Neue Dimension der Krise erfordert neue Dimension des Widerstands
„Wodurch überwindet die Bourgeoisie die Krisen? Einerseits durch die erzwungene Vernichtung einer Masse von Produktivkräften; anderseits durch die Eroberung neuer Märkte und die gründlichere Ausbeutung alter Märkte. Wodurch also? Dadurch, daß sie allseitigere und gewaltigere Krisen vorbereitet und die Mittel, den Krisen vorzubeugen, vermindert.“
Marx/Engels, Kommunistisches Manifest
von Georg Kümmel, Köln
In allen großen Wirtschaftsräumen ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) zuletzt wieder gestiegen.
Im 3. Quartal 2009 wuchs die Wirtschaft gegenüber dem Vorquartal in den USA um 3,5 Prozent, in Euroraum um 0,4 Prozent, in Deutschland um 0,7 Prozent. Wohlgemerkt, das ist der Anstieg gegenüber dem Vorquartal, nicht gegenüber dem Vorjahr. Auf Jahresbasis gerechnet bleibt die Wirtschaftsentwicklung im Minus. In Deutschland lag das BIP im 3. Quartal um 4,8 Prozent unter dem entsprechenden Ergebnis vor einem Jahr.
Ob die jüngste Zunahme gegenüber dem Vorquartal eine Trendwende oder nur ein Strohfeuer ist, kann niemand sagen. Fest steht aber, dass das was von Wirtschaftsexperten gerne als "Bodenbildung" beschrieben wird, auf Pump gekauft wurde.
Aufschwung auf Pump
Vernichtung von Produktivkräften, (Abbau von Überkapazitäten), Eroberung neuer Märkte, intensivere Ausbeutung bestehender Märkte – diese Maßnahmen wurden von Marx und Engels als die klassischen Mittel beschrieben, um aus der Krise zu kommen. Es bestehen aber nach wie vor gewaltige Überkapazitäten, z.B. in der Autoindustrie. Neue Märkte sind schwer zu finden, da praktisch die gesamte Welt heute kapitalistisch ist. Gleichzeitig bleibt das Dilemma der Kapitalisten bestehen: um die Krise zu überwinden müssen sie größere vorbereiten.
Anders als vor 150 Jahren ist heute der Kredit, die Staatsverschuldung, zum Hauptmittel geworden um die Krise zu überwinden. Die Konjunkturprogramme wurden bzw. werden durch eine dramatisch wachsende Staatsverschuldung finanziert. In Deutschland summierten sich die Staatsschulden im Jahr 2008 auf etwas über 1500 Milliarden Euro, das entsprach 63 Prozent des BIP.
Für 2009 erwartet die Bundesbank einen Anstieg auf 72 Prozent. Bis 2011 wird eine weiteres Anwachsen des Schuldenberges auf ca. 80 Prozent des BIP angenommen.
Nur durch die Aufnahme neuer Schulden war es möglich, den Banken ihre faulen Kredite abzunehmen, Konjunkturprogramme wie die Abwrackprämie zu finanzieren, Löcher in den Sozialversicherungskassen zu stopfen und gleichzeitig sinkende Steuereinnahmen auszugleichen. Demnächst will man obendrein neue Steuergeschenke für die Wirtschaft und Reiche auf Kredit finanzieren.
Diese Schulden müssen aber mit Zinsen zurückgezahlt werden. Der Staat leiht sich das Geld derzeit bei denen, die viel Geld haben: sogenannte institutionelle Anleger und reiche Privatpersonen. Für Zins und Tilgung wird dann die breite Masse der Bevölkerung zur Kasse gebeten, über Erhöhung von Massenverbrauchssteuer und über Kürzungen bei den öffentlichen Ausgaben.
Schon daraus ergibt sich, dass die Folgen der Krise nur verschoben wurden und später mit Zins und Zinseszins von Beschäftigten, Erwerbslosen, RentnerInnen bezahlt werden sollen. Die Schulden von heute sind die Kürzungen von morgen.
Neben der Staatsverschuldung war und ist die Ausweitung der Geldmenge durch die Europäische Zentralbank (EZB) ein wichtiges Mittel, um die Krise zunächst einmal zu überwinden. Mehrfach konnten sich die Banken für die Dauer von einem Jahr Geld in praktisch unbegrenzter Höhe bei der EZB leihen. Den Leitzins senkte die EZB auf das Rekordtief von nur noch einem Prozent.
Das hatte eine enorme Ausdehnung der Geldbasis zur Folge. (Geldbasis: Geldmenge, die von der Zentralbank in Umlauf gebracht wird). Die Geldbasis im Euroraum hat sich von seit Mitte 2008 verdoppelt, von unter 600 Milliarden Euro auf über 1100 Milliarden Ende September 2009. (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 15.11.2009). Die Banken nehmen das Geld und investieren es in neue Spekulationsgeschäfte an den Aktien-, Rohstoff-, Immobilien- und Devisenmärkten. Im Moment führt das zu Kurssteigerungen an diesen Märkten. Später kann das aber auch einen steilen Anstieg der Inflation zur Folge haben.
Wer zahlt?
Wir leben in einer Klassengesellschaft. Deshalb stellt sich die Frage: Wer soll die Krise zahlen? Die Besitzenden oder die Beschäftigten bzw. Beschäftigungungslosen? Das Ausmaß der Krise wird deutlich, wenn man sie mit früheren Rückgängen der Wirtschaft vergleicht. In allen Rezessionen der Nachkriegszeit ist das das BIP der Bundesrepublik in einem Jahr nie um mehr als 0,9 Prozent geschrumpft. 2009 wird es um fast fünf Prozent zurückgehen.
Die Kapitalisten haben natürlich nicht vor, ihre Krise selber zu bezahlen. Andererseits war in ihren Reihen die Befürchtung groß, dass eine schnelle und harte Kürzungspolitik zu einer dramatischen Vertiefung der Wirtschaftskrise führen könnte mit unkalkulierbaren politischen Folgen.
Deshalb wurde und wird zum Mittel der Staatsverschuldung gegriffen.
Aber auch die jetzt schon spürbaren Krisenfolgen sind hart. Rund 600.000 Menschen, die ihren Arbeitsplatz in den letzten 12 Monaten verloren und keinen neuen Job gefunden haben, sind direkt zu Hartz-IV-Empfängern geworden.
Die Real-Einkommen der Beschäftigten werden auch 2009 sinken, trotz Tariferhöhungen und niedriger Inflationsrate. Ursache sind Kurzarbeit, unbezahlte Arbeitszeitverkürzung und Abbau übertariflicher Leistungen.
Offiziell waren im November 3,2 Millionen Menschen arbeitslos gemeldet, 227.000 mehr als vor einem Jahr.
Immer noch gibt es mehr als eine Million Kurzarbeiter. Bei einem Arbeitsausfall von knapp einem Drittel bedeutet dies, dass es ohne Kurzarbeit rund 320.000 Arbeitslose mehr geben würde.
Zahlreiche Firmen haben für die nächsten Monate Stellenabbau und Entlassungen angekündigt. Für 2010 wird ein Anstieg der Arbeitslosenzahl um durchschnittlich 600.000 erwartet, allerdings unter der Voraussetzung, dass die Wirtschaft wieder um über ein Prozent wächst.
Der sogenannte „sozialverträgliche Stellenabbau“ den viele große Konzerne planen, bedeutet, dass noch mehr Jugendliche zu Dauerarbeitslosigkeit oder Billigjobs verurteilt werden
Während auf Bundesebene neue Schulden gemacht und Probleme auf später verschoben werden, stehen viele Kommunen schon jetzt vor der Pleite. Welche Auswirkungen das haben kann, zeigt das Beispiel Wuppertal. Die Stadt hat 1,8 Milliarden Euro Schulden. Jetzt hat der Oberbürgermeister ein radikales Kürzungspaket vorgelegt. Unter anderem sollen fünf, (von elf), Schwimmbäder und einige Schulen geschlossen werden. Die Stadt will das Schauspielhaus aufgeben, die Förderung für Sportvereine und Sozialinitiativen kürzen und die Kita-Beiträge erhöhen.
Das Jahr 2010 wird noch härter als 2009. Selbst im günstigsten Fall werden wir mit massiver Arbeitsplatzvernichtung, sinkenden Einkommen, Gebührenerhöhungen, kommunalen Kürzungen konfrontiert sein. Die wirtschaftliche Lage kann sich jederzeit wieder zum Schlechteren wenden.
Die Krise hat eine neue Dimension, der Widerstand dagegen muss ebenfalls eine neue Dimension haben. Radikaler, massenhafter Protest, einschließlich Streik und Generalstreik, sind nötig, damit wir nicht für eine Krise zahlen, die wir nicht zu verantworten haben.