Der Fall Dominique Strauss-Kahn und die Medien

Wie aus einer Anklage wegen Vergewaltigung ein Sex-Skandal wird

Am 14. Mai wurde Dominique Strauss-Kahn in New York festgenommen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen versuchter Vergewaltigung, sexueller Belästigung und Freiheitsberaubung einer Angestellten des New Yorker Hotels Sofitel.

Ein Großteil der Medien berichtet seitdem in einer Art und Weise über den, mittlerweile zurückgetretenen, IWF-Chef und Spitzenpolitiker der französischen Sozialistischen Partei, die aus einem Verbrechen einen Promi-Skandal macht.

von Alexandra Arnsburg und Anne Engelhardt

„Sein Schwachpunkt war schon immer der Genitalbereich“ (Süddeutsche Zeitung), „mächtige Männer und Sex-Affären“(stern), „Sexskandal“ (taz) – das sind nur einige der Schlagworte, die uns, diplomatisch ausgedrückt, auf den Magen schlagen. Denn liest man nur die Überschriften, könnte man meinen, Strauss-Kahn sei mit seiner Geliebten erwischt worden.

Doch Vergewaltigung ist kein Kavaliersdelikt oder gar eine Sex-Affäre, sondern ein Verbrechen, bei dem es weniger um Sex, als um die rücksichtslose Ausübung von Macht und Gewalt geht. Immer wieder wird in den Massenmedien Vergewaltigung mit Sex gleichgesetzt. Das führt letztlich zu einer Bagatellisierung solcher frauenfeindlichen Verbrechen.

Doch die Berichterstattung zum Fall Strauss-Kahn wirft auch ein Licht auf den generellen Umgang mit Frauen in den Massenmedien. Auch wenn es in rechtlicher Hinsicht einige Verbesserungen für die Lage von Frauen gab, ist gerade in den Medien eine Zunahme von frauenfeindlichen Inhalten zu beobachten. Frauenkörper preisen Waren an, Mainstream-Fernsehserien bedienen klassische Rollenbilder, in der im Internet leicht verfügbaren Pornografie wird eine Sexualität dargestellt, die mit den wahren Bedürfnissen von Frauen (und Männern) nichts zu tun hat, Werbekampagnen wie die von Dolce & Gabbana erinnern an Vergewaltigungsszenen. Frauen werden verstärkt auf ihren Körper reduziert.

„Das erste Opfer ist Frankreich“

In dem Fall Strauss-Kahn wird mit der Gleichsetzung von Sex und Vergewaltigung versucht, das Verbrechen zu bagatellisieren. Mit Verschwörungstheorien und Kommentaren von Strauss-Kahns ParteifreundInnen, denen er und seine Familie leid tun, wird von der eigentlichen Tat abgelenkt, dem Opfer Vorwürfe gemacht, absichtlich gehandelt zu haben, ganz Frankreich und ihm bzw. den „Sozialisten“ zu schaden.

Ständig werden Berichte und Bilder veröffentlicht, die einen geknickten und leidenden Strauss-Kahn darstellen: „Strauss-Kahn ist gefangen im Hotel“(derwesten), „Der letzte Halt für Dominique Strauss-Kahn“ (derStandard), „Strauss-Kahn vermisst vor allem seine Uhr“ (Süddeutsche). Dazu kommen einseitige, taktischen Erwägungen wie „Drei Optionen – So könnte sich Strauss-Kahn vor Gericht verteidigen“ (Focus, Financial Times Deutschland).“

Viele Medien stehen mit der Form ihrer Berichterstattung hinter Strauss-Kahn, dabei ist nicht klar ob er schuldig ist oder nicht. Die Beweisführung verdichtet sich gegen ihn.

In der Presse wird jedoch kaum ein Wort darüber verloren, was so eine Tat mit dem Leben der betroffenen Frau macht. Wie geht es der Hotelangestellten, welche Prozedere von Befragungen muss sie über sich ergehen lassen, wird sie noch in ihrem Beruf arbeiten können – immer mit der Angst allein mit Hotelgästen sein zu müssen? Das sind Fragen, die zur Zeit kaum öffentlich gestellt werden. Zudem wird die betroffene Hotelfachfrau in den Medien größtenteils als „Zimmermädchen“ betitelt. Bewusst spielen Teile der Presse mit dem vielfach sexuell gefärbten Image des „Zimmermädchens“ und suggerieren somit schon im Vorfeld die Zweifelhaftigkeit ihrer Anschuldigung. Strauss-Kahn behauptet mittlerweile die Tat sei im gegenseitigen Einvernehmen geschehen, nachdem sein Alibi geplatzt ist.

Anderen Opfern von derartigen Verbrechen wird bei dieser Berichterstattung der Mut genommen, so etwas zur Anzeige zu bringen.

Der IWF-Patriarch

Der Chef des Internationalen Währungsfonds repräsentiert die Konzentration von Macht in den Händen von Einzelpersonen, die im Kapitalismus in der Regel Männer sind. Geboren in einer bürgerlichen Familie durchschritt er eine akademische Karriere, wurde Professor für Wirtschaft an der Sciences Po in Paris, eine der bedeutendsten Eliteuniversitäten Frankreichs.

2007 wurde Strauss-Kahn zum Chef des Internationalen Währungsfonds gewählt, der weltweit Kredite an Länder vergibt und im Gegenzug für die betroffene Bevölkerung katastrophale Bedingungen stellt, wie Privatisierungen, horrende Zinsen und, wie aktuell hinsichtlich Portugal und Irland, Vorgaben für weitere Kürzungen macht.

Aber trotz aller Macht, zeigt der Fall auch die Ersetzbarkeit mächtiger Männer im Kapitalismus. Das System funktioniert weiter – und angesichts der tiefen Krisenprozesse wurde Strauss-Kahn schnell zum Rücktritt gedrängt und wird durch Christine Lagarde ersetzt, die seine Politik einfach fortsetzen wird.

Neoliberale Politik, Macht und Frauenfeindlichkeit

Frauendiskriminierung und sexuelle Gewalt sind auch in den herrschenden Kreisen kein Einzelfall. .

2006 rutsche Russlands Präsident Wladimir Putin gegenüber dem damaligen israelischen Premierminister Ehud Olmert heraus, dass er den israelischen Präsidenten Katzav bewundere: „Zehn Frauen hat er vergewaltigt. Das hätte ich ihm nicht zugetraut. Er hat uns alle überrascht. Wir alle beneiden ihn.“ (Financial Times Deutschland). Silvio Berlusconis regelmäßige frauenfeindlichen Äußerungen und die Vorwürfe hinsichtlich seiner Verstrickungen in Prostitution und Sex mit Minderjährigen sind ein anderes Beispiel. Der Sexismus der Herrschenden ist Ausdruck des Sexismus des von ihnen repräsentierten Systems.

Ein Großteil der Massenmedien nutzt das Thema „Politik, Macht und Sex“ zur Steigerung der Verkaufszahlen. Ruchlose Politiker oder andere mächtige Männer werden als Superhengste gefeiert, während die betroffenen Frauen dem Anschein nach noch froh darüber sein sollen, dass sich so ein Mann für sie „interessiert“ hat. Dabei stellen sexuelle Belästigung und Vergewaltigung die höchste Form der Erniedrigung und Machtdemonstration dar.

Dahinter steckt System: Die Aufrechterhaltung der Macht einer Minderheit über die Mehrheit in einer Klassengesellschaft basiert auch auf der Spaltung der Mehrheit. Die Herrschenden haben kein Interesse daran, dass Männer Frauen auf gleicher Augenhöhe begegnen. Die mehrheitlich von Frauen geleistete unentgeltliche Hausarbeit dient ebenso zur Aufrechterhaltung des kapitalistischen Systems, wie die Spaltung durch Lohndiskriminierung und Sexismus. Dieses Interesse spiegeln auch kapitalistische Medien wider, wenn sie in der oben beschriebenen Art und Weise über einen Vergewaltigungsvorwurf berichtet, bei dem ein mächtiger Repräsentant des Kapitalismus angezeigt ist.

Sexualität und Sexismus ist nicht das gleiche

Im Kapitalismus sorgt die Spaltung zwischen Männern und Frauen nicht nur dafür, dass die einen mehr Geld für die gleiche Arbeit bekommen, als die anderen, sondern auch dafür, dass Frauenkörper als Waren angeboten werden oder zum Verkauf von Waren benutzt werden. Dahinter steht ein milliardenschwerer Markt. Die Darstellung von Frauenkörpern in der Werbung und Pornoindustrie, die unkritische Akzeptanz von Prostitution zementieren das Bild einer (für Männer) freien Verfügbarkeit weiblicher Sexualität. Frauen wird suggeriert, dass sie nur glücklich werden können, indem sie die herrschenden Frauenbilder und -rollen kopieren. Frauen, die sich dagegen auflehnen und sich zum Beispiel nicht den vorgegebenen Modetrends anpassen, haben mit Diskriminierung zu rechnen.

Das passiert in einer Gesellschaft in der der Kampf um Existenzsicherung, aber auch um Anerkennung durch immer mehr Arbeits- und Leistungsdruck dazu führt, dass Menschen sich entfremden, entsolidarisieren und vereinsamen. Diese katastrophale Entwicklung der menschlichen Psyche wird zur Profitmacherei ausgenutzt – ob durch Prostitution, den Verkauf von Pornografie oder den Einsatz von Frauenkörpern in der Werbung. Männern werden Frauenkörper angeboten, die ihnen scheinbar jederzeit zur Verfügung stehen, um diesem Zustand der Vereinsamung oder um dem Gefühl der eigenen Machtlosigkeit durch die Ausübung von Macht gegenüber Frauen kurzzeitig zu entkommen. Dabei wird auch ein Gefühl verkauft: Sei erfolgreich mit diesem Deo, sei schön mit dieser Diät, sei gesünder mit diesem Medikament – damit du einen guten Preis auf dem Markt erzielst (Erfolg hast) oder kaufe Sex, um der Einsamkeit oder dem Gefühl der Machtlosigkeit einen Moment lang zu entkommen.

Während Frauen oftmals als unselbständige, von einem Mann abhängige oder „zu rettende“ Menschen dargestellt werden, die (im Falle des Durchschnittspornos) immer oder zumindest dann, wenn sie an „den Richtigen geraten“, sexuell willig sind, konstruieren die Massenmedien auch zunehmend Männerbilder, die diese unter steigenden psychischen Druck setzen. Hier sind es im Zweifelsfall die Muskeln, im Porno die permanente Fähigkeit „zu können“ oder andere typisch männliche Attribute, die dargestellt werden. Und selbst in der homosexuellen Pornografie werden Rollenbilder von Herrschern und Beherrschten reproduziert.

Die oftmals sexistische Darstellung von Sexualität in den Massenmedien, der Werbe- und Pornoindustrie wird dazu genutzt, dass alles was mit Nacktheit und intimen Berührungen zu tun hat, als Sexualität ausgelegt wird, damit Schlagzeilen und Umsatz gemacht werden können. Dabei basiert Sexualität auf gegenseitigem Einverständnis, Lust und Respekt voreinander. Alles andere sind Ergebnisse einer Gesellschaft, die nur mit dem Teile-und Herrsche-Prinzip und auf der Basis von Profitlogik funktioniert. Der Kampf gegen Frauendiskriminierung und Sexismus ist deshalb ein notwendiger Bestandteil eines Kampfes für eine Gesellschaft, die sich an den Bedürfnissen der Menschen statt an Profitmaximierung orientiert.