Zum 80. Jahrestag des Börsenkrachs an der Wall Street
von Peter Taaffe, Generalsekretär der Socialist Party (CWI in England und Wales)
Nur wenig Beachtung wurde dem 80. Jahrestag des großen Börsenkrachs an der Wall Street vom Oktober 1929 geschenkt. Die Kapitalisten sind völlig mit der aktuellen globale Krise beschäftigt und können kaum ihre frühere Behauptung „so etwas kann nie wieder passieren“ wiederholen, wenn das Thema 1929 im Raum steht. Doch wieviel von dem, was damals war, hat sich nun wiederholt? Und was sind die tiefliegenden Ursachen der heutigen Krise?
In der Vergangenheit wurden alle, vor allem MarxistInnen, die davon ausgingen, dass etwas in der Art dieses Ereignisses wiederholen könnte wie es das Kommittee für eine Arbeiterinternationale gemacht hat, als primitive Weltuntergangspropheten tituliert. Doch wir sind nie auf einer primitiven Art und Weise an Fragen der wirtschaftlichen Aussichten herangetreten. Wir haben uns sogar gegen diejenigen gewandt, die voreilig davor warnten, dass ein „neues 1929“ unmittelbar bevor stand. Einige MarxistInnen sind 1987 in diese Falle getappt. Aber bevor die aktuelle Krise begann, haben wir vorhergesagt dass es in aller Wahrscheinlichkeit eine sehr ernste Krise sein würde, aus der es für die Kapitalisten keinen einfachen Ausweg geben würde.
Die Kapitalisten leugneten ihrerseits die Funktionsweise ihres Systemes. Etwas ähnliches passierte vor 1929, wie John Galbraith in seinem berühmten Buch „Der Große Crash 1929“ dargelegte. Am 4. Dezember 1928 erklärte der scheidende US-Präsident Calvin Collidge vor der Amtsübergabe an den berüchtigten Herbert Hoover: „In unserem Land herrscht Ruhe und Zufriedenheit und das höchste Maß an Wohlstand seit Jahren. Wir können die Gegenwart zufrieden betrachten und der Zukunkt optimistisch entgegen sehen.“ Andrew W. Mellon, Finanzminister unter Hoover, erklärte ebenfalls: „Es gibt keinen Anlass zur Sorge. Das große Maß an Wohlstand wird fortgesetzt werden.“ Ein ehemaliger Marxist, Werner Sombart, wurde ebenfalls von dem Boom der 1920er Jahre verführt. 1928 schrieb er: „Karl Marx sagte den katastrophalen Zusammenbruch des Kapitalismus voraus. Nichts dieser Art ist geschehen.“
Kommt das vielleicht irgendwie bekannt vor? Unter anderem haben Alan Greenspan, Vorsitzender des US-Notenbanks für 19 Jahre von 1987 bis 2006, ähnliche Lobesyhmnen auf den „Freien Markt“ angestimmt und der Britische Premierminister Gordon Brown schloss sich ihm und behauptete, den Kapitalismus gezähmt zu haben und den ökonomischen Kreislauf von Auf- und Abschwung weggezaubert zu haben. Brown verlieh Greenspan sogar einen Britischen Ehrenritter-Titel für seine Leitung eines Systemes, das angebliche eine nie endende Aufwärtsspirale von ansteigendem Wohlstand hervorgebracht hatte.
Wie es auch 1929 der Fall war, haben wir gesagt, dass die massive Blase der Finanzspekulation unweigerlich mit einem Crash enden würde. Dies war kein Wunschdenken seitens SozialistInnen und MarxistInnen. Der ökonomische Kreislauf des Kapitalismus ist, wie Leo Trotzki feststellte, genauso organisch wie „das Ein- und Ausatmen“ des Menschen. Dieser Kreislauf entwickelte sich, wie Marx bereits geschrieben hatte, über ungefähr acht bis zehn Jahren in der Blütezeit des Kapitalismus bis er zur Zeit des Ersten Weltkrieges eine Sackgasse erreichte. Die Produktivkräfte – Wissenschaft, Technik und Arbeit – waren den engen Grenzen des Privateigentums durch eine handvoll Milliardäre und des Nationalstaates entwachsen.
Danach wurde der ökonomische Kreislauf, wie das langsamere Atmen eines alternden Körpers, kürzer, die Aufschwünge schwächer und die Krisen in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg tiefer. Aber der USA als emporkommende Macht des Kapitalismus, waren in den "Goldenen 20ern" offensichtlich die wirtschaftlichen Probleme erspart geblieben, welche den Rest der Welt plagten.
Der Kapitalismus gibt seine historische Mission auf
Im Kapitalismus kann es verschiedene Auslöser für Krisen geben. In der Tat wiederholt sich die Geschichte nie auf genau der gleichen Weise. Der unmittelbare Auslöser des Crashes von 1929 war der plötzliche Einbruch der Aktienkurse an der Wall Strett am 24. Oktober (dem schwarzen Donnerstag) sowie ein weiterer, größerer Einbruch am 29. Oktober (schwarzer Dienstag). Die aktuelle Weltwirtschaftskrise wurde ausgelöst durch eine Bankenkrise (in Zusammenhang mit der Verbriefung, so genannter Dalrehen auf dem sogenannten „Subprime-Immobilienmarkt“) und weitete sich anschließend auch auf den Rest der Wirtschaft aus.
Aber der „Auslöser“ ist nicht die Hauptursache einer kapitalistischen Krise. Karl Marx wies darauf hin, dass der Kapitalismus ein System ist, in dem die Produktion auf Profit und nicht auf soziale Notwendigkeit ausgerichtet ist. Der Profit stammt aus der unbezahlten Arbeit der Arbeiterklasse. Daher sind Ungleichheit und die Unmöglichkeit für die Arbeiterklasse, den vollen Wert der von ihnen produzierten Waren zurückzukaufen, in das Fundament des kapitalitischen Systemes mit eingebaut. Der Kapitalismus überwindet diesen Widerspruch vorübergehend durch die Investitionen eines Teils des Überschusses zurück in die Produktion. Die einzige historische Rechtfertigung für den Kapitalismus war die Nutzung dieses Überschusses zur Weiterentwicklung der Produktivkräfte, wobei die Kapitalisten als Bevollmächtigte der Gesellschaft auftraten. Sobald der Kapitalismus diese Mission aufgibt, und Wohlstand und Industrie zerstört anstatt diese weiter zu entwickeln, verwirkt er diese Rolle.
Und in einer Krise, wie 1929 mit der folgenden Weltwirtschaftskrise und auch die Gegenwart auf spektakulärer Weise klar machen, gibt der Kapitalismus seine Mission auf. Investitionen in Fabriken und gestiegene Produktion führen zu einer größeren Menge an Gütern und Dienstleistungen. Aber in der Periode unmittelbar vor 1929 und in den letzten 20 Jahren haben die Kapitalisten den Anteil des Reichtums, dass an die Arbeiterklasse geht, radikal reduziert und ihren eigenen Anteil gleichzeitig aufgestockt. Stephen Foley schrieb dazu in der britischen Zeitung Independent: „Sag mir, ob das ein Zufall ist: Das Einkommen der reichsten zehn Prozent in den USA machte in den letzten 100 Jahren nur zu zwei Zeitpunkten mehr als 50% des Gesamteinkommens aus: zum ersten Mal 1928, und dann nochmal 2006-2007.“
Ökonomen wie Paul Krugman behaupten, dass die sozialen Nachwirkungen der Weltwirtschaftskrise den Gier der Kapitalisten in den 50er und 60er Jahren beschneiden konnten. Der Kapitalismus machte in dieser Zeit riesige Profite, aber aufgrund der Expansion in der Industrie, verbesserten sich auch die Lebensumstände der Arbeiterklasse. Gleichzeitig wurde die Einkommensschere in gewissem Maße durch die im Aufschwung wieder erstarkte Arbeiterbewegung in Schach gehalten.
Aber dies alles wurde bereits durch Reagans Gegenrevolution und durch den Thatcherismus in Brittanien untergraben. Die größten US-Konzerne – nicht nur in der Finanzbranche, bezahlten 2007 ihren Vorstandsvorsitzenden 275 Mal soviel wie dem durchschnittlichen Angestellen – das zehnfache des Unterschiedes der 60er Jahre. 1929 wie heute gab es das Phänomen der „Überakkumulation“ oder Überproduktion – Unmengen an Waren und Dienstleistungen, Landwirtschaftlichen Erzeugnissen und ähnlichem – was in vorkapitalistischen Gesellschaft als völlig absurd gegolten hätte.
Aber die „Logik“ des Kapitalismus besagt, dass die Maximierung der Profite das ein und alles ist. Aber wie kann es „logisch“ sein, in einer Welt, in der Mangel herrscht, Millionen Arbeitskräfte auf die Straße zu setzen und die Produktion von Gütern, die global von der Menschheit gebraucht werden, einzustellen? Um ein Beispiel zu nennen: wenn die Nachfrage und der „Markt“ für Autos nicht da ist, wie sogar die Beschäftigten in der Autoindustrie schon am Anfang der aktuellen Krise verstanden haben – warum stellt man die Produktion nicht auf gesellschaftlich nützliche Arbeit um. Wichtige Güter werden in der westlichen Welt gebraucht, aber vor allem für die verarmten Massen in Afrika, Asien und Lateinamerika. Es ist durchaus möglich, die Produktion schnell auf nützliche Güter umzustellen. Während des Zweiten Weltkrieges wurde in amerikanischen Fabriken über Nacht die Produtkion umgestellt, um Panzerfahrzeuge mit der gleichen Effizienz herzustellen, wie vorher Pfannkuchen hergestellt wurden.
Verheerende soziale Folge der kapitalistische Krise
Die Folgen der Krise von 1929, beginnend in den USA, waren verheerend. 1932 war die Arbeitslosigkeit auf 23 Prozent gestiegen, sie gipfelte 1933 bei 25 Prozent. Die Herangehensweise der Regierung Hoover fasste Mellon zusammen mit den Worten: „Liquidiert Arbeit, liquidiert Wertpapiere, liquidiert Bauern, liquidiert Immobilien… dadurch wird die Fäulnis aus dem System ausgemerzt. Hohe Lebenskosten und hohe Lebensstandards müssen runter. Die Menschen werden härter arbeiten und ein moralischeres Leben führen. Die Werte werden sich anpassen, und unternehmerisch gesinnte Menschen werden gegenüber den weniger kompetenten Boden gutmachen." Diese Haltung erinnert an die aktuellen Standpunkte der britischen Konserativen von David Cameron.
Im Juni 1930 verabschiedte der US-Kongress das Smoot-Hawley-Gesetz, das die Handelsbarrieren für Importwaren aus dem Ausland erhöhte. Dies löste einen Handelskrieg aus, in dem sich die Staaten gegenseiten mit Schutzzöllen überboten und führte somit zu einer Ausweitung der Krise. Anders als in der gegenwärtigen Krise gingen damals 5000 Banken Pleite, die meisten davon kleine Banken. In dieser Krise sind bisher nur 103 zumeist kleine Banken in den USA Pleite gegangen. Mit der Ausnahme von Lehmann Brothers haben die Kapitalisten von der Weltwirtschaftskrise gelernt und die großen Banken gerettet. Dies war ein internationales Phänomen, bei dem die USA und Britannien in vorderster Front standen.
Weltweit wurden den Banken Krediten in Höhe von 10 Billionen US-Dollar zur Verfügung gestellt, dies entspricht ungefähr 80 Prozent des Bruttoinlandsproduktes der US, der größten Wirtschaftsmacht der Welt. In Britannien beträgt die Summe 1,2 Billionen Dollar, in Form von staatlichen Bürgschaften und Kapitalinvestitionen, mehr als zwei Drittel der gesamten Jahreswirtschaftsleistung, wie der Notenbankchef Mervyn King kürzlich zugab. Dies alles wird natürlich von den "Verbrauchern", in erster Linie aus der Arbeiterklasse und der Mittelschicht bezahlt werden.
Eine Wirtschaftskrise, vor allem wenn sie so verheerend ist wie die von 1929 oder die aktuelle, hat die gleichen Auswirkungen wie ein Krieg. Es kommt zum einem „Abschlachten“ von Kapital, was zu stillgelegten Fabriken und Arbeitsstätten sowie Massenarbeitslosigkeit führt. Dies ist kein vorübergehendes Phänomen, wie sogar kapitalistische Ökonomen zugeben. Will Hutton, ein Keynesianistischer Ökonom, schrieb von einem „dauerhaften“ Verlust von Wohlstand in Britannien in Höhe von fünf Prozent. Ein kürzlich veröffentlichter Bericht der Europäischen Kommission gab offen zu: „Die Krise entspricht einer Zerstörung von Kapital und vermindert, zumindest zeitweise, das produktive Potential der Wirtschaft." Dies bedeute, dass "die Wirtschaft nicht auf den gleichen Stand von vor der Krise zurück kehren wird, sondern auf ein niedrigeres Niveau. Anders gesagt: die Krise wird einen dauerhaften Verlust bei der möglichen Wirtschaftsleistung mit sich bringen.“
In den USA beträgt die durchschnittliche Wochenarbeitszeit nun 33 Stunden. Ein Sieg für die Forderung der Arbeiterbewegung nach einer Verkürzung der Wochenarbeitszeit? Im Gegenteil: es ist das Ergebnis der zwangsweise Entfernung aus den Produktionsstätten von Millionen von ArbeiterInnen, die vielleicht nie wieder arbeiten werden. Mort Zuckerman schrieb in der Financial Times: „Dies ist die einzige Rezession seit der Großen Weltwirtschaftskrise, in der sämtliches Wachstum bei Arbeitsplätzen aus dem vorherigen Konjunkturzyklus ausradiert wurde.“ Er wies auch darauf hin, dass die Statistik über die Arbeitslosen und Unterbeschäftigten mittlerweile bei 17 Prozent liegt. Allein im September verloren 785.000 US-AmerikanerInnen ihre Arbeitsplätze. Es sind seit 21 Monaten in Folge Arbeitsplätze verloren gegangen und wenn man diejenigen hinzurechnet, die Teilzeit arbeiten oder schlicht die Suche nach Arbeit aufgegeben haben, wird die Arbeitslosenstatistik deutlich höher als die offizielle Zahl von knapp unter zehn Prozent. Allein in Britannien sind 750.000 ArbeiterInnen aus der Statistik der "Arbeitsuchenden" einfach verschwunden.
Die Überschrift des oben genannten Artikels lautet „Der freie Markt ist nicht in der Lage, Arbeit zu schaffen.“ Dass das Sprachrohr der Unternehmer dies zugibt, ist eine vernichtende Verurteilung des Kapitalismus. Es ist ein Ausdruck eines todkranken Systems, unfähig, die wichtigste Produktivkraft, die Arbeiterklasse, in die Produktion und in die Gesellschaft zu integrieren.
Aber die Hoffnung stirbt zuletzt. „Wir haben eine Wiederholung der großen Weltwirtschaftskrise vermieden“, sagen die Sprecher Kapitalismus. Hierin leigt wahrscheinlich auch ein Stückchen Wahrheit. MarxistInnen erkennen, dass es keine „finale Krise des Kapitalismus“ gibt. An einem bestimmten Punkt, wenn die Arbeiterklasse die Zügel durch Sozialistische Planung in die Hand nimmt, wird der Kapitalismus einen Ausweg finden, allerdings auf Grundlage von verschärftem Leid für die Arbeiterklasse und für die Armen. Gibt es aktuell eine Erholung, „Grüne Triebe“, oder ist dies doch nur Unkraut? Was die Britische Wirtschaft betrifft, ist wohl eher letzteres der Fall, denn die neuesten Zahlen zeigen einen fortgesetzten Rückgang der Produktion.
Hat die Weltwirtschaft „das Schlimmste hinter sich“?
Darüber hinaus haben zwei Ökonomen, Barry Eichengreen und Kevin O"Rourke, in ihrem Papier „Eine Geschichte zweier Depressionen“ darauf hingewiesen, dass es noch offen sein könnten, ob der Kapitalismus „das Schlimmste hinter sich hat“. Die massiven Konjunkturpakete, Zinsen auf historischem Tiefststand und vieles mehr haben sicherlich Auswirkungen, wie die beiden zugeben. Die industrielle Produktion erholt sich langsam, im Gegensatz zur Großen Weltwirtschaftskrise, wo der Rückgang der Industrieproduktion drei Jahre anhielt. Aber war es eine gestiegene „Nachfrage“ gestiegen, welche die gestiegene Produktion verursacht hat? Die Konsumausgaben sinken weiter, Immobilienpreise ebenfalls und die Produktion dient in erster Linie der Auffüllen von Lagern und Inventaren.
Die weltweiten Aktienmärkte haben einige ihrer Verluste wettgemacht, wie Eichengreen und O"Rourke zugeben. „Dennoch bleibt der anteilsmäßige Rückgang der Aktien- und Marktwerte sogar größer als zu einem vergleichbaren Zeitpunkt der Großen Weltwirtschaftskrise.“ Es gibt einen „Zusammenbruch des globalen Handels was selbst jetzt weiterhin dramatisch ist im Vergleich mit der Großen Weltwirtschaftskrise.“ In der Industrieproduktion geht es den großen vier EU-Nationen, Deutschland, Brittanien, Frankreich und Italien, schlecht: „Die heutige deutsche und britische Industrieproduktion stehen im Einklang mit ihrem Rückgang in der 1930er Jahren, während es in Italien und Frankreich sogar viel schlechter aussieht. Die Nordamerikaner (USA und Kanada) sehen ihre Industrieproduktion weiterhin im gleichen Maße fallen wie in der Krise von 1929.“
Japan hat die schlechtesten Zahlen, dort war „die Industriproduktion im Ferbruar 25 Prozentpunkte niederiger als zum vergleichbaren Zeitpunkt der Großen Weltwirtschaftskrise. Es gab allerdings eine starke Erholung im März.“
Keynesianistische Ökonomen wie Paul Krugman hoffen weiterhin, dass wir nur „eine halbe Große Weltwirtschaftskrise“ erleben. Aber dies ist eine globale Rezession wie 1929 „mit noch größeren Einbrüchen in der Industrieproduktion, im Export und bei den Aktienkursen als 1929.“ Aber akademische Diskussionen über „Depression“ oder „Rezession“ werden an der Arbeiterklasse spurlos vorübergehen, denn sie wird zurzeit belagert von steigender Arbeitslosigkeit und Einschnitten beim Lebensstandard, selbst während der „Erholung.“ Ist Lettland, von das Bruttoinlandsprodukt im Jahr bis August 2009 um 20 Prozent eingebrochen ist, in einer „Depression“ oder lediglich in einer „Rezession“? Empfinden die Menschen in Kalifornien, das die achtgrößte Volkswirtschaft der Welt wäre, wenn es ein eigenständiger Staat wäre, dass sie gerade eine „Rezession“ oder eine „Depression“ erleben? Staatsbedienstete werden mit Schuldscheine bezahlt, die Arbeitslosigkeit ist so hoch wie seit 70 Jahren nicht mehr und LehrerInnen befinden sich im Hungerstreik.
Wie in der Zeit nach Hurricane Katrina standen verarmte Menschenmengen in Kalifornien stundenlang schlage für kostenlose Gesundheitsversorgung, Zahnbehandlung und Essen – viel mehr Menschen als die 1500 Behandlungen, die angeboten wurden. Jede „Erholung“ wird daher in erster Linie in den Taschen der Bosse und ihrer Gefolgschaft stattfinden.
Wenn David Cameron darüber hinaus seinen Willen durchsetzen kann und an die ohnehin schon geschwächten Öffentlichen Sektor Brittaniens die Axt anlegt, wird dies die Situation gewaltig verschärfen. Cameron möchte Britischen „Veteranen“, RentnerInnen und anderen ihre bereits existierenden Errungenschaften wie die Brennstoffpauschale im Winter wegnehmen. Die Auswirkungen solche Methoden haben sich in den 1930er Jahren gezeigt. 1936 verabschiedete der US-Kongress ein „Bonus-Gesetz“ für Veteranen des Ersten Weltkrieges. Aber um den Haushalt 1937 auszugleichen, machte Präsident Roosevelt diese und andere Maßnahmen wieder rückgängig, was zu einer 13-monatigen Rezession und einen erneuten Anstieg der Arbeitslosigkeit auf 19 Prozent führte. Die USA stand an der Schwelle zu einem noch größeren Crash als 1929. Was den Kapitalismus rettete und gleichzeitig den ganzen Weltkapitalismus für eine lange Periode danach stabilisierte war der massive Waffenproduktion für den sich anbahnenden Zweiten Weltkrieg sowie dann anschließend während des Krieges selbst.
Glass-Steagall-Gesetz durch den "liberalen" Clinton abgeschafft
1929 und die anschließende Weltwirtschaftskrise hinterließen einen tiefen Eindruck auf dem Bewusstsein des Amerikanischen Volkes, genauso wie in Brittanien und der übrigen Welt. Maßnahmen wurden eingeführt um zu versuchen, die Gier der Banker zu kontrollieren und zu bändigen. Das Glass-Stegall-Gesetz und andere Maßnahmen blieben über 65 Jahre in Kraft. Es dauerte bis zur Amtszeit des „liberalen“ US-Präsidenten Clinton im Jahre 1999, bis diese Restriktionen aufgehoben wurden. Dies, zusammen mit Thatchers "großem Knall" der Deregulierung der Finanzmärkte in Britannien bildeten den Rahmen für die Spekulationsorgie, die wiederum den Weg zur aktuellen Krise bereitete.
Haben die Kapitalisten, vor allem die Banker, aus der aktuellen Krise etwas gelernt, geschweige denn von der Krise 1929? Im Gegenteil: vollgesogen mit öffentlichen Geldern, haben sie erneut den „animalischen Geist“ des Kapitalismus entfesselt und sich selbst riesige Bonuszahlen genehmigt – im Wert von mindestens sechs Milliarden Pfund im Falle der Britischen Banken. In den USA gab Goldman Sachs seinen Spitzenbankern Boni in Höhe von 23 Milliarden Dollar für das Jahr 2009. Dies veranlasste einen Journalisten in der Zeitschrift "Rolling Stone" zu der Feststellung, dass dieses Unternehmen als „eine riesige Vampir-Krake, die sich um das Gesicht der Menschheit gewickelt hat“, zu bezeichnen. Ein Wall-Street-Banker bezeichnete die Vorstände schlicht als „gewitze Gauner“.Dieses Unternehmen wurde mit zehn Milliarden Dollar von der US-Regierung gerettet, was nun großzügigerweise „zurück gezahlt“ wurde, aber es hat auch 21 Milliarden Dollar in Anleihpapieren ausgegeben, abgesichert durch das Einlagensicherungsfonds FDIC.
Die Zeitung Independent verkündet, dass ein Verzicht auf eine Rettung der Banken „zur Depression führen würde“. Aber der Britische Notenbankchef Mervyn King hält dagegen: „Wenn die Banken zu groß sind, um Pleite zu gehen, dann sind sie zu groß.“ Er befürwortet die Zerschlagung der Banken um ihre „Privatkunden-“ und „Investitions-“ (sprich: Casino-) -Geschäfte auseinander zu halten, um eine erneute Bankenkrise wie die aktuelle zu vermeiden. Ein neues Wort „Plutonomie“ ist erfunden worden, um die aktuelle Gesellschaft zu charakterisieren – eine Gesellschaft, in der Ungleichheit in noch nie dagewesene Form existiert.
Die Krise ist allerdings nicht nur eine Krise des Banken- und des Finanzsystems, sondern wie bereits 1929 auch, verwurzelt in den Widersprüchen des Kapitalismus an sich, wie oben analysiert. Des Weiteren kann nichts die „Vampire“ oder „Kraken“ vollständig im Zaum halten. Nicht einmal die obszönen Bonuszahlungen können eliminiert werden, sondern bestenfalls begrenzt, wie Obama vorgeschlagen hat, innerhalb des Rahmens des Kapitalismus. Nur durch die Verstaatlichung der Banken und der großen Riesen des Finanzsektors wäre es möglich anzufangen, Maßnahmen einzuleiten, die dem Wohl der Masse der Bevölkerung dienen und nicht nur einer kleinen Clique von Schnäppchenjägern. Dies wiederum könnte ein Schritt sein hin zum Aufbau eines staatlichen Außenhandelsmonopols und einer sozialistischen Planwirtschaft. Ohne entscheidende Maßnahmen wird ein wirtschaftlicher Aufschwung nicht bei den Massen ankommen. Es wird „freudlos, joblos und kreditlos“ sein.
Der wichtigste Unterschied zwischen der aktuellen Krise und 1929 besteht zu diesem Zeitpunkt in den politischen Auswirkungen. Beide Krisen führten zu verschärften sozialen Spannungen, ein riesiger Anstieg von Klassenkämpfen. In den USA traten in den zehn Jahren nach 1929 Millionen den Gewerkschaften bei. Die Rebellion der Fernfahrer in Minneapolis entwickelte sich, unter der Führung von TrotzkistInnen. Riesige Kämpfe fanden statt, dabei kamen viele ArbeiterInnen in den USA bei blutigen Zusammenstößen mit der Polizei und der Staatsmacht ums Leben.
Weltweit standen die 1930er Jahre im Zeichen von Revolution und Konterrevolution. Kapitalistische Kommentatoren konzentrieren sich meist auf den Aufstieg Hitlers und den Sieg Francos. Aber die Deutsche Arbeiterklasse war enorm radikalisiert, ebenso die in Spanien, ab 1930. Die Arbeiterklasse und die Arbeiterbewegung hatten die Möglichkeit, die Macht zu übernehmen, scheiterten aber auf Grund der fehlerhaften Führung. Dies erlaubte es den Nazis in Deutschland zu siegen und bereitete später den Sieg Francos vor, trotz des heroischen Widerstandes der Spanischen Arbeiterklasse, die anfangs vier Fünftel des Landes kontrollierte.
Auf der betrieblichen Ebene, vor allem in den USA, war der Einbruch der Industrie so schnell und so tief, dass die Gewerkschaften und die Arbeiterklasse wie gelähmt erschienen. Dennoch gab es eine sehr große politische Gärung, was zum bedeutenden Wachstum linker und sozialistischer Parteien führte. Trotz der Verbrechen des Stalinismus übte die geplante Wirtschaft in Russland vor dem Hintergrund der Massenarbeitslosigkeit eine große Anziehungskraft auf ArbeiterInnen aus. Das „nicht-kapitalistische“ Russland war wirtschaftlich immun gegen die Weltwirtschaftskrise. Als 6000 Stellen in Russland durch eine Agentur in New York ausgeschrieben wurden, bewarben sich 100.000 ArbeiterInnen! Leider fielen viele von ihnen später dem großen Stalinistischen Terror in den Jahren 1937-38 zum Opfer. Aber die Arbeiterdemokratie und die Idee einer sozialistischen Planwirtschaft können vor dem Hintergrund einer Welt, die von Hunger, Arbeitslosigkeit und Leid geplagt ist, eine große Anziehungskraft auf die Arbeiterklasse und auf die Armen ausüben.
Große Wut, aber die Arbeiterklasse hat sich noch nicht entscheidend nach links bewegt
Heute ist die Masse der Arbeiterklasse wütend und enttäuscht über die ökonomischen Entwicklung, hat sich aber politisch noch nicht entscheidend nach links bewegt. Wenn es „zerstreute Ansätze der Ablehnung“ des Kapitalismus gibt, wie einige behaupten, dann ist dies das Ergebnis davon, dass es kein anziehendes Pol gibt für die Massen der Arbeiterklasse, die auf der Suche nach einer Alternative sind. Dies ist der entscheidende Unterschied zwischen 1929 beziehungsweise der Zeit der danach und heute. Aber die Schläge, die der Kapitalismus gegen die Arbeiterklasse vorbereitet sind so enorm, dass eine Schicht von ArbeiterInnen mit der Zeit, mit Unterstützung sozialistischer und radikaler Kräfte, den Weg nach links zu einer sozialistischen Alternative finden wird. Sie selbst werden dann wiederum die Masse der ArbeiterInnen in Bewegung setzen.
Andererseits könnten einige vorübergehend durch die nationalistische und rechtsextremen Phrasen von Parteien wie der British National Party verführt werden. Diese können allerdings keine Alternative anbieten, da sie im Kapitalismus verwurzelt sind, trotz ihrer demagogischen Versuche, radikal zu wirken. Aber die Lektion von 1929 ist, dass der Kapitalismus keinen Ausweg bietet und periodische Einbrüche erleiden wird.
Wir werden in den kommenden Jahren nicht nur eine einzige Krise, sondern eine ganze Kette von Krisen des Kapitalismus erleben. Es gibt keine Aussicht auf einen Weltkrieg als Ausweg für den Kapitalismus. Der einzige „Krieg“ der vorbereitet wird richtet sich gegen die Rechte und Bedingungen der Arbeiterklasse.
Der mächtigste Faktor in der Gesellschaft ist die Arbeiterklasse, die aber im Moment politisch entwaffnet ist. Dies erwächst aus der Tatsache, dass es keine unabhängigen Massenparteien der ArbeiterInnen gibt. Dies ist der Grund, warum die Forderung nach einer neuen Massenpartei der ArbeiterInnen sich in scharfer Form stellt in Brittanien, in Europa und der ganzen Welt. Die wahre Lektion von 1929 und der aktuellen Krise ist, dass der Kapitalismus keinen Weg nach vorne bietet. Der Kapitalismus ist gescheitert und wird scheitern; die Arbeiterklasse ist Trägerin allen Fortschrittes. Aber um diese Rolle zu spielen, muss sie sich organisieren, wie Marx sagte, als „Klasse für sich“. Damit dies passiert, muss sie die diskreditierten Führer bei Seite werfen und neue Parteien organisieren, die als Hebel fungieren können, um den Kapitalismus zu bekämpfen und um eine sozialistische Veränderung der Gesellschaft zu erwirken.