»Wir stehen unter Druck, und wir sind wütend«

Schülerinnen und Schüler rufen erneut zum Bildungsstreik. Aktionswochen im November und Dezember. Ein Gespräch mit Paula Rauch


 

Wir dokumentieren ein Interview mit der Schülerin Paula Rauch, das am 24.10.2009 in der jungen Welt erschien. Paula ist Aktivistin des bundesweiten Schülerstreiks und Mitglied der SAV:

Am 17. Juni waren über 270000 Schüler und Studierende im Rahmen des bundesweiten Bildungsstreiks auf der Straße. Es gab eine große Resonanz in der Presse – aber gab es irgendeine Verbesserung im Bildungssystem?

Nicht so richtig. Vergangene Woche hat die Kultusministerkonferenz (KMK) ein Papier verabschiedet, in dem vorgegeben wird, unsere Kritik am Bologna-Prozeß aufzunehmen. Aber letzten Endes wiederholen sie nur die immer gleichen Phrasen.

Wir haben mit über einer Viertelmillion Schülern, Studierenden, Lehrern und teilweise auch Auszubildenden zwar schon einiges an Druck aufbauen können, aber wenn wir unsere Forderungen wirklich durchsetzen wollen, reicht es nicht, einen einzelnen Streiktag oder auch eine Aktionswoche zu organisieren. Wir müssen weitermachen und uns mit Gewerkschaften und anderen Bewegungen vernetzen. Vor allem fehlt eine breite Basisorganisierung, zum Beispiel Streikkomitees an den Schulen. Wir dürfen den Wahlkampfversprechen nicht trauen und müssen unsere Zukunft selbst in die Hände nehmen.

Nun steht der nächste Bildungsstreik vor der Tür?

Ja, am 17. November wird es einen internationalen Auftakt geben, mit Streiks und Demonstrationen in vielen Städten. Vom 30. November bis 4. Dezember soll es erneut eine Aktionswoche geben, in der dezentrale Aktionen in den Straßen und alternative Lehrveranstaltungen an den Unis stattfinden sollen. An den Wochenenden davor und danach organisieren wir regionale Bildungsgipfel. Der Höhepunkt der Proteste wird dann die Blockade der KMK am 10. Dezember in Bonn sein, zu der wir bundesweit mobilisieren.

Ist das Ganze nicht sehr kurzfristig?

Der 17. November ist in drei Wochen, bis dahin haben wir also noch einiges zu tun. Das Datum war uns wichtig, weil es in einer internationalen Aktionswoche für bessere Bildung liegt. Neben uns protestieren SchülerInnen und Studierende in Italien, Frankreich und vielen anderen Ländern.

Seit Dienstag streiken die Gebäudereiniger – auch an den Schulen und Universitäten – für Lohnerhöhungen. Wie verhalten sich Schüler und Studierende zu diesem Protest?

Wir unterstützen die Gebäudereiniger und sie unterstützen uns hoffentlich auch. Es gibt an verschiedenen Universitäten Solidaritätsstrukturen, und nicht wenige Jugendliche kamen zum Streikauftakt vor die TU Berlin. Wenn wir wirklich was erreichen wollen, müssen wir gemeinsam kämpfen. Ein Generalstreik ist ein Ziel, das auch Gewerkschafter während des Gebäudereinigerstreiks gefordert haben.

In der Bildung wird gespart, an den Löhnen, bei Jugendclubs, Bibliotheken oder Seniorentreffs, bei den Renten und beim Arbeitslosengeld sowieso. Und gleichzeitig bekommen Banken und Konzerne Milliarden geschenkt, um ihre Profite auch in Zeiten der Krise zu erhalten oder sogar zu steigern. Diese Umverteilung von unten nach oben hat System und heißt Kapitalismus.

Wie ist die Stimmung bei den Schülerinnen und Schülern?

Für uns ist es nicht mehr der erste Streik. Im vergangenen Jahr im Mai und November gab es schon Schulstreiks, jetzt im Juni den Bildungsstreik. Allerdings ist vielen bewußt, daß mit »Schwarz-Gelb« und der Krise noch härtere Zeiten auf uns zukommen. Nach Streß, Leistungsdruck und Selektion in der Schule geht es für viele erst mal auf eine lange Suche, über un- oder schlechtbezahlte Praktika, nach einem Ausbildungs- oder Studienplatz oder eben gleich in die Arbeitslosigkeit.

Wir stehen unter einem enormen Druck, und wir sind wütend. Ständig wird uns erzählt, wir sollten doch froh sein. Froh darüber, daß alles immer noch schlechter wird? Zum Beispiel mit dem Turbo-Abi. Sollen wir froh sein, daß es nicht genug Lehrer gibt; daß unsere Jugendclubs geschlossen werden, während für Banken Hunderte Milliarden da sind? Sollen wir uns freuen, daß statt in unsere Zukunft in »Schwänzerknäste« wie in Berlin-Neukölln investiert wird?

Das Interview führte Wladek Flakin.