Zur Verabschiedung der Gesundheitsreform in den USA
Nach der Beschlussfassung über die Gesundheitsreform war ein Gefühl von Euphorie in den USA spürbar. Diese wurde mit der knappen Mehrheit von 219 zu 212 Stimmen im Kongress verabschiedet. Kein einziger Abgeordneter der Republikaner hatte für das Gesetz gestimmt, obwohl Obama und die Demokraten im Vorfeld versucht hatten, das Gesetz für Konservative so attraktiv wie möglich zu gestalten. Es ist sicherlich so, dass es sich um einen Sieg gegen die konservative Tea-Party-Bewegung und die rechten Demagogen handelt, die in den letzten Monaten die Medien dominierten. Aber leider handelt es sich um einen Sieg mit zweifelhaftem Wert.
von Fran Karas, Socialist Alternative (CWI in den USA)
Ein Grund für die allgemeine Begeisterung über die Gesundheitsreform ist, das nur wenige sie genau verstehen. Die harten Fakten über das Gesetz gehen über den Schlagworten „allgemeiner Zugang zu Gesundheitsversorgung“, „niedrigere Kosten“ und “keine Ablehnung von Versicherungsschutz wegen Krankheit oder Vorerkrankungen” unter – Ansprüche an die Reform, die weit überschätzt werden.
Tatsächlich ist die größte Errungenschaft der Debatte die Verwirrung in der Öffentlichkeit die erzeugt wurde. Damit wurde vom Hauptproblem abgelenkt: Der profit-orientierten Gesundheitsversorgung. Die jetzt beschlossene Reform wird daran nichts ändern. Und mit der Zeit werden viele, die heute noch die Reform begrüßen, die Begrenztheit der Reform feststellen.
Unglücklicherweise gibt es einen großen Gewinner des Kampfes um die Gesundheitsreform: Die privaten Krankenversicherungen. Diese existieren nicht, um Pflege oder Gesundheitsversorgung anzubieten, sondern ihr primäres Ziel ist vor allem, Profite zu machen. Am besten noch die Steigerung von Profiten. Der einzige Weg das zu erreichen ist, kranken Menschen die Versorgung zu verweigern oder die Preise für die Versicherungen zu erhöhen.
Die privaten Krankenversicherung haben sich für beide Wege entschieden und niemand hat sich dem in den Weg gestellt.
Die Kampagne Ärzte für eine einheitliche Gesundheitsversorgung (PNPH) verglich die neue Gesetzgebung mit einer „Aspirin zur Behandlung von Krebs.“ Dr. Marcia Angell von PNHP sprach davon, es sei schwer eine Lösung für ein Problem zu finden, wenn man die Ursache aus den Augen verliert und nur die Symptome behandelt. Die Ursache des Krebses, ist die Tatsache, dass im Kapitalismus Gesundheit eine Ware ist, deren Verfügbarkeit vom Geldbeutel abhängt. Die Symptome sind Millionen Menschen ohne Versicherung, ungleiche Behandlung, explodierende Kosten, niedrigere Lebenserwartung und ungeheure Verschwendung. Es gibt in den USA mehr als 1200 Versicherungskonzerne, jeder mit eigener Verwaltung und laufenden Kosten – nicht zu vergessen, dass jeder von ihnen Profite machen will. Auf der anderen Seite muss jede Gesundheitseinrichtung viel Personal beschäftigen, um sich mit den Versicherungen zu befassen.
Nirgends wird dadurch die Versorgung besser, aber überall entstehen große Kosten. Wie viele von diesen Problemen werden durch die Gesundheitsreform behoben? Nicht viele.
Im ganzen Medienrummel sind viele Tatsachen untergegangen:
– 23 Millionen Menschen werden auch in den nächsten neun Jahren ohne Krankenversicherung sein.
– Jeder ist jetzt verpflichtet eine private Krankenversicherung abzuschließen, aber es gibt keine Regelungen für die Kontrolle der Kosten. Es gibt weiterhin keine Garantien, dass jede Versicherung alle Kosten voll übernehmen wird. Das bedeutet weiterhin das Risiko bei ernsthaften Erkrankungen zu verarmen.
– Betriebe mit mehr als 50 Beschäftigen werden verpflichtet Krankenversicherung für ihre Mitarbeiter anzubieten. Weigert sich ein Betrieb drohen Strafen von 2000 US-Dollar pro Mitarbeiter und Jahr. Wenn man bedenkt, dass die durchschnittlichen Kosten einer Krankenversicherung mit Einschluss einer Familienversicherung in den USA rund 13.000 US-Dollar pro Jahr betragen, wird klar, dass es für die Unternehmer einen Anreiz gibt, keine Krankenversicherung anzubieten. Nach Abzug der Strafe können so immerhin 11.000 US-Dollar gespart werden. Die Arbeiter müssen sich dann individuell versichern oder ebenfalls eine Geldstrafe zahlen. Aber zusätzlich wird ihnen Versicherungsschutz fehlen, wenn sie ihn brauchen.
– Versicherungsgesellschaften wird verboten, die Aufnahme von Kindern abzulehnen, wenn sie Vorerkrankungen haben (für Erwachsene gilt das ab 2014). Aber es gibt keine Vorschrift im Gesetz, die das Erhöhen der Versicherungsprämien in solchen Fällen untersagt. Können sich die Patienten die Versicherung nicht mehr leisten und kündigen die Versicherung, müssen sie entweder eine Strafe zahlen oder durch staatliche Zuschüsse unterstützt werden. In beiden Fällen gewinnt der Versicherer.
– Es sollen Versicherungsbörsen eingerichtet werden und der Staat soll als Makler tätig werden, der Kunden zu privaten Versicherungen lotst. Im Bundesstaat Massachusetts wo solche Börsen seit 2006 existieren wird geschätzt, dass deren Kosten 4 Prozent der gesamten Gesundheitskosten ausmachen.
– Das Gesetz enthält eine Bestimmung, die „verlangt, dass Frauen, die staatliche Zuschüsse für ihre Krankenversicherung erhalten, diese nicht für die Kosten von Abtreibungen in Anspruch nehmen dürfen.“ Das gilt auch für durch den Arbeitgeber finanzierte Krankenversicherungen und ist ein Angriff auf das Recht der Frauen selbstbestimmt zu entscheiden.
Die wenigen fortschrittlichen Elemente der Gesundheitsreform, wie etwa das Studierende nun bis 26 Jahre in der Versicherung der Eltern versichert sein können oder die Ausweitung von „Medicaid“ (staatliches Gesundheitsfürsorgeprogramm, der Erhalt von Leistungen ist an eine Bedürftigkeitsprüfung geknüpft.) bedeuten keine grundlegende Veränderung des Gesundheitswesens in den USA und sind außerdem in der Reform mit vielen rückschrittlichen Maßnahmen verbunden. Die Verbesserungen hätten auch leicht einzeln beschlossen werden können.
Die Gesundheitsreform geht keines der grundlegenden Probleme an, aber erhöht die Bedeutung der Versicherungskonzerne. Zum ersten Mal gibt es ein Gesetz, dass profit-orientierte Krankenversicherung verpflichtend für die Mehrheit der Menschen macht.
Obama und die Demokraten
Von Anfang der Debatte über die Gesundheitsreform an, hatten die Strategen der Republikaner darauf gesetzt, offensiv das Gesetz zu bekämpfen. Die Versicherungslobby war gegen die Reform, obwohl es offensichtlich war, dass sie durch sie noch reicher würde. Die Republikaner propagierten, dass „staatliche Versicherungen“ un-amerikanisch, sozialistisch und betrügerisch seien. Sie organisierten Kampagnen, Tea-Parties und dominierten auf Einwohnerversammlungen zur Gesundheitsreform. Ihr Botschaft, reaktionär und zeitweise offen rassistisch, war deutlich wahrzunehmen.
Die Demokraten, die die Mehrheiten in der Legislative und der Exekutive haben, haben sich ihren Zeitplan von den Republikanern diktieren lassen. Obama hielt sich aus der Debatte raus und ließ die konservativen Demokraten und Republikaner gewähren. Die Befürworter einer allgemeinen steuerfinanzierten Krankenversicherung wurden aus der Debatte rausgehalten. Vertreter der Versicherungskonzerne wurden hingegen prominent platziert. Allgemeine Versicherungspflicht wurde zum Eckpfeiler der Reform. Der „radikalste“ Vorschlag war noch die Möglichkeit eines Angebots von Versicherung durch eine staatliche Versicherung. Mit den Debatten wurde dies immer weiter abgeschwächt bis es schließlich fallen gelassen wurde.
Der letztliche Vorschlag war dann allgemeine Versicherungspflicht, keinerlei Angebot einer staatlichen Versicherung und zusätzliche Steuern für diejenigen, die Arbeitgeberzuschüsse erhalten – dies hätte vor allem gewerkschaftlich organisierte Arbeiter betroffen.
In den letzten Wochen vor der Verabschiedung machte Obama dann selbst einen Vorschlag für das Gesetz. Leicht verändert war es aber immer noch sehr unternehmerfreundlich. Für dies machte Obama massiv Propaganda. Er hielt Veranstaltungen ab, besuchte Einwohnerversammlungen, hielt Reden und nutzte die Medien. Es wird kolportiert, dass er bis zur letzten Minute am Telefon hing, um Konservativen zuzusichern, dass es keine staatlich finanzierte Abtreibung geben wird. Er machte ebenso deutlich, dass die Dominanz der privaten Krankenversicherungen nicht in Frage gestellt werden wird.
Viele der „Fortschrittlichen“ in der Demokratischen Partei knickten darauf hin ein. Einer nach dem anderen gab die Idee einer allgemeinen steuerfinanzierten Krankenversicherung auf und schließlich auch die Möglichkeit einer staatlichen Krankenversicherung zusätzlich zu den privaten. Zuletzt kippte Dennis Kucinich, nachdem Obama in seinem Wahlkreis Werbung für seine Reform machte. Obama machte den liberalen Demokraten keinerlei Angebote, aber konnte sich ihre Stimmen sichern. Von den Republikanern konnte er keine einzige Stimme bekommen, obwohl er Zugeständnisse an diese gemacht hatte. Also haben die Demokraten mal wieder, vergleichbar mit den Konjunkturpaketen 2009, der „Bankenrettung“ 2008 und der Kreditkarten-Reform 2010, im Alleingang ein Gesetz für die Banken und Konzerne verabschiedet.
Obama zeigte, dass er in der Lage ist seine Position und seine Popularität zu nutzen, aber er tat dies erst als er einen ineffektiven Gesetzentwurf hatte.
Warum lehnte die Versicherungswirtschaft die Gesundheitsreform ab?
Die Wirtschaftskrise machte deutlich, welch ein Problem die hohen Krankenversicherungskosten nicht nur für Familien, sondern auch Arbeitgeber bedeuten. In Umfragen stellte sich eine Mehrheit der US-Amerikaner hinter die Reform. Selbst die Idee einer allgemeinen steuerfinanzierten Krankenversicherung hatte eine Mehrheit. Die Idee einer radikalen Reform fand mehr und mehr Unterstützter.
Die Obama-Administration gab der Versicherungswirtschaft eine prominente Stimme in der Debatte. Im Endeffekt bedeutete die Gesundheitsreform keine Bedrohung für die Versicherungen. Ihnen ging es vor allem darum eine Konkurrenz durch eine staatliche-organisierte Krankenversicherung zu verhindern.
Aber wenn die Versicherungswirtschaft Obama unterstützt und ihre Kampagne gegen die Gesundheitsreform eingestellt hätte, hätte sie den Befürwortern einer realen Veränderung mehr Raum für ihren Widerstand eingeräumt. Der einzige Weg dies zu verhindern, war aus ihrer Sicht die „Gegenseite“ also die fortschrittlichen Kräfte im Schach zu halten, indem sie auch nur die geringsten Veränderungen ablehnte. Diese Strategie hat wunderbar funktioniert. Um so lauter sie ihre Stimme erhoben, desto mehr Führer der Demokraten versuchten sie zu besänftigen. Die Demokraten taten, was sie am besten können: Sie brachten die linken Kräfte in der Partei zur Ruhe und verschoben die Inhalte der Reform nach rechts.
Die Medien spielten ebenso ihre Rolle. Fox News (ein konservativer Nachrichtensender) setzte den Ton und der Rest folgte. Sie gaben den Leuten der Tea-Party-Bewegung und den verrückten Rechten ihre volle Aufmerksamkeit, während sie die Rufe nach wirklicher Reform ignorierten. Genau wie sie die Stimmen der Antikriegsbewegung in den letzten sieben Jahren ignorierten. Aber jede noch so kleine Stellungnahme oder Aktion der Republikaner wurde in den Nachrichten gebracht.
Eine sozialistische Herangehensweise an das Gesundheitswesen
Von Anfang an hat Socialist Alternative die Pläne für die Gesundheitsreform als ungenügend bezeichnet. Nötig wäre ein allgemeines steuerfinanziertes Gesundheitswesen. Wie sollen ArbeiterInnen für eine Reform mobilisiert werden, die beinhaltet, dass sie mehr Steuern auf ihren Lohn zahlen müssen, wie es jetzt der Fall ist?
Der einzige Vorschlag nach ernsthafter Veränderung war die Forderung nach der allgemeinen steuerfinanzierten Krankenversicherung oder die Ausweitung von Medicare (öffentliche und bundesstaatliche Krankenversicherung der USA für ältere und/oder behinderte Mitbürger.) auf Alle.
Gewerkschaften und gesellschaftliche Organisationen hätten auf dieser Grundlage ihre Mitglieder mobilisieren können, wie sie es 2008 während des Präsidentschaftswahlkampfs taten. Mit einem Vorschlag für eine tatsächliche Veränderung hätten Millionen von ArbeiterInnen und ihren Familien für eine landesweite Kampagne mobilisiert werden können. Eine solche Bewegung hätte durch Veranstaltungen, Informationsabende oder Hausbesuche Überzeugungsarbeit in den Gemeinden leisten können und so die Schicht der UnterstützerInnen ausweiten können.
Einige argumentieren nun, dass die jetzt beschlossene Reform zumindest ein Schritt in die richtige Richtung sei und das weitere Verbesserungen in den nächsten Jahren bis zum endgültigen Inkrafttreten möglich seien. Sicherlich ist die Debatte um die Gesundheitsversorgung in den USA nicht zu Ende. Die jetzige Reform will die profit-orientierte Ausrichtung des Gesundheitswesens festschreiben. Erfahrung und Enttäuschung in den nächsten Jahren werden dazu führen, dass Forderungen nach einem Ende der Profitwirtschaft im Gesundheitswesen und für staatliche Fürsorge zunehmen werden.
Eine Lehre ist, dass wir nicht auf die Demokraten vertrauen können, wenn wir Veränderung wollen. Im besten Fall sind sie zu nichts im Stande, im schlimmsten Fall nicht besser als die Republikaner.
Aber wir sollten den Republikanern nicht gestatten bei den Wahlen im November 2010 zu profitieren. Noch ist es nicht zu spät, eine Koalition von Gewerkschaften und gesellschaftlichen Organisationen zu bilden, die unabhängige Kandidaten aufstellen kann, die entschlossen sind unter anderem für eine allgemeine steuerfinanzierte Krankenversicherung, einem Ende der Zuschüsse an private Konzerne und ein Ende des Kriegs zu kämpfen. Wir brauchen Kandidaten die die Interessen der Arbeiterklasse gegen die des Kapitals verteidigen.