Nachdem Anfang des Jahres über 60.000 SchülerInnen und LehrerInnen gestreikt haben, erschüttert eine neue Protestwelle das österreichische Bildungssystem: Ausgehend vom Audimax Wien sind in den letzten zwei Wochen nahezu alle großen Universitäten besetzt worden um gegen den Bolognaprozess und den Ausverkauf der Hochschulen zu protestieren.
von Paula Rauch
Nach einem Streik von Studierenden und Beschäftigten an der Akademie der Künste in Wien kam es vor zwei Wochen aus einer Demonstration gegen den Bolognaprozess heraus zur Besetzung des Audimax der Uni Wien, der größten Hochschule im deutschsprachigen Raum. Diese Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer über das ganze Land und binnen weniger Tage kam es zu weiteren Besetzungen, so dass jetzt in fast allen Hochschulen Österreichs die größten Hörsäle besetzt sind.
Grund sind neben der Einführung des Bachelor-/Master-Systems die völlig überfüllten Hörsäle, die langen Wartezeiten auf einen Studienplatz und zunehmende Kommerzialisierung und Ökonomisierung der Hochschulen. So steigt die Zahl der Studierenden in diesem Semester voraussichtlich um 20 Prozent auf die Rekordzahl von 300.000. Gleichzeitig denkt der scheidende Wissenschaftsminister Johannes Hahn über die Wiedereinführung der Studiengebühren und die Ausweitung der Zulassungsbeschränkungen nach.
Gerade in Zeiten der Krise wird gute Bildung wieder zur Mangelware. Mit höherem Leistungsdruck, Platzmangel und Gebühren steigt die soziale Selektion und das Bildungssystem reproduziert die gesellschaftlichen und sozialen Verhältnisse anstatt sie aufzuheben. Es braucht billige Arbeitskräfte? Wozu also lange ausbilden – es geht doch auch in zwölf Jahren Turboabitur, drei Jahren Bachelor-Regelstudienzeit oder noch schneller indem man Jugendliche, anstatt sie richtig auszubilden, als billige Arbeitskräfte verwendet.
An Österreichs Universitäten ist die Situation mittlerweile so zugespitzt, dass sich auch die Gewerkschaft der Hochschullehrer und der Betriebsrat der Uni Wien mit den BesetzerInnen solidarisieren. Auch viele SchülerInnen haben Verständnis für die Forderungen nach demokratischer Bildung mit freiem Zugang, schließlich haben Anfang des Jahres gut 60.000 SchülerInnen gemeinsam mit LehrerInnen gegen die Verlängerung ihrer Arbeitszeit gestreikt.
Bisher ist es allerdings leider noch nicht zu gemeinsamen Protesten von Studierenden und SchülerInnen gekommen, wie es sie zum Beispiel im Juni in Deutschland gegeben hat, als im Rahmen des bundesweiten Bildungsstreiks über eine Viertelmillionen gegen die Missstände im Bildungssystem protestiert hatten.
So ein Schulterschluss mit anderen Betroffenen der andauernden Umverteilung von Unten nach Oben würde auch den BesetzerInnen helfen: Denn als Studierende können sie mit ihren Streiks kaum ökonomischen Druck aufbauen, wie es ArbeiterInnen können. Und auch Beschäftigte sollen für die kapitalistische Krise zahlen: Mit Lohnverzicht, Arbeitsplatzabbau und prekären Arbeitsverhältnissen, ermöglicht durch Angst vor Arbeitslosigkeit.
Seit Jahren wird also nicht nur an der Bildung gespart – in allen Bereichen wird uns erzählt, die Kassen seien leer. Gleichzeitig werden Banken für viele Milliarden Euro „gerettet“, was unter Anderem zur Folge hatte, dass Österreich nach Island und Irland das Land mit dem höchsten Risiko eines Staatsbankrotts ist. Die Unternehmen des ATX (wichtigster Börsen-Index Österreichs) haben letztes Jahr über zwei Milliarden Euro Gewinne gemacht. Das Geld ist also da, wir müssen es uns nur holen. Und dafür können die Studierendenproteste ein erster Anstoß sein.
Dank des großen Drucks konnten die BesetzerInnen in Österreich Johannes Hahn auch schon ein erstes Zugeständnis abringen. Die zugesagten 34 Millionen Euro mehr für die Universitäten sind allerdings viel zu wenig um die Probleme anzugehen, sagt auch Michael Gehmacher, einer der Studenten und Aktivist bei der SLP, der Schwesterorganisation der SAV in Österreich: „Wir sind seit Anfang bei den Uniprotesten dabei. Das ist ein toller, erster Sieg. Aber angesichts der enormen Missstände im Bildungswesen halte ich es für notwendig, dass die Proteste weitergehen. Studierende und ÖGB gemeinsam sollen zu einem eintägigen Bildungsstreik als nächstem Schritt aufrufen.“
Aber auch wenn es nicht ausreichend ist – dieses erste Zugeständnis zeigt, was man mit gemeinsamen Widerstand erreichen kann. Um die Forderungen komplett durchzusetzen muss der Protest aber noch ausgeweitet werden, zu einem gemeinsamen Kampf von StudentInnen, SchülerInnen, LehrerInnen, Auszubildenden, Erwerbslosen und Beschäftigten.
Doch schon jetzt hat er großen Eindruck bei Studierenden und AktivistInnen weit über Österreichs Grenzen hinaus hinterlassen: Bei einem Solidaritätsflashmob wurden vergangenen Montag die Wiener Straße und der Innsbrucker Platz in Berlin in Unibrennt-Straße umbenannt, vor einigen Tagen wurde das Audimax der Uni Budapest besetzt und im Rahmen eines europaweiten Aktionstagen am 5. November kam es neben vielen kreativen Aktionen in ganz Österreich und einer Demo mit mehreren tausend DemonstrantInnen in Wien, zu Besetzungen von Universitäten in Heidelberg, Münster, Potsdam und München.
Weiterer Widerstand ist notwendig. Denn auch in Deutschland ist die Situation im Bildungssystem alles andere als gut. Deshalb wird es spätestens am 17. November zu einem neuen Bildungsstreik kommen, der sich in die Global Week of Action einreiht. Während dieser Aktionswoche wird es in vielen Ländern unter dem Motto „Education is not for sale!“ eine Woche lang zu verschiedenen Protesten gegen die bestehenden Bildungssysteme kommen.