Londoner U-Bahn zeitweise lahmgelegt / Weitere Ausstände sollen folgen
Die Londoner U-Bahn-Beschäftigten liefern sich harte Auseinandersetzungen mit ihrem Arbeitgeber. Mindestens 800 Stellen sollen nämlich gestrichen werden – mit schweren Folgen für die Sicherheit der Fahrgäste, wie die Gewerkschaften betonen.
von Christian Bunke, London
In London ging von Montagabend bis Dienstag für 24 Stunden nichts mehr. Das erste Mal seit über 40 Jahren waren die beiden Gewerkschaften TSSA und RMT gemeinsam in den Streik getreten. Über 10 000 Bahnsteig- und Fahrkartenschalterbeschäftigte beteiligten sich an dem Ausstand. Das U-Bahn-Netz brach komplett zusammen, auf den Straßen herrschte Verkehrschaos. Der Streik kostet die Londoner Wirtschaft 50 Millionen Pfund. Für Oktober und November sind weitere Arbeitsniederlegungen geplant, zudem werden bis auf Weiteres die Angestellten der Londoner U-Bahn keine Überstunden mehr ableisten.
Der Londoner Bürgermeister Boris Johnson hatte zuvor angekündigt, 800 Stellen zu streichen. Dieser Plan stelle ein nicht akzeptables Sicherheitsrisiko für die Allgemeinheit dar, kritisieren die Gewerkschaften. Bereits jetzt habe sich die Sicherheitslage im U-Bah-Netz durch Einsparungen drastisch verschlechtert. U-Bahnhöfe müssten mit ausreichend Personal ausgestattet sein, um auf Notfälle reagieren zu können.
Zwei Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit zeigen die Brisanz des Themas: In Euston gab es kürzlich einen Fahrstuhlbrand. Er wurde durch das Bahnsteigpersonal entdeckt, das dann schnell eingreifen konnte. Wären diese Stellen gekürzt worden, hätte es leicht eine Katastrophe geben können. Mitte August verselbstständigte sich zudem ein fahrerloser U-Bahn-Zug und fuhr durch die Tunnel. Eine Kollision mit anderen Zügen konnte nur durch beherztes Eingreifen des Personals verhindert werden.
Der Streik des U-Bahn-Personals hat auch noch eine weiter reichende politische Bedeutung. Die 800 Stellenkürzungen gelten als Vorbereitung für weiteren Personalabbau ab Oktober, wenn die britische Koalitionsregierung ihre nächsten Sparpläne vorstellen wird. Somit sind die Transportarbeitergewerkschaften die ersten, die in Großbritannien Kampfmaßnahmen gegen das Sparprogramm ergriffen haben.
Deshalb gab es in der Boulevardpresse auch massive Hetze gegen den RMT-Führer Bob Crow, einen der militantesten Gewerkschaftsführer Großbritanniens. In der rechten Tageszeitung »Sun« wurde dazu aufgerufen, Crow in Cafés und Pubs die Bedienung zu verweigern. Tatsächlich war die Mehrheit der Londoner aber für den Streik. Streikposten berichten von einer überwiegend positiven Resonanz.
Die Manager der Londoner U-Bahn setzten derweil alles daran, den Streik zu brechen. Dabei bewiesen sie einmal mehr grobe Fahrlässigkeit in Sicherheitsfragen, so die Gewerkschaft RMT. Laut Sicherheitsbestimmungen müssen U-Bahn-Linien nämlich gesperrt werden, wenn mehr als drei Stationen auf einer Linie geschlossen sind. In einem solchen Fall kann die Evakuierung von Fahrgästen im Notfall nicht mehr garantiert werden.
Dies war durch den Streik der Fall, die Mehrzahl der Londoner U-Bahnhöfe hatte geschlossen. Dennoch schickten die Manager Züge auf die Reise, um die Illusion eines funktionierenden Transportwesens aufrecht zu erhalten. Teilweise fuhren mit Passagieren beladene Züge an über sechs geschlossenen Stationen vorbei, bis ein Haltepunkt erreicht wurde.
Einen besonders drastischen Fall gab es am U-Bahnhof Leyten-stone: Dort mussten 150 Fahrgäste über Absperrungen und Baugerüste klettern, um aus dem Zug herauszukommen. Die Linie musste gesperrt werden, nachdem Manager zunächst versucht hatten, die Stationen ohne Personal offen zu halten. Wegen dieser Vorfälle bereitet die RMT nun eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen ihre Arbeitgeber vor.