Ein hausgemachtes Problem des Kapitalismus
Am 11. August wurde auf der Website des Focus über die aktuellen Börsenkurse, sowie die Quartalsergebnisse im dritten Jahresviertel 2009 berichtet. Im Bericht war auch die Rede vom Biotechnologiekonzern Qiagen, dessen Quartalsergebnisse besser als erwartet ausfielen und Aktienkurs um 7,3 Prozent anstieg. Wortwörtlich hieß es dort „Das Unternehmen profitiere von dem Ausbruch der Schweinegrippe.“ So bietet der Konzern neben Testverfahren für Täter- und Opferindentifikation auch Tests und Testbestandteile für den Nachweis von Vogelgrippeviren und anderen Erregern an. Die Firma wies im Jahr 2008 einen Nettogewinn von 170 Millionen Euro aus, was gegenüber 2005 in etwa eine Verdreifachung bedeutet.
von René Kiesel, Berlin
Während im Bundesland Nordrhein Westfalen momentan darüber diskutiert wird, ob man die Sommerferien aufgrund der Schweinegrippe um zwei Wochen verlängert, sind dort bereits 3.710 Fälle von Menschen bekannt, die sich mit dem H1N1-Virus infiziert haben. Bundesweit sind es aktuell rund 10.000 registrierte Infektionen.
Vertuschungspolitik der US-Behörden und amerikanischer Konzerne
Bereits im Jahr 1998 gab es im Bundesstaat North Carolina der USA auf einer Zuchtfarm für Schweine den Ausbruch einer Seuche, hervorgerufen durch einen ganz ähnlichen Erreger wie dem H1N1-Virus. Allerdings wurde diese Epidemie unter den Schweinen von den zuständigen Behörden kaum bekannt gemacht. Als Melva Okun, Doktorin für öffentliches Gesundheitswesen, die ihre Dissertation über die Massentierhaltung von Schweinen verfasste, 1998 der Gesundheitsbehörde ihre Hilfe in diesem Fall anbot, schlug ihr Feindseligkeit entgegen und sie wurde aufgefordert, Stillschweigen über diese Fälle zu wahren. Ein Jahr später verlor sie ihren Posten als Wissenschaftlerin an der Universität.
Offiziell brach die Krankheit, die unter dem Namen Schweinegrippe bekannt werden sollte, in einer kleinen mexikanischen Stadt namens La Gloria bei einem 6-jährigen Jungen aus. Ganz in der Nähe von La Gloria befindet sich auch die Schweinefarm der US-amerikanischen Firma Caroll, die zum US-Schweinezüchter Smithfield gehören. Dort werden jährlich 1 Millionen Schweine gemästet, mit Steroiden wird das Wachstum stimuliert und mit Antibiotika werden sie gegen Infektionen durch offene Wunden und Verletzungen auf Grund der Massenhaltung immunisiert.
Auf der einen Seite werden hier Tiere auf grausamste Weise zusammengepfercht und industriell gezüchtet. Andererseits bedeutet die unbehandelte Entsorgung des Schweinekots in Auffangbecken und der Tierkadaver in riesigen Löchern eine unheimliche Umweltverschmutzung. Durch die Gifte, Antibiotika und Bakterien, die in den Unmengen von Fäkalien enthalten sind, wird das Grundwasser vergiftet. Durch den tierischen Abfall werden enorme Mengen an Frischwasser verseucht. So starben in North Carolina im Neuse River seit 1991 über eine Milliarde Fische. Gleichzeitig sind diese Orte ein Herd für die Entstehung neuer immuner und aggressiver Erreger, die auch, wie in diesem Fall, auf den Menschen und letztendlich von Mensch zu Mensch übertragen werden können.
Doch all die Umweltzerstörung, die lebensunwürdige „Produktion“ von Tieren und die Gefährdung der Gesundheit der Mitarbeiter und aller anderen Menschen werden von den Konzernen und ihren Bossen in Kauf genommen, nicht zuletzt sogar geleugnet, um nur ein Ziel zu verwirklichen – immer mehr Gewinn zu machen. Ein Vertreter der Firma Granjas Carroll Mexiko sagte gegenüber den Vorwürfen der Bewohner von La Granja: „Nicht nur in Mexiko, sondern weltweit ist doch bewiesen worden, dass der neue Virus nichts mit der Produktion von Schweinen zu tun hat, und das gilt auch für den Kontakt zu Schweinen oder dem Verzehr von Schweinefleisch.“
Dagegen sprechen Umweltschützer und Wissenschaftler in Mexiko und den USA. Um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen, verlor beispielsweise der der Reporter Miguel Diaz bei einem Lokalsender seinen Job, nachdem er einen Film über die Zustände auf der Schweinefarm drehte und ihn veröffentlichen wollte. Selbst vor Morddrohungen gegen ihn und seine Familie, hinter denen höchstwahrscheinlich die mexikanische Regierung oder der Konzern selbst steckt, wird nicht zurückgeschreckt.
Das H1N1-Virus – ein tödlicher Erreger?
Für die meisten Menschen ist diese Infektion unangenehm, jedoch nicht gefährlich. Die Todeszahlen in Folge der Ausbreitung der Schweinegrippe sind bis jetzt nicht höher als bei jeder anderen Grippewelle, ebenso wenig die Sterblichkeitsrate.
Woher kommen also die Meldungen und Befürchtungen über steigende Totenzahlen? Besonders betroffen von vielen Toten sind Länder wie Mexiko, also sogenannte „Entwicklungsländer“, in denen es eine schlechte bis nicht vorhandene medizinische Grundversorgung gibt, Immunschwächen auf Grund anderer Krankheiten, unzureichender Zugang zu Hygiene- und Sanitäranlagen und Unterernährung.
In solchen Ländern sterben auch an der „normalen“ saisonalen Grippewelle in jedem Jahr tausende von Menschen, wesentlich mehr als in wohlhabenden Ländern wie Deutschland oder Frankreich.
Grippepandemien sind laut verschiedener Wissenschaftler alle paar Jahrzehnte zu erwartet, um sich dann über die Welt zu verbreiten und in den armen Ländern vielen Millionen Menschen das Leben zu kosten.
Weltweit werden jährlich etwa 300 Millionen Dosen für die Impfung gegen saisonale Grippen produziert, bei einer Ausrichtung der gesamten Produktion auf einen Virenstamm könnte es ein Leichtes sein, innerhalb kürzester Zeit über 900 Millionen Dosen herzustellen.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO teilte mit, dass innerhalb von 12 Monaten bis zu 4,9 Milliarden Einheiten hergestellt werden können.
Sollten jedoch mehr als eine Impfung notwendig sein (zwei sind wahrscheinlicher) und die Produktionsraten niedriger als für einen saisonalen Impfstoff, werden erheblich weniger Menschen Zugang zum Schutz vor der Grippe haben. Firmen wie GlaxoSmithKline und andere Pharmakonzerne werden wenig daran interessiert sein, allein für die Vorsorge teure Einrichtungen zu bauen und zu betreiben, die möglicherweise für einige Jahre ungenutzt bleiben.
Demokratische Planung als Alternative zur Profitmaximierung
Dies würde zwar im Falle eine Pandemie die Herstellung und Erforschung von Impfstoffen in kürzester Zeit und ausreichender Zahl sicherstellen, aber auf Kosten ihrer Profite gehen. Die Entwicklung und Produktion von Mitteln zur Prävention solcher Krankheiten sollte nicht in den Händen von Unternehmen belassen werden, die allein darauf ausgerichtet sind, ihre Profite zu maximieren.
Nur ein Betrieb in Gemeineigentum und eine demokratisch kontrollierte Pharmaindustrie würde die notwendigen Ressourcen einsetzen, um auf eine derartige Welle vorbereitet zu sein, auch wenn diese für Jahre nicht eingesetzt wird. Das würde aber garantieren, dass genügend Kapazitäten für solche Fälle vorhanden sind, eingeschlossen der Ländern, in denen nur eine ungenügende medizinische Grundversorgung existiert. Die Geschwindigkeit, mit der sich das Virus von Mexiko ausgehend über die gesamte Welt verbreitete zeigt auch die Notwendigkeit eines internationalen Interventionsplanes zur Bekämpfung dieser Krankheit.
Wenn die Interessen der Kapitalisten nicht mehr maßgeblich für die Weltwirtschaft sind und sich ihre Betriebe in staatlicher Hand befinden, könnten all ihre Profite darauf verwendet werden, eine umfangreiche Gesundheitsversorgung für alle Menschen auf der Erde zu schaffen. Im gleichen Atemzuge würden sich bei einer demokratisch geleiteten Wirtschaft im Rahmen eines harmonischen Produktionsplanes die Lebensbedingungen der in den „Entwicklungsländern“ Lebenden schlagartig verbessern.
Viren- und Bakterienherde, Zerstörung unserer Umwelt und Tierquälerei würden bei gleichzeitiger Abschaffung von industrieller Produktion von Tieren und Tierprodukten für den Profit und deren Umwandlung in einer mit der Natur in Einklang stehenden Produktionsform im Konzept eines weltweiten Wirtschaftsplanes aufhören zu existieren.