Europa im Aufruhr

Gemeinsames Heranreifen der ökonomischen, sozialen und politischen Krise in Europa


 

Die CWI-Schulung, die vom 24.-29. Juli in Leuven in Belgien stattfand wurde von Peter Taaffe vom Internationalen Sekretariat des CWI zum Thema „Europe in Aufruhr, die Jugendrevolte und der aktuelle Stand des Klassenkampfs“ eröffnet.

von Kevin Parslow, Socialist Party (CWI England & Wales)

Das Einführungsvideo zeigte ein turbulentes Jahr in Europa, mit Protesten und Streiks von Irland bis Russland, von Skandinavien bis Portugal. Peter begann mit dem Hinweis, dass die an diesen Ereignissen und unseren Zeiten beteiligten sich freuen könnten Teil der Kämpfe zu sein. Wir erleben die schwerste Krise des Kapitalismus seit 70 Jahren. Auch die vielen neuen Mitglieder, die im letzten Jahr in das CWI eingetreten sind und von denen viele an der Schulung teilgenommen haben werden helfen mit dem Programm und der Taktik des CWI Geschichte zu machen. Für die „ältere Generation“ von CWI-Mitgliedern seien die Entwicklungen in Europa die Bestätigung ihrer lange vertretenen Perspektive, die sie unter schwierigen Bedingungen in den 1990ern und besonders am Anfang dieses Jahrhunderts verteidigt haben – wenn sich eine kapitalistische Krise entwickelt, leistet die Arbeiterklasse Widerstand.

Peter erwähnte die Bedeutung des „Murdochgate“-Skandals für die GenossInnen des CWI in Britannien, wo JournalistInnen Kontakt mit uns aufgenommen haben und unsere GenossInnen in Schottland und international Tommy Sheridan verteidigen, der ins Gefängnis gesteckt wurde weil er sich mit News International anlegte. Diese ganze Episode verdeutliche, dass der kapitalistische Staat und seine Institutionen – darunter das Parlament, die Presse, die Justiz und die Polizei – bis ins Mark verfault seien, eine weitere Reflektion der Krise.

Aber der Hauptteil von Peters Einleitungsrede handelte von der wirtschaftlichen Katastrophe vor der ein Großteil Europas steht und der Reaktion der Arbeiterklasse in den betroffenen Ländern. Peter kommentierte, dass die Kapitalisten international „Ansteckung“ in Europa fürchten während die Eurozone zusammenbricht, aber es gibt nichts ansteckenderes als die Ausbreitung der Revolution, die es in diesem Jahr im Nahen Osten und Nordafrika gab und die jetzt in Griechenland und anderen Teilen Europas durch Aktivität der Arbeiterklasse und der Jugendbewegung der „Empörten“ auf Plätzen in vielen Städten abläuft.

Für den Kapitalismus gibt es keinen einfachen Weg aus dieser Krise heraus, nachdem in 30 Jahren „Finanzialisierung“ riesige Schuldenberge aufgebaut wurden, die jetzt die wirtschaftliche Erholung behindern. Die Krise sei, wie Peter sagte, systemisch und nicht zyklisch, und viele kapitalistische Kommentatoren würden sagen die Krise sei mit den 1930ern vergleichbar – obwohl Roger Bootle von Capital Economics glaubt dass es mehr Gemeinsamkeiten mit der „langen Depression“ des späten neunzehnten Jahrhunders gibt, einer Krisenperiode die fast 25 Jahre dauerte! Diese Analysten tränken am tiefen Brunnen des Pessimismus!

Jedoch würde der Kapitalismus, wie Peter weiter ausführte, immer nach einem Weg suchen seine Probleme auf die Kosten der Arbeiterklasse zu lösen. Er illustrierte das mit einem Zitat einer Griechin, die gegen sinkende Löhne protestierte: „Wie würde es Ihnen gefallen, von 300 Euro im Monat zu leben?“, fragte sie einen Fernsehjournalisten. Als weiteres Krisensymptom greift Massenarbeitslosigkeit um sich; in den am stärksten betroffenen Ökonomien in der „Peripherie“ der Eurozone sind 15-20% der Erwerbsbevölkerung arbeitslos, die Jugendarbeitslosigkeit liegt in diesen Ländern um die 40%! Aber auch in Britannien, das nicht zur Eurozone gehört sind 850000 ArbeiterInnen seit mindestens einem Jahr arbeitslos.

In Wirklichkeit hat niemand die schwache „Erholung“ der kapitalistischen Wirtschaft nach dem Crash von 2008/9 bemerkt. Das bedeutet, dass es keine soziale Stabilität geben wird. Und die nächsten Probleme werden vorbereitet. Die Financial Times erklärte vor kurzem: „Die Bedingungen für die nächste Finanzkrise sind schon da. Die Schulden sind weiter auf Vorkrisenniveau… In den USA betragen die Schulden des Privatsektors das 2,6-fache des Bruttoinlandsprodukts und sind fast doppelt so hoch wie nach dem Crash 1929.“

Die Wut über die Krise hat sich in den zahlreichen Generalstreiks in Europa gezeigt, in Griechenland gab es in etwa einem Jahr 11 oder 12. Der Kollaps in Griechenland ist so massiv, dass das Land als „Argentinien an der Ägäis“ bezeichnet wird, ein Vergleich mit der Krise in dem südamerikanischen Land an der Wende zum 21. Jahrhundert. Auch in anderen Ländern gab es große Streiks.

Im beeindruckenden Kampf der Indignados ist die Anti-Parteien-Stimmung unter Teilen der Jugendlichen, die die Plätze besetzen ein verkomplizierender Faktor. Sie ist eine Folge der Wut auf das politische System, aber auch des Versagens der FührerInnen der Arbeiterbewegung und der Gewerkschaften, die sich in der letzten Periode meist schnell nach rechts bewegt haben. In solchen Fällen ist es besonders wichtig ein echtes sozialistisches Programm zu erklären, um das Vertrauen der jungen Protestierenden zu gewinnen.

In Griechenland haben wir starke Elemente einer vorrevolutionären Situation (siehe den Bericht zu Griechenland). Das Bewusstsein – das Verständnis der Periode in der wir leben und der Aufgaben der Arbeiterklasse – das seit dem Zusammenbruch des Stalinismus und der Rechtsverschiebung der Führungen der Arbeiterbewegung in den meisten Ländern niedrig war beginnt in der Gluthitze der Ereignisse in Griechenland und anderswo zu wachsen. Unsere Slogans zur Nichtbezahlung der Schulden und Verstaatlichung der Banken wurden anfangs nicht angenommen, sind aber jetzt als Forderungen der am weitesten denkenden Teile der Bewegung akzeptiert. Xekinima, die griechische Sektion des CWI wird in der Praxis getestet. Wenn die GenossInnen die richtigen Forderungen aufstellen und die korrekte Taktik verwenden kann der Einfluss marxistischer Ideen in Griechenland in der nächsten Periode dramatisch wachsen.

Peter lobte die Wahlerfolge unserer irischen GenossInnen, die mit der United Left Alliance (Bündnis der Vereinigten Linken) Joe Higgins und Clare Daly ins Parlament gebracht haben (die sich beide mit Beiträgen über die Auswirkungen der Krise auf irische ArbeiterInnen und das dadurch wachsende riesige Bedürfnis nach Veränderung an der Diskussion beteiligten), und unseren neuen Abgeordneten im Europaparlament Paul Murphy, der vor kurzem in Kasachstan war.

Auch in Britannien wachse die Bewegung, mit der riesigen Demonstration gegen Kürzungen am 26. März und, noch wichtiger, dem Streik von 750000 ArbeiterInnen im öffentlichen Dienst gegen Rentenkürzungen, in dessen Führung CWI-Mitglieder in der Gewerkschaft PCS eine wichtige Rolle spielten und der ein echter Wendepunkt war.

Peter gab einen kurzen Überblick über die weltweite wirtschaftliche Situation. Die „Rettungspakete“ während der Rezession wurden hauptsächlich zur Stützung des Finanzsektors verwendet, anders als der New Deal in den USA in den 1930ern, der zu Investitionen in öffentliche Arbeiten führte. Aber die Kapitalisten schwenkten schnell von „Investitions-“ zu Kürzungspolitik um, und zum Zeitpunkt der Rede herrschte im politischen System der USA ein Patt über den Haushalt und die Schuldenobergrenze. Peter spekulierte über die Möglichkeit dass die US-Bundesbank als verzweifelten Versuch die Wirtschaft zum Laufen zu bringen auf eine neue Runde des „quantitative easing“, „QE3“ zurückgreifen könnte. Aber Rettungspakete können den Kapitalismus nicht aus dem Sumpf ziehen, in dem er steckt und werden sogar neue Probleme für die Kapitalisten schaffen. Sogar Deutschland, dessen Wirtschaft in letzter Zeit hauptsächlich durch den Export von Industrieprodukten gewachsen ist, wird sich die Probleme nicht für immer vom Hals halten können. China ist mit einem riesigen Investitionsprogramm in die Wirtschaft einer Rezession entgangen, aber das führt zur Vergrößerung einiger Spekulationsblasen die in der Zukunft mit explosiven Konsequenzen platzen könnten.

Also schlittern die Kapitalisten „mit geschlossenen Augen der Katastrophe entgegen“, wie Trotzki es einmal formuliert hat. Sie stehen vor einer wirtschaftlichen, sozialen und politischen Krise, die alle gleichzeitig heranreifen und die Bedingungen für revolutionäre Umwälzungen schaffen. Aber damit die Arbeiterklasse erfolgreich sein kann werden sozialistischen Massenorganisationen mit klaren Ideen gebraucht. Das liegt daran, dass die ehemaligen sozialdemokratischen und komunistischen Parteien die Bühne verlassen haben, während einige der neuen linken Organisationen wie Syrize in Griechenland oder der Linksblock in Portugal sich perverserweise nach rechts bewegt haben, während sich die Krise vertiefte. Die Erfahrung der Socialist Party in Irland mit ihrer führenden Beteiligung an der United Left Alliance wird für neue Formationen in Zukunft ein wichtiges Beispiel sein.

Die Schulung fand nach dem „Deal“ statt mit dem ein Staatsbankrott, eine Katastrophe für die griechischen Kapitalisten verhindert werden sollte. Letztlich handele es sich um einen teilweisen Staatsbankrott. Aber der Deal bedeute eine Katastrophe für die Arbeiterklasse und nach anfänglichen positiven Kommentaren würden die Märkte zunehmend skeptisch, dass der Deal einen Bankrott oder die Ausbreitung der „Ansteckung“ nach Portugal und Irland oder sogar nach Spanien und Italien, deren Ökonomien unter zunehmenden Druck der Märkte gerieten, verhindern könne. Eine Art Zusammenbruch der Eurozone sei möglich, eine Möglichkeit die das CWI schon bei der Einführung des Euro für wahrscheinlich gehalten habe, die aber durch das weltweite Wirtschaftswachstum vor 2007/8 aufgehalten worden sei. Jetzt, in der Rezession und Krise beginne die Eurozone auseinander zu brechen. Es sei eine systemische Krise des Euro, aus der sie sich wahrscheinlich nicht erholen würde. Der Euro könne nach der Krise nur noch in einem Kerngebiet um Deutschland bestehen, Träume von einer Möglichkeit die europäische Einigung in fiskalischer oder gar politische Hinsicht zu verstärken, denen sogar der britische Finanzminister George Osborne anhängt seien unrealistisch, da nationale Parlamente und die WählerInnen ihre Zweifel und Ablehnung gegenüber weiteren Rettungspaketen in der Eurozone zum Ausdruck gebracht hätten.

In der Diskussion stellten Genossen von Rättvisepartiet Socialisterna, der schwedischen Sektion des CWI, in Frage dass der Euro sofort zerfallen würde und meinten, dass der Deal dem griechischen Kapitalismus für eine gewisse Zeit Luft verschaffen könne. Ein schwedischer Genosse zitierte aus einem FT-Artikel, der nahelegte dass der Deal das Projekt größerer Integration vorantreiben und gleichzeitig die Unterstützung für dieses Ziel in den Bevölkerungen schwächen würde. Dazu Stellung nehmend räumte Robert Bechert vom internationalen Sekretariat des CWI ein, dass das IS von einem schnelleren Zusammenbruch des Euro ausgegangen war. Aber Robert wies die Schulung darauf hin, dass einige GenossInnen bei der Einführung des Euro angenommen hatten, dass er nur durch eine europaweite revolutionäre Bewegung zerschlagen werden könne, was noch nicht der Fall sei. Der Euro sei insbesondere durch den Zusammenbruch der europaweiten Finanzblase 2007/8 und seine Folgen für die Banken und Regierungen geschwächt. Der Deal könnte einen unmittelbar bevorstehenden Zusammenbruch verhindern aber werde weitere Komplikationen für den Euro oder das Wachstum nationaler Spannungen innerhalb der Eurotone nicht verhindern. Dieser Deal könne weitere Zahlungsausfälle oder den Austritt von Ländern aus der Eurozone nicht verhindern. Und Tony Saunois vom IS zitierte in seinem Schlussbeitrag Wolfgang Münchau von der Financial Times, der erklärte hatte man habe für einen wirklich effektiven Deal die griechischen Staatsschulden halbiere und nicht nur um 12% „stutzen“ sollen. Dieser „Deal“ wird trotzdem gravierende Konsequenzen für Griechenland und die Arbeiterklasse haben.

Peter erinnerte die Schulung daran, dass obwohl sich die Ereignisse allgemein in eine für uns günstige Richtung bewegten auch die Reaktion in der Form der radikalen Rechten in Europa präsent sein werde. Marine Le Pen habe seit ihrer Übernahme der Führung der Front National in Frankreich radikale Töne angeschlagen – sie könnte bei den Präsidentenwahlen im nächsten Jahr sogar Sarkozy schlagen und in die Stichwahl kommen – und auch andere rechtsradikale und populistische Parteien seien stärker geworden. Die Gefährlichkeit der radikalen Rechten wurde in den letzten Tagen durch die furchtbaren Ereignisse in Norwegen unterstrichen. Aber die Chancen für die radikale Rechte, in einem europäischen Land an die Macht zu kommen seien wegen des historischen Gedächtnisses der Arbeiterklasse gering, allerdings könnten rechtsradikale Kräfte als Hilfstruppen konterrevolutionärer Bewegungen in der aktuellen Krise eingesetzt werden.

Aber Peter zog auch eine klare Schlussfolgerung: die Hauptströmung der Geschichte sei zugunsten der Arbeiterklasse und des CWI. Das bedeutet nicht, dass es keine Niederlagen und Rückschläge für die Arbeiterklasse geben wird, aber dass der Aufschwung der Aktivität, der beginnende Anstieg des Bewusstseins von ArbeiterInnen und Jugendlichen und die Vertiefung der Krise die nächste Periode bestimmen werden. Der Kapitalismus hat keine andere Antwort, als die Lebensstandards der Arbeiterklasse barbarisch niedrig zu halten. Peter war zuversichtlich, dass wenn wir aus den Bewegungen der Arbeiterklasse lernen, die sich erheben werden und das richtige Programm, die richtige Strategie und Taktik haben das CWI zahlenmäßig und im Einfluss wachsen und in der nächsten Periode die sozialistische Umwandlung der Gesellschaft zu einem populären Ziel für ArbeiterInnen und Jugendliche machen wird.