Vom Protest zum Widerstand

Stuttgart 21 ist noch zu stoppen

Extrablatt der SAV Stuttgart (März 2010) – auch als PDF


 

Bahnchef Grube, Verkehrsminister Ramsauer, OB Schuster und Ministerpräsident Mappus sind wild entschlossen, das Projekt Stuttgart 21 durchzuziehen. Aber: wild entschlossen sind auch die S-21-Gegner. Für die SAV steht fest: das Projekt kann verhindert werden.

Am 2. Februar wurde im Bahnhof von den S-21-Machern ein offizieller Baubeginn inszeniert. Ganz offen erklärten die Bahnmanager und Politiker, dass sie dadurch, ähnlich wie beim Messebau, den Widerstand gegen S 21 brechen wollten. Dieser Akt der psychologischen Kriegsführung wurde mit einer Demonstration von circa 4.000 S-21-Gegnern beantwortet, die die Show-Veranstaltung lautstark mit „Lügenpack“-Rufen störten.

Die ersten Montagsdemos nach dem „offiziellen Baubeginn“ und die steigende Zahl der Parkschützer zeigt, dass anders als beim Messebau der Widerstand nicht zusammenbricht, sondern entschlossener wird. Und das hat Gründe.

Erstens hat die lächerliche Veranstaltung mit 400 handverlesenen Gästen im Hauptbahnhof nichts mit dem eigentlichen Baubeginn für S 21 zu tun und zweitens ist das Potenzial für Widerstand in der dicht bevölkerten Innenstadt und einem hochfrequentierten Hauptbahnhof eine ganz andere Nummer als beim Messebau auf den Fildern. Drittens richtet sich S 21 noch viel mehr als die Messe gegen die elementaren Interessen der Mehrheit der Bevölkerung in Stuttgart und der gesamten Region.

Bauarbeiten bis 2012 umkehrbar

Selbst im Amtsblatt der Stadt Stuttgart konnte man nachlesen, dass die Bauarbeiten bis zum Jahr 2012 (Jahr der OB-Wahl) vorbereitende Maßnahmen sind. Das heißt: alles was bis dahin passiert ist umkehrbar. Allerdings sind die Einschnitte, die bis dahin stattfinden gravierend. Bereits ab Mai kommt es wegen vorbereitender Baumaßnahmen zu einer Behinderung des S-Bahn-Verkehrs. Spätestens im Herbst sollen 280 Bäume im Schlossgarten gefällt werden.

In der ersten Bauphase wird für 70 Millionen das Gleisvorfeld und die Signaltechnik saniert. Das ist auch beim Erhalt des Kopfbahnhofs eine sinnvolle Maßnahme. Bei S 21 soll die 70-Millionen-Investition später verschrottet werden, weil das gesamte Gleisvorfeld geräumt werden soll.

S 21 = Profitprojekt

Die Freigabe von 100 Hektar jetziger Gleisflächen für die Vermarktung durch Immobilienspekulanten ist der eigentliche Grund für S 21. Die angebliche Verbesserung des Zugverkehrs ist Lügenpropaganda. Es ist kein Zufall, dass OB Schuster Anfang Dezember 2009 von der internationalen Lobbyorganisation der Immobilienhaie (ULI) eine Auszeichnung dafür erhielt, dass er angeblich „wesentlich dazu beigetragen (hat), den Dialog zwischen Politik, Verwaltung und Immobilienwirtschaft kontinuierlich zu verbessern“ „Hervorzuheben sind dabei seine Stadtentwicklungsplanung unter anderem Stuttgart 21“. Das ist nachzulesen im Amtsblatt vom 3.12.09. Oder anders ausgedrückt, Schuster vertritt mit seiner Stadtplanung offen die Kommerzialisierung im Interesse der Immobilienhaie und Industriekonzerne. Im Herbst 2006 hat Oettinger einen sogenannten „Unterstützerkreis Stuttgart 21“ gegründet. Hier sind alle Profiteure von S 21 und ihre politischen Freunde versammelt. Dazu gehört zum Beispiel Dr. Ing. Michael Blaschke von der Geschäftsführung des Baukonzerns Bilfinger und Berger. Der Konzern ist hauptverantwortlich für den kriminellen Pfusch beim Kölner U-Bahnbau. Dr. Ing. Martin Herrenknecht, Chef des Tunnelbohrmschinenherstellers Herrenknecht gehört auch zum erlauchten Kreis des S-21-Untersützerkreises. Lothar Späth, der frühere CDU-Ministerpräsident von Baden Württemberg ist wiederum Aufsichtsratsvorsitzender bei Herrenknecht und gehört auch zum S-21-Unterstützerkreis. Bei der Demo am 29.1.2010 gab ein Redner bekannt, dass Herrenknecht vor der Bundestagswahl 70.000 Euro an die CDU gespendet hat.

Alle Fakten sprechen gegen S 21

Tagtäglich werden neue Fakten bekannt, die gegen S 21 sprechen. Tagtäglich werden die Argumente der S21-Gegner von Experten untermauert. Das Geologische Landesamt bestätigte, dass bei Bohrungen im Gipskeuper Geländeanhebungen nicht auszuschließen sind.

Der Sinn der Schnellbahntrasse von Wendlingen nach Ulm wird mehr und mehr in Frage gestellt. Die 60 Kilometer Albüberquerung ist mit den veranschlagten 2,3 Milliarden hoffnungslos unterfinanziert. Denn es müssen je zwei eingleisige Tunnel à 30 Kilometer gebaut werden. Der Bundesrechnungshof geht bereits von 3,2 Milliarden Euro aus. Auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke werden aufgrund einer Steigung von 31 Promille keine schweren Güterzüge rollen können. Das macht das ganze Projekt völlig unsinnig. Die SAV hat diese Strecke von Anfang an abgelehnt.

Für 62 wichtige und sinnvolle Bahnprojekte gibt es kein Geld mehr, weil die Gelder sinnlos für S 21 und die Hochgeschwindigkeitsstrecke verbuddelt werden. Mitte Januar ist durchgesickert, dass es bei der Bahn eine entsprechende geheime Streichliste gibt. Der Bau der Rheintalstrecke verzögert sich. Für Lärmschutz auf dieser Strecke gibt es kein Geld mehr. Der überfällige Ausbau der Strecke Ulm – Friedrichshafen steht in den Sternen. Am 11.2. konnten wir in der Presse lesen, dass die Bahn auf der Gäubahnstrecke Stuttgart – Singen – Zürich ab März 2010 keine ICE-Züge mehr, sondern ältere Wagen der Schweizer Bundesbahn einsetzen wird. Das wird dazu führen, dass sich die Fahrzeiten auf dieser wichtigsten Verbindung in die Schweiz verlängern. Wenn Milliarden für S 21 vergraben werden, dann werden wir das künftig mit massiven Verschlechterungen auf vielen Strecken und mit einer gravierenden Verschlechterung des Nahverkehrs bezahlen müssen. Dann können wir vielleicht ein paar Minuten schneller nach Bratislava fahren, aber seltener nach Weil der Stadt und brauchen länger für eine Fahrt an den Bodensee oder in den Schwarzwald.

Keine Mehrheit für S 21

Bahnchef Grube erklärt, dass seine Vorgänger das Projekt S 21 schlecht kommuniziert hätten. Er glaube, dass man die Bevölkerung von dem Projekt überzeugen könne. Ob er das wirklich glaubt sei dahin gestellt. In keinem Fall wird sich die Akzeptanz in der Bevölkerung mit den Beeinträchtigungen durch die Bauarbeiten verbessern. Alle Umfragen ergaben bisher eine große Mehrheit gegen S 21.

S 21 vernichtet Arbeitsplätze

Je mehr Arbeitsplätze durch die kapitalistische Krise verloren gehen, desto mehr schieben die S-21-Macher das Argument der Arbeitsplätze in den Vordergrund. „Stuttgart 21 kommt. Mit einem 9-Milliarden-Investitionspaket und 17.000 Arbeitsplätzen.“ So stand es wochenlang auf einem Großflächenplakat mit der Überschrift: „Wirtschaftswunder kommen heute schneller. Mit 250 km/h“. Wir brauchen aber keine sinnlosen, sondern sinnvolle Arbeitsplätze. Wir brauchen keine Bürgerbeauftragte für S 21 und kein 100-Mann/Frau starkes Planungsteam für S 21, sondern mehr Erzieherinnen, mehr Kranken- und Alternpflegerinnen. Bauarbeiter sollten mit dem Bau von Wohnungen, Schulen und Kitas und der Renovierung des Kopfbahnhofs statt mit dem Bau von sinnlosen Tunneln beschäftigt werden. Stadt und Land werden mindestens je eine Milliarde für S 21 beziehungsweise die Hochgeschwindigkeitsstrecke aufbringen. Diese Gelder werden vor allem über Stellenstreichungen im öffentlichen Dienst reingeholt. Die Stadt hat bereits mit dem Haushalt 2010/2011 eine einjährige Wiederbesetzungssperre auf freie Stellen verhängt. Weitere Stellen in städtischen Einrichtungen sind aufgrund von Haushaltslöchern bedroht. Kein normal denkender Mensch glaubt, dass Gleisflächen für Gewerbeflächen gebraucht werden um Arbeitsplätze zu schaffen, wenn die Pragstraße und das Industriegebiet in Feuerbach zur Industriewüste werden und in der ganzen Stadt Bürobunker leer stehen bevor die Krise überhaupt richtig durchgeschlagen hat.

Daimler baut ein neues Werk in Ungarn, Porsche produziert in Bratislava. Mit der sogenannten „Magistrale“ nach Budapest und Bratislava wird die Produktionsverlagerung attraktiver. Die Milliarden für S 21 werden nicht für Lohn für Beschäftigte ausbezahlt, sondern vor allem für Profite. Die Ausbeutung von circa 4.000 Bauarbeitern aus Osteuropa per Dumpinglöhne ist eine feste Größe der Projektkalkulation. Der Großteil der zu erwartenden Gesamtkosten von mehr als zehn Milliarden Euro für S 21 und die Hochgeschwindigkeitsstrecke von Wendlingen bis Ulm sind Steuergelder. Mit den fertiggestellten Bauten soll die dann privatisierte Bahn den künftigen Aktionären Profite einfahren.

Projekt kann verhindert werden

Die SAV geht davon aus, dass das Projekt verhindert werden kann. Es wird nie eine Akzeptanz in der Mehrheit der Bevölkerung geben. Gerhard Pfeifer vom BUND hat Bahnchef Grube bei seinem Auftritt am 29.1.10 klipp und klar gesagt: „15 Jahre Bauzeit gegen den Willen der Bevölkerung, das halten Sie nicht durch.“ Wir teilen diese Auffassung. In einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung am 2.2.10 sagte Mister S 21, Wolfgang Drexler (SPD): „Das Projekt ist mitten in der Stadt, man kann die Situation nicht mit dem Tunnelbau im Thüringer Wald vergleichen. Die Bevölkerung stellt ganz andere Anforderungen. Das haben die Träger des Projekts – Bahn, Bund, Stadt und Land – unterschätzt.“ Da hat Mister 21 ausnahmsweise mal recht. Doch diese Erkenntnis nützt nicht ihm, sondern dem Widerstand gegen S21.

Die Aktion von 3.000 bis 5.000 S-21-Gegnern zur Mittagszeit am 2.2.10 im Bahnhof hat das große Potenzial für Widerstand deutlich gemacht. Und es ist noch längst nicht ausgeschöpft. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass hunderte von SchülerInnen und Schülern im Königin-Katharinenstift sich damit zufrieden geben, dass sie durch Schallschutzfenster vor dem Baulärm geschützt werden. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass sie sich an den Stundenplan halten, während ein paar Meter weiter Bäume gefällt werden und riesige Baugruben entstehen! Die Jugend war bisher bei den Protesten gegen S21 unterrepräsentiert. Bei den Bildungsstreiks und -demonstrationen wurde aber stets gefordert, auf S 21 zu verzichten und das Geld in die Schulen und Unis zu investieren.

Die SAV wird in den nächsten Monaten besondere Anstrengungen unternehmen, Jugendliche für den aktiven Widerstand gegen S 21 zu gewinnen. Als der Bonatz-Enkel, Peter Dübbers, bei einer Veranstaltung im Rathaus am 8.12. vor 600 Zuhörern davon redete, dass man das Projekt S 21 durch einen „echten Volksaufstand“ verhindern könne, gab es minutenlang stehende Ovationen und Sprechchöre: „oben bleiben, oben bleiben“.

Das Potenzial zur Verhinderung von S21 ist vorhanden und muss genutzt werden

Der Kampf gegen S 21 muss auch ein Beitrag dafür sein die privatkapitalistische Ausrichtung der Bahn und den Börsengang zu stoppen. Die Bahn muss in öffentlichem Eigentum bleiben. Die Bahnmanager und Aufsichtsräte müssen entlassen und durch demokratisch gewählte Gremien von Bahnbeschäftigten, Bahnnutzern und Umweltschützern abgelöst werden. Die Bundesbahn muss den Interessen der Bevölkerung und der Umwelt dienen und stark ausgebaut werden. Im öffentlichen Nahverkehr brauchen wir Nulltarif und im Fernverkehr eine radikale Fahrpreissenkung. Die Autoindustrie muss auf die Produktion von modernen Schienen- und anderen umweltfreundlichen Fahrzeugen des öffentlichen Verkehrs umgestellt werden. Dazu muss die Autoindustrie aus dem Griff der Manager und Aktionäre befreit und in Gemeineigentum überführt werden.

Kampf gegen Arbeitsplatzvernichtung mit Kampf gegen S 21 vernetzen

Der entschlossene Widerstand gegen S 21 hat bereits jetzt Auswirkungen auf die Stimmung in den Betrieben und in den Gewerkschaften. Gewerkschafter, die sich ohne Begeisterung an routinemäßig organisierten Warnstreiks für inkonsequente Tarifkämpfe beteiligen, teilen mit Begeisterung die Entschlossenheit der S-21-Bewegung und beteiligen sich verstärkt daran. Unter dem Druck der Bewegung hat der DGB im Südwesten seine Position zu S 21 revidiert. Die Gründungskonferenz der DGB Region Nordwürttemberg entschied sich mit einer Mehrheit von 36 zu 30 Stimmen gegen S 21. Bei der Bezirkskonferenz des DGB Stuttgart Ende Januar 2010 wurde gegen den Willen der Antragskommission ein Antrag gegen S 21 und für die Renovierung des Kopfbahnhofes angenommen. Und am 27.2. beschloss die Delegiertenversammlung der IGM Stuttgart gegen den Vorstand die Ablehnung von S 21.

In den nächsten zwei Jahren der vorbereitenden Baumaßnahmen für S 21 wird es höchst wahrscheinlich aufgrund von Entlassungen und Betriebsschließungen zu heftigen betrieblichen Kämpfen bis hin zu Betriebsbesetzungen kommen. Die Zuspitzung der Auseinandersetzungen in den Betrieben und die Zuspitzung des Kampfes um S 21 werden sich immer mehr überschneiden und gegenseitig stärken. Tom Adler sprach in seiner Rede davon, „dass auf Montagsdemonstrationen auch Solidarität mit den KollegInnen bei Behr und KBA-Metalprint, die um ihre Arbeitsplätze kämpfen, demonstriert wird. Und umgekehrt die MetallerInnen und Metaller, wenn sie auf die Straße gehen, gleichzeitig Flagge zeigen gegen S 21, für K 21 und unseren Park! Gemeinsam – da könnte es für die S21-Freunde noch viel ungemütlicher werden.“

Wenn einige tausend Leute den Schlossgarten zum Schutz der Bäume besetzen, dann wird in den Betrieben die Bereitschaft zu Betriebsbesetzungen zur Verteidigung von Arbeitsplätzen zunehmen. Wenn Betriebe besetzt werden, wird es einfacher den Hauptbahnhof zu besetzen. Die Aktivisten in den Betrieben und die Aktivisten gegen S 21 werden Verbindungen aufbauen, sich gegenseitig unterstützen und ihren Kampf gemeinsam führen. Weder der Gewerkschaftsapparat noch die GRÜNEN werden das verhindern können.

Wenn eine klassenkämpferische Bewegung in den Betrieben mit der Bewegung gegen S 21 zusammen kommt, dann wird das beide Bewegungen enorm aufbauen und radikalisieren. Die S-21-Macher können dadurch völlig in die Defensive gedrängt und gezwungen werden, das Projekt aufzugeben. Es ist wichtig, dass die Bewegung von den Gewerkschaften einfordert die gesamte Kampfkraft gegen Arbeitsplatzvernichtung, kommunale Kürzungen und Stuttgart 21 in die Waagschale zu werfen. Ein eintägiger regionaler Generalstreik in der Region und eine Großdemonstration in Stuttgart in den nächsten Monaten wäre dafür ein wichtiger und notwendiger Kampfschritt.

Kein Vertrauen in GRÜNEN-Politiker

Die GRÜNEN wurden aufgrund ihrer Ablehnung von S 21 stärkste Fraktion im Gemeinderat. Die GRÜNEN sind aber keine verlässliche Kraft im Widerstand gegen S 21. Bereits im April 2009 hat sich der GRÜNEN-Fraktionschef von radikalen S-21-Gegnern wie Stadtrat Hannes Rockenbauch von SÖS distanziert. Er sagte wörtlich: „Mir tut es weh, wenn OB Schuster von diesen Leuten übelst beleidigt wird. Davon grenzen wir uns ab“. Hannes Rockenbauch hatte Schuster zurecht Lügen und Betrug vorgeworfen. Werner Wölfle kündigte damals bereits an, dass die GRÜNEN S 21 nur noch kritisch begleiten wollen. Und das tun sie seither im Prinzip, auch wenn sie unter dem Druck der Bewegung oftmals bei ihren Reden den Kämpfer gegen S 21 heraushängen. Als Schuster und Föll im Sommer 2009 eine Haushaltssperre verhängte stimmten die GRÜNEN zu. Die Fraktion SÖS/LINKE lehnte diese Sperre ab und argumentierte richtigerweise, dass diese Sperre nicht nötig sei, wenn die Stadt die für Stuttgart 21 zurückgelegten Gelder in den Haushalt einbringe. Der Fraktionschef der GRÜNEN trat dagegen auf und erklärte bei einer öffentlichen Gemeinderatssitzung, dass man das nicht so sehen könne. Diese zurückgelegten Gelder bräuchte man für die Renovierung des Kopfbahnhofes. Für die Renovierung des Bahnhofs ist aber die Bahn und nicht die Stadt zuständig. Das wissen die GRÜNEN. GRÜNE-Wähler auf der Zuschauertribüne riefen daraufhin empört: „Gib mir meine Stimme zurück“.

Bei den Haushaltsberatungen zum Doppelhaushalt ging dies so weiter. Die GRÜNEN verlangten nicht die Gelder von Stuttgart 21, um Kürzungen und Gebührenerhöhungen zu vermeiden, sondern sie betätigten sich als Macher eines Kürzungshaushalts. Die von CDU-Finanzbürgermeister Föll eingebrachte halbjährige Wiederbesetzungssperre von Personalstellen städtischer Einrichtungen und Ämter wurde auf Vorschlag von GRÜNEN-Bürgermeister Murawski auf ein ganzes Jahr ausgeweitet. Während die GRÜNEN im Kommunal- und Bundestagswahlkampf gebührenfreie Kindergärten gefordert hatten, waren sie jetzt für eine Erhöhung der Kitagebühren von 63 Cent pro Betreuungsstunde auf 68 Cent für Familien mit niedrigen Einkommen und für Familien mit mittleren und höheren Einkommen sogar auf 73 Cent. Die 30prozentige Erhöhung der Grundsteuer wird auf die Mieten abgewälzt und ist auf dem Mist der GRÜNEN gewachsen. Auch die Abzocke bei den Parkgebühren und der Zweitwohnsitzabgabe geht auf sie zurück. Für Familien mit einem Einkommen von über 60.000 brutto gibt es die Familiencard nicht mehr und für Familien, deren Einkommen darunter liegt, gibt es nur noch 60 statt bisher 90 Euro. Der Kulturetat der Stadt wird 2010 um fünf Prozent gekürzt. Außer den Kita- und Parkgebühren steigen fast alle Gebühren der Stadt um bis zu zehn Prozent. Obendrein müssen 2010 4,5 Millionen noch gekürzt werden. Dazu Werner Wölfle in einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung am 17.2.2010: „Es geht um die Kürzungen von Leistungen für den Bürger und um Stellenabbau.“ Wären die Gelder, die die Stadt für S21 auf der hohe Kante liegen hat in den Haushalt überführt worden, wäre keine einzige beschlossene Kürzung und Gebührenerhöhung notwendig gewesen. Würde die Stadt das von der Bahn gekaufte Gleisgelände an die Bahn zurückgeben, stünden mindestens 460 Millionen Euro für die Sanierung von Schulen, für mehr Erzieherinnen in den Kitas und andere Verbesserungen zur Verfügung. Das wollten die GRÜNEN aber nicht. Jetzt gehen die vorbereitenden Maßnahmen für S 21 durch den Technischen Ausschuss und durch den Gemeinderat. Und siehe da, auch hier lehnen die GRÜNEN diese Maßnahmen nicht ab, behaupten aber, das bedeute keine Zustimmung zu S 21. Anfang Februar 2010 erklärten die GRÜNEN dann, sie wüssten zu verhindern, dass der neue Stadtteil auf dem bisherigen Gleisareal von OB Schuster geprägt werde und es sei wichtig, dass ein grüner Oberbürgermeister die Planung übernehme. Das macht allzu deutlich: auf die GRÜNEN ist im Widerstand gegen S 21 kein Verlass. Die Partei gehört längst zu den prokapitalistischen etablierten Parteien. Auf Bundesebene ist sie mitverantwortlich für Kriegseinsätze der Bundeswehr, für Hartz IV, Rente 67 und die Agenda 2010. In der Tarifrunde bei Bund und Kommunen gehören die GRÜNEN-Bürgermeister zu den Scharfmachern gegen die Beschäftigten. Bürgermeister Murawski gehört zur Verhandlungskommission der Arbeitgeber und behauptet: „Lohnerhöhungen, die über 1,1 Prozent hinausgehen, kann sich die Stadt nicht leisten“. Leisten kann sie sich aber eine Milliarde für S 21?

Der Fraktionsvorsitzende der GRÜNEN im Gemeinderat, Werner Wölfle, möchte Sozialbürgermeister werden und Boris Palmer steht in den Startlöchern für die Kandidatur bei der OB-Wahl in Stuttgart 2012. Wird Werner Wölfle Sozialbürgermeister, könnte es zu einem neuen Vorstoß zur Ausgliederung der Kinderbetreuung aus dem Jugendamt kommen. Im Jahr 2008 haben die GRÜNEN dies zusammen mit der CDU beantragt. Die Kinderbetreuung wäre damit dem Diktat der Betriebswirtschaft unterworfen und die Betreuung verschlechtert worden. Nach massiven Protesten von Erzieherinnen, ver.di und Eltern zogen GRÜNE und CDU ihr Vorhaben erst mal wieder zurück.

In einer Rundmail an die S-21-Gegner vom 6.4.09 hat Gangolf Stocker gesagt: „Mein Eindruck ist: Wölfle wird derzeit von den Medien als ‚der Kritiker von Stuttgart 21‘ hofiert und aufgebaut. Mit ihm kann man dann die reuige Rückkehr der Kritiker in den Schoß des Stuttgart-21-Kartells inszenieren. Der Rest sind ja dann Radikale.“ Und was für Wölfle gilt, gilt auch für Palmer und andere GRÜNEN-Politiker. Die Fraktion SÖS/LINKE sollte daraus die Konsequenz ziehen, die GRÜNEN für ihre Politik in Stuttgart und im Gemeinderat hart zu kritisieren und nicht länger als Mehrheitsbeschaffer für die unsoziale Politik von GRÜNEN und SPD dienen, wie dies zum Beispiel bei der Zustimmung zu Gebührenerhöhungen und zum Kürzungshaushalt 2020/11 passiert ist. Dafür setzt sich die SAV in der LINKEN ein.

Die Diktatur des Kapitals und seiner korrupten Politiker beenden

Das Projekt S 21 ist kein Ausrutscher des Kapitalismus sondern so funktioniert Kapitalismus. Einzig und allein die Profitmaximierung der Banken, Immobilienhaie und Konzerne zählt. Die Politiker der etablierten Parteien sind durch und durch korrupt. Der Kampf gegen S 21 muss deshalb mit dem Kampf für die Abschaffung des Kapitalismus verbunden werden. Dafür steht die SAV.

Lehren aus dem erfolgreichen Kampf gegen die atomare Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf

Die Arbeitsplatzvernichtung im Stahlwerk Maxhütte hatte in den 80er Jahren dazu geführt, dass die Arbeitslosigkeit in der Oberpfalz auf 20 Prozent anstieg. Der extrem rechte bayrische Ministerpräsident Franz Josef Strauß glaubte damals mit dem Argument der Schaffung von Arbeitsplätzen eine atomare Wiederaufbereitungsanlage (WAA) in Wackersdorf bauen zu können. Diese Rechnung ging nicht auf. Die Bevölkerung sah nicht ein, dass sie tausende von sinnvollen Arbeitsplätzen in der Stahlindustrie verlieren sollte, um einige wenige gefährliche Arbeitsplätze zu erhalten. Die Wut über den Verlust der Arbeitsplätze der Stahlwerker nährte den Widerstand gegen die WAA. Von 1985 bis 1989 gab es bürgerkriegsähnliche Zustände in Wackersdorf. Im März 1987 wurde der Bau begonnen und ein 15 Millionen DM teurer Bauzone um das Gelände errichtet. Der Widerstand ging trotzdem weiter. Militante Demonstranten aus der ganzen Bundesrepublik, aktiv unterstützt von der Landbevölkerung legten sich mit der Polizei an, die den Bau schützen sollte. Polizisten verweigerten den Einsatz. Weil die Kosten des Bürgerkriegs in Wackersdorf finanziell und politisch zu hoch wurden, wurde der Bau der WAA zwei Jahre nach Baubeginn eingestellt. Die Polizeieinsätze kosteten den bayrischen Staat 50 Millionen DM. Stuttgarter SAV-Mitglieder waren damals aktiv am Widerstand gegen die WAA beteiligt.