Ein System in der Krise
Kapitalistisches Chaos – der Klassenkampf verschärft sich
CWI – eine sozialistische Analyse
Im Folgenden veröffentlichen wir ein Dokument zu Welt- und europäischen Perspektiven, das das Internationale Sekretariat des CWI einem Treffen des Internationalen Exekutivkomitees des CWI im Januar vorlegen wird. Nach einer Diskussion und Änderungen auf dem Treffen wird die Endfassung des Dokuments Ende Januar auf Socialistworld.net veröffentlich werden.
Eine Welt im Aufruhr
1. Seit dem letzten Weltkongress vor gut einem Jahr war die Welt fast ständig im Aufruhr. Wir waren Zeugen der Revolutionen im Nahen Osten und Nordafrika, die immer noch weitergehen, wie die blutigen Konflikte in Kairo und anderswo Ende November anzeigen. Darauf wiederum folgten die Wahlen in Ägypten. Es scheint, dass die islamischen Parteien in den ersten Etappen der ägyptischen Parlamentswahlen zwei Drittel der Stimmen gewonnen haben. Die Freiheits- und Gerechtigkeitspartei der Muslimbruderschaft gewann nach vorläufigen Ergebnissen 36,6%. Aber die ultrakonservative fundamentalistische al-Nour-Partei mit ihrer Lehre des Salafismus bekam fast ein Viertel der Stimmen in Gebieten, die neun von Ägyptens 27 Provinzen umfassen, einschließlich der wichtigsten städtischen Zentren von Kairo und Alexandria. Auf der andren Seite bekamen Parteien, die das Regime von Mubarak unterstützten, nur 3% der Stimmen! Zur Zeit des IEK werden die Wahlen abgeschlossen sein und wir werden ein besseres Bild davon haben, was das bedeutet.
2. Das CWI sagte in groben Umrissen in den bei unserem Kongress angenommenen Dokumenten die revolutionären Unruhen voraus, die sich in der Region entfalteten, besonders für Ägypten (wir werden unten weiter auf diese Entwicklungen eingehen). Dies muss zusammengenommen werden mit den revolutionären Erschütterungen in Griechenland, ebenso wie den Massenstreiks und Protesten in Spanien und Portugal. Neue gesellschaftliche Explosionen stehen in Italien, Irland, Britannien und anderswo bevor. Selbst die scheinbar ‚stärksten’ und bis jetzt ‚am wenigsten betroffenen’ europäischen Länder werden nicht immun gegen den radikalen oder sogar revolutionären Virus sein, der sich aus den sogenannten ‚Randgebieten’ von Südeuropa ausbreitet. In den USA hat es die beträchtliche ‚Occupy’-Bewegung gegeben, die sich auf Teile der Gewerkschaften ausgewirkt und sie hineingezogen hat.
3. Die Fortsetzung der tiefen Krise des Welt- und europäischen Kapitalismus stellte den Impuls für diese Ereignisse dar. Diese Krise wurde enorm verschärft durch das Chaos der „Staatsschulden“. Dies wiederum eröffnet die Wahrscheinlichkeit von Staatsbankrotten in Europa und des Zusammenbruchs des Euro mit all den sich daraus ergebenden schwerwiegenden Folgen für den europäischen und Weltkapitalismus. Die Krise hat schon direkt zum Abtritt oder Sturz einer Reihe von Regierungen und Ministerpräsidenten allein im letzten Jahr geführt: der scheußliche Berlusconi in Italien, Papandreou in Griechenland, Zapatero in Spanien, Socrates in Portugal und Cowen in Südirland wurden aus dem Amt gefegt.
4. Dem ging der Sturz von Ben Ali in Tunesien, Mubarak in Ägypten, Gaddafi in Libyen voran. Es folgte Saleh im Jemen. Die Massenbewegungen und Revolutionen im Nahen Osten und Nordafrika haben ihre Arbeit auch nicht vollendet; andere Regierungen in der Region werden wahrscheinlich in der nächsten Periode gestürzt werden. Europa kann auch weitere Erschütterungen erwarten, die zum frühen Abtritt gegenwärtiger Regierungen und zur möglichen Vertreibung von Sarkozy aus dem Amt durch Wahlen in Frankreich führen können. Parallel dazu könnte es das Auseinanderbrechen der konservativ-liberaldemokratischen Koalition in Britannien und frühe Wahlen geben, die zu ihrer Niederlage führen. Nicht nur die verzweifelte wirtschaftliche Lage, die ganz Europa heimsucht, könnte die Cameron-Regierung scheitern lassen. Die EU-Krise könnte in einer Reihe europäischer Länder zu Volksabstimmungen führen. Obwohl Britannien an dem neuen ‚Vertrag’ nicht teilnehmen will, ist es nicht ausgeschlossen, dass sich die Tory-Partei an dieser Frage spalten könnte.
5. In Irland könnte es auch eine sehr wichtige Volksabstimmung zu dieser Frage geben. Eine Umfrage im Oktober zeigte, dass 47% der irischen WählerInnen gegen den Vorschlag einer Ergänzung des Lissabon-Vertrags stimmen würden, während nur 28% sagen, sie würden dafür stimmen. In Britannien würde wahrscheinlich im Falle einer Volksabstimmung mit ‚Nein’ gestimmt werden, und dies könnte sich in manchen anderen Ländern in der EU wiederholen, wenn die verschiedenen Regierungen tatsächlich eine Abstimmung über vorgeschlagene Vertragsänderungen zulassen würden. In solch einer Lage wären wir gezwungen, die ‚Nein’-Kampagne zu unterstützen, wie wir es in Irland machten, besonders weil der Lissabon-Vertrag und die EU im Allgemeinen heute viel mehr als in der Vergangenheit als Kürzungsmechanismus für heftige Angriffe auf den Lebensstandard der Arbeiterklasse angesehen werden. Diese Frage stellt sich schon in der britischen Arbeiterbewegung. Die RMT-Eisenbahnergewerkschaft wünscht, dass wir uns massiv an einer ‚Nein’-Kampagne beteiligen. Die Organisation des CWI in England und Wales überlegt, dass es notwendig sein wird, sich zu beteiligen. Aber wir müssen bestrebt sein, ihr ein klares antinationalistisches Profil zu geben und für sozialistische Maßnahmen zu sehen, egal ob wir innerhalb oder außerhalb der EU sind. Wir werden wahrscheinlich besonderes Material zu dieser Frage erstellen müssen.
Die ‚Occupy’-Bewegungen
6. Zugleich wurde der den Kapitalismus untermauernde ideologische Zement ernsthaft untergraben. Nicht nur steht der Kapitalismus vor seiner größten wirtschaftlichen Krise ‚jemals’ (laut Mervyn King, Gouverneur der Bank of England), in ihrem Gefolge steht er auch vor einer tiefgreifenden Legitimitätskrise. Dies spiegelt sich in den Massenstreiks der Arbeiterklasse, aber auch in der weltweiten ‚Occupy’-Bewegung wider, die sich auf etwa 1.000 Städte und alle Kontinente ausdehnte.
7. Trotz ihrer Schwächen – sie ruht weder ideologisch noch mit tiefen Wurzeln und einer Präsenz fest in den Organisationen der Arbeiterklasse – hat sie trotzdem weitverbreitete öffentliche Sympathie hervorgerufen, auch aus der Arbeiterklasse und der Arbeiterbewegung. Diese Bewegung findet anders als die Antiglobalisierungsbewegung zur Jahrhundertwende vor dem Hintergrund einer tiefen Rezession statt. Aber die meiste aktive Unterstützung in den meisten Ländern entspringt von den zunehmend entfremdeten jungen Leuten, von denen viele, wenn nicht die Mehrheit, aus den Mittelschichten der Gesellschaft sind. Aber das Herausstellen der schneidenden Ungleichheit vor dem Hintergrund der Massenverarmung, die ein Synonym für den ‚modernen’ Kapitalismus ist, hat ein mächtiges Echo unter breiten Teilen der Bevölkerung in Europa und den USA gefunden. Ein zusätzlicher Faktor ist, dass von dieser Krise nicht nur die Arbeiterklasse, sondern auch große Teile der Mittelklasse betroffen sind – manche von ihnen ziemlich stark. In den USA zum Beispiel sind die Durchschnittslöhne von Handarbeitern – die von den kapitalistischen Medien immer noch als ‚Mittelklasse’ bezeichnet werden, um das wachsende Klassenbewusstsein abzustumpfen – real auf dem Niveau der 1950er Jahre; die Religion des immerwährenden kapitalistischen Fortschritts wurde erschüttert. Das unbeschränkte Auftürmen von Reichtum durch das ‚1%’ – vielleicht die größte Konzentration und Zentralisation von Kapital in der Geschichte, die von Marx vorhergesehen wurde – hat die Proteste angeheizt. Es hat viele Symbole dafür in der vergangenen Periode gegeben, aber vielleicht das schlagendste Beispiel ist das von Bloomberg, dem gegenwärtigen Bürgermeister von New York, dem 30st-reichsten Menschen in der Welt – buchstäblich einer unter 230 Millionen – der durch seine Polizei versuchte, die ‚Occupy’-Bewegung in ‚seiner’ Stadt zu unterdrücken. Die Bilder davon wurden rund um die Welt gesendet, ebenso wie der wahllose Einsatz von Pfefferspray gegen die Menge in Seattle, wobei eines der Opfer ein 80-Jähriger Protestierer war.
8. Dies kommt nach den früheren Angriffen auf Studierende in Britannien, auf die abschreckende Strafen einschließlich drakonischer Gefängnisstrafen für die jungen Menschen folgten, die bei den Protesten Ende 2010 gegen die Zerstörung ihrer Zukunft (die massiv erhöhten Universitätsstudiengebühren und die Streichung von Stipendien für die 16- 18-Jährigen bedeuten das) festgenommen wurden. Aber dies verhinderte nicht die Krawalle in London im Spätsommer 2011. Dies bestätigte völlig unser Argument, dass eine unausgeformte Bewegung der Verzweiflung von unten ausbrechen werde, wenn nicht die Arbeiterbewegung organisierten Widerstand gegen die brutalen Kürzungen der Regierung aus Tories und Liberaldemokraten bei Sozialem und geplanter Armut leisen würde. Die Regierung versuchte, die Krawalle in Begriffen der ‚Kriminalität’ der Beteiligten zu erklären. Dies wurde völlig durch spätere Berichte widerlegt, die zeigten, dass die meisten Beteiligten Arme, wirtschaftlich und kulturell unterprivilegiert etc. waren. Auf der anderen Seite versuchten andere wie die SWP, die Bewegung als ‚positiv’, als einen echten, bewussten Aufstand der Unterdrückten zu behübschen! Dies ist gleichermaßen falsch und obendrein potentiell gefährlich für die Arbeiterbewegung.
9. Schon entfremdete Jugendliche, die vom Anarchismus angezogen werden, haben – wie Griechenland zeigt – wahllos und provokatorisch die Polizei angegriffen, was wiederum dem Staat einen Vorwand geliefert hat, Unterdrückungsmaßnahmen gegen an Streiks und Protesten beteiligte ArbeiterInnen anzuwenden. Unsere GenossInnen in Griechenland haben solche Aktionen zu Recht kritisiert und sich von ihnen distanziert. Diese Methoden können, besonders auf der Grundlage von Niederlagen und Rückschlägen eine Sektion der enttäuschten Jugend, die nicht alle einen kleinbürgerlichen Hintergrund haben, dahin führen, zu den Methoden des Terrorismus zu greifen. Bei einer der Demonstrationen in Griechenland waren es die ArbeiterInnen selbst – Mitglieder der Kommunistische Party (KKE) – die physischen Angriffen ausgesetzt waren. Solche Methoden sind dem wirklichen Marxismus völlig fremd. Selbst wenn diese jungen Menschen und ArbeiterInnen in dem Glauben aufrichtig sind, dass solche Methoden den Kapitalismus untergraben und schließlich stürzen können, ist es die Pflicht des Marxismus, dieser falschen Herangehensweise zu widersprechen. Es kann nur der Reaktion nützen, wenn diese Methoden fortbestehen, sowohl, weil sie dem Staat einen Vorwand liefern, Unterdrückung einzusetzen, sondern auch, weil sie, besonders in dieser Phase Teile der Mittelklasse und selbst der ArbeiterInnen entfremden kann, die sich vielleicht zum ersten Mal dem Kampf anschließen. Es ist daher notwendig, die neue Generation im Kampf gegen anarchistische Methoden zu schulen, die in eine Sackgasse für die Arbeiterbewegung führen können. Wir müssen besonders betonen, dass es geschichtlich nicht die waren, die mit Bomben und terroristischen Methoden begannen, die zum Sturz des zaristischen Regimes und des Großgrundbesitzes führten, sondern die Bolschewiki, die sich auf die Arbeiterklasse mit den Methoden des Massenkampfs stützten, des Generalstreiks, unabhängiger Komitees – Sowjets – und ArbeiterInnen- und Bauernmacht.
10. Die ernsthaften, weitsichtigeren Bürgerlichen haben ihre Position von ursprünglich unverblümter Feindseligkeit gegen die ‚Occupy’-Bewegung zu dem Bestreben verschoben, sie zu vereinnahmen, sie sich ‚einzuverleiben’. Sie versuchen, sich auf die ‚Führer’ oder ‚unpolitischen’ Sprecher dieser Bewegung zu stützen, um eine Grundlage zu schaffen, um ein paar der krasseren Makel des Kapitalismus mit einer ‚Tobin’- oder ‚Robin Hood’-Steuer auf Finanztransaktionen mildern. Und angesichts des Alarms an der Spitze des Kapitalismus über die Wendung der Ereignisse ist es nicht ausgeschlossen, dass manche kosmetischen Maßnahmen zum Beispiel gegen Banken und sogar gegen die ‚Reichen’ unternommen werden könnten. Die Panik in bürgerlichen Kreisen im Allgemeinen wurde zusammengefasst durch den rechten Begründer der Zeitung ‚Independent’ in Britannien, Andreas Whittam-Smith, der kürzlich schrieb: „Westliche Nationen sind jetzt reif für die Revolution.“ Das Ziel von Whittam-Smith und der Bourgeoisie, für die er spricht, ist nicht, sich auf den Selbstmord vorzubereiten oder von der Bühne der Geschichte abzutreten, sondern diese Bewegungen als einen Hebel zu nutzen, um das kapitalistische System nach Möglichkeit zu retten und es zu erneuern. Obendrein hilft ihnen das Fehlen einer klaren Alternative bei den meisten dieser Führer bei dieser Aufgabe.
11. Die ‚Occupy’-Bewegung ist die breiteste globale Bewegung seit dem Zusammenbruch des Stalinismus. Sie umfasst einen größeren Teil der Welt und ist tiefer als die Antiglobalisierungsbewegung am Beginn des 21. Jahrhunderts. Obwohl sie ihrem Wesen nach ‚antikapitalistisch’ ist, fordert die ‚Occupy’-Bewegung den Kapitalismus nicht ernsthaft heraus; viele ihrer Führer schlagen keine ‚Systemänderung’ vor, sondern ‚versuchen, ein kaputt gegangenes System zu reparieren’. Unglaublicherweise haben manche auf der Linken, sogar auch TrotzkistInnen wie das Vereinigte Sekretariat (in Spanien zum Beispiel) versucht, die ‚unpolitische’ Haltung zu verstärken, die auf Seiten der sich beteiligenden Jugendlichen die Zurückweisung der prokapitalistischen ‚Politik’ und der großen Parteien, die sie ausdrücken, darstellt.
12. Nie zuvor in der Geschichte war es notwendiger, das Erfordernis von Organisation, einer Arbeitermassenpartei zu betonen als einem entscheidenden Schritt bei der Entwicklung von Klassenbewusstsein; in der Vergangenheit gewonnener Boden muss immer wieder neu erobert werden. Wegen dem Zurückdrehen des Rads der Geschichte stehen wir in gewissem Ausmaß wieder vor manchen der Aufgaben Lenins – die er in seiner Schrift ‚Was tun’ dargelegt hat – bezüglich der Notwendigkeit einer Partei beim Kampf gegen falsche Ideen, in seinem Fall der ‚Ökonomisten’ bezüglich sogenannter ‚Spontaneität’, Opposition gegen ‚Politik’ etc. Natürlich stehen wir vor einer völlig anderen Periode. Wir beginnen nicht mit einem leeren Blatt. Es gibt die gesammelte Erfahrung der Arbeiterklasse und die Bildung von Parteien. Aber wir müssen immer noch mit tiefer Skepsis rechnen – einem Produkt des Verrats der ex-sozialdemokratischen Parteien und des Stalinismus –, die sich auf die neue Generation auswirkt und sie in die Sackgasse der ‚Antipolitik’ führt. Dies zeigte sich klar bei den jüngsten Wahlen in Spanien: ‚Sie vertreten uns nicht’, ‚Sie sind alle gleich’; ‚Die Wahlen sind unter der sicheren Aufsicht der Europäischen Zentralbank’. Obendrein gab es 11 Millionen ungültig gemachte Stimmzettel, leere Stimmzettel und NichtwählerInnen, mehr als Stimmen für die rechten Wahlsieger den Partido Popular.
13. Diese Bewegung, die in einer Phase in manchen Ländern Massenausmaße annahm – Spanien, Griechenland und in gewissem Maße in den USA – stellt eine notwendige Etappe in einem verwirrten aber wichtigen politischen Wiedererwachen dar. Dies war unausweichlich angesichts von mehr als 30 Jahren, in denen die Ideen und der Einfluss des neoliberalen Kapitalismus vorherrschten und enorm verstärkt wurden durch die ideologische Offensive der Bürgerlichen in der Periode nach dem Zusammenbruch des Stalinismus. Diese Bewegungen bieten die Hoffnung, dass die, die an ihnen teilnehmen und die, die sie beobachten, revolutionäre Schlussfolgerungen ziehen. Die Vorbedingung dafür ist aber die Intervention der Arbeiterbewegung und besonders des Marxismus, der – mit Sympathie und Sensibilität – gegen die ‚unpolitische’, Anti-Parteien-Haltung vieler, die in die Bewegung hineingezogen wurden, argumentiert.
14. Gleichzeitig haben wir nie einen Fetisch bezüglich Organisation und einer Partei. Natürlich wird eine Massenpartei für die Arbeiterklasse notwendig sein, um die Macht zu erobern und zu halten. Aber die Weise, auf die sie aufgebaut werden wird – die sich gemäß den konkreten Umständen in jedem Land unterscheiden wird – muss im Verlauf der Ereignisse und durch die Erfahrung der Arbeiterklasse selbst ausgearbeitet werden. Parteien, besonders mit einem Massencharakter, werden in dieser explosiven Ära vielleicht nicht auf lineare Weise, Schritt für Schritt aufgebaut, wie Massenparteien in der Periode vor dem Ersten Weltkrieg aufgebaut wurden. Die Schwere der gegenwärtigen Krise ist so groß – und wird verstärkt durch die Botschaft der bürgerlichen Führer, dass der Arbeiterklasse ‚endlose Kürzungen’ bevorstehen – dass man sich eine Lage vorstellen kann, wo die zu einem Massenaufstand führen könnte, der dazu führen könnte, dass die Massen gezwungen sind, sich Richtung Macht zu bewegen. Im Grunde genommen passierte das in Spanien nach dem Aufstand im Juli 1936 und auch in Portugal nach dem gescheiterten Spinola-Putsch vom März 1975, als die Baken enteignet wurden und der Großteil der Industrie in Staatshand kam. In solchen Lagen stellte sich die Frage eines schnellen Aufbaus einer Massenpartei – und er war obendrein möglich – wenn es einen subjektiven Faktor gegeben hätte, nicht notwendig von Millionen, aber von Tausenden oder Zehntausenden Kadern, die politisch und theoretisch bewaffnet gewesen wären, um in der Lage zu intervenieren. Das bedeutet überhaupt nicht, an bestehende Anti-Parteien oder Anti-Organisations-Stimmungen Zugeständnisse zu machen. Im Gegenteil wirft es scharf die entscheidende Notwendigkeit auf, eine Organisation aufzubauen, einen revolutionären Anziehungspol, der fähig ist, in der Lage zu intervenieren und eine mächtige Kraft der Arbeiterklasse aufzubauen, besonders um die Macht zu festigen, wenn sich die Arbeiterklasse in wirklich vorrevolutionären Lagen Richtung Revolution bewegt. In diesem Stadium diese Frage auch nur zu stellen, zeigt die politische Schärfe, die von uns in dieser Periode gefordert wird.
Der Generalstreik
15. Der Generalstreik ist nachdrücklich auf die Tagesordnung der Arbeiterbewegung zurück gekommen, besonders in Südeuropa. In Griechenland – mit sieben Generalstreiks 2011 allein, einschließlich einem 48-stündigen Streik und ohne Streiks im Öffentlichen Sektor mitzuzählen! – in Spanien, Portugal, Italien und, in den vergangenen Jahren, in Frankreich, gab es eintägige Generalstreiks und Teil-‚Generalstreiks’. Aber Nordeuropa wird aufholen, wie der eintägige Streik im Öffentlichen Sektor in Britannien im November zeigte. Dies war ein kolossaler und wirksamer Streik, der mindestens anderthalb Millionen ArbeiterInnen umfasste, der größte in absoluten Zahlen seit dem Generalstreik 1926, und es war ein Meilenstein in der Geschichte der Arbeiterbewegung. Die belgischen Gewerkschaftsführer versuchten, Forderungen nach einem Generalstreik zu umgehen, indem sie am 2. Dezember tagsüber eine Demonstration von 80.000 in Brüssel organisierten, aber die Unterstützung für einen Generalstreik wächst, besonders in der Wallonie im Kampf gegen die geplante teilweise Schließung des ArcelorMittal-Stahlwerks in Liège, wo bemerkenswerterweise die Gewerkschaften offiziell die Verstaatlichung der Firma fordern.
16. Generalstreiks stellen unausgesprochen die Machfrage für die Arbeiterklasse und die Arbeiterbewegung. Aber sie stellt sich in diesem Stadium nicht auf diese Weise aus dem politischen Blickwinkel der Arbeiterklasse. In früherem Material haben wir die Gründe dafür skizziert: das Erbe des Zusammenbruchs des Stalinismus in der Form von prokapitalistischer Ideologie und als Folge politischer Unreife der Arbeiterklasse, ebenso wie Opportunismus der Gewerkschaftsführer, die sich fürchten, die Schranken des Kapitalismus zu überschreiten. Nicht der geringste der Faktoren, die die Arbeiterklasse davon abhalten, alle notwendigen Schlussfolgerungen aus der gegenwärtigen Lage zu ziehen, ist die Schwäche des alternativen revolutionären Anziehungspols. Daher nehmen Generalstreiks, die einen Höhepunkt im Klassenkampf der Arbeiterklasse darstellen, in dieser Phase mehr die Form von Massenprotesten als einer ernsthaften Vorbereitung der Übernahme der Macht aus den Händen des Kapitalismus an, der Industrie und Gesellschaft ruiniert und dabei die Arbeiterklasse in einen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Abgrund zerrt. Aber wenn die Arbeiterklasse durch den Kampf gehärtet wird mit einer neuen Generation von KämpferInnen und besonders Kadern, wird sich das ändern und neue Generalstreiks, die die Alternative einer neuen Gesellschaft von Arbeitermacht und Sozialismus aufwerfen, werden sich in den Köpfen der ArbeiterInnen stellen.
17. Aber der Kampf wird verschiedene Formen in verschiedenen Phasen annehmen. In Griechenland zum Beispiel ist die Zahl der eintägigen Generalstreiks, die stattgefunden haben, unglaublich; tatsächlich ist sie beispiellos. Dem folgte der 48-stündige Generalstreik und unsere griechische Organisation war die erste, diese Parole aufzuwerfen und zu popularisieren. In diesem Sinne haben die griechischen ArbeiterInnen die argentinischen ArbeiterInnen übertroffen, die einen ähnlichen Kampf zur Jahrhundertwende hatten. Es ist nicht nur die Arbeiterklasse, sondern breitere Schichten, einschließlich Teilen der Mittelschicht, die in die Streiks gezogen werden, die daher manche der Merkmale der ‚Hartals’ von Indien und Sri Lanka angenommen haben, bei denen Stadt und Land, praktisch die ganze Bevölkerung, an solchen Aktionen teilnimmt. Zugleich wenden sich die Massen, wenn sie auf dem einen Feld gestoppt werden – in diesem Fall dem betrieblichen Feld – der Alternative zu, dem Feld der Wahlen. Betriebliche und gesellschaftlich Kämpfe werden zwar in deren nächsten Periode weitergehen, es ist aber wahrscheinlich, dass sich die Massen jetzt in diese Richtung wenden werden mit den für Anfang 2012 versprochenen Wahlen. Dies wird von unseren griechischen GenossInnen erfordern, dass sie die Alternative einer Arbeiterregierung zu den rechten Alternativen von Pasok und Neuer Demokratie aufstellen. Der genaue Ausdruck davon bezüglich der zu unterstützenden Parteien muss in der Diskussion ausgearbeitet werden.
Die Revolutionen im Nahen Osten und Nordafrika
18. Die Revolutionen im Nahen Osten und Nordafrika sind zusammen mit den Ereignissen in Griechenland die wichtigsten Entwicklungen für die Arbeiterbewegung im vergangenen Jahr. Tunesien und besonders Ägypten, der älteste Nationalstaat der Welt, haben eine magnetische Wirkung auf die Massen in der ganzen Region ausgeübt. Sie haben auch einen mächtigen Widerhall in der neokolonialen Welt und in den fortgeschrittenen Industrieländern. Zum Beispiel halfen sie in den USA die Proteste in Wisconsin anzuregen und die ägyptische Fahne wehte über der ‚Occupy’-Bewegung in Oakland und anderswo. Aber, wie bei allen Revolutionen, besonders in der Periode nach dem Sturz einer Diktatur, werden in den Massen Illusionen erzeugt, dass die Hauptaufgabe vollendet sei. In Wirklichkeit haben von Anfang an, weil die Revolution nicht vollendet war, die Kräfte von Revolution und Konterrevolution um die Vorherrschaft gewetteifert. Die liberale Bourgeoisie und die Islamisten haben zusammen mit den Überbleibseln des alten Regimes versucht, die Revolution einzudämmen. Sie versuchen, eine Stimmung der Klassenversöhnung, der ‚nationalen Einheit’ zu erzeugen. Sie lehnen instinktiv alle Versuche ab, unabhängige Aktionen oder Organisationen der Arbeiterklasse zu organisieren. Darüber hinaus kann es unter den Massen, die zunächst den Weg des geringsten Widerstands suchen, diese Stimmung auch geben. Selbst wo es eine starke revolutionäre Partei gibt, die von Anfang an versucht, die Arbeiterklasse zu warnen und dem entgegen zu wirken, wie die Bolschewiki 1917, kann es diese Stimmung für eine Periode geben, was die Schaffung von Koalitionsregierungen der Klassenkollaboration schafft. Es braucht Zeit und Ereignisse zusammen mit dem Eingreifen der revolutionären Kräfte, um das zu ändern. Im Fall von Ägypten gab es keine Massenkraft im Untergrund, die diese Arbeit ausführen konnte.
19. In dem Vakuum, das bestand, können, wie in anderen Fällen in der Geschichte – Polen unter dem Stalinismus, der Iran unter dem Schah – religiöse Kräfte mit Wurzeln in den Massen anfänglich eine Kraft, einen Anziehungspol bieten, um den herum die Opposition gegen ein diktatorisches Regime mobilisieren kann. Diese Rolle wurde in Ägypten von der islamistischen Muslimbruderschaft und den Moscheen gespielt. Sie wurden verfolgt, was ihre Anziehungskraft auf die ausgebeuteten ArbeiterInnen und BäuerInnen erhöhte, ebenso die Netzwerke von Wohltätigkeitseinrichtungen, Unternehmen etc., die sie unter Mubarak und, vor ihm, Sadat aufbauten. Folglich waren sie gut platziert, um die gegenwärtigen Wahlen auszunutzen, wo sie schätzungsweise 36,6% der bisher ausgezählten Stimmen erhielten. Zusätzlich dazu scheint der fundamentalistischere Ausdruck des rechten politischen Islam, die Salafisten um al-Nour, die mit der fundamentalistischeren wahhabitischen Spielart des Islams verbunden sind, die von Saudi-Arabien und der Lehre von Al-Kaida ausgeht, mit fast einen Viertel der Stimmen in den Städten, die am 5. Dezember abstimmten gut abgeschnitten zu haben und könnten auf dem Lande ein besseres Ergebnis haben.
20. Wenn man die Bruderschaft eine Regierung bilden lässt, wird sie einem ernsthaften Test ausgesetzt werden. Sie ist ohnehin eine konservativere Kraft als in der Vergangenheit. Sie gab den Kampf für den Sturz der Diktatur auf und konzentrierte sich darauf, eine Organisation zur Ernährung der von Armut geplagten Massen zu liefern. Anfänglich standen sie bei der Revolution abseits, was zu Spaltungen in ihren Reihen führte, besonders unter der Jugend. Anders als in der Iranischen Revolution, wo sich anfänglich radikalislamische Kräfte entwickelten, ist die Bruderschaft politisch konservativ, akzeptiert den freien Markt, ist nicht für unabhängige Gewerkschaften und lehnt ‚extremistische’ Spielarten des Islams zugunsten des türkischen Modells von Erdoğan ab und übernahm selbst den Namen der in der Türkei regierenden ‚Freiheits- und Gerechtigkeits’-Partei. Diese Partei wurde von der ‚New York Times’ beschrieben als eine „religiöse Bewegung rechts der Mitte, aber keine fanatische Gruppe”. Dies ist auch das bevorzugte Modell für die ‚gemäßigt’ islamistischen Kräfte in der ganzen Region, einschließlich Ennahda, der Partei in Tunesien die siegreich aus den jüngsten Wahlen dort hervorging. Aber der Militärrat SCAF hat keine Absicht, die ganze Macht an die ‚zivilen’ Kräfte abzugeben. Ein anderes ‚Modell’ ist Pakistan, wo die Armee und die Generäle die wirkliche ‚Macht hinter dem Thron’ – der Regierung und dem Parlament – sind und das seit der Gründung des pakistanischen Staats gewesen sind und bleiben.
21. Es gab große Illusionen in das Militär zur Zeit des Sturzes von Mubarak – ‚die Armee ist mit uns’. Und an ihrer Basis und selbst unter beträchtlichen Teilen der mittleren Offiziersschichten war das der Fall. Aber wir warnten damals, dass die führenden Generäle ein fester Bestandteil des alten Regimes waren und blieben. Wir kommentierten damals, dass das Militär praktisch einen ‚sanften Putsch’ durchführte, indem es Mubarak in Zusammenarbeit mit dem CIA und dem amerikanischen Imperialismus stürzte. Sie waren erschreckt, dass sich eine Revolution entwickelte – und es war und bleibt eine Revolution –, sich vertiefte und nicht bei der Entfernung von Mubarak halt machen würde, sondern hin zu einer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Revolution weiter gehen würde. Die ägyptische Revolution – in dem Land leben ein Drittel aller AraberInnen – war zuallererst ein Massenereignis, in dem die Arbeiterklasse, besonders in Suez, Port Said und anderswo eine entscheidende Rolle spielte.
22. Sobald die Massen die Ketten einer Diktatur abgeworfen haben, treten sie unausweichlich mit drängenden sozialen und wirtschaftlichen Forderungen hervor. Es gab eine Welle von Arbeiteraktionen – Versuche, unabhängige Gewerkschaften zu schaffen – die vom Militär faktisch verboten wurden, Forderungen, dass die Verantwortlichen für das Töten von Protestierenden zur Zeit des Sturzes von Mubarak und auch die, die die Massaker im November verübten, vor Gericht gestellt werden. So groß war die Desillusionierung seit den Ereignissen vom Februar, dass in Frage gestellt wurde, ob es ursprünglich eine wirkliche Revolution war. Tatsächlich traten sowohl in Tunesien als auch in Ägypten die Massen unabhängig oder halb-unabhängig gegen die Diktaturen von Ben Ali und Mubarak in Aktion. Sie machte die Revolution, aber weil das Bewusstsein ihrer eigenen Macht und ein Programm, das zu erreichen, unzureichend waren, vollendeten sie die Revolution nicht im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Sinn.
23. Revolutionen sind, worauf Karl Marx hinwies, die Lokomotiven der Geschichte, während Konterrevolutionen – Diktaturen – enorme Bremsen sind, die das Bewusstsein enorm zurückwerfen. Sowohl in Tunesien als auch Ägypten war das, was wir sahen, praktisch eine politische Revolution, die die Hauptdarsteller auf der Bühne änderte, aber nicht die gesellschaftlichen Grundlagen des ägyptischen Großgrundbesitzes und Kapitalismus berührte. Die Generäle haben einen geschätzten Anteil von 40% an entscheidenden Aspekten der Wirtschaft. Obendrein hat der US-Imperialismus geschätzte 150 Millionen Dollar gespendet, um den ‚Übergang zur Demokratie’ zu fördern. Und die Armee bekommt immer noch 1,3 Milliarden im Jahr von den USA. Die Armee ist in allen kapitalistischen Staaten der Hauptwächter des Privateigentums. Manche der TeilnehmerInnen des Februaraufstandes, die sich zunehmend der wirklichen Lage bewusst werden, sagen jetzt, dass alles, was erreicht worden sei, ‚eine Änderung der Gardinen’ sei. Das stimmt für den Staat, aber nicht für das Bewusstsein der Masse des Volkes, besonders der Jugend und der ArbeiterInnen, die an der Revolution teilnahmen. Und die Massen haben begonnen, auf die betrieblichen, gesellschaftlichen und politischen Bühnen zu strömen. Es wird jetzt zu Recht von der Notwendigkeit einer zweiten und dritten Revolution geredet. Damit das geschieht, ist der Aufbau von mächtigen und unabhängigen Arbeiterorganisationen erforderlich, sowohl auf der betrieblichen als auch der politischen Ebene.
24. Der Imperialismus und seine Klientenstaaten in der Region wurden durch den Ausbruch der Revolution völlig verblüfft. Obama und die Vertreter der stärksten Macht auf dem Planeten waren ohnmächtig zu intervenieren, beschränkt auf völlig fromme Phrasen des Bedauerns über die Rolle des US-Imperialismus bei der Stützung von Mubarak. Sarkozy und Cameron waren gleichermaßen ohnmächtig. In Ägypten und Tunesien, wo die städtischen Massen die Schlüsselrolle spielten, war militärische Intervention ausgeschlossen. Der US-Imperialismus, der die Region immer noch als von strategischer Schlüsselbedeutung und wirtschaftlicher Bedeutung ansieht, war auf alle Fälle völlig in Irak und Afghanistan gebunden und konnte daher nicht militärisch intervenieren, besonders durch den Einsatz von Bodentruppen, selbst wenn das möglich gewesen wäre. Dasselbe galt für seine NATO-Verbündeten.
25. Erst mit den Ereignissen in Libyen und in gewissem Ausmaß in Bahrain, wurde dem Imperialismus der Vorwand gegeben, gegen die Revolutionen Fuß zu fassen. Unsere Analyse des Aufstands in Libyen, der NATO-Intervention und des folgenden Ergebnis der 9 oder 10 Monate Kampf hat den Test der Ereignisse bestanden. Wir unterstützten die Aufstände gegen Gaddafi in Bengasi und anderen Städten in Libyen. Zu Beginn stellten sie eine echte Bewegung der Massen in Opposition zur Diktatur dar. Die zur Verwaltung von Bengasi nach der Vertreibung von Gaddafi und seiner Schergen einschließlich dem jetzt eingesperrten Sohn von Gaddafi, Saif, gebildeten Komitees schienen in den Händen wirklicher VertreterInnen der Massen zu sein und eine populäre Massenbasis zu haben. In dieser Phase waren die Massen von Bengasi gegen eine Intervention von außen durch den Imperialismus. Aber die Mobilisierung von Gaddafis Truppen am Stadtrand von Bengasi und folgende Furcht vor einem Massaker gab dem Imperialismus den Vorwand für eine militärische Intervention durch die NATO. Der folgende Verlauf des Krieges – inszeniert und kontrolliert sowohl in der Luft als auch am Boden durch die NATO – veränderte völlig den Charakter der ‚Revolution’. Das CWI hat das Gaddafi-Regime immer abgelehnt und hat zur Unterstützung für echte Massenbewegungen zur Errichtung einer wirklichen sozialistischen, demokratischen Gesellschaft in Libyen aufgerufen.
26. Aber der gegen Gaddafi geführte Krieg hatte alle Merkmale einer faktischen imperialistischen Militärintervention. Es ist unmöglich für MarxistInnen, so eine Aktion zu unterstützen. Und doch machten das manche angebliche MarxistInnen zu ihrer ewigen Schande! Die Propagandakampagne gegen Gaddafi schloss erzeugte Hysterie und krasse Übertreibungen ein, was passieren würde, wenn Gaddafis Truppen die von den ‚Rebellen’ gehaltenen libyschen Städte erobern würde. Es wurde behauptet, dass Massaker automatisch folgen würden. Nichts derartiges passierte, als Gaddafis Truppen gegen die Rebellen um Misrata und andere Städte auf dem Weg nach Bengasi kämpften. Aber dies wurde genutzt, um wirkliche Massaker zu begehen, auf der Seite der ‚Rebellen’, wenn sie in Städte vorrückten, die angeblich Gaddafi unterstützten, und durch den Luftkrieg der NATO. Es ist unmöglich, die genaue Zahl von Opfern zu berechnen, die es dadurch gab, aber wahrscheinlich wurden zwischen 30.000 und 50.000 Menschen getötet. Es ist nicht möglich, das Ergebnis als einen Sieg für ‚Revolution’ zu beschreiben.
27. Was sich in Libyen zu Beginn ereignete, war eine echte Revolution von beginnendem Charakter, die durch eine Konterrevolution in einer ‚demokratischen’ Form zum Entgleisen gebracht wurde. Aber, nachdem das Ausmaß an Blutvergießens und Vergeltungsmaßnahmen – manchmal gegen völlig unschuldige Menschen einschließlich dunkelhäutiger Libyer und ausländischer ArbeiterInnen, von denen manche für viele Jahre in Libyen gelebt hatten – enthüllt wurde, stellt sich die tiefgreifende Frage, ob gerade ‚Demokratie’ oder Konterrevolution vorherrscht. Tatsächlich ist das Nach-Gaddafi-Libyen klar ein neues Lehen für den Imperialismus, um seine reichen Ressourcen, besonders seine Ölreserven auszubeuten. Der Nationale Übergangsrat verbindet völlig gegensätzliche Kräfte von den Islamisten zu Abtrünnigen von Gaddafis Regime, und allerlei ‚demokratische’ Wendehälse. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass er zusammenhalten wird. Libyen droht auseinander zu fallen, wie wir vor dem Krieg warnten, und ähnelt in der Zukunft nicht so sehr einem demokratischen Arkadien, das versprochen wurde, sondern dem Albtraum ethnischer und Stammesspaltungen nach dem Vorbild von Somalia. Wir befürworteten eine unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse für Bengasi und einen Klassenappell von ihnen an die libyschen Massen insgesamt. Eine ähnliche Klassenherangehensweise ist in allen Staaten der Region notwendig – die Perspektiven für sie lassen sich unmöglich in dieses Dokument zusammendrängen.
28. Die Bewegung in Syrien ist klar an einer Weggabelung. Die Zahl der Opfer, zu denen es durch die Unterdrückung durch das Regime kam, ist jetzt über 4000. Tägliche Massendemonstrationen finden statt und Sanktionen wurden sowohl durch die UNO als auch jetzt die arabische Liga verhängt. Das letztere ist ein schwerer Schlag für die um das Assad-Regime versammelte Elite wegen seiner geschichtlichen Verbindung mit dem arabischen Kampf. Nur der Iran – wo die SchiitInnen anders als in Syrien in der Mehrheit sind – unterstützt das Assad-Regime. Aber der Iran ist jetzt auch mit Sanktionen konfrontiert wegen seines Atomprogramms. Wir haben in der Vergangenheit darauf hingewiesen, dass es möglich ist, dass eine Militäraktion darauf folgen könnte, die einen regionalen Konflikt einschließlich eines Krieges auslösen könnte. In der Tat könnten mit dem Beinahe-Bürgerkrieg in Syrien alle Arten von Möglichkeiten ausbrechen, die Konflikt mit sich bringen. Die Türkei, die schon an ihrer Grenze mit der Flucht von Flüchtlingen in ihr Territorium beteiligt ist, hat schon das syrische Regime gewarnt, dass es gezwungen sein könnte, einzugreifen. Auf der anderen Seite könnte Israel – das gegenwärtig vorzieht, dass das Assad-Regime an der Macht bleibt, weil es fürchtet, was passieren könnte, wenn es gestürzt würde – hineingezogen werden. Dies könnte die Form von Militäraktion gegen den Iran oder Syrien oder beide annehmen. Die Region ist wie ein Zünderfass, wo alles passieren könnte. Dann ist da die Palästinenserfrage, die jederzeit explodieren könnte. Obendrein findet alles das vor dem Hintergrund der Radikalisierung in Israel statt – die sich in Streiks und Besetzungen widerspiegelt. Eine neue Periode von verallgemeinertem Kampf ist wahrscheinlich, die aus der Vertiefung der Weltwirtschaftskrise und ihrer schweren Auswirkungen auf den Nahen Osten und Nordafrika entsteht. Wir müssen energisch die besten Teile der ArbeiterInnen und Jugend suchen und sie von unseren Ideen und Perspektiven überzeugen.
29. Die Opposition in Syrien scheint in der vergangenen Periode Boden gutgemacht zu haben. Aber es ist nicht klar, dass es die ‚kritische Masse’ erreicht hat, die zu einem schnellen Sturz des Assad-Regimes führen könnte. Syrien ist sehr gespalten entlang von ethnischen und religiösen Linien. Deshalb fürchten der Imperialismus und die benachbarte Türkei das Auseinanderbrechen des Landes. Die bitteren sektiererischen ethnischen und religiösen Konflikte, die daraus resultieren würden, hätten unkalkulierbare Folgen für die Nachbarstaaten. Die Opposition ist gespalten, wobei der Großteil der Opposition aus der sunnitischen Mehrheitsbevölkerung kommt. Zugleich ist die Armee – immer entscheidend, um die alewitische Elite rund um Assad an der Macht zu halten – noch nicht zerfallen, obwohl Teile von ihr zu den Rebellen übergelaufen sind. Daher ist es höchstwahrscheinlich, dass der Kampf in Syrien sich länger hinziehen wird. Das Regime scheint noch nicht an seinem Umkehrpunkt zu sein, aber in dieser sehr instabilen Lage könnte es sehr schnell an diesem Punkt ankommen.
Schwere Wirtschaftskrise für den Kapitalismus
30. Die ‚Occupy’-Bewegung ist äußerst symptomatisch für die allgemeine Stimmung, die sich unter der Peitsche dieser Krise entwickelt. Sie ist auch ein Vorbote kommender Massenbewegungen in vielen Ländern, die noch nicht ernsthaft politisch betroffen sind, und nicht nur in Europa, sondern überall in der Welt. Diese Ableitung ergibt sich aus der Perspektive einer dauerhaften langfristigen Krise des Kapitalismus, die die Grundlage der Herangehensweise des CWI’ seit ihrem Beginn 2007-08 bildete. Unsere Schlussfolgerung war, dass wir in eine Periode von Revolution und Konterrevolution eingetreten seien, wegen der Unfähigkeit der Bourgeoisie, die zugrunde liegende Krise zu lösen.
31. Dies wurde in jedem Stadium verstärkt. Aber unter den Massen gab es Illusionen, dass der Kapitalismus in der Lage sein würde, sich herauszuretten: durch Staatsintervention, Konjunkturpakete etc. Und diese Maßnahmen hatten eine gewisse Wirkung bei der Verhinderung einer vollständigen Depression mit Massenarbeitslosigkeit nach dem Vorbild der 1930er; aber sie lösten nicht die zugrunde liegende Krise. Obendrein verstärkte das Umschwenken von halb-keynesianischer Politik in den USA, Britannien und in gewissem Ausmaß anderswo zu Kürzungsprogrammen die Rezession, mit Depressionsmerkmalen in ihrem Gefolge; der Kapitalismus befindet sich in einer Sackgasse.
32. Die europäische ‚Staatsschulden’-Krise veranschaulicht die katastrophalen Folgen der Finanzkreditblasen für den Kapitalismus, nicht nur in Europa, sondern überall auf der Welt, die exponentiell anwuchsen und massive Injektionen von fiktivem Kapital während dem Boom in den ‚Nullerjahren’ beinhaltete. Dieser Prozess, der zurück in die 1970er geht, war wiederum die Folge des Mangels profitabler Absatzmöglichkeiten in Europa, den USA und Japan. Es gab manche Diskussion und Kontroverse in marxistischen Wirtschaftskreisen bezüglich der unmittelbaren Faktoren, die zu einer Krise führen. Aber Marx war vorsichtig, nicht nur einen Auslöser für den Beginn von Krisen herauszugreifen. Zweifellos sind die von Marx untersuchte begrenzte Kaufkraft der Massen, die der Ausbeutung der Arbeitskraft innewohnt, die durch die kolossale Ungleichheit verstärkt wird, die ein Merkmal der letzten 20 bis 30 Jahre ist, große Faktoren in der gegenwärtigen Krise, ebenso wie die gegenwärtigen Angriffe auf den Lebensstandard.
33. Auf der anderen Seite kann der langfristige tendenzielle Fall der Profitrate ein Faktor sein, der zur Krise führt, besonders wenn es einen Fall der Bruttoprofite gibt – die die Kapitalisten am meisten kümmern. Wir wiesen darauf hin, dass das in der gegenwärtigen Lage sicher nicht der Fall ist, wo es eine kolossale Aufhäufung von Bargeldreserven gibt (was die Kapitalisten Liquidität nennen). Samuel Brittan, ein britischer Ökonom, der in der Vergangenheit fest im Thatcherlager war, aber jetzt inbrünstig in seiner Befürwortung halb-keynesianischer Maßnahmen, hat auf die gesunden Profite hingewiesen, die gegenwärtig in den Koffern des Großkapitals sind, die die Quelle für neue Investitionen bilden könnten und wiederum den Funken für den Beginn des Wachstumsprozesses bilden könnten, wie er behauptet. Aber, da der Kapitalismus mit einem großen Element der keynesschen ‚Liquiditätsfalle’ – einem Horten von Vermögenswerten und Geld, niedrigen Zinsen Furcht, dass Deflation andauern wird etc. – konfrontiert ist, weigern sich die Kapitalisten zu investieren, sind praktisch in einem ‚Streik des Kapitals’. Gläubiger weigern sich zu verleihen und Schuldner – niedergedrückt durch bleierne Stiefel aus Schulden – weigern sich, mehr zu leihen. Gegenwärtig ist das System eingeklemmt und angesichts von Staats- und privater Verschuldung wird sich das wahrscheinlich in absehbarer Zukunft nicht ändern. Alle Wirtschaftsinstitutionen des Weltkapitalismus weisen günstigstenfalls auf Stagnation in der gegenwärtigen Wirtschaftslage – einer ‚L-förmigen Erholung’ – mit blutarmen Wachstumsraten und, nach manchen Schätzungen, Nullwachstum für die Eurozone. Gleichzeitig kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Lähmung der Bürgerlichen angesichts dieser Krise zu einer vollständigen Depression oder, zum allermindesten, zu depressiven Merkmalen – die es in manchen Fällen schon gibt – in Ländern in Europa und selbst auf ganzen Kontinenten führen kann.
China steht vor einer Krise
34. China kann auch keine Rettungsleine bieten, um den maroden Weltkapitalismus zu retten. 2008, als China einer ernsthaften Krise gegenüber stand, wurden Fabriken geschlossen und die Arbeitslosigkeit stieg exponentiell. Folglich fürchtete die chinesische Elite massive ‚gesellschaftliche Unruhe’, der Deckname für Revolution. Also ‚warfen sie die Notenpresse an’, indem sie massiv Kredite in die Wirtschaft pumpten mit Hilfe der Staatsbanken, die die Wirtschaft beherrschen. Dies führte zu einer Kreditzunahme mit einer Jahresrate von 170%, wahrscheinlich der größte ‚Wirtschaftsstimulus’ in der Weltgeschichte. China konnte das wegen seines einzigartigen Charakters machen. Auf diese Weise schaffte es die chinesische Elite, die Wachstumsraten auf zweistellige Werte hochzukurbeln. Aber die andere Seite davon war, dass Fabriken und Einkaufszentren in massivem Umfang gebaut wurden, die nie einen Profit machen werden, von denen viele stillstehen. Diese Überkapazität ist der Preis, den China, besonders die herrschende Elite, zu zahlen bereit war, um einen Aufstand der chinesischen Massen zu verhindern. Sie waren dazu wegen dem einzigartigen Charakter Chinas in der Lage. Es besitzt einen beträchtlichen rein kapitalistischen Sektor, besonders in den Küstenprovinzen. Aber die Überbleibsel der jetzt zerfallenen ‚Planwirtschaft’ üben immer noch eine entscheidende Wirkung auf die Richtung der Wirtschaft aus. Wir haben es als ein ‚einzigartiges’ ‚staatskapitalistisches’ Regime gekennzeichnet. Seine ‚Einzigartigkeit’ zeigt sich an der beträchtlichen Konzentration von Banken und Industrie – manche schätzen: eine Mehrheit – in den Händen des Staats, wobei es aber einen beträchtlichen ‚rein’ kapitalistischen Sektor gibt. Es gibt keinen Vergleich zu dieser Art von Staat, den es in China gegenwärtig gibt. Er erlaubt diesem Regime, mitten in einer Krise etwas zu machen, zu dem niemand anders in der Lage ist; ein massives Konjunkturpaket, das nicht nur in China Arbeitsplätze geschaffen hat, sondern indirekt auch bei denen, die mit China Handel treiben, wie Deutschland.
35. Aber die andere sichtbare Seite dieses Prozesses ist die riesige Überkapazität – die durch den Bankkredit angeheizt wird – und ein Inflationsschub, den das chinesische Regime jetzt unter Kontrolle zu haben scheint. Offiziell bleibt die Verschuldung der Regierung unter 20% des BIP. Aber wenn man die Infrastrukturkredite der lokalen Regierungen und diverse andere Verpflichtungen einberechnet, sind die chinesischen Staatsschulden näher an 70% des BIP. Edward Chancellor kommentierte in der ‚Financial Times’ [5. Dezember]: „Peking kann das massive Konjunkturpaket von 2008-09 nicht wiederholen. Das war ein einmaliger Trick, für den die Zeche noch gezahlt werden muss.” Aber ein mehr oder weniger großes zweites Konjunkturpaket kann nicht ausgeschlossen werden. Dieser Prozess spiegelte sich auch in dem chronischen Wohnungsproblem wider. Dies geht zusammen mit der massiven Korruption und dem Wachstum der Ungleichheit, das anerkanntermaßen die Empörung der Massen hervorgerufen hat. Es wird geschätzt, dass die Wachstumsrate wahrscheinlich auf etwa 8% fallen wird, was sich unmittelbar auf die Länder auswirken wird, deren produzierende Industrie aus der chinesischen Wirtschaft großen Nutzen gezogen haben, wie Deutschland, und manche Rohstoffproduzenten wie Brasilien, die ihren Handel mit China gesteigert haben, aber denen jetzt wahrscheinlich ein Schrumpfen droht. Nicht die geringste der Wirkungen wird das Anheizen von Unzufriedenheit über die inakzeptablen gesellschaftlichen Bedingungen sein, die es jetzt in China gibt, die unter der Jugend und der Arbeiterklasse ansteigen. Seit 2008 ist Chinas Bestand an privatem Kredit (oder ‚gesellschaftlichen Finanzen’) in einem Ausmaß angewachsen, das das Kreditwachstum der USA in den Jahren vor dem Zusammenbruch von Lehman Brothers übertroffen hat. Der Abschwung in der Weltwirtschaft könnte eine ernsthafte Auswirkung auf Chinas Wirtschaft haben.”
36. Die kapitalistische Krise ist nicht nur wirtschaftlich, sondern tief politisch, besonders an den Spitzen der Gesellschaft, mit den größten und offensten Zusammenstößen innerhalb der Reihen der Bourgeoisie seit Jahrzehnten. Ihre politischen Führer werden fast mit Verachtung behandelt wegen ihrer Unfähigkeit, einen Weg vorwärts zu zeigen. Sie sind wie eine Fußball-Menge, die unzufrieden mit ihrem Manager ist und schreit: ‚Du weißt nicht, was du tust!’ Ihre Unwirksamkeit zeigt sich ziemlich klar auf dem G20-Gipfel von Cannes im November. Im Vorfeld des Treffens war die Presse voller Optimismus und gab Obamas Parole mit französischer Aussprache wieder: „We Cannes do“. Danach war die Schlussfolgerung: „We Cannes not do“!
37. Das Treffen veranschaulichte auch den Niedergang der wirtschaftlichen Macht des US-Imperialismus. In der unmittelbaren Periode nach dem Zweiten Weltkrieg konnte der US-Imperialismus durch den Marshall-Plan seinen wirtschaftlichen Willen der kapitalistischen Welt aufzwingen. Selbst auf den Gipfeln der vergangenen 10-20 Jahre konnten die USA ihren Einfluss auf die Wirtschaftspolitik ausüben. Bei dieser Versammlung war Obama völlig unfähig, ‚Europa’ wirtschaftliche Lösungen zum Wohle des Kontinents und – natürlich – der Welt insgesamt aufzuzwingen. Sarkozy wurde auch verächtlich behandelt – er war gezwungen, öffentlich Däumchen zu drehen – bis der chinesische Präsident, Hu Jintao, schließlich geruhte, sich mit ihm zu treffen. Dies sollte die Plattform sein, auf der Sarkozy seine Kandidatur für eine zweite Amtszeit als Präsident starten wollte, indem er sich dem vor dem französischen Volk als ‚Retter’ des europäischen und Weltkapitalismus darstellen wollte. Sein Vorschlag, dass China seine kolossalen Reserven nutzt, um den Euro in Form von Krediten und Garantien für die Europäische Zentralbank (EZB) zu garantieren, wurde binnen Tagen nach seiner Ankündigung in Stücke geschlagen. Selbst wenn es wollte, könnte das chinesische Regime nicht seiner eigenen Bevölkerung – mit einem durchschnittlichen BIP pro Kopf auf dem Niveau von El Salvador – den massiven Transfer von Mitteln zur Stützung der Pensionen der ‚reichen Europäer’ erklären.
38. Das Scheitern der kapitalistischen Gipfel, einen Weg aus der Wirtschaftskrise zu bieten, wird begleitet von der offenen Unfähigkeit, irgendwelche ernsthaften Maßnahmen zu Umweltfragen – besonders zum Klimawandel – zu ergreifen oder zu koordinieren. Tatsächlich passiert der entgegengesetzte Prozess; selbst so begrenzte und unwirksame Maßnahmen wie das Kyoto-Protokoll sind Geschichte und mehrere Staaten steigen aus. Die Durban-Klimakonferenz (COP 17) ist eine Kundgebung dieses Versagens. Nach einem unbedeutenden Rückgang der CO2-Emissionen 2008 und 2009, zeigen selbst die neuesten Weltdaten des US-Energieministeriums einen beispiellosen Anstieg 2010. Er ist schlimmer als alle Katastrophenszenarien, die von den Experten des IPCC (des UN-Weltklimarats) vor vier Jahren vorgelegt wurden. Mit einem zusätzlichen Anstieg der Emissionen um 5,9% 2010 erreichte das Tempo des Anstieg ein neues Allzeithoch. Manche der Demonstrationen in Verbindung mit dem COP-17-Gipfel waren zwar kleiner als in der Vergangenheit, aber diese Unfähigkeit, eine Lösung zu finden, hat eine große Auswirkung auf das Bewusstsein von ArbeiterInnen und besonders jungen Menschen. Umweltfragen werden in der Zukunft wieder ein Auslöser für Proteste und Rebellion sein.
Europa in Gärung – Frankreich
39. Sarkozy selbst wird – wie alle Regierungen von Europa – wegen der Auswirkungen der sich verschlechternden wirtschaftlichen Lage in Frankreich mit ansteigender Arbeitslosigkeit belagert. Es wird ein schwerer Kampf für ihn werden, sich eine zweite Amtszeit bei den Präsidentschaftswahlen im April und Mai zu sichern. Es gibt das ‚ständige Tröpfeln’ des Stellenabbau; der Autogigant Peugeot hat die Gewerkschaften mit seinem Vorschlag geärgert, 5.000 Stellen von einer weltweiten Gesamtbelegschaft von 200.000 zu streichen. Die Drohung an Frankreich, sein Kreditrating herabzustufen, wird von Sarkozy genutzt, um den Boden für brutale Kürzungen zu bereiten: ‚weniger ausgeben und mehr arbeiten’. Es gibt eine lautstarke Kampagne von Regierung und Arbeitgebern, ‚Arbeitskosten’ zu verringern. Es wird behauptet, dass die stündlichen Arbeitskosten in Frankreich um 9 € zwischen 2000 und 2010 gestiegen seien und in der gleichen Periode in Deutschland nur um 4 € stiegen. Dies ist nur ein Beispiel für die Art und Weise, wie die Bürgerlichen in jedem Land ihre Arbeiterklassen gegen einander ausspielen – und gleichzeitig den Schrecken der ‚Herabstufung’ ihrer Staatsschulden hineinziehen – um eine riesige Steigerung der neoliberalen Politik zu rechtfertigen.
40. Die Arbeitgeber fordern auch das völlige Streichen der Überbleibsel der 35-Stunden-Woche, die nach ihrer Behauptung ein ‚Handicap für die Arbeitskosten’ sind. Da Frankreich Frankreich ist, ist die Arbeiterklasse trotz der Wahlen am Horizont gezwungen, in der nächsten Periode die betriebliche Ebene zu betreten, um diese Angriffe zu beantworten. Aber sie werden auch auf die Wahlebene schauen. Die fortgeschritteneren Abteilungen der französischen ArbeiterInnen werden nach einer klaren kämpfenden Alternative suchen. Sie wird nicht vom Haupt-Herausforder von Sarkozy kommen, dem Kandidaten der Sozialistischen Partei, Hollande, der sich schon verpflichtet hat – wie seine ‚sozialdemokratischen’ Vettern überall in Europa – die Schulden zu senken, was weitere Angriffe auf die Arbeiterklasse bedeutet. Aber wenn er es schafft, Sarkozy zu schlagen, und dann eine ähnliche Politik durchführt, was er tun wird, dann wird er auf heftigen Widerstand stoßen. In den ‚Vorwahlen’ zur Auswahl des Kandidaten der Sozialistischen Partei, gab es eine massive Beteiligung, nach Berichten etwa zwei Millionen. Das ist überhaupt keine Bestätigung der Methode der ‚Vorwahlen’, die aus dem kaputten politischen System in den USA ausgeliehen sind. Diese sollen die organisierte Stärke und politisch bewusste Mitgliedschaft der Partei in eine rohe Masse auflösen, die von Presse etc. beeinflusst wird. Aber es war ein mächtiger Ausdruck des Sehnens von großen Teilen der Bevölkerung, besonders der ArbeiterInnen, die sich politisch ausgeschlossen fühlen, wenn kein Kandidat oder Partei wirklich ihre Ansichten ausdrückt. Deshalb nahmen sie in riesigen Zahlen teil und in der ersten Runde stimmten 17% für den ‚linken’ Kandidaten Arnaud Montebourg. Sein Programm war nur unbestimmt links, aber es fand Anklang wegen seiner angedeuteten Kritik am Kapital und dem Vorschlag einer radikalen Alternative.
41. Man stelle sich die Reaktion vor, wenn die NPA sich in der vergangenen Periode angemessen organisiert und eine klare Klassenkampfperspektive formuliert, energisch in all den unzähligen betrieblichen und gesellschaftlichen Konflikten der vergangenen paar Jahre interveniert hätte. Unsere französischen GenossInnen berichteten, dass es allein zwischen Februar und Anfang Juni 77 Streiks in Frankreich gab. Die NPA wäre jetzt eine ernsthafte Bewerberin, um zumindest einen Teil der Unterstützung einzusammeln, die gegenwärtig an andere linke Kräfte und KandidatInnen geht. Leider scheint es, als wäre die NPA keine ernsthafte Bewerberin für die Wahlen. Dies ist schon eine Kritik an der immer noch führenden Kraft innerhalb der NPA, der früheren LCR, der französischen Sektion des Vereinigten Sekretariats, die unfähig war, auf dem Erfolg der Wahlen 2002 aufzubauen. Es ist immer noch notwendig für uns, den besten ArbeiterInnen und Jugendlichen zu helfen, die diese Partei zu einem wirklichen kämpferischen sozialistischen Anziehungspol aufbauen wollen. Gleichzeitig ist es dringend notwendig, sowohl diejenigen in der NPA als auch die beträchtlichen Teile von ArbeiterInnen und Jugendlichen, die außerhalb ihrer Reihen bleiben, für unser eigenes Banner zu gewinnen. In den erschütternden Ereignissen, die sich in dem Land eröffnen, werden Frankreich und die französische Arbeiterklasse ihren Platz in den ersten Reihen der radikalen und revolutionären Kräfte in Europa wiedergewinnen.