Das Interesse, sich zu organisieren, hat zugenommen
Am 22. Juli tötete der rechtsextreme Terrorist Anders Behring Breivik 77 Menschen; zehn davon mit einer Bombe im Osloer Stadtzentrum und 67 junge politische AktivistInnen durch ein Massaker beim Sommerlager von AUF, der Jugendorganisation der sozialdemokratischen norwegischen Arbeiderpartiet, AP. Das Motiv von Behring Breivik war sein Hass auf die Arbeiterbewegung, den Marxismus und den Islam. Er war über Jahre aktiv in der rassistischen Fremskrittspartiet (Fortschrittspartei, FRP), hatte Parteifunktionen in Oslo inne und stand auf deren Wahlliste. In jüngsten Meinungsumfragen vor den Kommunalwahlen am 12. September verliert die Fortschrittspartei nun an Unterstützung und ebenso die konservative Partei Høyre, die vor dem Terroranschlag noch ein Bündnis mit der Fortschrittspartei vorbereitete. Im unten abgedruckten Artikel berichten Trond Sverre und Elise Kolltveit aus Oslo.
Nach dem Terroranschlag war die Stimmung unter den Menschen anfangs bestimmt von Schock und Verzweiflung. Tausende legten Blumen vor der Osloer Kathedrale und der Zentrale der Arbeiterbewegung am Youngstorget (dem Platz, an dem sich das Büro der Arbeitspartei und das des norwegischen Gewerkschaftsbundes befinden; Anm. d. Übers.) nieder. Aber viele haben auch die menschliche Wärme beschrieben, die in den nachfolgenden Tagen herrschte, und dass die Menschen auf einander achteten. 200.000 Menschen demonstrierten gegen Terror, doch die Demonstration wurde zu einer Kundgebung, weil es einfach zu viele Menschen wurden, um durch die Straßen marschieren zu können.
Die AP verzeichnet einen Anstieg in den Meinungsumfragen um zehn Prozent und steht jetzt mit vierzig Prozent in den Vorhersagen an der Spitze in der Wählergunst. Auch wenn der Anteil an Sympathie-Stimmen für die AP noch abnehmen kann, so wird es wohl reichen, um den rechtsgerichteten Parteien in Oslo bei den Wahlen im September eine Niederlage zu bereiten und den Aufstieg der Konservativen zu stoppen. Die Parteien haben sich unterdessen darauf verständigt, den Beginn des Wahlkampfes zu verschieben. Keine der Parteien hat sich bislang zu einer politischen Aussage hinreißen lassen. Die Parteien sagten, dass der Wahlkampf „nicht polemisch“ geführt werden sollte. Doch die großen Parteien und die Regierung selbst vertreten eine harte Einwanderungs- und Asylpolitik. Und die etablierten Politiker stellen EinwanderInnen und Muslime häufig als Problem dar.
Das Interesse, sich zu organisieren, hat unter jungen Leuten zugenommen. AUF und andere Jugendorganisationen verzeichnen eine Zunahme ihrer Mitgliederzahlen. Die Jugendorganisationen der Arbeiterbewegung erklärten, dass Terror sie nicht von politischer Arbeit abhalten wird. Die Sozialistische Jugend hielt ihr Sommerlager nur eine Woche nach dem Terrorakt von Utøya ab. Auch die Parteien der Linken erfahren gestiegene Mitgliederzahlen. Die Sozialistische Linkspartei (Sosialistisk Venstreparti) in Oslo ist um rund 500 Mitglieder gewachsen.
In einer Umfrage, die einige Tage nach dem Anschlag durchgeführt wurde, sagte eine von vier Personen, dass sie einen positiveren Blick auf EinwanderInnen gewonnen habe. Zudem gaben viele an, dass sie nicht mehr bereit sind, islamophobe Statements und Witze am Arbeitsplatz oder anderswo hinzunehmen. Die Stimmung gegen Rassismus wird zunehmen.
Die Medien berichten viel über die islamophoben und rechtsextremen Blogger und entsprechende Internetdebatten. Breivik hat mehrere tausend Beiträge in islamophoben Blogs gepostet. Er war auch auf der rechtsextremen schwedischen Internetseite nordic.se aktiv. Die großen Zeitungen versuchen nun, ihre Kommentarseiten zu moderieren, die unabhängig vom jeweiligen Thema oft von rassistischen und islamophoben Beiträgen überflutet werden. Es wurde sogar darüber diskutiert, diese Seiten komplett aus dem Netz zu nehmen. Ein rechtsgerichteter Blogger namens Fjordman versuchte sich zunächst zu verstecken. Jetzt aber hat er sich mit einem Zeitungsartikel zurück gemeldet. Allerdings haben die Zeitungen und das Fernsehen über Jahre hinweg sogenannte „Integrationsdebatten“ abgehalten, in denen MingrantInnen (vor allem Muslime) üblicher Weise als Problem dargestellt wurden. Auch wurden oft islamophobe Kommentarbeiträge abgedruckt.
Sowohl die Konservativen als auch die FRP sind nach dem Terroranschlag in den Meinungsumfragen abgefallen. Die Vorsitzende der Konservativen Partei, Erna Solberg, hat die Hetze gegen Muslime mit der Verfolgung der Jüdinnen und Juden in den 1930er Jahren verglichen. Doch gleichzeitig strebt sie an, mit der rassistischen FRP in der Regierung zu sitzen, die auf dieselbe Weise wie andere rechtspopulistische Parteien in Europa die Hetze gegen Muslime benutzt hat, um Stimmen zu bekommen. Die Vorsitzende der FRP, Siv Jensen, hatte vor der „schleichenden Islamisierung Norwegens“ gewarnt. Jetzt ist die FRP ganz leise geworden und sagt, sie wird sich „im Ton zurückhalten“. Nicht gesagt aber wurde, dass die rassistische und islamophobe Politik geändert wird.
Nun, da der Wahlkampf kaum begonnen hat, sagte der ehemalige Vorsitzende der FRP, Carl I Hagen, dass er die schnellstmögliche Aufklärung und gerichtliche Abhandlung will. Zudem sagte er, dass „die Ermittler sich nicht zu sehr mit den Details beschäftigen sollten“. Das hat bei den Eltern der auf Utøya Getöteten natürlich zu einem Aufschrei geführt. Hagen ist Bürgermeisterkandidat für Oslo und es scheint, als hätte er nicht begriffen, welche Stimmung in der Stadt herrscht. Möglicher Weise sendet er aber auch ein Signal an rassistische und islamophobe Wähler, die sich nun in die Enge gedrängt fühlen und sich wünschen, dass schnell alles wieder so ist wie vor dem Massaker. Doch das wird nicht geschehen.
Während der Kapitalismus in Norwegen nicht mit denselben Problemen wie andernorts in Europa zu kämpfen hat, haben die Menschen auch hier Kürzungen, Privatisierungen und Streichungen im öffentlichen Dienst erfahren. Die Lücke zwischen den Reichsten und den Ärmsten ist dramatisch angewachsen und der Anteil an in Armut lebenden Kindern hat zugenommen, obwohl die Regierung versprochen hat, „Armut auszurotten“. Viele EinwanderInnen haben große Schwierigkeiten, auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt Fuß zu fassen. Massenmobilisierungen und eine sozialistische Politik sind nötig, um den Rassismus zu bekämpfen.