Ein erster Kommentar zu den laufenden Entwicklungen in Griechenland von „Xekinima“ (Webseite, 2.11.2011) trotz der völlig verschwommenen Lage
(„Xekinima“ ist die Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Griechenland)
Am Montag, 31.Oktober 2011 kündigte der griechische Ministerpräsident Papandreou für Alle im In- und Ausland überraschend eine Volksabstimmung über das Abkommen Griechenlands mit der EU vom 27. Oktober an, das einen Schuldenschnitt von etwa 50 % und weitere harte Sparmaßnahmen zu Lasten der griechischen Bevölkerung vorsieht. Am Freitag, den 4. November soll zudem eine weitere Vertrauensabstimmung im Parlament für seine Regierung stattfinden. Doch schon innerhalb seiner eigenen sozialdemokratischen PASOK-Partei formiert sich Widerstand gegen die Volksabstimmung. So lehnt der Finanzminister und stellvertretende Regierungschef Venizelos die Volksabstimmung ab, da die Position Griechenlands innerhalb des Euro „nicht in Zweifel gezogen werden darf“ und „nicht von der Durchführung einer Volksabstimmung abhängen darf“ (Zitate nach der Zeitung „Eleftherotypia“ vom 3.11.2011). Zwei weitere PASOK-Abgeordnete haben am 3. November angekündigt, kein Vertrauensvotum für Papandreou abzugeben, nachdem bereits am Vortag die PASOK-Fraktion im Parlament nur noch 152 von 300 Parlamentsabgeordneten umfasste. Ein Scheitern der Vertrauensabstimmung und damit ein Sturz der Regierung ist also möglich. Ebenso wird die Position Papandreous als Parteichef in seiner Partei zunehmend in Frage gestellt. Alle Oppositionsparteien im Parlament lehnen die Volksabstimmung ab. Die konservative „Neue Demokratie“ (ND) mi t der Begründung, damit werde der europäische Weg des Landes aufs Spiel gesetzt. Die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) ebenfalls, weil damit ein gewaltiger Apparat der Erpressung des griechischen Volkes durch Regierung und Troika aufgebaut werde. Sowohl ND als auch KKE fordern sofortige Neuwahlen zum Parlament. Das Linksbündnis SYRIZA („Bündnis der Radikalen Linken“, bestehend aus der Linkspartei „Synaspismos“ (SYN) und mehreren Organisationen der radikalen Linken) hält ebenfalls Parlamentswahlen für die klarste Möglichkeit des Ausdrucks des Volkswillens, will sich jedoch im Falle der Volksabstimmung für ein erdrückendes Übergewicht des „Nein“ einsetzen. Auch wird der Vorschlag einer „Regierung der nationalen Rettung“ aufgebracht, so von der rechtspopulistischen und ausländerfeindlichen Partei LAOS, jedoch auch von der bekannten PASOK-Politikerin Vasso Papandreou. Die Gewerkschaften und die linken Parteien wollen das Volk mobilisieren, damit es in die Entwicklungen eingreift. Die großen Gewerkschaftsverbände GSEE und ADEDY sowie die KKE rufen für Freitag, den 4. November während der Beratungen im Parlament über das Vertrauensvotum zu einer Versammlung auf dem Syntagma-Platz vor dem Parlament auf (Vorbemerkung d. Übers.)
Mitten in Verhältnissen einer einmaligen gesellschaftlichen Isolation der Regierung, mit einer Parlamentsmehrheit, die sich auf schwache 152 bis 153 von 300 Parlamentariern reduziert hat (die sozialdemokratische Partei PASOK hatte im Oktober 2009 160 von 300 Parlamentssitzen gewonnen, von denen sie seit Beginn der Sparpolitik 7 bis 8 Abgeordnete verloren hat, Anm. d. Übers.), eine Mehrheit, die auch noch wackelt, mit dem Zusammenbruch des Parteiapparates in einer Reihe von Regionen und Bereichen, mit ihren Funktionären, die nirgendwo mehr öffentlich erscheinen können und der Partei, die nach der jüngsten Meinungsumfrage bei 14,7 % liegt (Bei den letzten Parlamentswahlen im Oktober 2009 errang die PASOK mit sozialen Versprechungen noch 44 % der Stimmen, Anm. d. Übers.), tritt Jorgos Papandreou (der PASOK-Regierungschef, Anm. d. Übers.) die „Flucht nach vorn“ an.
Die Volksabstimmung, die er angekündigt hat, ist eine Bewegung der Hoffnungslosigkeit: Entweder wird er das griechische Volk erpressen, mit „Ja“ zu stimmen und so seinen „siegreichen“ Weg der Vernichtung des Lebensstandards und der Rechte fortsetzen, oder er wird gehen und die „Anderen“ sich „ihre Gurgel durchschneiden“ lassen.
„Kopf oder Zahl“
Mit dieser seiner Bewegung geht Papandreou das Risiko ein, dass seine Regierung über die Vertrauensabstimmung am Freitag (den 4. November 2011) stürzt! In dem Fall, dass er nicht stürzt, riskiert er es, dass sein Vorschlag in der Volksabstimmung abgelehnt wird und er wiederum stürzen wird! In diesem Fall, d.h. wo der Beschluss des Gipfeltreffens der EU vom 27. Oktober abgelehnt wird, ist der Weg geöffnet für eine gewaltige Krise des Euro – und nicht einfach für den Austritt Griechenlands aus ihm.
Das ist die Erpressung, die Papandreou benutzen wird, um ein „Ja“ in der Volksabstimmung zu erreichen: Dass, wenn das griechische Volk mit „Nein“ stimmt, dies das Ausscheiden Griechenlands und wahrscheinlich das Ende des Euro bedeuten wird. Die Realität ist jedoch, dass der Euro bereits einer tiefen Krise gegenübersteht – und dafür sind nicht die griechischen Schulden verantwortlich, sondern das kapitalistische System selbst, die Struktur der EU als kapitalistischer- imperialistischer Apparat im Rahmen des internationalen Konkurrenzkampfes und schließlich die Politik des Neoliberalismus, auf dem die EU aufgebaut ist.
Diese Fakten, die Bewegungen Papandreous in den letzten Tagen zeigen die hoffnungslose Sackgasse, in der die griechische herrschende Klasse und die PASOK, die in ihrem Interesse regiert, stecken!
Und dies ist nur ein Ergebnis der Weigerung des griechischen Volkes, sich der Politik zu beugen, die man ihm aufzwingen will – ein Ergebnis seines harten, unnachgiebigen, oft heroischen Widerstandes gegen die Katastrophe der Troika-Leute (Die Troika sind die EU-Kommission, die Europäische Zentralbank (EZB) und der International Währungsfond (IWF), Anm. d. Übers.) und ihrer Regierung in Griechenland.
Eineinhalb Jahre ununterbrochenen Kampfes und im vergangenen Monat (19./20. Oktober 2011) die an Massenhaftigkeit einzigartigen Versammlungen beim 48stündigen Generalstreik, die Streikwelle und die Besetzungen von staatlichen Einrichtungen, die dem vorhergegangen waren, die Verwandlung der Paraden am Nationalfeiertag des 28. Oktober in Anti-Regierungs-Demonstrationen, sogar die Parolen in den Sportstadien bewiesen den gewaltigen Zorn der Gesellschaft auf die Regierung!
Die griechische Arbeiterbewegung muss also wissen, dass diese ihre Kämpfe nicht vergeblich waren: Der Feind, die Regierung der PASOK, hängt an einem seidenen Faden und die herrschende Klasse ist verwirrt, tief gespalten und in einer einzigartigen Krise.
Doch dieser Kampf muss vollendet werden: Wenn die Dinge zur Volksabstimmung gelangen, muss Papandreou massenhaft niedergestimmt werden. Auf die eine oder andere Weise muss diese Regierung stürzen!
„NEIN“
Wie auch die erpresserischen Alternativen der Regierenden bei der Volksabstimmung formuliert sein werden, die Antwort muss ein klares „NEIN“ sein.
Denn, wenn es das nicht ist, dann werden die Regierenden und die Troika-Leute das Ergebnis benutzen, um das Leben der 11 Millionen Griechen zugrundezurichten (mit Ausnahme der Handvoll Dutzend Familien, die die Banken, die produzierenden Unternehmen, die Reederflotte und die Massenmedien kontrollieren).
Unser eigenes „NEIN“ zu den erpresserischen Alternativen der Regierung der Troika ist nicht einfach ein „griechisches“. Es kann auch von der Arbeiterbewegung des übrigen Europa genutzt werden, um die Kämpfe gegen dieselbe Politik europaweit zu stärken. Auf die gleiche Weise, wie das NEIN der Isländer im März 2010 gegen die Bezahlung der Schulden an britische und niederländische Bänker auf die griechische Arbeiterbewegung Eindruck gemacht und ihr eine Waffe in die Hand gegeben hat, Widerstand zu leisten, so wird ein weiteres griechisches NEIN zur Troika die italienischen, portugiesischen, irischen und spanischen Arbeitnehmer stärken, die ähnlichen Angriffen gegenüberstehen.
Antwort auf die Erpressung
Die erpresserische Alternative, vor die man uns (in der Volksabstimmung Papandreous) stellen wird, wird sein: „Entweder stimmt ihr mit ‚Ja‘ oder wir verlassen den Euro.“ (Der griechische Finanzminister und stellvertretende Regierungschef Venizelos formulierte dies so, die griechische Bevölkerung müsse entscheiden, ob „wir“ dazugehören zur „Gruppe Europas, der Euro-Zone und des Euros, oder ob wir zurückkehren zur Drachme und zum Griechenland der 50er und 60er Jahre“ (siehe Zeitung „Kathimerini“ vom 1. November 2011). (Jahrzehnte, in denen die Masse der Griechen in Armut lebte und zu massenhafter Arbeitsmigration gezwungen war, Anm. d. Übers.).
Die Antwort muss sein: „Wir stimmen mit NEIN zur Zerstörung unserer Leben.“ Wenn der Preis für den Verbleib im Euro die Vernichtung ist, so wählen wir offensichtlich, uns nicht vernichten zu lassen.
Sowieso und unabhängig vom schließlichen Ausgang der Dinge führt allein die Tatsache der Volksabstimmung unweigerlich dazu, dass das Abkommen des EU-Gipfeltreffens am 27. Oktober (zum Schuldenschnitt um 50 %) in der Schwebe bleibt. Auf der einen Seite wird keine ernsthafte Bank der Logik des Schuldenschnitts folgen, bevor die Dinge klar geworden sind und andererseits werden alle Regierungen der Euro-Zone das Ergebnis in Griechenland abwarten, um zu sehen, ob sie den neuen Kredit billigen oder nicht.
Viele Arbeitnehmer sind in Sorge, dass ein mögliches Verlassen des Euro eine Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Lage bedeuten könnte. Die prinzipielle Antwort auf diese ihre Problematisierung ist: Griechenland ist sowieso auf dem Weg raus aus dem Euro! Der Euro befindet sich sowieso in der Krise!
Viele Arbeitnehmer denken im Falle der Volksabstimmung an Enthaltung! Das reicht nicht! Eine Ablehnung ist notwendig – denn, wenn es Papandreou schafft, seien es auch nur 20-25 % zu „überzeugen“, mit „Ja“ zu stimmen – unter den Erpressungen und den Lügen von ihm und der herrschenden Klasse – und wenn die Beteiligung nur 40-50 % beträgt, dann wird die Volksabstimmung die Politik der Barbarei, die die Troika und ihre Regierung hier wollen, gebilligt haben. Danach werden Papandreou und die Troika im Namen der Legitimierung und der Billigung ihrer Politik total frech werden.
Die Aufgaben der Linken – was für eine Linke wir brauchen
Es reicht nicht aus, dass die Arbeiterbewegung NEIN sagt – sie muss einen Weg finden, ihr Leben in ihre eigenen Hände zu nehmen.
Sie muss es dadurch tun, dass sie von der Linken verlangt, ihren historischen Aufgaben gerecht zu werden, voranzugehen, damit ein Weg eröffnet wird zum Umsturz der Gesellschaft, dass die Staatsmacht den Händen einer Handvoll Bänker, Bauunternehmer und Reeder entrissen wird und übergeht in die Hände der Gesellschaft, der Arbeitnehmer und der Volksschichten.
In dem Grade, in dem die heutige Linke sich weigert, dieser Aufgabe gerecht zu werden – und die Führungen der Massenparteien der Linken, der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) und der Linkspartei „Synaspismos“ (SYN) (Sie ist die Schwesterpartei der deutschen Partei DIE LINKE, Anm. d. Übers.),weigern sich in der Tat – dann ist eine andere, neue Linke erforderlich und diese müssen wir aufbauen. Denn unter diesen Bedingungen ist die Massenlinke, die die Gesellschaft braucht, eine revolutionäre Linke, d.h. eine Linke, die bereit ist, den Kampf bis zu Ende zu führen, bis zum Sturz des Kapitalismus.
Lösungen im Rahmen des kapitalistischen Systems gibt es nicht! Nur in der Perspektive einer alternativen sozialistischen Gesellschaft gibt es eine Zukunft! Und nur in der Perspektive des gemeinsamen Kampfes mit den Arbeitnehmern im übrigen Europa, für das Europa des Sozialismus und der Arbeiterdemokratie – als Antwort auf das Europa des Kapitals, der Bänker, auf das Europa von Merkel und Sarkozi.