Mal wieder Berliner Schule
Bei der Presseaufführung auf der diesjährigen Berlinale vor gut vier Monaten erntete die Vorführung von „Schlafkrankheit“ Buhrufe, die „Zeit“ urteilte: „Ein Film zum Gähnen.“ Die Berlinale-Jury sah es anders und vergab den Silbernen Bären für die beste Regie an Ulrich Köhler. Gestern startete Köhlers dritter Film (nach „Bungalow“ und „Montag kommen die Fenster“) in den deutschen Kinos.
von Aron Amm, Berlin
Wie seitens der Berliner Schule üblich, wird auch in dem neuen Film von Ulrich Köhler mit der konventionellen Erzählweise gebrochen, nicht geradlinig Spannung aufgebaut und auf Höhepunkte hingearbeitet, sondern nach links und rechts geschaut, Blick und Geist erlaubt, herum zu schweifen, Beiläufiges wahrzunehmen.
Der Film zerfällt in zwei Hälften. Im ersten Teil steht der deutsche Entwicklungshelfer Ebbo vor der Entscheidung, ob er mit Frau und Tochter nach Wetzlar zurückkehrt oder seine Arbeit in Kamerun fortsetzt. Im zweiten Teil folgt man einem französischen Arzt mit kongolesischen Wurzeln, der in Paris beauftragt wird, ebenfalls nach Kamerun zu reisen, um – wie sich dem Zuschauer allmählich dämmert – Ebbos Projekt, die Bekämpfung der Schlafkrankheit, zu evaluieren. Bald begreift man, dass drei Jahre ins Land gegangen sind, Ebbo in Afrika geblieben, ja gestrandet ist. Der Bezug zu Joseph Conrads „Herz der Finsternis“ drängt sich auf. Ebbo ist nicht abgereist, weil er das Land, vor allem aber auch seine exponierte Stellung als Entwicklungshelfer liebgewonnen hat. In den letzten Minuten des Films scheitert eine Jagd von Ebbo und dem Arzt – eine Allegorie auf das Scheitern der Entwicklungshilfe.
Dann bricht der Film genau da ab, wo man eine Erklärung, Auflösung erwartet. Aber genau das ist die Intention von Ulrich Köhler. Den Zuschauer nicht bedienen, sondern fordern. Er lässt einen auch immer nur mutmaßen, wie seine Hauptfiguren denken, fühlen, handeln – und verteidigt das damit, dass man auch im echten Leben nur beschränkte Informationen von anderen Menschen bekommt und auf dieser Basis seine Schlüsse ziehen muss.
In einer Schlüsselszene von „Schlafkrankheit“ verweist ein Politiker darauf, dass in 50 Jahren angeblich 500 Milliarden Dollar in die Entwicklungshilfe gesteckt wurden, und plädiert dafür, „Hilfe“durch „Handel“ zu ersetzen, endlich den Markt entscheiden zu lassen…