Chaos-Sonntag bei der Bahn
Verspätungen und technische Probleme sind keine Seltenheit bei der Bahn. Aber wie geballt Fahrgäste davon überrollt werden können, erfuhr ich am Sonntag, den 5. Juni.
von Ursel Beck, Stuttgart
Meine ansonsten entspannte Zugfahrt am Samstag von Stuttgart nach Köln war bereits von einem technischen Defekt der Bordküche begleitet. Dass es kein Essen gab, war mir persönlich egal. Es beeinträchtigte nicht meinen Genuss der aussichtsreichen und landschaftlich imposanten IC-Strecke entlang des Rheins (kaum Tunnels!).
Am Sonntag Rückfahrt mit dem IC 2311
Geplante Abfahrt: 16.53 Uhr. Eine Durchsage verkündete eine 40-minütige Verspätung und defekte Klimaanlagen in Wagen 14 und 15. Zum Glück hatte ich eine Reservierung für Wagen 10.
Während der Wartezeit auf dem Bahnsteig jagen sich die Durchsagen: Der Intercity von irgendwoher, der nach Berlin weiterfahren soll, endet in Köln wegen eines defekten Triebwagens. Auf der Anzeigentafel hinter der Verbindung nach Berlin steht: „fällt aus“. Ein ICE nach Frankfurt, der um 17.20 abfahren soll, hat 25 Minuten Verspätung. Der IC nach Hamburg hat eine umgekehrte Wagenrichtung. Der Monitor zeigt zwischen 16.53 Uhr und 17.26 16 Züge und S-Bahnen. Bei neun Verbindungen gibt es Verspätungen oder andere Probleme.
Als unser Zug in Bonn zum ersten Mal hält, werden Fahrgäste im überfüllten mittleren Abschnitt gebeten auszusteigen und in die hinteren Wagenabteile umzusteigen. Am Bonner Bahnhof vermeldet die Ansage während der Haltezeit unseres Zuges, dass der IC nach Nürnberg wegen einer Signalstörung 40 Minuten Verspätung habe. Für den IC nach Tübingen wird eine Verspätung von zwei Stunden durchgesagt.
Nach der Abfahrt in Bonn gibt das Personal bekannt, dass die Klimaanlage im Bord-Restaurant wieder funktioniert. Vor Mannheim erfahren die Bahnreisenden, die in den ICE nach München umsteigen wollen, dass dieser ausfällt und der angebotene Ersatzzug 80 Minuten Verspätung habe. Der ICE nach Basel sei 50 Minuten zu spät.
„Wo kann ich meine Fahrkarte zurückgeben?“
Unser IC nach Stuttgart hat inzwischen 80 Minuten Verspätung. Kurz vor Vaihingen/Enz gibt es eine alarmierende Durchsage: „Wegen eines Brandes im Tunnel der Schnellbahnstrecke fährt der Intercity über Bietigheim – Ludwigsburg. Das führt leider zu einer weiteren Verspätung von 20 Minuten.“ Jetzt geht ein Raunen durch den Großraumwagen. „Wo kann ich meine Fahrkarte zurückgeben?“ fragt ein Mitreisender empört. „Wofür kriegt der Grube eigentlich seine Millionen?“, ärgert sich eine ältere Dame. „Wenn ein normaler Sonntag schon so chaotisch ist, was gibt das dann erst an Pfingsten“, sorgt sich ein anderer.
Ich lenke den Unmut auf Stuttgart 21: „Kein Geld für einen ordentlichen laufenden Bahnbetrieb, aber Milliarden für den Unsinn Stuttgart 21 verbuddeln.“
Und was wurde da gesagt? Brand im Tunnel? Ich gehe ins Dienstabteil und frage noch mal nach. Ja, es hätte ein Feuer in dem Schnellbahn-Tunnel gegeben und deshalb sei er jetzt gesperrt. Zurück am Platz mache ich meine Mitreisenden darauf aufmerksam, dass wir Anspruch hätten auf eine Erstattung von 25 Prozent des Fahrpreises. Manche wissen das nicht und sind froh über die Information. Wir lassen uns die Verspätung von der Schaffnerin bestätigen und das „Fahrgastrechte-Formular“ zur Erstattung aushändigen. Meine Bitte, über eine Durchsage alle Fahrgäste über die Erstattungsmöglichkeit zu informieren, verweigert die Schaffnerin mit der Behauptung, das würden Bahnreisende wissen.
100 Minuten Verspätung
Aus der fahrplanmäßigen Ankunft 20.23 ist die tatsächliche Ankunftszeit 22.03 Uhr geworden, sprich 100 Minuten Verspätung. Manche Fahrgäste verlieren ihre Anschlusszüge und müssen weitere Verspätungen in Kauf nehmen.
Ach ja, zur Ehrenrettung der Bahn sollte ich noch erwähnen, dass irgendwann irgendwo auf der Strecke eine Bahn-Bedienstete jedem Fahrgast einen Viertelliter Tetrapack-Wasser ausgegeben hat.
Pannenserie bei Klimaanlagen
Am Montag und Dienstag wird klar, dass die Bahn bei dem Stresstest von Hitze und hohem Verkehrsaufkommen völlig versagt hat. Ein Redner verkündet bei der Montagsdemo gegen S21, was ihm auf der Fahrt von Berlin nach Stuttgart am Sonntag widerfuhr: Der gebuchte Zug fiel aus, die Platzreservierung war dahin, der Ersatzzug zu kurz und mit einem Ambiente aus dem letzten Jahrhundert, die Klimaanlage funktionierte nicht und die Ankunft in Stuttgart war zweieinhalb Stunden später!
Am Dienstag berichtet die Südwestpresse davon, dass am Sonntag beim ICE 586 nach Hamburg in Würzburg die Kühlung und Beleuchtung ausgefallen war und sich die Türen 20 Minuten lang nicht mehr öffnen ließen.
Laut Presseberichten vom 7. Juni sind an dem besagten Sonntag in etwa 20 Fernzügen die Klimaanlagen entweder komplett oder in einzelnen Waggons ausgefallen. In Bielefeld musste ein ICE mit 500 Fahrgästen geräumt werden.
Tunnelbrand
Während sich die Stuttgarter Lokalpresse über den Brand im Tunnel der Schnellbahnstrecke ausschwieg, berichtete die Ludwigsburger Kreiszeitung am 7. Juni davon, dass die Fahrt des doppelstöckigen Interregio Express 4914 nach Karlsruhe „dramatisch mit verqualmten Waggons, einer Notbremsung und einem Nothalt auf freiem Feld bei Schwieberdingen“ endete. Fahrgäste berichteten, es sei im Tunnel neblig geworden, und unter dem Zug hätte es gebrannt. Weil der Schaffner nicht reagiert habe, hätte ein Reisender die Notbremse gezogen. Weil ein Zug im Tunnel gar nicht halten darf, habe die Notbremsüberbrückung gegriffen. Schließlich hielt der Zug auf freiem Feld bei Schwieberdingen. Vier Passagiere, der Lokführer und ein Zugbebleiter wurden mit Atembeschwerden in ein Krankenhaus gebracht. Die Schnellfahrstrecke war mehr als vier Stunden gesperrt.
Der Brand im Tunnel der Schnellbahntrasse zeigt die Gefahr von Tunneln. Mit dem Bau von Stuttgart 21 und der Hochgeschwindigkeitsstrecke Wendlingen – Ulm wird diese Gefahr bewusst enorm erhöht.
S21 stoppen! Grube und Bahn-Spitze kippen!
Defekte Klimaanlagen, vernachlässigte Technik in den Triebwägen, Signalanlagen und Leitungssystemen zeigen, wo Investitionen hingehören. Sie gehören in die Ertüchtigung der bestehenden Infrastruktur und Technik und nicht in Projekte wie Stuttgart 21.
Und der Brand im Tunnel bestätigt unser Ziel: oben bleiben!
Ein Bahnvorstand, der so rücksichtslos mit der Sicherheit von Bahnreisenden umgeht, dem die Verlässlichkeit des Zugverkehrs egal ist und der S21 durckboxen will, gehört entlassen. Die Bahn muss unter die demokratische Verwaltung und Kontrolle eines von Bahn-Nutzern, Umweltorganisationen, Bahnbeschäftigten und der gesamten arbeitenden Bevölkerung gewählten Gremiums.