Streik ums Überleben

Poststreik in Großbritannien


 

Am Donnerstag und Freitag sind die Briefkästen in Großbritannien leer geblieben, nachdem mehr als 120000 Postbeschäftigte einem Streikaufruf ihrer Gewerkschaft CWU gefolgt waren. Die Unternehmensführung des noch staatlichen Postbetriebes Royal Mail rechnet wegen des Ausstands mit Verzögerungen in der Postzustellung von rund drei Wochen. Unterdessen hat die Gewerkschaft für die kommende Woche drei weitere Streiktage angekündigt.

von Christian Bunke, Manchester

Die ganze Nacht zum Donnerstag hindurch hatten Unternehmensführung und Gewerkschaft verhandelt, um einen Streik noch abzuwenden. Nach dem Scheitern der Gespräche sprach die CWU von einer »Sabotage« der Verhandlungen durch die Unternehmensspitze und Wirtschaftsminister Peter Mandelson. Die setzen auf Konfrontation. Über Leiharbeitsfirmen wurden 30000 Arbeiter als Streikbrecher angeheuert. Die Ergebnisse dieses Versuchs blieben jedoch mager. So erschienen beim Postdepot in Manchester, bei dem mehrere hundert Postler beschäftigt sind, nicht mehr als zwanzig Streikbrecher zur Arbeit.

Kern des Konflikts ist ein »Modernisierungsprogramm«, das von der Regierung und allen Parteien im britischen Unterhaus unterstützt wird. Bislang hat dieses Programm Schätzungen der Gewerkschaft zufolge schon 60000 Stellen gekostet. Anstatt zwei Postlieferungen am Tag gibt es nur noch eine, an Feiertagen und Sonntagen werden keine Briefkästen mehr geleert. Zahlreiche Postfilialen wurden insbesondere im ländlichen Raum geschlossen.

In den vergangenen Wochen und Monaten reagierten die Postbeschäftigten in ganz Großbritannien regelmäßig mit lokal begrenzten Streiks auf von ihnen als Mobbing empfundene Maßnahmen des Managements. So waren Postler regelmäßig gezwungen worden, unbezahlte Überstunden zu leisten. »Wenn sie sich dann beschweren, werden sie ganz ohne Bezahlung nach Hause geschickt«, kritisierten Vertreter der CWU-Gewerkschaft.

Alle Parteien im britischen Unterhaus sind sich grundsätzlich darüber einig, die Royal Mail privatisieren zu wollen. Einen ersten Versuch der Regierung mußte Minister Mandelson im Sommer jedoch angesichts des Widerstandes in der britischen Öffentlichkeit aufgeben, zumal in Zeiten wirtschaftlicher Krise kein Privatunternehmen der Regierung ein angemessenes Übernahmeangebot machen wollte.

Die Privatisierungspläne richten sich auch direkt gegen die Gewerkschaft. Kenneth Clarke von der Konservativen Partei erklärte, eine Privatisierung sei die einzige Möglichkeit, die »gewerkschaftliche Übermacht« bei der Royal Mail zu brechen. In der vergangenen Woche kam außerdem ein »Dokument für eine gewerkschaftsfreie Zukunft« ans Licht. Teil dieses detaillierten und offenbar von der Regierung abgesegneten Plans zur Zerschlagung der CWU bei Royal Mail ist unter anderem, die Rechte von Vertrauensleuten im Betrieb massiv zu beschneiden. Gewerkschaftliche Tätigkeit während der Arbeitszeit soll ihnen künftig verboten werden.

Der Arbeitskampf und mehr noch der aggressive Kurs der Unternehmensspitze hat nun jedoch – sehr zur Belustigung der Streikenden – zu einer Spaltung unter den Führungskräften geführt. Die mittleren Manager fühlen sich von der obersten Chefetage gemobbt, weil sie zu unbezahlter Mehrarbeit während der Streiktage gezwungen werden.

Dieser Artikel erschien zuerst in der jungen Welt vom 24.10.2009