Interview mit Mitgliedern der kasachischen Schwesterorganisation der SAV, Sozialistischer Widerstand Kasachstan
Was bedeutet die Entwicklung der Situation in Kasachstan für das CWI?
Wir sind mit einer Schwäche der Opposition auf einem Level konfrontiert, den wir nicht erwartet haben. Eine linke sozialistische Alternative fehlt bislang noch gänzlich, jedoch ist unsere Sektion federführend dabei so eine aufzubauen.
Die Schwächung der Opposition ist maßgeblich auf die Politik der Sozialdemokratie zurückzuführen, die eine beobachtende Rolle übernehmen und ansonsten faule Kompromisse aushandeln. Außerdem sind viele aus der Führung in kriminelle Geschäfte eingebunden wie zum Beispiel in das Erkaufen von Sitzen im Parlament.
Die Anzahl der AktivistInnen der sogenannten Volkspartei stagniert. Sie wird von einem Oligarchen, der zurzeit in London lebt, finanziert. Er ist Eigentümer der Bank BT.
Was bedeutet die Protestbewegung 2012?
Es ist eine Bewegung verschiedener sozialer Schichten und Protestgruppen und unabhängiger Gewerkschaften sowie Gruppen, die gegen ungerechte Entscheidungen der Gerichte aktiv sind. Kasachstan 2012 hat einen stark sozialistischen Charakter. Eine wichtige Komponente ist ebenfalls, dass Häuser mit faulen Krediten erbaut wurden und dieser Bereich sehr bald kollabiert ist. Dadurch sind viele Menschen, die sich auch in der Protestbewegung 2012 beteiligen, davon bedroht, ihr Heim zu verlieren. Die Bewegung gründete sich im August 2009 durch die Vernetzung der vorhin genannten Protestbewegungen und Organisationen. Die Finanzkrise bzw. die Krise der Realwirtschaft hat Kasachstan bereits 2007 stark getroffen. Die Regierung ist hier in Probleme geraten und Kämpfe gegen die Auswirkungen der Krise haben begonnen.
Die Protestbewegung 2012 war von Anfang an von unten organisiert und die Basis erkannte sehr rasch, dass es notwendig ist, die Bewegung auf politischer Ebene aufzubauen um grundsätzliche Forderungen zu erreichen. Die Wahl des Namens war ebenso eine Entscheidung von den Menschen selbst – von normalen ArbeiterInnen.
Des weiteren wurde der Slogan entwickelt: „Verändert eure Politik oder wir werden euch verändern.“ Dieses Motto rückte ins Zentrum der Bewegung.
Ein Meilenstein des Protestes war das Entlassen eines Parlamentariers der Manager und Besitzer einer Bankfirma ist, die maßgeblich an der Vergabe fauler Kredite beteiligt war. Die entwickelte sich zu einem großen Skandal, welcher mit dem Rücktritt dieser Person endete – ein bedeutender Schritt für die Protestbewegung.
Die erste Konferenz fand im August 2009 im Vorgarten eines Aktivisten statt, weil es gefährlich und streng verboten ist solche Treffen in der Öffentlichkeit abzuhalten. An dieser Konferenz nahmen 300 AktivistInnen teil. Ironischer Weise war ebenfalls dieselbe Anzahl an Polizisten anwesend.
Entscheidend ist ebenfalls, dass Kasachstan dieses Jahr den Vorsitz der OSZE stellt (Hauptsitz in Wien), somit hat es vor der zweiten Konferenz Provokationen gegeben. Die lokalen Behörden haben jedes Lokal, welches für so ein Treffen groß genug gewesen wäre, kontaktiert und das Treffen dezidiert verboten. Als einziger Ausweg wurde die zweite Konferenz auf der Straße abgehalten.
Einige AktivistInnen wurden dann von der Polizei und Sicherheitskräften angegriffen. Ein Aktivist der Bewegung sprach dann vor der OSZE mit einem aufgrund der Attacken eingegipsten Arm. Dieser Aktivist beschwerte sich regelrecht über die Umstände, dass die Menschen in Kasachstan ihre demokratischen Rechte in Anspruch nehmen bzw. einfordern und dafür verprügelt worden sind. Dies bedeutete Schmach und Schande für das Regime in Kasachstan bzw. für die OSZE, weil Menschen, die für ihre Rechte als Menschen kämpfen in dieser Form unterdrückt werden bzw. weil so ein Land den Vorsitz eines signifikanten Sicherheitsorgans der EU übernehmen darf.
Seid ihr in einem Kampf um die Macht?
Das bestehende Regime bricht langsam zusammen, jedoch versucht es an der Macht zu bleiben um die Protestbewegung auszubremsen. Somit ist der Machtanspruch durchaus gegeben, jedoch wird im selben Atemzug die wichtige Frage aufgeworfen, was nach dem Sturz des Regimes passieren soll. Die AktivistInnen des CWI testen hier auch die Möglichkeiten. Von der Sektion des CWI wird eine Art Übergangsprogramm für diese Situation entworfen und überlegt, wie Trotzki in dieser komplizierten Situation gehandelt hätte.
Was ist der Charakter des herrschenden Regimes?
Der Charakter ist durch die Bank autoritär, die gesamte Macht ist in einer Person, dem Präsidenten zusammengefasst. Nasarbajew (Präsident von Kasachstan, Anm.) hat die Bevölkerung mehrmals betrogen und über den Tisch gezogen. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die Mehrheit der Bevölkerung ihm nicht mehr traut. Seine Anhänger in Politik und Wirtschaft verhalten sich unterwürfig, vergleichbar mit der Kotau-Haltung (vergleichbar einem Kniefall, Anm.).
Die Wirtschaft und die Produktionsmittel sind in der Hand der Oligarchen. Das Regime und die Macht sind eng ineinander verflochten, diese Oligarchen tragen auch viele Aspekte einer Bürokratie. Somit sind viele Elemente die das Regimes als diktatorisch definieren. Die bürokratischen Strukturen der ehemaligen Sowjetunion verblieben, jedoch sind es jetzt nicht mehr (nur) BürokratInnen und StalinistInnen in diesen Postionen, sondern es sind die Bourgeoisie und die Oligarchen, die den Ton angeben. Dies sind Entwicklungen, die in fast allen ehemaligen Sowjetstaaten zu beobachten sind.
Die bürokratischen staatlichen Strukturen wurden in der Sowjetunion aufgebaut und wir werden sie uns zurückholen und in demokratische umwandeln. Das ist der einzige gerechte Weg. Der Unmut und Zorn gegen das gegenwärtige Regime steigt so schnell, dass immer die Gefahr besteht, dass wir hinterherhinken. Aufgrund von Repression und Verboten von Demonstrationen, Kundgebungen und Infotischen ist unsere Öffentlichkeitsarbeit in Kasachstan sehr eingeschränkt.
Vor einigen Tagen wurde ein Aktivist der Protestbewegung, der im Sicherheitsdienst tätig war, von Polizei und Sicherheitsdienst aus seinem Haus geworfen. Er und seine Familie sind somit obdachlos und wissen nicht, wo sie wohnen sollen.
2011 wird für unsere AktivistInnen in Kasachstan kein einfaches Jahr werden, da Kasachstan nächstes Jahr nicht mehr den Vorsitz in der OSZE stellen wird. Es ist daher wahrscheinlich, dass Gewalt, Willkür und Repression noch zunehmen werden. Somit muss auch Untergrundarbeit angedacht werde
Wie organisiert ihr eure tagtägliche Arbeit?
Wir arbeiten viel mit Gewerkschaften zusammen, mit denen wir für jeden Tag einen Plan entwerfen, was die nächsten Schritte sind. Wir müssen uns exakt organisieren um Fehler zu vermeiden, da wir uns solche nicht leisten können. Viele von den produktivsten Gewerkschaften sind aus verschiedenen Regionen des Landes. Somit muss auch Zeit aufgebracht werden sich angemessen zu vernetzen.
Es sind bewegte Zeiten in Kasachstan. Wir bekommen die Information von den Geschehnissen und müssen dann die richtigen Handlungen daraus ableiten. Die Beteiligung an bzw. die Unterstützung von Protesten oder Streiks ist extrem wichtig um neue Menschen in Kämpfe einzubinden. Weiters geht es auch oft darum Menschen in schwierigen Situationen zu helfen wie z. B. bei Angriffen der Polizei oder bei Entlassungen. Ebenso müssen diese Menschen geschult werden, um zu lernen, wie man selbst Widerstand organisiert. Wie verbessern diese Fähigkeiten seit Jahren, besonders dort, wo sie noch schwach ausgeprägt sind. Um Druck auf die Regierung zu erzeugen versuchen wir einer breiten Öffentlichkeit Einblick in ihre Aktivitäten zu ermöglichen um sie ins richtige Licht zu rücken – ein Mittel, das den Regierenden besonders unangenehm ist. Das Regime fürchtet Demonstrationen oder organisierte Treffen jeglicher Art und antwortet mit blanker Gewalt darauf. Viel von unserer Organisationsarbeit muss von zu Hause aus erledigt werden, da die Öffentlichkeit oftmals zu gefährlich ist. Die Sicherheitsdienste überwachen unsere Arbeit genau, sie setzen Spione ein und hören bei den meisten Telefongesprächen mit. Deshalb vermeiden wir es Namen zu nennen. Allerdings schicken wir Sicherheitskräfte zur Belustigung ins Leere indem wir via Telefon die nächste Demonstration besprechen, die dort und dann stattfindet. Das führt dazu, dass Polizisten oftmals einsam und verlassen in der Gegend herumstehen.
Wir erstellen eine Website für die Protestbewegung 2012 um unsere Arbeit besser organisieren und kontrollieren zu können, alles wird von der Basis beschlossen und nicht von der Spitze diktiert. In den letzten drei Monaten haben wir gemeinsam mit den fortschrittlichen Gewerkschaften beschlossen eine Partei aufzubauen um bei den Wahlen 2012 besser intervenieren zu können. Wir hoffen, dass wir unsere Unterstützung bis dahin ausbauen können.