Fahrgäste bleiben auf der Strecke
Winter 2010/11: Die S-Bahn-Krise hat sich verschärft. Wartezeiten von einer Stunde, vereiste Türen und dann: Ganze Strecken werden vorläufig stillgelegt, vier Außenbezirke komplett vom Netz genommen. PendlerInnen wissen nicht, wie sie zur Arbeit gelangen sollen. Potsdamer StudentInnen wird vom Verkehrsausschuss der Uni Potsdam nahe gelegt, bis auf Weiteres möglichst auf Uni-Besuche zu verzichten.
von Anne Engelhardt, Bezirksverordnete Berlin-Mitte für DIE LINKE und Mitglied der SAV
Es ist lächerlich zu behaupten, der „plötzliche“ Wintereinbruch sei Schuld an den Problemen der S-Bahn.
Die S-Bahn Berlin GmbH gehört der DB Regio AG, die selbst Tochterfirma der Deutschen Bahn AG ist, welche noch zu 100 Prozent dem Bund gehört. Seit dem geplanten Börsengang 1994 wurden bundesweit über 140.000 Stellen bei der Bahn abgebaut und ein Drittel der Bundeszuschüsse gekürzt. Besonders der Nah- und Regionalverkehr und darunter die Berliner S-Bahn müssen für den Börsengang herhalten. Seit 2003 wurden laut „Bahn von unten“ die Hälfte aller Stellen bei der S-Bahn vernichtet.
Die Schuldfrage
In einem offenen Brief meldete sich nun der ehemalige S-Bahn-Geschäftsführer Ernst-Otto Constantin zu Wort. Er hatte den damaligen DB-Chef Hartmut Mehdorn schon früh gewarnt, dass der Optimierungsplan zur „Rationalisierung“ „die S-Bahn ruinieren“ würde. Constantin führt aus, dass drei von sieben Werkstätten, die zur Wartung der S-Bahn und zur Ausbildung neuer TechnikerInnen notwendig sind, geschlossen wurden. In der Hauptwerkstatt wurden von 800 knapp 600 Stellen abgebaut. Nur drei der ehemals 26 Meister nehmen heute die Wagen nach der Wartung ab. Zudem gab es vor dem personellen Kahlschlag auf jedem Bahnsteig KollegInnen, die Fahrgästen sowohl Auskunft erteilten als auch im Winter die vereisten Weichen prüfen und warten konnten. Ohne sie dauert es jetzt zum Teil Stunden und Tage, bis Streckenabschnitte wieder befahrbar sind.
Der Berliner Senat bezuschusst die S-Bahn mit 230 Millionen Euro. Obwohl sie durch die S-Bahn-Krise 2009 und 2010 insgesamt 300 Millionen Euro Verluste verbucht hat, führt das Unternehmen 2010 125 Millionen Euro an die DB AG ab. Laut Tagesspiegel vom 14. Januar will die Deutsche Bahn auch 2013 wieder Gewinn aus der S-Bahn pressen. Wir müssen also damit rechnen, dass der Rubel rollt, doch die S-Bahn weiter den Bach runter geht.
Öffentlicher Nahverkehr im Kreuzfeuer der Konkurrenz
Obwohl etwa 90 Prozent der Züge im Regional- und Nahverkehr fahren und die Hälfte aller Bahnkunden in diesen Zügen sogar pendelt, fließen die Hauptinvestitionen der DB AG in Hochgeschwindigkeitsstrecken, Prestigeprojekte wie Stuttgart 21 und den Kauf von ausländischen Transportunternehmen. Damit will die DB AG gegenüber anderen Verkehrskonzernen konkurrenzfähig bleiben und als „Global Player“ auftreten.
Drei Milliarden Euro investierte sie deshalb in das britische Unternehmen ARRIVA, das europaweit der größte Buslinienbetreiber ist. Durch diese Investition trägt die DB AG mit dazu bei, dass der Verkehr von der Schiene auf die Straße verlagert wird. Hauptprofiteur wird die Daimler AG sein. Wen wundert es da, dass drei von vier ehemaligen und aktuellen Bahnchefs aus dem Daimler-Konzern kommen.
Auch bei den ICEs wurde massiv gekürzt: Während die Fahrgäste im Winter stundenlang mit dem Zug in Schneeverwehungen stecken bleiben, schwitzen sie im Sommer bei kaputten Klimaanlagen. Zudem presst die DB AG noch die meist öffentlichen Betreiber der Nahverkehrsnetze aus, indem sie ihnen teure Trassen- und Bahnsteiggebühren abknöpft, während sie dieses Geld nicht in die Wartung der Streckennetze, sondern in Konkurrenzeinkäufe steckt.
Verantwortung der Landespolitik
„Bei der S-Bahn stellt die Politik die Forderung, die Kunden mit kostenfreien Fahrmonaten zu ‚entschädigen‘, gestattet aber Fahrpreiserhöhungen. Das ist reiner Populismus“ (Leserbrief in der Berliner Zeitung).
So sehr die SPD/LINKE-Landesregierung jetzt auch gern Lösungen hätte: Tatsache ist, dass sie seit 2003 nichts gegen die schädlichen „Rationalisierungen“ bei der S-Bahn getan hat.
Während SPD-Bürgermeister Klaus Wowereit sich für den Wahlkampf warm läuft und zwei Monate kostenloses Fahren mit der S-Bahn fordert, überdenkt der rot-rote Senat – allen voran die SPD-Senatorin Ingeborg Junge-Reyer – Konzepte zur Teilprivatisierung. Auch die Grünen fordern, die Auswirkungen der Privatisierungvorbereitung mit Privatisierung zu bekämpfen und beispielsweise den S-Bahn-Ring auszuschreiben.
DIE LINKE Berlin hat sich – nachdem sich ihre verkehrspolitische Sprecherin Jutta Matuschek bis vor einem Jahr ebenfalls für eine Teilausschreibung ausgesprochen hatte – gegen eine Privatisierung entschieden. Eine Lösung zur Krise der S-Bahn präsentiert der neue Spitzenkandidat der LINKEN zur Abgeordnetenhauswahl, Harald Wolf, jedoch nicht. Gegenüber dem Tagesspiegel (17. Januar) sagte er nur, dass er dagegen sei, den Vertrag mit der S-Bahn vorzeitig zu kündigen, da es darum gehen solle, „in den Vertrag ab 2017 hinein“ zu verhandeln, „dass der Senat mehr Einfluss erhält“.
Demokratische Kontrolle und Verwaltung
In den letzten Jahren ist in Bezug auf die S-Bahn deutlich geworden, dass es nur komplett gegensätzliche Interessen zwischen Profitlogik und öffentlicher Daseinsvorsorge geben kann. Deshalb darf es keine Teil- oder Komplettprivatisierung der S-Bahn geben. Die S-Bahn soll das Bedürfnis nach Mobilität der Berlinerinnen und Berliner befriedigen und nicht zur Erwirtschaftung von Gewinnen herhalten.
Der Börsengang der Deutschen Bahn AG muss gestoppt werden. Die Steuergelder, die beispielsweise mit Stuttgart 21 verbuddelt werden, sollten genutzt werden, um die Wartung der Züge zu verbessern und neues Personal einzustellen.
Das Beispiel der Bahn AG und der S-Bahn zeigt, dass staatliches Eigentum keine Garantie dafür ist, dass ein Unternehmen im Interesse der Mehrheit der NutzerInnen und der Beschäftigten geführt wird. Deshalb muss die S-Bahn als auch die Bahn AG unter die demokratische Kontrolle und Verwaltung von Belegschaften, Gewerkschaften, NutzerInnen und Vertretern von Bundes- und Landesregierung gestellt werden. Diese Gremium sollte die Leitung der S-Bahn wählen. Zudem dürfen die Mitglieder der Leitung nicht mehr als einen durchschnittlichen Facharbeiterlohn beziehen und müssen jederzeit rechenschaftspflichtig sein und abwählbar sein.