Die Gewerkschaften und die Krise

Die Politik von ver.di und IG Metall und Alternativen dazu


 

Während es in Südeuropa zu großen Streiks und Generalstreiks kommt, sind die von DGB-Chef Michael Sommer 2009 befürchteten „sozialen Unruhen“ in Deutschland bislang ausgeblieben. Linke AktivistInnen, die helfen wollen, eine Bewegung aufzubauen, müssen untersuchen, wo die Ursachen für das derzeitig niedrige Niveau von Klassenkämpfen liegen, um daraus Schlüsse zu ziehen, wie der notwendige Widerstand aufgebaut werden kann. Dabei müssen die Gewerkschaften eine zentrale Rolle spielen.

von Angelika Teweleit

Bürgerliche Ökonomen, PolitikerInnen und auch die FührerInnen der Gewerkschaften sind sich einig, dass die derzeitige Krise die schwerste Wirtschaftskrise seit der Depression der 1930er Jahre ist. Uneinigkeit gibt es über die Bedeutung der zeitweisen wirtschaftliche Erholung in diesem Jahr. Besonders die großen Autokonzerne verkünden kräftige Umsatzzuwächse. Die Wachstumszahlen bauen jedoch auf den massiven Einbrüchen aus den Jahren 2008 und 2009 auf. Der Anschub durch Exportzuwächse nach China und Südostasien, der wiederum vor allem auf den massiven staatlichen Konjunkturprogrammen Chinas basiert, kann innerhalb kurzer Zeit weg geschwemmt werden, wenn sich die Ungleichgewichte in der internationalen Konkurrenzwirtschaft, die Unsicherheiten in den Finanzmärkten und die nun dazu kommende massive Staatsverschuldung zu einer neuen großen Welle auftürmen. Das Eintauchen in eine neue Rezession schwebt wie ein Damoklesschwert über der Weltwirtschaft, zumindest aber wird diese in einer lang anhaltenden Stagnationsphase mit kleineren Auf-und Abschwüngen verharren. Ein sich selbst tragender und nachhaltiger Aufschwung ist jedenfalls nicht in Sicht.

In Deutschland waren die Auswirkungen der Krise bisher nicht so stark zu spüren, wie in Süd- und Osteuropa. Im reichsten kapitalistischen Land Europas hat das Kapital größere Reserven, auf die es zurückgreifen kann. Mit der Agenda 2010 und Hartz IV waren bereits Instrumente geschaffen worden, mit denen der Niedriglohnsektor ausgebaut wurde und die Arbeiterklasse insgesamt geknebelt wird. Auch die geringen Lohnabschlüsse in den Boomjahren hatten den deutschen Unternehmen Konkurrenzvorteile verschafft. Somit war es möglich, die Angriffe auf den Lebensstandard der Arbeiterklasse in der Krise überlegter zu starten. Diese Verzögerung von deutlich spürbaren Krisenauswirkungen hat zur Folge, dass auch bei Teilen der Arbeiterklasse der Eindruck entstanden ist, dass sie glimpflich über die Krise hinweg kommen, indem man ein paar Monate Durststrecke hinter sich bringt. Das gilt besonders für die vergleichsweise besser bezahlten Beschäftigten der Metall- und Autoindustrie.

Das Antikrisenprogramm der IG Metall

Genau diese Sicht versucht die Gewerkschaftsführung zu vermitteln. Ihr Programm zur Krisenbekämpfung predigt Geduld und Bereitschaft zu Verzicht, bis es den Unternehmen und in der Folge angeblich auch den Beschäftigten wieder gut geht. Somit unterschied sich das Antikrisenprogramm von DGB und IGM kaum von dem der deutschen Bourgeoisie. Im Gegenteil: IG Metall-Chef Berthold Huber rühmt sich: „Heute haben wir nicht zuletzt durch unsere Krisenintervention eine positive Entwicklung. (…) Die Umweltprämie ist auf unserem Mist gewachsen. Wir haben auch die Verlängerung der Kurzarbeit angeschoben.“ (Interview mit Zeit online vom 15. April 2010). Die zeitweilige wirtschaftliche Erholung mag bei vielen den Eindruck erwecken, als sei diese Rechnung aufgegangen.

IG Metall für Kurzarbeit

Es wird sich dennoch als richtig herausstellen, wovor SozialistInnen in den Gewerkschaften gewarnt haben. Die Kurzarbeit hat die Krisenauswirkungen für die Masse der abhängig Beschäftigten nur verschoben. Mit einem neuerlichen Einbruch der Produktion werden massenhaft Arbeitsplätze bedroht sein, gerade in der Auto- und Metallindustrie. Zudem hat die Kurzarbeit bedeutet, dass nicht die Unternehmen die Kosten für die Krise übernehmen, sondern die Masse der abhängig Beschäftigten, und zwar über den Umweg der Beiträge an die Bundesagentur für Arbeit (BA) beziehungsweise über Steuern. Wegen der Ausgaben für die Kurzarbeit wird momentan mit etwa neun Milliarden Euro Zuschüssen vom Bund an die BA gerechnet. Das bedeutet eine Sozialisierung der Krisenlasten.

Kurzarbeit hat zwei Wirkungen gehabt. Politisch hat sie für die Herrschenden einen Aufschub gebracht. Sie brauchten dieses Instrument, um einen Ausbruch von massivem Unmut in der arbeitenden Bevölkerung zu verhindern – was hätte geschehen können, wenn die Auswirkungen der kapitalistischen Krise deutlicher spürbar gewesen wären. Die systemstabilisierende Funktion der Gewerkschaftsführungen wird daran deutlich, dass sie diese Politik nicht nur akzeptiert, sondern sich selbst auf die Fahnen schreibt, um es ihren Mitgliedern und der Masse der Beschäftigten als beste Lösung zu verkaufen. Wirtschaftlich und sozial hat die Kurzarbeit dafür gesorgt, dass inmitten der Krise weiter Umverteilung von unten nach oben betrieben wird – für die Unternehmen unterm Strich ein guter Deal.

IG Metall-Kampagne gegen Leiharbeit

Das Interesse des Kapitals ist, von dem großen Anteil an festen Arbeitsverhältnissen mit Tarifrechten für die ArbeitnehmerInnen weg zukommen und zumindest für einen größeren Anteil der Beschäftigten zu einer flexibleren Art der Ausbeutung zu kommen. Die Leiharbeit ist dabei von großem Nutzen für sie. Sie ermöglicht die Spaltung der Belegschaften das Drücken der Löhne und die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen in den Betrieben. Zum anderen wollen die Kapitalisten eine immer größere Flexibilität erlangen bei gleichzeitig maximaler Ausnutzung der bezahlten Arbeitskraft. Da die Produktion vor allem auf Bestellung und „just-in-time“ organisiert wird, kann das Auftragsvolumen enorm schwanken. Jedes Unternehmen setzt daher darauf, einen möglichst großen Teil der Belegschaft von heute auf morgen „heuern und feuern“ zu können. Die IG Metall hat eine Kampagne unter dem Titel „Leiharbeit begrenzen – verhindern – gestalten“ gestartet. Das ist zu begrüßen, denn in der Tat ist der Kampf gegen diese besonders scharfe Form der Ausbeutung eine zentrale Herausforderung für die nächste Zeit. Eine Erklärung zu dieser Kampagne wurde unter anderem vom Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrats von Daimler, Erich Klemm, unterzeichnet. Nur wenige Wochen später unterschrieb aber derselbe Gesamtbetriebsrat einen Zusatz zur Betriebsvereinbarung, der die vorher vereinbarte unternehmensweite Maximalanzahl von 2.500 Leiharbeitskräften aufhebt!

IG Metall-Führung verteidigt Kapitalismus

Die derzeitige Krise macht deutlich, dass das ganze System Kapitalismus krank ist. Ein Kampf für die dauerhafte Verteidigung aller Arbeitsplätze, für die Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit und dagegen, dass die Arbeiterklasse für die Krise zur Kasse gebeten wird, kann nur erfolgreich geführt werden, wenn man bereit ist, das kapitalistische System in Frage zu stellen. Es braucht die Bereitschaft, den Kapitalismus zu überwinden und die Kenntnis einer Systemalternative. Beides hat die derzeitige Gewerkschaftsführung nicht. IG Metall-Chef Huber geht besonders weit dabei, das kapitalistische System zu verteidigen. In einem Beitrag für die Wirtschaftszeitung Handelsblatt schrieb er am 7. Mai 2010: „Der gegenwärtige Finanzmarktkapitalismus bietet Wirtschaft, Menschen und Demokratie keine Perspektive.“ Die Betonung liegt aber hier nicht auf Kapitalismus, sondern auf Finanzmarkt. Aus seiner Sicht ist es nicht das auf Privateigentum, Profitlogik und Konkurrenz basierende kapitalistische System als ganzes, das die gegenwärtige Krise hervorgerufen hat, sondern die Art des gegenwärtigen Kapitalismus. Im Arbeitgeberblatt VDI Nachrichten sagt er in einem Interview vom 28. Mai 2010: „Wir haben seit 20 Jahren einen Kapitalismus, der die soziale Marktwirtschaft durch das Shareholder value-Prinzip ersetzt hat und der den Profit über alles stellt. Die Wirtschaftskrise ist eine Bankrotterklärung für diese Art zu wirtschaften: Ohne Korrektur stehen wir vor dem nächsten Crash.“ Daher fordert er einen „Kurswechsel“: die Macht der Finanzmärkte müsse gebrochen werden, es dürfe nicht der Renditewahn von Hedge-Fonds die Industrie unter Druck setzen, und die Beschäftigten müssen über die Aufsichtsräte mehr mitbestimmen dürfen. Er wünscht sich eine soziale, marktwirtschaftliche Demokratie, eine „Ökonomie für Menschen“.

Er selbst hat kein Konzept, wie das funktionieren soll. Im Interview mit Zeit online vom 15. April 2010 unter dem Titel „Ich bin nicht Chávez, ich bin Huber“ betont er, die IG Metall brauche keinen Vorsitzenden, der isoliert ist und keine Kommunikationswege in Politik, Unternehmen und Gesellschaft habe. Wie gut die Kommunikation mit Unternehmen und Politik funktioniert, wurde deutlich, als Huber seinen 60. Geburtstag dieses Jahr ganz besonders schick feiern durfte – auf Einladung von Merkel im Kanzleramt mit auserlesenen Gästen wie dem Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Martin Kannegießer, VW-Chef Martin Winterkorn oder Siemens-Chef Peter Löscher.

Rettungsschirm für Industrie

Die IG Metall-Führung hat das „Co-Management“ zu ihrem Leitprinzip gemacht. Mit viel Mühe zerbrechen sich die führenden FunktionärInnen der IG Metall den Kopf, wie private Unternehmen konkurrenzfähig bleiben können. In ihrem Antikrisenprogramm von 2009 fordert die IG Metall mittels eines so genannten Public Equity Fonds staatliche Hilfen für Unternehmen, die von der Krise betroffen sind: „Das Konzept sieht vor, dass ein mit öffentlichen Mitteln gespeister Finanzierungsfonds bei der KfW [Kreditanstalt für Wiederaufbau] aufgelegt wird. Der Anlagezweck dieses Fonds ist die Stärkung der Eigenkapitalbasis der deutschen Industrieunternehmen, insbesondere im Mittelstand.“ Im Dezember 2009 forderte Huber dann eine konkrete Zahl: die Regierung sollte 100 Milliarden Euro für ein Zukunftsinvestitionsprogramm bereitstellen, mit dem vor allem Unternehmen subventioniert werden sollten. Dabei setzt auch die IG Metall, so wie die bürgerlichen PolitikerInnen, auf die Verstaatlichung der Verluste, damit in Zukunft wieder private Gewinne gemacht werden können. Anstatt sich darüber Gedanken zu machen, wie tausende ihrer Mitglieder in der Krise die Schulden für ihre Häuser oder Kredite abzahlen können, fordert die IG Metall zudem auch noch, dass die Banken für die Unternehmen Kredite zu „akzeptablen Kreditzinsen“ zur Verfügung stellen!

IG Metall-Führung ohne Lohnforderung

Aus dieser Logik war es nur folgerichtig, dass die IG Metall-Führung im Frühjahr diesen Jahres unter Ausschluss der Mitgliedschaft einen Pakt zum weiteren Verzicht mit den Arbeitgebern unterschrieben hat. Zum einen wurde der Öffentlichkeit vermittelt: Die IG Metall – als stärkste und mächtigste Gewerkschaft – geht „zum ersten Mal in der Geschichte“ ohne Lohnforderung in die Tarifrunde. Damit stellte sich die IG Metall-Führung gegen den Slogan, den die von linken AktivistInnen ins Leben gerufene Antikrisenbewegung in Deutschland und international geprägt hat: „Wir zahlen nicht für eure Krise“. Es wurde nicht nur für ein Jahr eine Nullrunde und für die darauf folgenden Monate nur eine minimale Tabellenerhöhung abgeschlossen – mit der Vereinbarung über eine weitere Arbeitszeitverkürzung wurde ein Signal gesetzt: bei geringerer Auftragslage akzeptiert die Gewerkschaft, dass tausende Beschäftigte Lohnverluste von mehreren hundert Euro hinnehmen müssen. Diese Vereinbarung über eine „Arbeitszeitverkürzung mit Teillohnausgleich“ auf 28 Stunden, in bestimmten Fällen sogar bis auf 26 Stunden, läuft in Wahrheit auf die Möglichkeit hinaus, Beschäftigte zwangsweise auf einen Teilzeitjob mit viel geringerem Einkommen zu verpflichten.

Mit dem faktischen Verzicht auf die Lohnrunde hat die IG Metall-Führung vor allem erreicht, dass die Belegschaften ruhig gehalten wurden. Dies geschah durch das Vorziehen der Tarifrunde in die Zeit der Friedenspflicht und ein undemokratisches Vorgehen. Anders als bei sonstigen Tarifrunden gab es diesmal keinerlei Diskussion über Forderungen in der Mitgliedschaft. Sonst wurden die Forderungen zumindest in Vertrauensleutesitzungen diskutiert. In der Vergangenheit war die Einflussnahme durch Vertrauensleute und einfache Mitglieder enorm eingeschränkt und die Forderungen lagen letztlich immer unter dem, was von Basisgliederungen kam. Doch hatte es zumindest eine Diskussion gegeben. Diesmal war es allein der Vorstand und die Tarifkommission, die beschlossen, gar nichts zu fordern und zudem ohne Druck durch Arbeitsniederlegungen und Streiks zu einem Ergebnis zu kommen.

Schwenks der Gewerkschaftsführung

Im Zusammenhang mit seiner Forderung nach einem „Kurswechsel“ betont Huber jetzt, die Einkommen müssten angesichts des konjunkturellen Aufschwungs steigen, damit die Binnennachfrage anzieht. Die IG Metall kündigt für die anstehende Tarifrunde in der Stahlindustrie höhere Lohnforderungen an. Damit bleibt sie aber wieder innerhalb der kapitalistischen Logik. Es ist positiv, dass die Führung vor dem Hintergrund des aktuellen Aufschwungs gezwungen ist, die komplette Verzichtslogik zurückzunehmen. Das spiegelt sicher auch eine Stimmung in den Betrieben wider, wo die KollegInnen nicht nachvollziehen könnten, wenn jetzt bei neuen Gewinnmeldungen weiter Verzicht geübt würde. Angesichts der steigenden Profite in vielen Bereichen sollten die Gewerkschaften jetzt aber Nachschlagsforderungen in den Bereichen, wo kurzfristig keine Tarifrunde ansteht, erheben, um den Verzicht der letzten Jahre wenigstens etwas auszugleichen.

Der Schwenk ist Ausdruck des Spannungsfelds, in dem sich die Gewerkschaftsbürokratie befindet: zum einen als Arzt am Krankenbett des Kapitalismus zu fungieren, zum anderen auf die Stimmung an der Basis einzugehen. Berthold Huber weiß, dass er sich Schwenks zu mehr kämpferischer Politik – hin zur Mobilisierung der Mitgliedschaft gegen die größten Sparhämmer – offen halten muss, wenn er nicht die Kontrolle verlieren will.

Gerade bei den anstehenden Mobilisierungen, die für den Herbst angekündigt sind, ist es möglich, dass wir GewerkschaftsführerInnen sehen werden, der radikalere Aussagen treffen. Es ist auf jeden Fall wahrscheinlich, dass die IG Metall größere Mobilisierungen für den 13. November anstrebt. Gleichzeitig wird die Führung versuchen, die Bewegung begrenzt zu halten. Dafür muss sie aber auch manchmal weitergehen, als sie es selbst beabsichtigt. Es wird einen großen Unterschied machen, wenn es gelingt, den Druck für Arbeitsniederlegungen von unten koordiniert in die Betriebe und die IG Metall zu tragen und die Forderung nach einem eintägigen Generalstreik zum Thema zu machen.

Verankerung der IG Metall

Die Gewerkschaftsbürokratie ist sich bewusst darüber, dass ihre Art von Co-Management inmitten der Krise schnell auf Unmut in der Mitgliedschaft stoßen kann. Auch, wenn Huber seine Politik selbstbewusst verkauft, so ist der Führung klar, dass die Gewerkschaft nicht mehr so fest in den Betrieben verankert ist.

2006 und 2007 kam es in einer Reihe von Betrieben zu Protesten gegen das neue Entgeltrahmenabkommen (ERA), so zum Beispiel von 600 Beschäftigten von Kühler-Behr, Bosch, und Coperion-Werner & Pfleiderer, die gemeinsam in Stuttgart protestierten, von 700 bei Alstom Power in Mannheim und in vielen anderen Betrieben. ERA war noch zwei Jahre zuvor von der IG Metall-Spitze als „Jahrhundertwerk“ und „Meilenstein in der Tarifgeschichte“ verkauft worden. Bei Daimler in Berlin protestierten mehrere hundert KollegInnen gegen den Willen der Betriebsratsmehrheit und der Vertrauenskörperleitung.

Bei den Betriebsratswahlen im Frühjahr 2010 ergab sich ein sehr gemischtes Bild. Bei Daimler, wo die Betriebsratsspitzen seit Jahren Co-Management betreiben, gab es erneut oppositionelle Kandidaturen von verschiedenen „Alternative“-Gruppen. In Hamburg hat die IG Metall-Liste ihre absolute Mehrheit verloren und die Alternative konnte als unabhängige Liste ihr Ergebnis mit fünf Sitzen stabilisieren. In Berlin gab es eine solche Kandidatur zum ersten Mal und die „Alternative – offene Liste“ erreichte 25 Prozent und damit fünf von 21 Sitzen. In Sindelfingen bekam die Alternative ein schlechteres Ergebnis als erwartet und erhielt nur einen Sitz. Allerdings war sie auch noch wenig bekannt und in einem Werk mit 37.000 Beschäftigten ist längerfristige Verankerung nötig, um einen höheren Stimmenanteil zu erlangen. In Stuttgart Untertürkheim kandidierte die Alternative diesmal auf der Liste der IG Metall. Im Untertürkheimer Werk, wo die Alternative im Werksteil Mettingen eine starke Basis hat, konnte dadurch die Liste der IG Metall bei weitem das beste Ergebnis erlangen. In Bremen gelang es den Linken bei der dortigen Persönlichkeitswahl weitere Zugewinne zu machen.

Bei Opel Bochum, wo die Situation aufgrund der drohenden Arbeitsplatzverluste am schärfsten ist, kandidierten insgesamt 12 Listen. Allerdings wurden die linken Listen insgesamt geschwächt. Hier wirkte sich offensichtlich aus, dass angesichts der konkreten Gefahr einer Werksschließung das Selbstbewusstsein der KollegInnen nicht besonders hoch ist. Bei Opel Rüsselsheim feierte die IG Metall mit Betriebsratschef Klaus Franz laut eigenen Angaben ihr bestes Ergebnis überhaupt. Allerdings gab es hier auch keine Herausforderung durch eine oppositionelle Kandidatur. Gerade angesichts der schlimmen Situation bei Opel hätte es einer klaren programmatischen Alternative bedurft, die einen Weg aufzeigen kann, wie man ohne Verzicht und über gemeinsamen Kampf die Arbeitsplätze erhalten kann.

Sind die Ergebnisse, wie von Peter Donath, IG Metall-Experte für Betriebspolitik, behauptet, mit einer großen „Anerkennung für die Betriebsratsarbeit, insbesondere für den Einsatz der letzten Monate in Sachen Beschäftigungssicherung und gegen Entlassungen“, also mit der Politik der Sozialpartnerschaft gleichzusetzen?

Die meisten KollegInnen sehen vor allem keine durchsetzungsfähige Alternative zur Co-Management-Politik der Führung und der Betriebsratsspitzen. Die Anzahl von linken, oppositionellen Kräften in den IG Metall-Betrieben ist noch immer begrenzt. Aber auch da, wo es sie gibt, sehen viele KollegInnen noch nicht, wie eine kämpferische Politik durchgesetzt werden kann, besonders, wenn die Führung der IG Metall bundesweit keine kämpferische Linie vorgibt und wenn innerbetrieblich oppositionelle Positionen ausgegrenzt werden. Dafür, dass auch ein größerer Kreis von KollegInnen Vertrauen in eine kämpferische Gewerkschaftspolitik gewinnt, braucht es erfolgreiche und positive Beispiele von Kämpfen. In den Betrieben, wo linke und alternative Betriebsräte gewählt wurden, bedeutet das, möglichst konkrete Erfolge, mögen sie zunächst auch klein sein, zu erreichen, um das Vertrauen der Belegschaft zu erlangen. Zentral ist dabei die Selbstaktivierung von KollegInnen. Betriebsratsmandate und Vertrauensleutestrukturen müssen dazu genutzt werden, KollegInnen im Kampf für Verbesserungen am Arbeitsplatz einzubeziehen. So kann das Bewusstsein gestärkt werden, dass KollegInnen sich selbst einmischen müssen, wenn sie etwas verändern wollen. Über diesen Weg kann es auch gelingen, in den Betrieben starke kämpferische Strömungen in der IG Metall aufzubauen.

Die IG Metall-Führung wird, wenn die ökonomische Krise sich noch stärker auf die Belegschaften auswirkt, ihre bisherige Co-Management-Politik nicht ohne wachsende Kritik von der Basis fortsetzen können. In den 1970er und 1980er Jahren konnte sich die IG Metall-Führung auf Erfolge bei Tarifrunden und andere Auseinandersetzungen, wie zum Beispiel dem Kampf um die 35- Stundenwoche oder für die Verteidigung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall 1996, stützen. In den letzten Jahren jedoch hat sie Stück für Stück vieles von dem zurückgegeben, was in der Vergangenheit erkämpft wurde. Der Kampf um die 35-Stundenwoche in Ostdeutschland wurde abgebrochen und ausverkauft, der Flächentarif wurde ausgehebelt, mit ERA wurde ein neues Tarifwerk eingeführt, das Verschlechterungen zur Folge hat. Auf dieser Grundlage wächst der Unmut mit der Führung. Es bildet sich aber auch die Grundlage dafür, eine kämpferische Opposition in der Gewerkschaft aufzubauen.

Ausschlüsse statt Diskussion

Genau davor hat die IG Metall-Führung, und in ihr besonders die Betriebsratsspitzen, große Angst. Gerade die Betriebsratsspitzen fürchten um ihre privilegierten Positionen. Die Bürokratie der IG Metall reagiert zur Zeit in manchen Fällen mit repressiven Maßnahmen gegen Oppositionelle. So sollen drei der KandidatInnen der „Alternative – offene Liste“ im Daimler-Werk Berlin ausgeschlossen werden, wenn es nach der dort eingesetzten Untersuchungskommission geht. Diese hatte auch entschieden, dass 15 weiteren Alternative-KollegInnen eine „Rüge“ erteilt werden soll. Damit soll ein Exempel statuiert werden – oppositionelle KollegInnen sollen eingeschüchtert werden.

Allerdings haben die bürokratischen Maßnahmen auch einen gegenteiligen Effekt. Die drohenden Ausschlüsse haben eine Debatte in der Berliner IG Metall entfacht und auch über Berlin hinaus Aufmerksamkeit erregt. Das harte Vorgehen wird auch unter vielen MetallerInnen, die nicht mit der Politik der Alternative übereinstimmen, abgelehnt. Solche bürokratischen Maßnahmen können Opposition hervorrufen und so einen Anlass zur stärkeren Organisierung von kritischen Kräften bieten. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass sich Gewerkschaftsmitglieder frustriert von der IG Metall abwenden. Von vielen KollegInnen im Berliner Daimler-Werk war die spontane Reaktion auf die Ausschlussdrohung, dass sie aus der Gewerkschaft austreten wollten. Die KollegInnen der Alternative haben sie davon abgehalten. Denn für sie ist klar: die Belegschaften brauchen eine starke Gewerkschaft und es gibt zur IG Metall keine Alternative. Deshalb setzen sie sich weiterhin für einen kämpferischen Kurs in der IG Metall ein.

Polarisierung in den Gewerkschaften

Es ist davon auszugehen, dass mit der weiteren Entfaltung der Krise sowie einer Zuspitzung von Klassenkämpfen auch eine verstärkte Auseinandersetzung innerhalb der Gewerkschaftsapparate entstehen wird. Denn die Gewerkschaftsbürokratie befindet sich in einem Spannungsfeld. Zum einen bemüht sie sich Bewegungen zu bremsen, die eine Radikalisierung in den Belegschaften zur Folge haben könnten. Somit spielen die Gewerkschaftsführer eine systemerhaltende Rolle. Zum anderen sind sie dem Druck und den Erwartungen ihrer Mitgliedschaft direkt ausgesetzt. Wollen sie nicht Gefahr laufen, den Einfluss über sich entwickelnde Kämpfe zu verlieren, so sind sie gezwungen, in manchen Situationen Mobilisierungen durchzuführen. Jede Mobilisierung bedeutet wiederum, dass eine Radikalisierung stattfinden kann. Aus diesem Widerspruch ergibt sich ein großes Potenzial für Verwerfungen innerhalb der Gewerkschaften und ihrer Apparate. Diese sind momentan noch auf einem niedrigen Niveau. Einzelne Funktionäre, wie zum Beispiel Hans-Jürgen Urban im geschäftsführenden Vorstand der IG Metall, betonen zuweilen mehr die Notwendigkeit der Mobilisierung der Mitgliedschaft. Urban war auch einer der Redner auf der ersten Antikrisen-Demonstration im März 2008, zu der die IG Metall nicht offiziell aufgerufen hatte. Der Druck aus den Betrieben kann sich früher oder später auch in Konflikten in den Apparaten ausdrücken.

Ver.di

Ver.di ist weniger zentralistisch als die IG Metall. Allein aufgrund der verschiedenen Fachbereiche und der Unmengen an Berufsgruppen im öffentlichen Dienst und privaten Dienstleistungssektor ist es für die Bürokratie viel schwieriger die Organisation so zentralistisch zu führen. Die Fusion der verschiedenen Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes in eine große Dienstleistungsgewerkschaft hat nicht zu einer Bündelung der Kampfkraft geführt hat. Im Gegenteil: auch die ver.di Führung hat in den letzten Jahren aktiv mitgeholfen, die Tariflandschaft zu zerklüften, anstatt sie zu vereinheitlichen. Davor hatte das „Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ÖTV/ver.di“ vor der Fusion 2001 gewarnt. Auch die ver.di-Führung hat in den letzten Jahren vor der Logik des Neoliberalismus nachgegeben. Mit dem von ihr als „Jahrhundertwerk“ bezeichneten neuen TVÖD (Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst) hat sie einen Absenkungstarifvertrag zu verantworten, mit dem sie sich aber auch den Unmut zehntausender ver.di Mitglieder zugezogen hat. Seit Jahren wurde auch dafür gesorgt, dass die Tarifabschlüsse der Beschäftigten von Bund und Kommunen und der Länderbeschäftigten nicht im gleichen Jahr auslaufen, was gemeinsame Tarifkämpfe verhinderte. Mit dem Argument, die Länderbeschäftigten hätten nicht genügend Kampfkraft, wurden dann immer wieder schlechte Abschlüsse für sie vereinbart. Das ist nur ein Beispiel, wie die ver.di-Führung die Kampfkraft ihrer 2,1 Millionen Mitglieder verzettelt, anstatt sie zu bündeln.

Antikrisenprogramm von ver.di

Das ver.di-Antikrisenprogramm setzt auf öffentliche Investitionen und beinhaltet viele keynesianische Elemente. Das ergibt sich auch aus der Stellung als Gewerkschaft im öffentlichen Dienst. Arbeitsplätze und Löhne für die Beschäftigten in Kommunen, Ländern und beim Bund, die einen großen Anteil der Mitgliedschaft ausmachen, sind von der finanziellen Ausstattung der öffentlichen Haushalte abhängig. Aufgrund der Milliardensummen, die an die Banken gingen oder für sie verbürgt wurden, ist es naheliegend zu fordern, dass solche Summen auch oder stattdessen für ein öffentliches Investitionsprogramm bereitgestellt werden sollen. Während die IG Metall-Führung sich vor der Forderung nach Umverteilung von oben nach unten durch stärkere Besteuerung der Unternehmen scheut und stattdessen staatliche Hilfen für sie fordert, steht im ver.di-Programm „Öffentliche Investitionen tätigen – Massenkaufkraft stärken – Arbeitsplätze sichern“ immerhin die Forderung nach einer „dauerhaft höheren Besteuerung großer Vermögen und Erbschaften, hoher Einkommen und Unternehmensgewinne“ und „die Reichen müssen zur Finanzierung der Lasten der Krise herangezogen werden. Das hoch konzentrierte private Vermögen muss gerechter verteilt werden“. Für eine stärkere Betonung der notwendigen Umverteilung von unten nach oben sorgen auch die Mitglieder der Partei DIE LINKE, wie Michael Schlecht, Ralf Krämer und Bernd Riexinger, die in ver.di führende Positionen haben. In der Praxis hat aber die bundesweite ver.di-Führung keinesfalls eine kämpferische Politik gemacht, sondern Ansätze für Kämpfe frühzeitig abgebrochen.

Ver.di-Tarifabschluss

Die ver.di-Führung ging in der Tarifrunde 2010 nicht ganz so weit im Verzicht, wie die IG Metall-Führung. Auf geschickte Art und Weise blockierte sie dennoch eine Streikbewegung. Der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske reagierte zunächst empört darauf, dass die IG Metall-Führung keine Lohnforderung stellte und argumentierte für die Stärkung der Binnenkaufkraft und damit für eine Lohnerhöhung. Er griff dabei auf eine keynesianische Argumentation zurück und stellte eine Bewältigung der Krise durch eine Stärkung der Binnennachfrage in Aussicht. Das kann zwar die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus nicht überwinden. Aber natürlich ist es richtig, auch in der Krise für Lohnerhöhungen zu kämpfen. Nur nahm ver.di-Chef Bsirske die eigenen Worte nicht besonders ernst. Nicht einmal die Forderungen, die zur Tarifrunde aufgestellt wurden, hätten tatsächlich zu wesentlichen Lohnerhöhungen geführt. Denn in den als Forderung propagierten fünf Prozent versteckten sich viele Komponenten, die nicht zu einer Erhöhung der tabellenwirksamen Löhne beigetragen hätten: die Verlängerung der Altersteilzeit-Regelung, die Übernahme von Auszubildenden, Korrekturen am TVÖD etc.

Als den KollegInnen das klar wurde, schwand das Mobilisierungspotenzial in der Mitgliedschaft. Vor dem Hintergrund einer nicht aktivierten Belegschaft und demoralisierter AktivistInnen konnte es sich die ver.di Führung leisten, einen miserablen Abschluss zu machen. So gab es eine Ausweitung der verhassten Leistungsbezahlung, statt der geforderten Übernahme der Azubis eine unverbindliche Regelung, sowie eine sehr geringe Lohnerhöhung ohne soziale Komponente bei einer Laufzeit von zwei Jahren. Die öffentlichen Arbeitgeber hüteten sich davor, einen Arbeitskampf zu provozieren. Aus Sicht von Regierung und der ver.di-Führung ging es darum, eine Bewegung zu verhindern.

Autoindustrie: Spontane Streiks in Sindelfingen

Auch im Kampf um den Erhalt von Arbeitsplätzen hat die Gewerkschaftsführung eine fatale Rolle gespielt und dafür gesorgt, dass es bisher nicht zu einer Verallgemeinerung von Gegenwehr gekommen ist. Im Dezember 2009 gab es die spontanen Arbeitsniederlegungen im Daimler-Werk in Sindelfingen. Sie waren eine Reaktion auf die Ankündigung des Konzerns, die Produktion der C-Klasse in andere Werke zu verlagern. Nachdem Verhandlungen gescheitert waren, war die IG Metall gezwungen, einen Protest zu organisieren. Zu einer Demonstration während der Arbeitszeit kamen 12.000 KollegInnen. Von weiteren Protesten war aber nicht die Rede. Am 2. Dezember, als der Konzernvorstand die Verlagerung endgültig entschied, legten KollegInnen spontan die Arbeit nieder, Schicht für Schicht. Die IG Metall sah sich gezwungen, Protestkundgebungen durchzuführen, versuchte aber immer wieder, die KollegInnen danach wieder zur Arbeit zu bewegen. Diese Versuche schlugen jedoch fehl. Am nächsten Tag kam es zu einem Solidaritätsstreik in Stuttgart-Untertürkheim. Am 7. Dezember musste die IG Metall auf Druck von unten eine Demonstration in der Innenstadt durchführen, zu der 15.000 KollegInnen kamen.

Die Bewegung zwang den Daimler-Vorstandsvorsitzenden Zetsche an den Verhandlungstisch. In der Woche darauf gelang es der Betriebsratsspitze und der IG Metall-Führung, die Proteste einzudämmen. Resultat war der Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen und das Versprechen von Ersatzarbeitsplätzen. Jedoch war das Ergebnis ein fauler Kompromiss. Die Verlagerung wurde nicht verhindert und es gibt keine Arbeitsplatzgarantie. In einem Artikel für die SAV-Zeitung „Solidarität“ hob Ursel Beck hervor: „Wären die Beschäftigten am Freitag, den 7. Dezember nicht nur in Sindelfingen, sondern auch in Untertürkheim auf die Straße gegangen – wie aus der Belegschaft gefordert –, dann hätte das ein Fanal sein können für einen gemeinsamen Aufstand aller derzeit in Auseinandersetzungen stehenden Belegschaften in der gesamten Region. Wäre der Kampf gegen Stellenstreichungen mit den ohnehin stattfindenden Uni-Protesten und den Konflikten um kommunale Kürzungen sowie gegen das Wahnsinnsprojekt Stuttgart 21 verbunden worden, hätten große Teile der Bevölkerung einbezogen werden können.“

Auch hier hat die Gewerkschaftsführung dafür gesorgt, dass keine Bewegung entsteht. Eine solche hätte aber ein positives Beispiel für den Kampf gegen Arbeitsplatzabbau setzen können.

Werksschließungen – Kampfbereitschaft nicht genutzt

Viele Zulieferbetriebe der Autoindustrie haben in den letzten beiden Jahren bereits Standorte geschlossen. Punktuell entwickelten sich Arbeitskämpfe. Eines der jüngsten Bespiele ist die Auseinandersetzung um den Produktionsstandort Werk 8 der Firma Behr in Stuttgart. Seit einiger Zeit hat sich dort eine Gruppe von kritischen IG Metallern zusammengefunden, die mit vielen Entscheidungen der Betriebsratsmehrheit und der IG Metall nicht einverstanden war. Sie kritisierte die sozialpartnerschaftliche Ausrichtung. Anfang des Jahres drohte die Unternehmensleitung mit der Schließung von Werk 8. In vielen Betriebsversammlungen, bei Protesten und Arbeitsniederlegungen zeigten die Beschäftigten ihre Bereitschaft zu kämpfen. Sie bekräftigten immer wieder ihre Forderung: Erhalt von Werk 8 und aller Arbeitsplätze. In den Verhandlungen zwischen Unternehmensleitung und IG Metall wurde die Überführung eines Großteils der KollegInnen in eine Transfergesellschaft aufgeworfen. Bei Betriebsversammlungen machten die KollegInnen klar: Sie wollen keine Transfergesellschaft. Denn ihnen ist klar, das ist nur der Gang in die Arbeitslosigkeit auf Raten.

Dennoch unterschrieb die IG Metall im Juli eine Vereinbarung, die die Schließung von Werk 8 bestätigt. Einige Beschäftigte sollen Ersatzarbeitsplätze in anderen Standorten angeboten bekommen, die restlichen in eine Transfergesellschaft überführt werden. Wer keinen Arbeitsplatz bekommt oder annimmt und den Übergang in die Transfergesellschaft nicht unterschreibt, soll betriebsbedingt gekündigt werden. Die KollegInnen sammelten 130 Unterschriften (die Mehrheit der zur Zeit aktiv Beschäftigten) gegen diese Vereinbarung und forderten stattdessen den Einsatz der vollen Kampfkraft der IG Metall gegen die Schließung des Werks. (Bei Redaktionsschluss war der Ausgang dieser Auseinandersetzung noch offen. Die Betriebsratsmehrheit, die IG Metall-Vertrauenskörperleitung und die IG Metall-Ortsverwaltung zeigte sich bis zu diesem Zeitpunkt nicht willens, der Forderung nachzukommen.)

Gerade in der Region Stuttgart gibt es aufgrund der Ballung der Auto- und Metallbetriebe und der Stärke der IG Metall günstige Voraussetzungen, einen entschlossener Kampf verschiedener Belegschaften der von Schließungen und Entlassungen bedrohten Betriebe zu führen. Denn auch bei KBA Metal Print und in anderen Betrieben stehen die KollegInnen in der Auseinandersetzung um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze. Doch IG Metall-Funktionäre argumentieren immer wieder, wenn ein Schließungsbeschluss steht, könne die Gewerkschaft nichts machen. Das sei Kapitalismus. Dass dies nicht stimmt zeigte 2006 der Kampf der Belegschaft bei Bosch-Siemens-Hausgeräte in Berlin, wo ein Schließungsbeschluss wieder gekippt wurde.

Mit dieser Logik bereitet die IG Metall-Führung eine Katastrophe vor. Wenn sich die derzeitig gute Auftragslage als Strohfeuer erweist und die Produktion wieder zurück gefahren wird, droht die Region zum „Detroit“ Deutschlands zu werden!

Gewerkschaftslinke

Die Gewerkschaftsbürokratie kann ihre Politik trotz eines wachsenden Unmuts an der Basis umsetzen, weil es für die KollegInnen keine sichtbare Alternative gibt. Diese muss von betrieblichen AktivistInnen und linken GewerkschafterInnen geschaffen werden. Das geht nur indem sich kritische KollegInnen auf allen Ebenen zusammen schließen und eine klassenkämpferische und oppositionelle Strömung aufbauen.

Mit sechs Millionen Mitgliedern sind die DGB-Gewerkschaften immer noch die größten Organisationen der Arbeiterklasse. Auch, wenn aufgrund von Enttäuschung viele den Gewerkschaften den Rücken kehren, so sind die Möglichkeiten für den Aufbau von alternativen Gewerkschaften, zumindest unter den jetzigen Bedingungen in Deutschland, sehr begrenzt. In einzelnen Bereichen kann es sein, dass KollegInnen in andere, kleinere Gewerkschaften überwechseln, weil sie hier mehr Möglichkeiten sehen, ihre Interessen durchzusetzen. Es ist auch nicht auszuschließen, dass in einzelnen Branchen oder Unternehmen neue Gewerkschaftsorganisationen gegründet werden. Wenn dies geschieht, um bessere Kampfbedingungen zu schaffen und die Blockade der DGB-Gewerkschaftsführungen zu umgehen, liegt die Verantwortung für solche Entwicklungen bei letzteren. Es wäre dann falsch, eine grundsätzliche Haltung dagegen einzunehmen, wie dies manche, auch linke, GewerkschafterInnen machen, die den Vorwurf der Spaltung aufwerfen. Aber Einheit zum Verzicht hilft niemandem. Es war beispielsweise richtig den Lokführer-Streik unter der Führung der GDL zu unterstützen, da er aufgrund der offensiven Forderungen und der kämpferischen Haltung auch eine positive Rückwirkung auf die gesamte Arbeiterklasse und die Gewerkschaften hatte.

Der Hauptteil der Beschäftigten ist aber, und das wird auch für den absehbaren Zeitraum so bleiben, in einer der DGB-Gewerkschaften organisiert. Zu verzichten, sich in den DGB-Gewerkschaften für eine kämpferische Alternative zur Politik der Führung einzusetzen, würde bedeuten, der jetzigen Führung das Feld zu überlassen. Es reicht aber nicht aus, nur eine kämpferische Politik einzufordern oder nur im eigenen Betrieb „bessere“ Betriebsrats- oder Gewerkschaftsarbeit zu machen. Um einen Kurswechsel der Gewerkschaften zu erreichen, muss es Klarheit über die inhaltlichen Alternativen geben, es muss aber auch eine koordinierte Zusammenarbeit von oppositionellen AktivistInnen geben, um die Kräfteverhältnisse in den Gewerkschaften zu ändern. Der Aufbau oppositioneller Betriebsgruppen muss damit verknüpft werden, überbetriebliche Vernetzungen zu schaffen. Dafür gibt es bereits Ansätze, wie zum Beispiel die „Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken“ (IVG), die gewerkschaftsübergreifende Treffen von linken AktivistInnen organisiert, die „Daimler Koordination“, in der die verschiedenen Alternative-Gruppen und linke AktivistInnen zusammenkommen, das „Auto-Netzwerk“ oder auch das „Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di“ und die „ver.di-Linke“. Vernetzung allein reicht jedoch nicht aus. Ein alternatives politisches Programm ist nötig, dass die sozialpartnerschaftliche Logik der Gewerkschaftsbürokratie herausfordert. Mindestens sollten zu zentralen Auseinandersetzungen gemeinsame Forderungen entwickelt werden, die dann in verschiedenen Betrieben und Gewerkschaftsuntergliederungen eingebracht werden können. Bei konkreten Auseinandersetzungen müssen auch gemeinsame Handlungsmöglichkeiten entwickelt werden.

Einen wichtigen Ansatzpunkt in der jetzigen Situation bieten die Pläne der Gewerkschaften für Proteste gegen das Sparpaket, die Rente ab 67 und Leiharbeit. Hier gilt es, ein Aktionsprogramm zu entwickeln, mit dem der Widerstand effektiv aufgebaut werden kann. Inhaltlich geht es aber auch darum, ein Antikrisenprogramm zu formulieren, das sich nicht an die kapitalistische Logik anpasst (siehe auch Artikel „Heißer Herbst“).

Programmatische Fragen

In der Gewerkschaftslinken muss ein Programm gegen die Krise diskutiert werden. Es ist gefährlich, wenn dabei wichtige Grundpositionen, die in Debatten und Kämpfen über Jahre entwickelt wurden, in Frage gestellt werden. So zum Beispiel wenn statt vollem Lohnausgleich bei Arbeitszeitverkürzung nur “maximaler Lohnausgleich” gefordert wird. Das öffnet Tür und Tor für die unternehmerfreundliche Politik von Arbeitszeitverkürzung mit Lohnverzicht in Krisenzeiten. Gewerkschaftslinke sollten sich darauf nicht einlassen und weiter erklären, dass eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich weiterhin möglich und nötig ist, vor allem um die Massenarbeitslosigkeit erfolgreich zu bekämpfen. Für den Kampf gegen Arbeitslosigkeit muss auch die Eigentumsfrage aufgeworfen werden und die in der IG Metall-Satzung verankerte Forderung nach „Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien“ sollte aufgestellt werden. Es muss jedoch erklärt werden, dass es nicht um eine Verstaatlichung wie bei General Motors in den USA – im Interesse der Kapitalisten – geht, sondern im Interesse der Belegschaften und der arbeitenden Bevölkerung. Anstatt Steuergelder aus der Arbeiterklasse in Millionen- und Milliardenhöhe in Banken und Unternehmen reinzustecken, jedoch keinerlei Kontrolle zu haben, was mit dem Geld gemacht wird, fordern SozialistInnen eine komplette Überführung in Gemeineigentum unter demokratischer Arbeiterkontrolle und – verwaltung. Das würde auch die Grundlage für eine Umstellung der Produktion im Sinne von Mensch und Umwelt bieten. Der Kampf um den Erhalt eines jeden Arbeitsplatzes muss mit dem Kampf gegen die wachsende Arbeitslosigkeit im allgemeinen und mit der Perspektive eine sozialistischen Veränderung der Gesellschaft verbunden werden.

Angelika Teweleit ist in der SAV-Bundesleitung für die Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit zuständig. Sie ist auch eine Sprecherin des Berliner Solidaritätskreises für vom Ausschluss bedrohte MetallerInnen im Mercedes-Benz-Werk Berlin
Der Artikel erschien erstmals am 16.August 2010 in der Printausgabe des Magazins sozialismus.info.