Staat und Nazis Hand in Hand?

Der Thüringer Verfassungsschutz und das Nazi-Trio


Dieser Artikel informiert über Hintergründe des Zwickauer Nazi-Trios und kommentiert neue Enthüllungen. Ein erster Artikel ist hier zu finden,

Würde der aktuelle Rechtsterrorismus-Verfassungsschutz-Skandal um das Zwickauer Nazi-Trio die Vorlage für ein Tatortdrehbuch liefern, wie unrealistisch würde dieser Sonntagabendkrimi doch wirken. Nur leider ist das was inzwischen täglich durch die Nachrichten geht bittere Realität.

von der Redaktion sozialismus.info

Aufklärung sieht anders aus: Hinter gegenseitigen Schuldzuweisungen, Abwiegelungen und Verschleierungen verschwimmen Wirklichkeit, Erfindungen, falsche und richtige Spuren. Was ist gesichert? Was ist wahr?

Nazi-Trio war bekannt

Das Zwickauer Nazi-Trio aus Uwe Böhnhardt, wohl der geistige Kopf der Truppe, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe, die sich nach dem Tod der beiden Männer den Behörden stellte, war kein unbeschriebenes Blatt. Diese Tatsache können auch noch so gute Verwirrspiele von Verfassungsschutz und Bundesanwaltschaft nicht vertuschen. Viel eher sollte endlich die Frage beantwortet werden, weshalb nicht eher zugegriffen wurde.

Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt kannten einander spätestens seit Mitte der 90er Jahre. Sie waren Mitglieder der Kameradschaft Jena und der Anti-Antifa Ostthüringen, einer Art Dachverband gewalttätig-militanter Neonazis. Uwe Böhnhardt fiel, vorsichtig ausgedrückt, nicht gerade durch hohe intellektuelle Leistungen auf. Sein Metier war der Angriff auf politische GegnerInnen. Mehrmals versuchte er AntifaschistInnen mit seinem Auto zu überfahren. Sein Hobby bestand ausschließlich im Umgang mit allerlei Waffen. Beate Zschäpe war meist ruhig und zurückhaltend, aber das war nur Fassade. Sie neigte zu verbalen Ausbrüchen und Gewalttätigkeiten. Uwe Mundlos, Sohn eines Informatikprofessors, wohl seit 1995 darum bemüht sein Abitur auf dem zweiten Bildungsweg zu wiederholen, war intelligent und hatte nicht wenig Talent. Er zeichnete gern, fiel aber selbst in seinem Internat durch die von ihm gewählten Motive auf (auf seinem Schreibtisch stand ein selbst gemaltes Bild des Hitler-Stellvertreters Rudolf Hess).

Thüringer Heimatschutz

Aus der Anti-Antifa Ostthüringen entwickelte sich Mitte der 90er Jahre der Thüringer Heimatschutz (THS). Sein „Führer“ Tino B., V-Mann des Verfassungsschutzes, steckte Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in die zweite Reihe des THS. Finanzielle Probleme hatte Tino B. beim Aufbau der Gruppe nie zu fürchten. Denn seine, aus heutiger Sicht eher dürftigen Informationen über die illegalen Aktivitäten der Gruppe, vergütete ihm das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz mit 200.000 D-Mark.

Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe wollten noch weiter gehen als Tino B. Ekelhafte Propagandadelikte, wie das Aufhängen einer Puppe mit Davidstern und der Aufschrift „Bombe“ an einer Jenaer Autobahnbrücke und mehrere versuchte Sprengstoffanschläge gingen auf ihr Konto. Wie sehr ihnen bei Vorbereitung und Durchführung der Delikte der Thüringer Heimatschutz zur Seite stand, wurde bis heute nicht geklärt. Dabei ist es nicht gerade von untergeordnetem Interesse, ob Tino B. – dessen V-Mann-Aktivitäten einzig und allein der Beschaffung von Geld für den THS dienten – dem Trio Geld zum Kauf von Sprengstoff zur Verfügung gestellt hat. In dem Fall hätte praktisch der Verfassungsschutz selbst die Anschläge des Trios finanziert.

Aber ehe solch pikante Details ans Licht der Öffentlichkeit geraten können, wird das Verfahren wegen mehrerer Briefbombenattentate – allesamt fehlgeschlagen – im Juni 1997 eingestellt. Erst als die drei eine Bombe vor dem Jenaer Theaterhaus platzieren, wird Böhnhardt zu zwei Jahren Jugendstrafe verurteilt. Sofort antreten muss er die Strafe allerdings nicht.

Anfang und Mitte Januar 1998 durchsuchen Polizisten die Wohnungen von Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Auch eine Garage, angemietet von Beate Zschäpe, gerät ins Visier der Fahnder. In dieser Garage sind auch Mundlos und Böhnhardt häufig zu finden. Im Grunde ist sie eine Bombebbaufabrik, in der auch gut 1,3 Kilogramm Sprengstoff entdeckt werden. Aber erst einige Tage nach der Durchsuchung ergeht ein Haftbefehl. Schon die Ergebnisse der Durchsuchung hätten für Festnahmen ausgereicht. Die Tage Aufschub reichen dem Trio aus: Sie verschwinden – angeblich spurlos.

Illegal und doch allgegenwärtig

Das Verschwinden der drei geschah keineswegs, ohne dass sie Spuren hinterlassen hätten. Auf rechten Konzerten sammelte man für das Trio Geld, um gefälschte Papiere zu beschaffen, Lieder wurden für sie geschrieben. Schon 1999 hatten LKA-Beamte das Versteck der drei entdeckt, der Zugriff wurde ihnen aber ohne Begründung untersagt, weshalb, das ist bis heute nie erklärt und auch in der aktuellen „Untersuchung“ spielt dieser Vorfall keine Rolle. Beate Zschäpe selbst soll häufiger aus NPD-Treffen gesehen worden sein – auch nach ihrem „Abtauchen“. Auch soll sie mit Verbindungen zum Verfassungsschutz geprahlt haben.

Die Fahndungsbilder aus den Jahren der Mordserie an MigrantInnen ähneln Mundlos und Böhnhardt teils auf dramatische Weise. Warum wurden sie nie mit den vorhandenen Dateien von gesuchten Gewaltverbrechern abgeglichen. Hat man sie gar abgeglichen und nichts getan? Wie waren so viele „Pannen“ überhaupt möglich?

Weggeschaut, zugeschaut, oder kollaboriert?

Licht ins Dunkel könnte vor allem eine Figur bringen: Helmut Roewer, von 1994 bis 2000 Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz von Thüringen. In seine Amtszeit fiel die Anwerbung von Tino B., das Abtauchen des Rechtsterror-Trios und der verhinderte Zugriff. Roewer macht bis heute aus seiner politischen Gesinnung keinen Hehl. Als Präsident des Landesamtes sprach er sehr offen davon, dass rechtsradikale Gruppen für ihn kein Problem darstellen würden, linke Autonome, PDS-Mitglieder und linke Gewerkschafter schon eher. Am „Dritten Reich“ hätte es auch gute Seiten gegeben, wie er in einer Podiumsdiskussion 1999 festgestellte und heute verlegt Roewer seine Bücher, in denen er unter anderem die auf Goebbels zurückgehende These, die UdSSR habe 1941 Deutschland angreifen wollen und Hitler habe somit lediglich einen Präventivkrieg geführt, im rechtsradikalen Ares-Verlag.

Als Präsident des Landesamtes legte er über LINKE-Politiker Bodo Ramelow umfangreiche Dossiers an. Gleichzeitig erstellte er einen Film für den Schulunterricht, in dem der von ihm angeworbene Tino B., als Kameradschaftsführer sprechen durfte. Er erklärte dort, dass Nazis generell gegen die Anwendung von Gewalt eingestellt seien. Zu behaupten Roewer sei auf dem rechten Auge blind, wäre eine starke Untertreibung.

Zahlreiche Skandale machten ihn 2000 endgültig untragbar. Er wurde suspendiert und 2005 gar wegen Veruntreuung von Geldern während seiner Zeit als Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz angeklagt. Das Verfahren wurde wegen angeblicher Verfahrensunfähigkeit 2008 gegen die Zahlung von 3.000 Euro eingestellt.

Somit konnte nicht geklärt werden wie groß der Anteil des riesigen Finanzbudgets des Landesamtes war, der über V-Leute letzten Endes in die Finanzierung rechter Strukturen flossen. Auch der Vorwurf einer Handkasse, aus der rechte V-Leute bezahlt wurden, steht noch immer im Raum. Dies wäre nichts Anderes als eine Finanzierung militant-rechter Gruppen durch Steuergelder über die Kassen des Verfassungsschutzes.

Roewer verstrickt sich bei seinen Angaben zum Fall immer wieder in Widersprüche: Zunächst erklärte er, die Fahndung nach den dreien sei extrem umfangreich gewesen. Später erhob er gegenüber der Polizei in einem Schreiben an Thüringens Innenminister Jörg Geibert schwere Vorwürfe. Gar von „illegalen Unregelmäßigkeiten“ war darin die Rede. Was stimmt nun: Unterlassung oder angestrengte Suche?

Der Chef des Bundes deutscher Kriminalbeamter, André Schulz, griff in mehreren Interviews die Bundesanwaltschaft an. Trotz der angeblichen Ahnungslosigkeit der Generalbundesanwaltschaft, konnten sehr schnell 24 Aktenordner voller Detailwissen über die drei präsentiert werden.

Aber auch die Verwicklungen eines hessischen Verfassungsschutzmitarbeiters, der bei mehreren Morden vor Ort gewesen sein soll und die Tatsache, dass auch der sächsische Verfassungsschutz nichts über den Verbleib der drei Nazi-Terroristen in Sachsen gewusst haben will, legen den Schluss nahe, dass der Verfassungsschutz nichts übersehen und nicht einfach Informationen nicht weitergeleitet, sondern den Terror von rechts protegiert hat.

Rechtes Netzwerk

Als gesichert muss ebenfalls angesehen werden, dass das Nazi-Trio auch aus rechten Kreisen Hilfe bekam. Die enorme Länge der Illegalität ist nicht durchzustehen ohne Hilfe „von außen“. Inzwischen gehen die Verfolgungsbehörden selbst von circa 20 Unterstützern aus. Sollte sich dies bewahrheiten, muss man von einem rechten Terrornetzwerk ausgehen, in dem die drei Leute des „NSU“ (Nationalsozialistischer Untergrund) nur die Spitze des Eisberges sind.

Der Chef der 1980 verbotenen Wehrsportgruppe Hoffmann, Karl-Heinz Hoffmann hatte für rechtsterroristische Gruppen einstmals das „Dreiecksprinzip“ vorgeschlagen: Drei Leute, nur einer von ihnen kennt die Verbindung zur nächstliegenden Terrorzelle. Ist er vielleicht der Ideengeber? Fakt ist, dass Hoffmann in Kohren-Salis, in Westsachsen, mehrere Güter erworben hat und zwischen 2005 und 2007 130.000 Euro vom Freistaat zu deren Unterhalt erhielt. Hoffmann wird am 26.11. in Leipzig bei den Jungen Nationaldemokraten, der Jugendorganisation der NPD, über die Wehrsportgruppe Hoffmann referieren.

Der bürgerliche Staat und Nazi-Gruppen

Vier der bekanntesten deutschen Rechtsterroristen siedelten sich in Westsachsen an – Zufall? Wieso ist das nicht Gegenstand der Untersuchungen. Wieso wurden die ehemaligen Mitschüler Uwe Böhnhardts weder Ende der 90er Jahre, noch jetzt befragt? Warum begab sich Beate Zschäpe, bevor sie sich stellte nach Jena? Hoffte sie auf Hilfe ihrer „alten Freunde“ im Verfassungsschutz? Wie starben Böhnhardt und Mundlos?

Der bürgerliche Staat und die etablierten Parteien haben häufig genug bewiesen wie gering ihr Aufklärungsinteresse in Bezug auf Nazi-Terror ist. Jahrelang schaute der Staat zu wie Nazis in jedem Februar durch Dresden zogen, erst der Widerstand von Tausenden AntifaschistInnen verhinderte den Aufmarsch.

Sehr bald schon wird das Thema Terror des „NSU“ unter den Teppich gekehrt und kaum mehr eine Meldung in den bürgerlichen Medien wert sein. Der Terror militanter Nazis wird bleiben, auch und gerade weil die staatliche Aufklärung lückenhaft sein wird. Es kommt also auf uns an. Wir müssen den Kampf gegen Nazis und ihre Strukturen selbst organisieren.