Senat legt Horrorangebot vor
Im Sommer hat die Tarifrunde für die 60.000 Arbeiter und Angestellten des Öffentlichen Dienstes Berlins begonnen. Der Nachholbedarf für die KollegInnen ist enorm, da es seit der Tarifflucht des SPD/LINKE-Senats im Jahr 2003 lediglich im letzten Jahr eine Erhöhung der Tabellenlöhne um 65 Euro gab.
Durch den sogenannten Anwendungstarifvertrag 2003 (Lohnkürzungen von 8-12 Prozent bei verkürzten Arbeitszeiten von 40 bzw. 38,5 auf 33,88 bzw. 36,8 Stunden) und einer Abkopplung der Beschäftigten Berlins von bundesweiten Lohnerhöhungen im Öffentlichen Dienst, mussten die Berliner Beschäftigten starke Lohneinbußen hinnehmen. Ende Dezember läuft der Anwendungstarifvertrag aus. Damit würde die Arbeitszeit wieder auf 38,5 im Westen bzw. 40 Stunden im Osten steigen und die Lohnsenkungen von 8-12 Prozent rückgängig gemacht werden. Mit der damit verbundenen Erhöhung der Arbeitszeit auf 38,5 bzw. 40 Stunden droht die Vernichtung tausender von Stellen.
von Lucy Redler, Berlin
Genau drei Tage nach der Bundestagswahl ließ Innensenator Körting (SPD) die Katze aus dem Sack und legte sein „Angebot“ auf den Tisch: Übernahme des in anderen Bundesländern bereits geltenden Tarifvertrags der Länder (TV-L) mit allen Verschlechterungen wie beispielsweise der Kürzung von Weihnachts- und Urlaubsgeld plus eine weitere Arbeitszeitverlängerung aber ohne Gehaltssteigerungen.
Konkret schlägt Körting vor: 1,2 Prozent mehr Lohn im Jahr 2011 und eine zusätzliche Arbeitszeitverlängerung für die Beschäftigten in Westberlin auf Ostniveau (40 Stunden) ohne Lohnausgleich. Eine Arbeitszeitverlängerung von 38,5 auf 40 Stunden bedeutet eine Lohnkürzung von 3,9 Prozent und die Vernichtung Tausender von Stellen. Das Angebot des Senats ist damit nicht nur ein Minusangebot, wie ver.di Berlin vorrechnet, sondern eine bodenlose Frechheit.
Erst ab 2012 sollen die bundesweiten Gehaltssteigerungen auch auf Berlin übertragen werden.
Der Zeitpunkt 2012 ist interessant, weil er nach der nächsten Abgeordnetenhauswahl Berlins liegt. Auch da können die Karten nochmal neu gemischt werden und jetzige Versprechungen zurück genommen werden.
Geschickt hatte der Senat zudem die Tarifrunde in Berlin aus dem Bundestagswahlkampf herausgehalten. Es war ein Fehler der Berliner ver.di-Führung, dies zu akzeptieren und darauf zu verzichten, den eigenen Forderungen mit Warnstreiks und Streiks während des Bundestagswahlkampfes Durchsetzungskraft zu verleihen. Die ver.di-Führung erklärte in einer ersten Reaktion, dass das Angebot in weiten Teilen unannehmbar sei. Da drängt sich jedoch die Frage auf, welche Teile ver.di annehmbar findet. Bis zum 28.10. findet nun eine Diskussion über die eigene Positionierung in ver.di statt. Höchste Zeit, die Forderungen zu korrigieren.
Abwälzung von Krisenlasten
Lange genug wurde den KollegInnen (im Aufschwung!) erzählt, dass sie zur Konsolidierung des Haushalts Opfer bringen müssten und dafür betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen würden. Doch der Stellenabbau ging mittels weitgehendem Einstellungsstopp (für ausscheidende Kollegen werden keine Neuen eingestellt) und Stellenpool immer weiter.
Heute droht ein noch größeres Haushaltsloch durch die tiefe ökonomische Krise, die Einnahmen weiter einbrechen lässt und für die wieder mal die Beschäftigten Berlins zur Kasse gebeten werden sollen.
Dabei ist offensichlich: Die Ursache für Haushaltslöcher sind nicht die Lohnforderungen der KollegInnen, sondern die Umverteilung von unten nach oben, Geschenke an die Reichen und die Auswirkungen der kapitalistischen Krise. Während Rot-Rot wiederholt klagt, es sei kein Geld da für höhere Löhne, beteiligte sich der Senat mit 200 Millionen Euro an der Rettung angeschlagener Banken.
35-Stunden-Woche für alle!
In Berlin wie bundesweit droht mit der Verschärfung der Krise ein Kahlschlag im öffentlichen Dienst. Sogar betriebsbedingte Kündigungen können nicht mehr ausgeschlossen werden.
Es ist absurd, dass der Senat die Arbeitszeiten noch weiter verlängern will.
Die Lage ist schon jetzt katastrophal. Seit 1991 wurden in Berlin 100.000 Stellen im Öffentlichen Dienst vernichtet bzw. ausgegliedert, was einer Halbierung des Personals bedeutet. Viele KollegInnen sind bereits jetzt völlig überlastet. Der Service hat sich qualitativ verschlechtert. Schon jetzt sind viele Ämter völlig unterbesetzt. In Berlin-Neukölln und anderen Bezirken ist es zur Normalität geworden, dass Wohngeldempfänger fünf Monate auf ihr Wohngeld warten müssen. Laut Haushaltsentwurf für die nächsten beiden Jahre will der rot-rote Senat weitere 8500 Stellen abbauen, um 340 Mio. Euro einzusparen. Die ver.di-Führung sagt bisher nichts dazu, dass der Stellenabbau im Haushaltsentwurf bereits eingepreist ist und spricht sich auch nicht klar gegen die Verlängerung der Arbeitszeiten auf 38,5 bzw. 40 Stunden aus. In Zeiten steigender Massenarbeitslosigkeit darf jedoch keine einzige Stelle abgebaut werden.
Statt Arbeitszeiverlängerung sollte ver.di für die Forderung nach 35 Stunden-Woche für alle mit vollem Lohnausgleich mobilisieren. Statt weiterem Personalabbau ist die Rückgängigmachung des erfolgten Stellenabbaus nötig.
Wenn Stellen vernichtet werden, sind besonders Auszubildende davon bedroht, nicht übernommen zu werden. Deshalb sollte ver.di für eine Ausbildungsquote von 10 Prozent zur Schaffung neuer Ausbildungsplätze und für die Übernahme aller Azubis eintreten und dies tarifvertraglich regeln.
Kräftige Lohnerhöhung jetzt
Seit sechs Jahren hat es in Berlin keine substantiellen Lohnerhöhungen für die Landesbeschäftigten gegeben. Die Löhne wurden eingefroren, die Preise jedoch nicht. Besonders die Mieten und Kosten für Strom und Gas sind weiter angestiegen. Allein die Heizkosten stiegen im Jahr 2008 um 17 Prozent. Ver.di sollte dafür eintreten, dass nicht nur die Lohnkürzung von 8-12 Prozent durch den Anwendungstarifvertrag rückgängig gemacht wird, sondern eine kräftige Lohnerhöhung von 250 Euro für alle durchgesetzt wird.
Wenn es nach Körting geht, sollen bundesweite Lohnerhöhungen erst 2012 wieder für die KollegInnen in Berlin gelten. Körting will den TV-L mit allen Verschlechterungen in Berlin einführen, aber Lohnerhöhungen verweigern.
Nein zum TV-L
Die Verhandlungsführerin der Tarifgemeinschaft von ver.di, GEW, GdP und IB BAU, Astrid Westhoff erklärte, man wolle die Übernahme des TV-L mit „allen Vor- und Nachteilen“ und man müsse dann gemeinsam den Flächentarifvertrag weiterentwickeln.
Das Problem ist jedoch, dass die KollegInnen in Berlin mit dem TV-L nichts gewinnen.
TV-L und TVÖD sind Absenkungstarifverträge, die das Lohnniveau um 15 Prozent absenken bei verlängerten Arbeitszeiten. Verheirateten- und Kinderzuschläge fallen weg, Stellenwechsler werden auf Berufseinsteigerniveau herabgestuft, das Urlaubsgeld wurde gestrichen, das Weihnachtsgeld empfindlich gekürzt, eine neue Niedriglohngruppe EG1 wurde eingeführt und Bewährungsaufstiege fallen weg. Nach Gewerkschaftsberechnungen spart Berlin mit der Einführung des TV-L 37,5 Millionen Euro. Durch eine Einführung des TV-L kann es also keinen Anschluss an höhere Löhne geben.
Die Tarifeinheit im öffentlichen Dienst muss wieder hergestellt werden über gemeinsamen Kampf für Verbesserungen und nicht über das Nachvollziehen von Niederlagen und Verschlechterungen.
Ende des Jahres läuft der Tarifvertrag der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in Bund und Kommunen aus. Wenn der Senat in Berlin hart bleibt und sich die Tarifauseinandersetzung länger hinzieht, ist ein gemeinsamer Kampf mit den Beschäftigten von Bund und Kommunen die beste Antwort.
Kampfstrategie
Ver.di hat mit dem Bundestagswahlkampf einen guten Zeitpunkt für einen Kampf für die eigenen Forderungen verpasst. Viele Funktionäre in ver.di argumentieren, dass der Organisationsgrad unter den Landesbeschäftigten zu niedrig wäre für einen Streik. Der Organisationsgrad wird aber erfahrungsgemäß nicht durch Kapitulation und Zugeständnisse an die Arbeitgeber erhöht, sondern nur durch ernst gemeinten Kampf. Vielen KollegInnen sind die Streiks für höhere Löhne im letzten Jahr noch in guter Erinnerung, die jedoch fast keine Ergebnisse brachten. Das Problem war damals jedoch nicht die Entschlossenheit der KollegInnen zu streiken, sondern vielmehr die Streiktaktik der ver.di-Führung, die darauf verzichtete einen gemeinsamen Kampf mit den BVG-KollegInnen zu organisieren und die politische Zuspitzung mit dem Senat zu suchen.
Nötig ist jetzt, dass ver.di Forderungen aufstellt, die tatsächlich mobilisierend wirken. Warum sollen KollegInnen für die Übernahme des TV-L auf die Straße gehen, für längere Arbeitszeiten und die Abschaffung der erkämpften Errungenschaften des BAT/BMT-G?
Beamte müssen in den Kampf mit einbezogen werden. Sie arbeiten in Berlin 40 Stunden in der Woche und haben auch sonst viel verloren. Oftmals wird gesagt, dass Beamte ja nicht streiken dürften. In Bremen hat die GEW das Beamtenstreikrecht durch Streik durchgesetzt. So beteiligten sich beispielsweise 1.500 BeamtInnen am Warnstreik der Landesbeschäftigten am 13.02.09. Die beste Mobilisierung der Beamten könnte erreicht werden, wenn das Ergebnis voll auf die Beamten übertragen werden würde.
Zudem haben die Gebäudereiniger mit einem unbefristeten Streik für höhere Löhne begonnen. In Berlin arbeiten rund 60.000 Frauen und Männer als Gebäudereiniger. Wenn sie aufhören, Parlamente und Rathäuser zu fegen und die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes in den Verwaltungen streiken, dürfte das auch den Politikern schnell zu viel werden. Ein gemeinsamer Kampf, organisiert von ver.di und IG BAU, würde den Druck deutlich erhöhen. Auch bei der Post stehen die Zeichen auf Streik. Der Tarifvertrag für die KollegInnen der BVG läuft ebenfalls zum Jahresende aus. Eine gute Möglichkeit für ver.di, verschiedene Bereiche gemeinsam in den Kampf zu führen.
Wie das alles finanzieren?
Gerade in der Krise fragen sich jedoch viele KollegInnen: Wer soll das finanzieren? Genau dasselbe fragen sich derzeit viele Jugendliche, die gegen die Privatisierung oder Schließung ihrer Jugendclubs in Berlin kämpfen, weil angeblich kein Geld mehr da sei.
Es sind jedoch weder die Jugendlichen noch die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes, die die Kassen Berlins geleert haben. Leere Kassen und Verschuldung sind das Ergebnis politischer Entscheidungen und der Krise des Kapitalismus. Während Rot-Rot den Geldhahn für Jugendclubs, Senioreneinrichtungen, Grünanlagen und Lohnerhöhungen zudreht, beteiligte sich das Land Berlin an der Bankenrettung. Zehn Millionen wurden für die Imagekampagne „be berlin“ verschleudert.
Der Kampf für höhere Löhne und mehr Geld für Jugendclubs kann nur politisch gewonnen werden. Wenn die Bundesregierung binnen weniger Tage 480 Milliarden Euro für die Rettung der Banken locker machen kann, warum ist dann kein Geld da für höhere Löhne?
Die schnelle Bereitstellung der Gelder für die Banken hat gezeigt, was möglich ist, wenn der politische Wille da ist. Die Bankenrettung bedeutet aber eine Fortsetzung der Umverteilung von unten nach oben. Ver.di muss jetzt durch den Einsatz der gesamten Kampfkraft den politischen Druck aufbauen, dass das notwendige Geld für die Forderungen der Beschäftigten und den öffentlichen Dienst locker gemacht wird. Würde eine Vermögenssteuer von 10 Prozent ab 1.000.000 Euro eingeführt, würde dies 200 Milliarden Euro bringen, Damit könnten Gehaltssteigerungen und die Schaffung neuer Stellen zum Ausbau des Öffentlichen Dienstes im Gesundheitswese, bei der Bildung und anderen finanziert werden. Das dies nicht geschieht, hat damit zu tun, dass die Regierungen Politik im Kapitalinteresse und nicht im Interesse der arbeitenden Bevölkerung betreiben.
Gerade wehren sich Jugendliche und Sozialarbeiter in Berlin mit Demos und Protestaktionen gegen die Kürzungen durch den geplanten Doppelhaushalt, der am 9. Dezember vom Abgeordnetenhaus verabschiedet werden soll. Ver.di sollte gemeinsam mit bereits bestehenden Widerstandsbündnissen zu einem Streik- und Protesttag am 9. Dezember aufrufen und den politischen Druck auf Rot-Rot erhöhen, um Stellenabbau und weitere kommunale Kürzungen zu verhindern.
Position der LINKEN
Während sich DIE LINKE im Bundestagswahlkampf mit Forderungen für höhere Löhne profilierte, soll in Berlin unter Rot-Rot die Abkopplung der Beschäftigten fortgesetzt werden.
Bisher trägt DIE LINKE Berlin durch Schweigen das skandalöse Angebot von Körting mit.
Diese Haltung muss sofort geändert werden: DIE LINKE muss sich eindeutig auf die Seite der Kollegen und ihren mehr als berechtigten Forderungen stellen. Der Kampf für höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen und gegen Stellenabbau kann gerade in der Krise nur mit einer politischen Zuspitzung der Auseinandersetzung gewonnen werden. Wenn mit der kapitalistischen Krise die Einnahmen Berlins weiter einbrechen, spricht das nicht gegen höhere Löhne, sondern gegen die Logik, dass die Beschäftigten für die kapitalistische Krise zahlen sollen und gegen das System selbst. Angesichts des Vorschlags von Körting, Lohndumping in Berlin fortzusetzen, sollte DIE LINKE den Berliner Senat verlassen und aus der Opposition heraus dagegen kämpfen, dass die Beschäftigten weitere Opfer erbringen sollen. Mitglieder der LINKEN sollten sich nicht nur in ihrer Partei, sondern auch innerhalb von ver.di für einen kämpferischen Kurs einsetzen.