Marxismus aktuell

Bürgerliche Herrschaft durch sozialistische Demokratie ersetzen
 

Kann der Staat, der uns überwacht, für unsere Zwecke benutzt werden? Ist er ein Hindernis auf dem Weg zur sozialistischen Umgestaltung? Um Antworten hierauf zu finden, ist es hilfreich, die Entstehung von Staaten in der Geschichte zu betrachten.

Schon in der Schule wird uns beigebracht, dass der Staat neutral sei. Aber sobald wir uns an Protesten gegen Bildungsabbau oder Atompolitik beteiligen, erfahren wir schnell, dass die Polizei nicht nur „dein Freund und Helfer“ ist…

Klassengesellschaft

Staaten entstanden, als sich die menschliche Gesellschaft in Klassen spaltete. Was die Zugehörigkeit zu einer Klasse ausmacht, ist das Verhältnis zu den Produktionsmitteln (früher Äxte oder Speere, heute Maschinen, Fabriken oder Computer).

Friedrich Engels schrieb in seinem Buch „Die Entstehung des Privateigentums, des Staates und der Familie“, dass der Staat „nicht von Ewigkeit her [ist]. Es hat Gesellschaften gegeben, die ohne ihn fertig wurden.“ In der Frühphase der Menschheitsgeschichte waren die Produktivkräfte (Technik, Wissenschaft, menschliche Arbeitstätigkeit) auf einem sehr niedrigen Stand. Es gab lediglich Produktion für den Eigenbedarf (zum Beispiel Fischen und Jagen). Eine gesellschaftliche Arbeitsteilung bestand nicht. Und auch kein gesellschaftlich produziertes Mehrprodukt. Diese Gesellschaft war klassenlos. Mit der Weiterentwicklung der Produktivkräfte konnte ein Überschuss erzielt werden. Von da an begann der Kampf um dieses Mehrprodukt. Die Urgesellschaft (Engels sprach auch von „Urkommunismus“) veränderte sich, und es entstanden Klassen.

„Auf einer bestimmten Stufe der ökonomischen Entwicklung, die mit Spaltung der Gesellschaft in Klassen notwendig verbunden war, wurde durch diese Spaltung der Staat eine Notwendigkeit“, so Engels.

Repression als Funktion des Staates

Ob in der Sklavenhaltergesellschaft oder den nachfolgenden Systemen, dem Feudalismus und dem Kapitalismus: Immer herrschte eine kleine Minderheit (Sklavenhalter, Feudalisten, Kapitalisten) über die Mehrheit (Sklaven, Bauern, Arbeiterklasse). Mit Hilfe des Staates ist es den ökonomisch Herrschenden in aller Regel möglich, auch politisch zu bestimmen.

In zugespitzten Konflikten zeigt der Staat, was der Kern seiner Macht ist: „Besondere Formationen bewaffneter Menschen, die Gefängnisse und anderes zur Verfügung haben“ (Engels). Oder anders: Polizei, Verwaltungsapparat, Armee und Justiz.

„Aber wir haben doch ein Parlament und können Regierungen, die uns nicht passen, wieder abwählen“, mag manch einer einwenden. Fakt ist jedoch, dass die bürgerlichen Politiker über Tausende von Fäden mit der herrschenden Klasse verbunden sind. Es bestehen vielfältige Verbindungen, Abhängigkeitsverhältnisse und Korruption. Und wenn Regierende in ganz zentralen Fragen wie bei der Bankenrettung mal zögern, zeigt sich, welch massiven Druck Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann und Co. ausüben können. Parlament und Regierung sind durch gesetzliche Regelungen vor direkter und umfassender Kontrolle durch die Mehrheit der Gesellschaft geschützt. Zwei Kreuzchen alle vier Jahre haben nur wenig Einfluss darauf, welche Politik die Bundesregierung in den nächsten vier Jahren betreibt.

Der kapitalistische Staat hat verschiedene Gesichter: Er kann die Form einer parlamentarischen Demokratie, Monarchie oder Diktatur annehmen. So haben wir in (West-)Deutschland mehrere Modelle erlebt, während die Macht der Besitzer von Krupp und anderen Konzernen nicht angetastet wurde. Weder im Kaiserreich, noch im Faschismus oder der bürgerlichen Demokratie. Nicht nur in den Chefetagen, auch an der Spitze des Staatsapparates gab es hier eine weitgehende Kontinuität. So wurde in der Bundesrepublik ein Großteil von Nazi-Richtern und militärischen Befehlshabern direkt übernommen.

Die bürgerliche Demokratie ist unter Bedingungen relativer Ruhe die billigste Herrschaftsform für das Kapital. Jeder Schritt in Richtung Diktatur birgt Risiken. Angriffe auf die Arbeiterklasse rufen auch Gegenreaktionen hervor. Natürlich können „die da oben“ nicht einfach per Dekret die Form ihrer Herrschaft ändern. Solche Veränderungen hängen vom Kräfteverhältnis zwischen Kapitalisten und Arbeiterklasse ab, aber auch von den Stimmungen in der Mittelklasse, dem Kleinbürgertum, und möglichen Spannungen innerhalb des Unternehmerlagers selber. Gleichzeitig können Massenbewegungen Verbesserungen erzwingen, die das Kapital gar nicht auf dem Schirm hatte. So waren die Abschaffung der Monarchie oder das Frauenwahlrecht beispielsweise Nebenprodukte der Novemberrevolution 1918.

Staat und Revolution

Der erste große Versuch der Arbeiterklasse, den Kapitalismus zu stürzen und eine Arbeiterdemokratie zu schaffen, war die Pariser Kommune 1871. Hier wie auch später, nicht zuletzt in der erfolgreichen Russischen Revolution 1917, erwies es sich, dass die arbeitende Bevölkerung den alten Staatsapparat nicht einfach übernehmen konnte. Vielmehr war es nötig, die bürokratischen Strukturen und Unterdrückungsmechanismen unbrauchbar zu machen.

In „Staat und Revolution“ fasste Wladimir Lenin die grundlegenden Prinzipien eines Arbeiterstaates, wie sie die Pariser KommunardInnen entwickelt hatten, zusammen: Jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit aller Funktionäre, Rechenschaftspflicht, keinerlei Privilegien, Durchschnittslohn für Funktionsträger. Die russischen Revolutionäre versuchten diese Prinzipien ebenfalls zu beherzigen – bevor sie von Stalin und seiner Bürokratenclique entmachtet wurden.

Ob Kommune oder Sowjets – in diesen und anderen Revolutionen wurden in allen Bereichen (Betrieben, Universitäten, Stadtteilen oder Armee) Rätestrukturen gebildet, um die undemokratischen bürgerlichen Verhältnisse durch eine Rätedemokratie abzulösen.

Nach einer sozialistischen Veränderung werden staatliche Organe weiterhin benötigt, um die ökonomische und politische Macht der Bevölkerungsmehrheit abzusichern und die neue Gesellschaft zu organisieren. Aber nicht auf Dauer. In dem Maße, in dem Klassenunterschiede wegfallen und (auf der Basis von demokratischer Planung, Arbeitszeitverkürzung, Förderung von Bildung und Kultur) Schritte hin zu einer klassenlosen Gesellschaft gemacht werden, verschwindet die Notwendigkeit eines Staatsapparates. Der Arbeiterstaat wird allmählich überflüssig werden und „absterben“. Dann wird jede Form staatlicher Macht „ins Museum der Altertümer, neben das Spinnrad und die bronzene Axt“ (Engels) gehören.