Aufbau einer breiten Bewegung nötig. Vorbereitungen gegen Nazi-Aufmarsch in Stolberg beginnen.
Am Freitag, den 18. 6., fand abends um 20 Uhr eine Demonstration gegen den sich immer weiter verschärfenden Nazi-Terror in Aachen und Umgebung statt. Rund 500 AntifaschistInnen aus mehreren Orten NRWs kamen zusammen und zogen mehr als drei Stunden durch die Innenstadt. Darunter auch SAV- und Linksjugend ["solid]-Mitglieder aus Aachen und Köln.
von Sascha Wiesenmüller, Aachen
Insbesondere das Autonome Zentrum (AZ) wurde mehrmals von Nazis, vorwiegend von Mitgliedern der „Kameradschaft Aachener Land“ (KAL), angegriffen. Die KAL arbeitet eng mit der NPD zusammen und organisiert Fascho-Skins wie Autonome Nationalisten. Außerdem verfügt sie über ein größeres Umfeld in der Hooliganszene.
Auch Genossen der SAV wurden schon mehrmals Opfer gewaltsamer Übergriffe durch diese Schlägerbande. Zuletzt attackierten Nazis KonzertbesucherInnen des AZ mit Zwillen und Stahlgeschossen. KAL-Leute zogen mit selbst gebauten Morgensternen vor das AZ und sprühten eine chemische Substanz in den Eingang. Von einem Auto aus wurde mit einer Gaspistole auf AZ-Besucher geschossen. Auch kam es zu Übergriffen und Einschüchterungen durch Nazis auf TeilnehmerInnen eines an der Technischen Hochschule stattfindenden Protestcamps im Rahmen des Bildungsstreiks. Beim public viewing während des WM-Spiels Deutschland-Australien attackierten KAL-Leute Fußballfans, die sich an rassistischen Sprechchören und einer Reichskriegsflagge störten.
Die Polizei stellt den Nazi-Terror weiterhin als Auseinandersetzung zwischen Linken und Rechten dar, die letztlich auf einer Stufe stünden. Angesichts der Übergriffe auf Fußballfans erscheint diese Argumentation aber in der Öffentlichkeit immer haltloser.
Laute und kämpferische Demo – Polizeirepression gegen AntifaschistInnen
Die Demonstration am 18.6. war laut und kämpferisch und ging vom AZ aus zu den Stationen der Nazi-Gewalt in Aachen, so unter anderem auch vor das Büro der LINKEN, dessen Fensterscheibe bereits mehrfach eingeworfen wurde. Durch PassantInnen und AnwohnerInnen gab es viel Zuspruch, besonders in Vierteln mit hohem Migrantenanteil. Die Demonstration war allerdings zur Hälfte von Angehörigen der Autonomen Szene bestimmt. So führte der Black Block auch die Demonstration an und bildete die Demospitze. Jedoch schlossen sich im Laufe des Demozuges immer mehr Leute an. In der zweiten Hälfte des Demozuges konnten wir per Megaphon eigene Sprechchöre rufen und Reden halten, die sich auch an PassantInnen und AnwohnerInnen wandten.
Die Polizei nahm die Dominanz des Black Block zum Vorwand, um den -ganz und gar friedlichen- Demonstrationszug (der andauernd von der Polizei gefilmt wurde) mehrfach (bis zu einer halben Stunde) am Weitergehen zu hindern. Dabei wurde immer wieder Vermummung als Grund aufgeführt. Angesichts des friedlichen Verhaltens der DemonstantInnen aber wurde diese „Vermummung“ sehr frei ausgelegt: so galt schon das Gesichter verdeckende „Zu-hoch-Halten“ eines Transparentes als „Vermummung“.
Das erste Mal wurde der Demonstrationszug am Hotel Hesse angehalten. Das ist ein Hotel in Bahnhofsnähe, das der Besitzer an die NPD Aachen zu verkaufen beabsichtigt, die dort drin ein Schulungszentrum errichten will.
Während jener Zwischenstation bemerkten einige DemonstrantInnen in der Nähe Nazis, die Fotos von DemoteilnehmerInnen machten. Bei den Nazis handelte es sich um bekannte Fotografen der Anti-Antifa. Die Polizei schützte diese Nazi-Fotografen und hinderte die AntifaschistInnen daran, diese zu verjagen! Ein Antifaschist wurde sogar von der Polizei herausgegriffen, kam dann aber wieder frei.
Dieses Vorgehen der Polizei, AntifaschistInnen fotografierende Nazis zu schützen, ist nicht neu. Im Herbst letzten Jahres bekam ein 15-jähriger aus dem Umfeld von Linksjugend ["solid] nach einer Demo eine Anzeige wegen „Vermummung“, weil er sein Gesicht vor Fotografen der Anti-Antifa mit einem Schal verdeckte. Mehrere PolizistInnen standen daneben! Anstatt aber gegen die fotografierenden Nazis vorzugehen, wurden diejenigen mit Repressalien belegt, die sich vor ihnen schützen!
Danach kam es noch zweimal dazu, dass der Demozug von der Polizei aufgehalten wurde. Diese zermürbenden Zwangsstopps kann man nur als Schikane bewerten. Beim zweiten Mal ging die Polizei auch mit extremer Brutalität und sinnloser Gewalt gegen die Demospitze vor. Weil ein Transparent angeblich zu hoch gehalten wurde (also weil man sich der permanenten Abfilmerei durch die Polizei und auch möglichen Anti-Antifa-Fotografen entzog) ging die Staatsmacht mit Schlagstöcken und Pfefferspray gegen die DemonstrantInnen vor. Mehrere Demoteilnehmer mussten ärztlich behandelt werden.
Etliche AnwohnerInnen konnten so live erfahren, was der Sinn des aus der Demo gerufenen „This is what democracy looks like!“ ist.
Am 18. 6. wurde der von der Regierung eingeleitete Kampf gegen den „Linksextremismus“ (wie schon am Samstag davor bei den Demonstrationen in Stuttgart und Berlin) eindrucksvoll vorexerziert.
Den „Aachener Nachrichten“ fiel aber nichts besseres ein, als in ihrer Berichterstattung über den Tag, Nazis als Opfer zu präsentieren, indem sie schrieben dass ein 18-jähriger aus der rechten Szene in der Nacht nach der Demo von Linken angegriffen wurde. Hier wird also wieder einmal versucht, Gegenwehr gegen Nazi-Gewalt mit dieser gleich zu setzen, was angesichts der Tatsache, dass Nazi-Gewalt seit 1990 schon eine ins Dreistellige gehende Zahl von Todesopfern gefordert hat, der reinste Hohn ist!
Polizei und Justiz ermutigen Faschisten
Dass Polizei und Justiz viel lieber gegen AntifaschistInnen vorgehen, als gegen die Nazis, ist leider nichts Neues. In Aachen aber ist das so offensichtlich, dass man es beinahe für makabere Satire halten könnte. So befand im Frühjahr 2009 ein Aachener Gericht, dass der Hinweis „zum Abschuss freigegeben“ (nebst gekreuzten Pistolen) auf einer „Outing“- Seite von Nazis, wo diese AntifaschistInnen, Linke und Aussteiger mit Fotos, Namen, Adressen outen, keine Bedrohung sei. Es sei „lediglich ein scharf formulierter Hinweis, dass man mit diesen Personen nichts zu tun haben wolle“! Von den Nazis, die im März 2008 eine antifaschistische Demo überfallen hatten, ist bis heute noch keiner verurteilt worden, angeblich „weil der zuständige Richter pensioniert wurde“ und
„der neue noch nicht genug in die Sache eingearbeitet“ sei! Währenddessen liefen aber schon etliche Verfahren gegen TeilnehmerInnen der angegriffenen Demo, die sich gegen Nazis und eben so gegen sie vorgehende, als solche nicht erkennbare ZivilpolizistInnen gewehrt haben.
Wer von Nazis angegriffen wurde und bei der Polizei Anzeige erstatten will, bekommt nicht selten zu hören, dass er / sie es ja irgendwie selber schuld sei, wenn man antifaschistisch aktiv sei.
Ein solches Vorgehen kann man nur als Ermutigung faschistischer Gewalttäter sehen. Offenbar hat der bürgerliche Staat ein Interesse daran, dass linke AktivistInnen in ihrer Arbeit durch Nazis erheblich eingeschränkt werden und es sich lieber zweimal überlegen, ob sie in Protestbewegungen aktiv werden.
Rolle von Nazis in der Krise
Das Vorgehen der Nazis, die nicht mehr „nur“ gegen AntifaschistInnen (als ob das nicht schon genug wäre) gewaltsam vorgehen, sondern auch ganz offen Jagd auf GewerkschafterInnen, auf TeilnehmerInnen des Bildungsstreiks und auch auf AktivistInnen sozialer Bewegungen machen, weist diese eindeutig als das aus, was sie immer schon waren: als die brutalen Kettenhunde des Kapitals, deren Hauptaufgabe die gewaltsame Zerschlagung der Arbeiterbewegung und aller Formen fortschrittlicher sozialer Bewegungen ist. Der Staat hat sicherlich (momentan) kein Interesse daran, die Nazis politisch stärker werden zu lassen. Vor allem kann er es nicht hinnehmen, wenn durch Nazi-Terror das Ansehen des Wirtschaftsstandorts Deutschland beschädigt wird. Natürlich geht es auch ihm zu weit, wenn Fußballfans beim public viewing von braunen Schlägern attackiert werden.
Aber angesichts der Krise setzen die Herrschenden verstärkt auf Spaltungshetze. Aussagen von Sarrazin, Koch und Westerwelle sowie der Bild-Zeitung sind da nur die Spitze des Eisbergs.
Angesichts der Perspektive von sozialen Unruhen, der Zunahme von Klassenkämpfen und sozialen Protestbewegungen, wird auch der Staat eine härtere Gangart einlegen. Nicht anders kann man die gegenwärtigen Kampagnen gegen den „Linksextremismus“ bewerten.
Nicht zuletzt aber hat der Staat auch ein Interesse daran, seine Kettenhunde am Leben zu halten, und sie bei Bedarf auf Linke losgehen zu lassen. Dass sie auch jetzt schon kräftig mit den Zähnen fletschen und damit gegenüber Linken, Antifas und sozialen Bewegungen ein Klima der Angst schaffen, kann Staat und Kapital nur recht sein.
Anstehende Aufgaben
Umso mehr müssen wir den Widerstand gegen den Nazi-Terror selbst in die Hand nehmen. Die Demo vom 18. 6. in Aachen war ein guter Anfang und ein klarer Punktsieg gegen die Nazis. Aber weitere und noch größere Mobilisierungen werden folgen. Wir brauchen eine antifaschistische Bewegung, die in den Stadtvierteln, den Schulen, Unis und Betrieben aktiv ist und auf Massen setzt.
Denn mit der Verhinderung einzelner Aufmärsche ist es nicht getan. Den Nazis muss man auf täglicher Grundlage entgegentreten: durch den Aufbau einer sozialistischen Alternative.
Doch Großevents haben für die Nazis bedeuteten psychologischen Wert. Im April nächsten Jahres wollen die Nazis wieder in Stolberg bei Aachen aufmarschieren. Bislang ist ihnen das immer gelungen, was nicht zuletzt an der Schwäche des von Bürgerlichen dominierten Protestbündnisses lag. Doch die erfolgreichen Blockaden von Dresden, Köln und anderen Orten haben gezeigt, wie man Nazis erfolgreich stoppen kann. Das muss auch in Stolberg 2011 erfolgen! Bis dahin ist es zwar noch lange hin , doch gilt es jetzt schon für eine erfolgreiche Massenblockade den organisatorischen und politischen Grundstein zu legen!