperung von Margaret Thatcher, die von 1979 an in Großbritannien und international dem Neoliberalismus maßgeblich den Weg ebnete, dem sozialistischen Stadtrat in Liverpool den Krieg erklärte und mit aller Gewalt gegen die britischen BergarbeiterInnen vorging. Der erzkonservative Londoner Bürgermeister Boris Johnson meint über „The Iron Lady“: Nichts und niemand habe so viel für die Rehabilitierung dieser Tory-Premierministerin getan wie dieser Film.
Bezeichnend, dass – dank gigantischer Werbekampagnen – unter den sieben Top-Kassenschlagern in den USA 2011 fünf Fortsetzungen waren: „Transformers 3“, „Twilight 2“, „Hangover 2“, „Fluch der Karibik 4“ und „Cars 2“. Recycelter Müll eben.
Auch unter den diesjährigen Oscar-Kandidaten sind einige Wiederaufgüsse. So „Kung Fu Panda 2“ oder „Der gestiefelte Kater“, de facto „Shrek 5“. Da Woody Allen seit langem in einer Endlosschleife steckt, kann man auch „Midnight in Paris“ dazu zählen.
3-D-Kino
Die Einfallslosigkeit Hollywoods zeigt sich auch mit dem neuerlichen Faible für 3-D. Es wäre naiv zu glauben, dass dieser Boom Zufall ist. Nein, das war genau kalkuliert; der Durchbruch kam mit „Avatar“ (2009), in den man Abermillionen gesteckt hatte. Eine eigene Industrie wurde aus dem Boden gestampft. Bei dem Film, der mit elf Nominierungen dieses Jahr für die meisten Preise vorgeschlagen ist, handelt es sich um „Hugo Cabret“. Auch die 3-D-Streifen „Tim und Struppi“ oder „Pina“ sind beim Oscar-Rennen mit dabei.
Das Problem bei 3-D sind gar nicht per se die Kosten, sondern der Umstand, dass die Aufmerksamkeit zwangsläufig von Inhalten (aber auch von der Kraft der Bilder) weg auf technische Effekte und Projektionsbedingungen gelenkt wird.
Nochmal zum Fortsetzungsfilm
Es ist genau 40 Jahre her, dass Marlon Brando für den „Paten“ den Oscar erhielt. Damals ließ er an Stelle seiner Danksagung eine Vertreterin der indigenen Bevölkerung Nordamerikas eine Anklage über Diskriminierung und Verfolgung halten. Undenkbar heute. Seit Michael Moores Attacke gegen George Bushs Irak-Krieg 2003 werden ohnehin alle Beiträge vorab durchleuchtet und zeitversetzt ausgestrahlt. Übrigens war auch die Fortsetzung des „Paten“, in der Robert de Niro Brando nicht nach-, sondern „vorspielt“, kein Müllrecycling, sondern ebenso grandios wie sein Vorgänger.