„Wir erwarten französische und griechische Verhältnisse.“

Interview mit Rob Williams aus Großbritannien.


 

Die Cameron-Regierung har massive Kürzungen angekündigt. Was genau plant sie und wie unterscheiden sich die angedrohten Kürzungen von Angriffen in der Vergangenheit?

Am 20. Oktober 2010 kündigte die Regierung Kürzungen in Höhe von 81 Milliarden Pfund an. Das ist ein Frontalangriff gegen Alles, wofür Generationen von ArbeiterInnen gekämpft haben. Zusätzlich zu diesen Kürzungen hat Cameron sein „Big Society“-Programm dargelegt – ein extremes neoliberales Programm von weitgehenden Privatisierungen öffentlicher Dienstleistungen und der Sozialsysteme. Kurz gesagt, bei den aktuell geplanten Angriffen handelt es sich um eine weitaus größere Attacke, als wir sie aus der Vergangenheit kennen – selbst im Vergleich zu den arbeiterfeindlichen Angriffen unter der Premierministerin Margaret Thatcher in den 1980er Jahren.

Betreibt nur die nationale Regierung eine Kürzungspolitik oder auch die Kommunen?

Die Kürzungen haben ihre Wurzel in der Politik der nationalen Regierung, aber sie werden an die Kommunen weiter gereicht, denn die Koalition der Konservativen und Liberaldemokraten (die ConDem-Koalition genannt wird) verkleinert deren Haushalte. Wir sind der Meinung, dass die Kommunen, die vielfach von der Labour Partei geführt werden, sich weigern sollten, diese Kürzungen umzusetzen und stattdessen zu einer massenhaften Kampagne der Verweigerung aufrufen sollten. Sie sollten dem Beispiel des sozialistischen Liverpooler Stadtrats der 1980er Jahre folgen. In diesem spielten die UnterstützerInnen der Militant-Strömung (Vorgängerin der heutigen Socialist Party) eine entscheidende Rolle. Der Liverpooler Stadtrat konnte mit einer Politik der Massenmobilisierung gegen die durch die damalige Zentralregierung geforderten Kürzungen nicht nur Kürzungen verhindern, sondern auch wichtige Zugeständnisse von der Thatcher-Regierung erzwingen.

Im Dezember gab es in Großbritannien auch große Demonstrationen von Studierenden. Welche Auswirkung hatten diese auf die britische Gesellschaft und was ist seitdem geschehen?

Die Studierendenbewegung spielte eine entscheidende Rolle dabei, ArbeiterInnen zu zeigen, dass es möglich ist, sich gegen Kürzungen zur Wehr zu setzen. Das gab ihnen Selbstbewusstsein. Das war sehr wichtig, denn die Führungen der Gewerkschaften hatten es versäumt zu großen Demonstrationen oder sogar Streiks gegen die Kürzungen aufzurufen. Außerdem ist eine neue Schicht von Jugendlichen in die politische Aktivität gebracht worden. Einige von ihnen wurden durch das brutale Vorgehen der Polizei gegen DemonstrantInnen in ihrer Entschlossenheit nur gestärkt. Die Studierendenproteste wirkten auch wie eine Warnung an die Regierung, dass noch ganz andere Proteste der Arbeiterklasse folgen können. Seit Dezember hat es einen gewissen Rückgang in der Studierendenbewegung gegeben, weil das Bildungsgesetz verabschiedet wurde. Hinzu kommt, dass der Januar ein Prüfungsmonat ist. Aber die Studierenden sind weiterhin sehr wütend und sie nehmen an Protesten teil.

Was machen denn die Gewerkschaften?

Die Führungen der Gewerkschaften haben es bisher versäumt ihre Mitglieder auf die nötigen Streiksaktionen vorzubereiten, um die Regierungspläne zurückzuschlagen. Stattdessen versuchen sie durch Verhandlungen auf lokaler Ebene die schlimmsten Folgen der Kürzungen abzufedern. Ihre Reaktion auf die Ankündigung des Kürzungspakets am 20. Oktober 2010 war zu einer Demonstration für den 26. März 2011 aufzurufen. Nun wird dies aber zu einer riesigen Demonstration werden, die das Selbstbewusstsein unter ArbeiterInnen, Widerstand zu leisten, steigern wird. Wegen ihrer engen Verbindungen zur Labour Partei haben die Gewerkschaftsführungen keinen wirklichen Druck auf die Labour-Stadträte, die auch Kürzungen durchführen, ausgeübt. Aber wenn in den Kommunen die Haushalte beschlossen werden und klarer wird, wo genau Kürzungen anstehen, werden die Gewerkschaftsführer vor Ort und auch national unter wachsenden Druck geraten, Streiks durchzuführen.

Es gibt verschiedene Anti-Kürzungsgruppen in Großbritannien – Right to Work (RTW), Coalition of Resistance (CoR) und das Nationale Vertrauensleute-Netzwerk (NSSN) hat eine Kampagne gegen die Kürzungen beschlossen. Warum gibt es keine Einheit und was sind die Unterschiede zwischen den Gruppen?

Die Bewegung gegen die Kürzungen hat sich nicht organisch von unten entwickelt. Das war bei der großen Bewegung gegen die Kopfsteuer (Poll Tax) Anfang der 1990er Jahre der Fall, als die natinale Anti-Poll-Tax-Föderation durch viele lokale Anti-Poll-Tax-Gruppen gebildet wurde. Bevor dies in der aktuellen Bewegung gegen die Kürzungen möglich gewesen wäre, haben RTW und CoR versicht sich als DIE Anti-Kürzungs-Organisationen auszurufen. Aus unserer Sicht haben sich beide jedoch zu nah an der Gewerkschaftsführung positioniert und dadurch eine zu unkritische Haltung gegenüber der Labour Partei und vor allem gegenüber Labour-Stadträten eingenommen. Mitglieder der Socialist Party haben dann im NSSN eine Debatte über eine Anti-Kürzungskampagne losgetreten, um sicherzustellen, dass es landesweit ein klares Banner des Widerstands gegen wirklich alle Kürzungen geben wird. Dazu muss man aber auch sagen, dass schon vor dieser Entscheidung, das NSSN eine wichtige Rolle in der Anti-Kürzungsbewegung gespielt hat und es das NSSN schon weitaus länger gibt, als RTW und CoR.

Andererseits wäre es falsch zu sagen, dass es keine Einheit gibt. In der Anti-Kürzungs-Bewegung vor Ort sind UnterstützerInnen aller drei Organisationen vertreten. Das NSSN hat eine Rolle in den gemeinsamen Aktivitäten mit RTW und CoR gespielt, aber wir sind auch der Ansicht, dass eine Debatte über die richtige Strategie und Taktik in der Bewegung nötig ist.

Was ist das Programm der Socialist Party gegen die Kürzungen?

Vor allem lehnen wir alle Kürzungen ab. Labour Stadträte sollten keine Kürzungen beschließen und stattdessen bedarfsgerechte Haushalte aufstellen, die die kommunalen Dienstleistungen aufrechterhalten, keine Beschäftigten des öffentlichen Dienstes entlassen oder kommunale Steuern und Abgaben über die Inflationsrate erhöhen. Das wäre in der arbeitenden Bevölkerung extrem populär und könnte die Basis für eine Massenkampagne legen, in der Stadträte, kommunale Beschäftigte und die breitere Arbeiterklasse zusammen kämpfen, um die Regierung dazu zu zwingen, das nötige Geld zur Verfügung zu stellen. Das könnte landesweit koordiniert werden.

Tatsächlich jedoch setzen Labour Stadträte die Kürzungen um, also treten wir für eine Massenkampagne gegen alle Kürzungen auf lokaler und nationaler Ebene ein. Diese sollte die Gewerkschaften umfassen, aber auch NachbarschaftsaktivistInnen, Jugendliche und auch die unorganisierten Teile der Arbeiterklasse. Das könnte Streiks, Proteste, Besetzungen beinhalten, aber die Gewerkschaftsdemo am 26. März muss dafür der Ausgangspunkt sein, koordinierte Streikaktionen durchzuführen. Diese könnten mit einem 24-stündigen Streik im öffentlichen Dienst beginnen und zu einem eintägigen Generalstreik führen, um die Regierung zum Rückzug zu zwingen.

Was wird in diesem Jahr in Grobritannien geschehen?

Als im Oktober 2010 die Haushaltskürzungen angekündigt wurden, fragte ein BBC-Reporter den Gewerkschaftsvorsitzenden: „Warum sind die britischen Arbeiter nicht wie die französischen?“ Wir sind zuversichtlich, dass nicht nur französische, sondern auch griechische und ägyptische Verhältnisse nach Großbritannien kommen werden. Die Attacke der Regerung ist einfach zu heftig, als dass sie ohne größeren Widerstand über die Bühne gehen könnte. Gleichzeitig bereiten auch die privaten Arbeitgeber Ähnliches vor und die Regierung will die Anti-Gewerkschaftsgesetze verschärfen, die heute schon die undemokratischsten in Westeuropa sind. Das alles ist ein hochexplosives Gemisch.

Es wird unweigerlich eine Reaktion der ArbeiterInnen geben, einen Versuch, Widerstand zu leisten. Wir müssen aufpassen, dass dies von den Gewerkschaftsführern nicht gebremst wird, sondern daraus eine starke Streikbewegung entsteht, die die Regierung und ihr Kürzunsgpaket zu Fall bringen kann.

Rob Williams arbeitet in der Abteilung für Betriebs- und Gewerkschaftsfragen in der Socialist Party in England und Wales. Er war lange Zeit Vorsitzender der gewerkschaftlichen Vertrauensleute beim Automobilzulieferer Visteon und ist aktiv im Nationalen Vertrauensleute-Netzwerk (NSSN). Die Fragen stellte Sascha Stanicic