Denkzettel für regierende Parteien
Bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl wurden Senat und Bundesregierung abgestraft. Die Grünen konnten ihr selbstgestecktes Ziel, Wowereit abzulösen nicht erreichen, weil sie dazu nicht als Alternative gesehen wurden. Die Piraten konnten dagegen Proteststimmen sammeln. DIE LINKE büßt für ihre Politik Stimmen ein, aber wie oppositionell wird sie werden?
von Michael Koschitzki, Berlin
Es war ein schlechter Tag für die etablierten Parteien. Vor allem die FDP, einst gefeierter Sieger der Bundestagswahlen 2009, bekam den vollen Unmut über die Bundesregierung zu spüren. Sie erhielt 1,8% der Stimmen und flog damit aus dem Abgeordnetenhaus und allen Bezirksverordnetenversammlungen. Über 30.000 Stimmen verließen das sinkende Schiff in Richtung CDU, die damit leicht zulegen konnte. Zusammengerechnet verloren beide Parteien, die seit dem Diepgen-Senat ohnehin wenig Unterstützung haben, nochmals.
Auch die Politik des rot-roten Senats wurde abgestraft. SPD und LINKE verloren beide absolut an Stimmen und zusammen ihre Mehrheit im Abgeordnetenhaus. Damit kassierten sie die Rechnung für eine Politik, die Mietsteigerung, S-Bahn-Chaos, Bildungsmisere und soziale Notlage bedeutete. Während SPD und LINKE für Mieterschutz und das soziale Berlin plakatierten, war die Heuchelei angesichts der Wohnungsprivatisierung unter Rot-Rot und den Sozialkürzungen offensichtlich.
Protest- statt Wechselstimmung
Die Grünen erhielten mit 17,6 % das beste Ergebnis ihrer Geschichte in Berlin. Ihr Ziel, mit der Aufstellung von Renate Künast als Bürgermeisterkandidatin Wowereit abzulösen, verfehlten sie jedoch deutlich. Sie wurden nicht als wirkliche Alternative zu den vier Regierungsparteien Rot-Rot in Berlin und Schwarz-Gelb im Bund wahrgenommen. Eine SPD-Grüne Koalition hätte nur zwei Stimmen Mehrheit. Künast wurde zurecht als etablierte Politikerin gesehen, die sich lange die Hintertür einer grün-schwarzen Regierung offen halten wollte und inhaltlich auf Anpassung ans Bürgertum gesetzt hat. Deshalb schloss sich auch ein großer Teil von linkeren Grünenunterstützern der Piratenpartei an.
Die Piraten fuhren mit 8,9% und 130.000 Stimmen ein Rekordergebnis in Berlin ein. Bei 18 bis 34-Jährigen erreichte die Partei 17% der WählerInnen. 93% ihrer (größerenteils männlichen) WählerInnen sagten, die Partei würde dafür sorgen, dass Jüngere auch mal was zu sagen haben und 59% wählten sie, um anderen Parteien einen Denkzettel zu verpassen. Laut einer Umfrage hielten nur zehn Prozent die Inhalte für ausschlaggebend.
Piraten = linke Alternative?
Die Piraten traten mit einer Reihe linker Forderungen zur Wahl an. Sie fordern einen Mindestlohn von 12 Euro, kostenloses Essen und Obst an Schulen, kostenloses ÖPNV und Mieterschutz. Sie wenden sich gegen Privatisierung, Atomkraft, Diskriminierung, wollen mehr direkte Demokratie und Schutz der Privatsphäre erkämpfen. Damit konnte sie WählerInnen für sich gewinnen, die der LINKEN in der Regierung den Rücken gekehrt hatten. Neben 21.000 NichtwählerInnen gewannen die Piraten 12.000 Stimmen von ehemaligen LINKEN-WählerInnen, viele davon im Ostteil der Stadt.
Die Piraten hatten vor allem zugelegt, als wenige Wochen vor der Wahl klarer wurde, dass sie erfolgreich ins Abgeordnetenhaus einziehen könnte. Über die letzten Jahre haben sie etwas Unterstützung in der Stadt aufbauen können. Bei den letzten Bundestagswahlen bekamen sie in Berlin bereits 3,4%. Den überwiegenden Teil der Stimmen zur Abgeordnetenhauswahl gewann sie jedoch kurzfristig als Ausdruck des Protestes. Mit Plakaten wie „Warum hänge ich hier eigentlich, ihr geht ja eh nicht wählen?“ und einem anderen manchmal unbeholfenen Auftreten wurden sie als Alternative zu den etablierten Parteien wahrgenommen.
Doch wird die Partei das gleiche Schicksal wie ihr schwedisches Vorbild ereilen? Dort, wo die Piratenparteien ihren Ursprung haben, erhielt die Piratenpartei zur Europawahl 2009 7,1 %. Ein Jahr später erhielt sie jedoch zur so genannten Reichstagswahl nur noch 0,63%.
Der politische Druck auf die Piraten wird steigen. Wie werden sich ihre Abgeordneten verhalten und was werden sie vorweisen können? Entscheidend wird sein, ob sie eine reale Alternative zu der Politik der etablierten Parteien bieten können. Sie werden damit konfrontiert sein zu sagen, wie ihre Forderungen finanziert werden sollen.
Die Piraten sehen die Gesellschaft nicht als eine, die in Arme und Reiche, Besitzende und Beschäftigte geteilt ist. Sie werden sich entscheiden müssen, auf welcher Seite sie steht und wen sie für ihre Forderungen und die Schulden in Berlin zahlen lassen will. Durchsetzen kann sie ihre Forderungen nur, wenn sie auf Proteste und Mobilisierung von Beschäftigten, Jugendlichen und Erwerbslosen setzt. Wird sie das tun oder nur an die Regierenden appellieren? Die Piraten drücken keine feste gesellschaftliche Schicht aus und haben keine Bewegung im Rücken, wie sie die Grünen in ihrer Gründungszeit hatte. Wenn sie sich falsch entscheidet, wird die Piratenpartei schnell wieder an Unterstützung verlieren.
LINKE
DIE LINKE hat seit dem Regierungseintritt ihres Vorgängers PDS 2002 mehr als die Hälfte ihrer Stimmen (ca. 195 000) verloren. Für die Beteiligung an der Politik des Sozialabbaus wurde sie damit deutlich abgestraft. In der Vergangenheit wurde diese Abkehr von der LINKEN teilweise von der Entwicklung auf Bundesebene aufgehalten, wo sie als Alternative zu Hartz IV, Rettungspaketen und Krieg wahrgenommen wird. Doch ihr Potential hat die Partei 2011 bundesweit nicht ausgeschöpft und befindet sich in der Krise (siehe ./?p=14262). Gegenüber 2006 hat DIE LINKE nochmal 14.000 Stimmen verloren. Wenn man bedenkt, dass 2006 die WASG noch getrennt angetreten ist, fällt die Bilanz sogar noch drastischer aus.
Die Berliner Führung der LINKEN versucht das schlechte Ergebnis der Bundesebene in die Schuhe zu schieben. Es stimmt, dass ihr bundesweite Entwicklungen nicht geholfen haben, aber abgewählt wurde die Politik im Berliner Senat. Und diese Politik wird nicht so schnell vergessen werden. Erstmal wird die Aussage „Wir können auch Opposition.“ (Stefan Liebich) als Heuchelei wahrgenommen werden. Wenn eine linke Rhetorik mit anderen Gesichtern verbunden würde, könnte sich das ein stückweit ändern und die Partei könnte sich in Umfragen wieder erholen. Ohne einen grundlegenden Bruch mit ihrem bisherigen Kurs wird die Partei aber nicht aus ihrem Tief kommen.
Falsche Schuldzuweisungen müssen zurückgewiesen werden. In der Partei muss herausgestellt werden, wie die Beteiligung an der SPD-Regierung zu dieser Situation führen konnte. Vor dem Hintergrund der Programmdebatte ist es entscheidend, die Lehren aus der Regierungsbeteiligung zu ziehen.
Rechte Parteien und Ausblick
Erfreulich ist, dass die NPD in der Abgeordnetenhauswahl geschwächt wurde. Sie verlor rund viertausend WählerInnen und zieht nur geschwächt in einige Bezirksverordnetenversammlungen ein. In Treptow-Köpenick verliert sie ihren Fraktionsstatus. Während die Republikaner nicht mehr antraten, kandidierten mit Pro-Deutschland und der Partei die Freiheit neue rechte Parteien erstmalig zur Abgeordnetenhauswahl. Zusammen mit der NPD konnten die Rechten ihre Stimmen um ca. 16000 Stimmen ausbauen. Das zeigt, dass die Gefahr nicht gebannt ist.
Die Abgeordnetenhauswahl bringt die wachsende politische Instabilität zum Ausdruck. Die Piratenpartei ist auch ein Phänomen davon. Ein möglicher rot-grüner Senat wird nicht die Unterstützung in der Bevölkerung haben, die sich SPD und Grüne erhofft haben. Die vernichtende Niederlage der FDP verschärft jedoch die Krise der Bundesregierung und erhöht die Wahrscheinlichkeit von Neuwahlen auf Bundesebene. Beschäftigte, Jugendliche und Arbeitslose müssen sich auf harte Zeiten und harten Widerstand vorbereiten. Sie brauchen eine wirkliche Interessenvertretung, dem die LINKE in Berlin gerade nicht gerecht wird. Deshalb müssen wir in der Partei für einen grundlegend anderen Kurs kämpfen, der mit der Regierungsbeteiligung mit pro-kapitalistischen Parteien bricht und bei dem die Partei an Seite der Beschäftigten, Jugendlichen und Arbeitslosen gegen die Krisenauswirkungen, Verschlechterungen des Lebensstandards und für eine sozialistische Gesellschaft kämpft.
Ergebnisse der Abgeordnetenhauswahl hier.