Anti-AKW-Bewegung in den Achtzigern: Blick zurück nach vorn
Nach den Protesten vor der Bundestagswahl, an denen sich 50.000 Menschen beteiligten, fand im April in Norddeutschland eine Menschenkette mit über 120.000 TeilnehmerInnen statt. Diese Renaissance des Widerstands gegen die Atommafia ist auch dringend notwendig. Zumal die Kernkraftwerke – wenn es nach Schwarz-Gelb geht – nun bis zu 60 Jahren am Netz bleiben dürfen.
von Tom Gottan, Köln
SPD und Grüne behaupten dreist, mit dem Atomausstieg begonnen zu haben. Damit meinen sie den so genannten Atomkonsens. Real hat der aber wenig mit einem echten Ausstieg zu tun.Von der rot-grünen Bundesregierung 2002 auf den Weg gebracht, hat dieser „Atomkonsens“ lediglich dazu geführt, dass zwei ohnehin schon altersschwache Kernkraftwerke abgeschaltet wurden und vorerst keine neuen Anlagen gebaut wurden – wobei der Bau neuer Atomanlagen aufgrund großer Überkapazitäten zu der Zeit auch gar nicht im Interesse der Energiekonzerne lag.
Ein Blick in die Vergangenheit lässt das Ganze noch grotesker erscheinen: 1986 forderte die SPD auf ihrem Nürnberger Parteitag einen Ausstieg innerhalb von zehn Jahren, und die Grünen sogar den sofortigen Ausstieg. Das heißt, spätestens ab 1998, mit Rot-Grün im Bund, hätte es in riesigen Schritten voran gehen müssen. Aber auch nach sieben Jahren Regierungszeit waren immer noch 17 Kernkraftwerke in Betrieb – und sind es auch heute noch.
Was war los in den Achtzigern?
Nicht mit angepasster grüner Politik auf Regierungsbänken, sondern mit Massenprotesten konnten bedeutende Erfolge erzielt werden. Und zwar in der Bundesrepublik der achtziger Jahre. So sollte im bayerischen Wackersdorf eine Wiederaufbereitungsanlage (WAA) für Atommüll errichtet werden. Großproteste von Atomgegnern – und zwar nicht nur von auswärtigen DemonstrantInnen, sondern auch von großen Teilen der Bevölkerung vor Ort –, an denen sich sowohl am Ostermontag als auch beim Anti-WAAhnsinnsfestival im Juni 1986 jeweils über 100.000 Menschen beteiligten, sorgten dafür, dass die Anlage nach langen Kämpfen nicht fertig gestellt werden konnte! Und das trotz massiver, teils gewalttätiger Polizeieinsätze (bei denen auch das als Kriegswaffe geächtete CS-Gas eingesetzt wurde).
Damals peilte die deutsche Atomlobby an, 80 Meiler zu bauen. Natürlich kann niemand sagen, wieviele AKWs ohne Proteste wirklich hochgezogen worden wären. Aber der Bau einer ganzen Reihe der ursprünglich geplanten Anlagen wurde dank des Aufruhrs definitiv nicht in Angriff genommen.
Warum gibt es überhaupt noch AKWs?
Eigentlich könnte man die Atomkraftwerke sofort vom Netz nehmen, ohne, dass die VerbraucherInnen es merken würden. Schließlich gibt es in der Energieproduktion gewaltige Überkapazitäten. Die Konzerne selbst wollen deshalb Kraftwerke stilllegen – bloß keine AKWs. Denn Atomstrom bringt den Energiekonzernen riesige Gewinne. Die Baukosten sind, nicht zuletzt dank hoher Subventionen, relativ gering. Je länger die Anlagen dann am Netz bleiben, desto profitabler ist es. Und die Entsorgungskosten werden vom Staat getragen. Zudem eröffnet das den Herrschenden die Möglichkeit, recht schnell Atomwaffen produzieren zu können.
Die Erfolge, die die Anti-Atom-Bewegung erzielen konnte, sind ein guter Beweis dafür, dass Widerstand sich lohnt. Dass die Kapitalisten aber vehement an der Atompolitik festhalten wollen, zeigt, dass nicht nur in einzelnen Gebieten, wie zum Beispiel in Wackersdorf, sondern überregional, auf der Straße, in den Betrieben massenhafte Gegenwehr entwickelt – und mit dem Kampf gegen dieses Profitsystem verbunden – werden muss.
Kampf gegen die WAA in Wackersdorf
Die Oberpfalz in den achtziger Jahren: Erst wurden im Stahlwerk Maxhütte in großem Stil Stellen gestrichen, womit sich die dortige Arbeitslosigkeit auf 20 Prozent katapultierte. Dann versprach der reaktionäre bayrische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß (CSU) viele neue Jobs – durch den Bau einer atomaren Wiederaufbereitungsanlage (WAA) in Wackersdorf.
Doch diese Rechnung ging nicht auf. Die Bevölkerung sah nicht ein, dass sie Tausende von sinnvollen Arbeitsplätzen in der Stahlindustrie verlieren sollte, um sich auf ein paar gefährliche Jobs einzulassen. Die Wut der Stahlwerker über den Verlust ihrer Arbeitsplätze nährte den Widerstand gegen die WAA. Von 1985 bis 1989 kam es zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Im März 1987 wurde mit dem Bau begonnen. Für 15 Millionen DM errichtete man eine Bauzone um das Gelände. Trotzdem ging der Widerstand weiter. DemonstrantInnen aus der ganzen Republik, aktiv unterstützt von der Landbevölkerung, legten sich mit der Polizei an. Polizisten verweigerten den Einsatz. Weil die Knüppeleinsätze in Wackersdorf (die Bayern 50 Millionen DM kosteten) finanziell und politisch zu hoch wurden, mussten die Herrschenden den Bau zwei Jahre nach seinem Beginn wieder einstellen.