Kommentar zu den wichtigsten Inhalten des Koalitionsvertrages
Am ersten Dezember wurde mit der Vereidigung der acht neuen SenatorInnen die Bildung der Regierung von SPD und CDU in Berlin abgeschlossen. Der Koalitionsvertrag und die ersten Äußerungen der Koalitionäre zeigen, dass weiterhin Politik für die Reichen und Besitzenden gemacht werden wird. Um die Schuldenbremse einzuhalten, wird massiv auf Kosten der Berlinerinnen und Berliner „eingespart“ werden. Wenn die Staatsschuldenkrise sich stärker auch in Deutschland bemerkbar macht, wird die neue Koalition auch in Berlin mit Sozialkürzungen und Privatisierungen die Armen zur Kasse bitten.
von Steffen Strandt, Berlin
Die in der Verfassung verankerte „Schuldenbremse“ des Bundes schreibt vor, dass die Bundesländer ab 2019 keine Schulden mehr zu machen haben. Im Koalitionsvertrag wurde beschlossen, in Berlin die Schuldenbremse schon 2016 zu erfüllen. Um diese Ziel zu erreichen, wurden Kürzungen und Privatisierungen festgeschrieben.
Mieten
Die immer schneller steigenden Mieten und die damit einhergehende Verdrängung von Geringverdienern aus dem Innenstadtbereich waren eines der wichtigsten Themen im Wahlkampf, was im September 6.000 Menschen gegen steigende Mieten auf die Straße brachte, denn schon unter Rot-Rot wurden landeseigene Wohnungen privatisiert. Ein Aufhalten der Mietpreiserhöhungen wurde bei weitem nicht erreicht. Diese Politik der Berliner Linkspartei in krassem Gegensatz zu den vollmundigen Versprechen aus dem Wahlkampf, die „Mieter vor Wild-West [zu] schützen“, war mit ein Grund, warum die LINKE eine herbe Wahlniederlage einstecken musste.
Der Koalitionsvertrag ist voll mit Absichtserklärungen zu einer „sozialen Stadt“ und zu mehr Gerechtigkeit bei den Mieten. Der Hauptpunkt ist hier die Schaffung von 30.000 öffentlich geförderten Wohnungen. Die Finanzierung vom Land soll hauptsächlich aus Krediten der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) an private Immobilienkonzerne bestehen. Die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften sollen erhalten bleiben und ihren Wohnungsbestand erhöhen. Dabei sollen Mietsteigerungen höchstens 15% in vier Jahren betragen dürfen (bisher waren 20% in drei Jahren möglich). Diese angekündigten Schritte können aber keineswegs die Probleme lösen, denn weiterhin sollen hauptsächlich private Unternehmen für die Bereitstellung von Mietwohnungen verantwortlich sein und dafür vom Land mit günstigen Krediten versorgt werden. Notwendig wären aber massive Investitionen in den öffentlichen Wohnungsbau. Stattdessen werden weiterhin Spekulanten den Wohnungsmarkt in Berlin bestimmen und davon profitieren. Die neue Regierung hat kein Interesse, daran etwas zu ändern. Das zeigt auch die erste Personalaffäre der neuen Koalition: Der neue Senator für Justiz und Verbraucherschutz Michael Braun (CDU) wurde kurz vor seiner Wahl von der brandenburgischen Verbraucherzentrale für ungeeignet erklärt, da er als Notar in dubiose Immobiliengeschäfte verwickelt war. Wie von mehreren Geschädigten und Ihren Anwälten bestätigt wird, hat Braun zahlreiche „Schrottimmobilien“ in sehr schlechtem Zustand spät am Abend notariell bestätigt, ohne dass die Käufer die Wohnungen und Häuser besichtigt haben. Bürgermeister Wowereit stellt sich hinter seinen Senator, weil ihm juristisch nicht vorzuwerfen sei. Dabei ist klar, dass Braun, ob nach bürgerlichen Gesetzen schuldig oder nicht, vom Geschäft der Spekulation und Abzocke profitiert und natürlich nicht gegen seine Freunde aus den Reihen der Spekulanten vorgehen wird, die Mietensteigerungen verursachen.
Update 14.12.: Mittlerweile wurde der öffentliche Druck zu groß und Braun musste gehen – allerdings nicht ohne 50.000 Euro zu kassieren, weil er formal nicht zurückgetreten ist, sondern von Wowereit auf eigenes Bitten entlassen wurde. Also knapp 5.000 Euro Tagessatz für den 12-Tage-Ministerposten dieses sauberen Herrn.
Eins ist klar: Die immer weiter steigenden Mieten und die Verdrängung aus der Innenstadt können nur durch eine breite Bewegung von allen betroffenen Bewohnern gestoppt werden.
S-Bahn
Im Koalitionsvertrag hat die Regierung zwei Optionen für die Lösung des S-Bahn-Chaos beschlossen. Bis zum Ende diesen Jahres soll mit der Deutschen Bahn AG verhandelt werden, ob die S-Bahn dem DB-Konzern abgekauft und vom Land Berlin betrieben werden kann. Dass diese Option nie ernsthaft verfolgt werden wird, sondern nur zur Beruhigung der SPD-Basis dient, zeigen die Aussagen des neuen Verkehrssenators Michael Müller (SPD), der schon jetzt vor der DB AG einknickt: „Bisher hat die Bahn gesagt, sie denke überhaupt nicht an einen Verkauf. Wenn es so ist, gut, dann muss man da auch einen Strich drunter ziehen." Nachdem diese „erste Option“ der Verhandlungen vorbei ist, soll zweitens der eigentliche Plan für die S-Bahn eingeleitet werden. Ab 2012 soll ein Teil des S-Bahn-Verkehrs europaweit ausgeschrieben werden. Ab Dezember 2017 kann dann der Verkehr auf dem Ring und auf den Zubringerstrecken zum Ring von weiteren privaten Konzernen betrieben werden. Der Wettbewerb verschiedener Konzerne wird dazu führen, dass sie in Konkurrenz um die billigsten Kosten und höchsten Gewinne treten werden. Gespart wird dann weiter bei den Löhnen und der Qualität. Weitere S-Bahn-Krisen und Lohndumping wären die Folge.
Gegen diese Privatisierungspolitik steht der „S-Bahn-Tisch“ im Endspurt der ersten Stufe eines Volksbegehrens, das genau diese Privatisierung der S-Bahn verhindern will. Unterstützt wird das Volksbegehren auch von den beiden Bahngewerkschaften EVG und GDL. Um die Privatisierungspläne von SPD und CDU zu stoppen, ist ein gemeinsamer Widerstand von Beschäftigten und Fahrgästen innerhalb und außerhalb des Betriebes notwendig.
Bildung
Um zu sparen, werden auch in der kommenden Legislaturperiode keine LehrerInnen verbeamtet. Das wird dazu führen, dass der Lehrermangel in Berlin nicht gestoppt werden, sondern sich verschärfen wird. Rot-Rot hat in ihrer vorherigen Legislaturperiode schon eine Lehrerausstattung von „100%“ beschlossen, die Krankheiten und andere Ausfälle nicht mit berücksichtigt. Unterrichtsausfall und Zwangsversetzungen sind die Folge. Widerstand hat sich hier beim Warnstreik der LehrerInnen im April und beim Bildungsstreik im November entwickelt.
Arbeit
Als großes Ziel im Koalitionsvertrag wird die Verringerung der Arbeitslosenquote, die in Berlin doppelt so hoch wie im restlichen Bundesgebiet ist, ausgegeben. Ein konkretes Programm zur Schaffung von neuen Arbeitsplätzen gibt es aber nicht. Im öffentlichen Dienst sollen zudem, zusätzlich zu dem Stellenabbau in den vorherigen Legislaturperioden, 4.000 Stellen gestrichen werden. Immer mehr ArbeiterInnen müssen in Berlin in prekären Arbeitsverhältnissen zu Billiglöhnen arbeiten. Sogar der vom alten Senat geschaffene „Öffentliche Beschäftigungs-Sektor“ – ein staatlich geförderter Niedriglohnsektor – wird wieder abgeschafft. Für die Betroffenen heißt das oft, die noch schlechter bezahlte „Bürgerarbeit“ leisten zu müssen. Das Berliner Vergabegesetz wird von der Koalition geändert und künftig sollen alle Unternehmen, die einen Auftrag des Senats bekommen, 8,50€ Mindestlohn zahlen. Doch solche Regelungen sind keine Garantien. Die ArbeiterInnen der Charité-Service-Tochter CFM musste sich in einem 13-wöchigen Streik die Zusage für 8,50€ erkämpfen, während viele von ihnen unter dem Rot-roten Senat jahrelang für einen Lohn sogar unter 7,50€ (der Untergrenze des alten Vergabegesetzes) arbeiten mussten. Der Streik der CFM sowie der Streik des medizinischen Personals an der Charité im Mai sind ermutigende Zeichen, dass miserable Arbeitsbedingungen und miese Löhne nicht einfach hingenommen werden müssen und nicht hingenommen werden.
Sicherheit
Mit Frank Henkel, dem Spitzenkandidaten der CDU, nimmt jetzt ein Politiker den Posten des Innensenators an, der im Wahlkampf mit Law-and-Order Sprüchen aufgefallen ist. Er hat angekündigt, dass er „aufräumen“ will. In diesem Geiste stehen auch die ersten Ankündigungen: Die Beugehaft wird von 48 auf 96 Stunden ausgeweitet. Videoüberwachung soll verstärkt werden. Polizeipräsenz soll stärker im Stadtbild vorhanden sein. Dabei beantwortet Henkel auch die Frage, in welche Richtung dieser Sicherheitsapparat vor allem gerichtet sein soll. Nach einem kurzen Abschnitt über Rechtsextremismus widmet sich der Koalitionsvertrag der besonderen Bedeutung, die die Bekämpfung des Linksextremismus bekommen soll. Der Koalitionsvertrag erschien nach dem Beginn der öffentlichen Diskussion über die rechtsextreme Terrorvereinigung NSU.
„Sage mir, wer dich lobt, und ich sage dir, worin der Fehler besteht“
Um zu sehen, in welchem Interesse die neue Koalition stehen wird, muss man sich nur die Erklärungen der Industrie und Handelskammer (IHK) ansehen, die den Koalitionsvereinbarungen ein ausgezeichnetes Zeugnis für ihre Wirtschaftsfreundlichkeit ausgestellt hat. Wichtige Infrastrukturprojekte wie der Bau der A100, die Bebauung des Tempelhofer Feldes und die Flugrouten über Wohngebiete zum Flughafen Schönefeld sollen gegen den Willen der AnwohnerInnen und gegen die Mehrheit der BerlinerInnen durchgesetzt werden. Den Diskussionen über Privatisierung und Rekommunalisierung sieht die IHK entspannt entgegen. Für Rekommunalisierungen, ob beim Wasser oder bei der S-Bahn, werde kein Geld da sein. Daher sind die IHK-Vertreter optimistisch, dass die Privatisierung von S-Bahn-Strecken in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden wird. Wie sehr dabei die Sorgen und Nöte der Menschen auf der Strecke bleiben, zeigte IHK-Präsident Eric Schweitzer auf einer Pressekonferenz, als er zum Thema Verdrängung durch Mieterhöhung anmerkte, dass niemand ein „verbrieftes Recht, ewig in seinem angestammten Quartier zu leben“ habe.
Kürzungskoalition
Die angekündigte Politik der neuen Regierung wird die Lebensbedingungen vieler Menschen spürbar verschlechtern. Die Kürzungen schließen hier an die schon von Rot-Rot vorgenommenen Einschnitte an, werden aber, besonders wenn die Schuldenkrise stärker in Deutschland ankommt, auch in Berlin deutlich intensiviert werden. Die neue Koalition zeigt, dass sie auf einer Seite mit den Kapitalvertretern (wie der IHK) steht und deren Macht gegen die Mehrheit der BerlinerInnen verteidigen wird.