Diese Erklärung des Komitees für eine Arbeiterinternationale (Committee for a Workers“ International, CWI) wurde auf einem Treffen des Europäischen Büros des CWI diskutiert, das vom 30. März bis 1. April in London stattfand.
Seit 30 Jahren, aber besonders seit 1989 und dem Zusammenbruch des Stalinismus, hielt der neoliberale Kapitalismus – zusammengefasst in dem so genannten ‚Washingtoner Konsens’ – den ganzen Weltkapitalismus im Griff. In der Tat schwenkten die Kapitalisten und ihre Ideologen und auch die Mehrheit der Gewerkschafts- und sozialdemokratischen Führer auf die Idee ein, dass der deregulierte Kapitalismus das beste, das effizienteste mögliche System für die Verteilung von Waren und Dienstleistungen an die Völker der Welt sei. Aber die gegenwärtige verheerende Wirtschaftskrise hat das scheinbar mächtige ideologische Gebäude zu Boden stürzen lassen. Kapitalistische Ökonomen und Politiker stehen Schlange, um zu erklären, dass ihr System entweder schon in einer „Depression“ oder wenigstens einer „großen Rezession” (Strauss-Kahn, Chef des Internationalen Währungsfonds) ist oder eine solche unmittelbar bevorsteht.
Tempo und Tiefe der Krise
Diese Krise ist noch längst nicht ausgestanden, hat aber schon zu einer beispiellosen Zerstörung von Reichtum und Ressourcen auf der ganzen Welt geführt. Ein kapitalistischer Kommentator in Britannien, Hamish McRae, Wirtschaftschef der Zeitung „The Independent” in London, hat geschrieben, dass ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der Welt durch die Krise zerstört wurde. Er sagt auch, dass es 10 Jahre dauern werde, um die bereits erfolgte Zerstörung von Reichtum wieder wettzumachen. Die Asiatische Entwicklungsbank (ADB) ging weiter: „Der weltweite Wertverlust der Finanztitel könnte mehr als 50 Billionen Dollar erreicht haben, was der Weltproduktion eines Jahres entspricht.“ Dies ist wahrscheinlich eine Unterschätzung des durch diese Krise verursachten Schadens, weil es die Auswirkungen des Crashs auf die „Realwirtschaft“ nicht zu berücksichtigen scheint. Die Weltbank hat auch erklärt, dass „Entwicklungsländer vor einer Finanzierungslücke von 270 – 700 Milliarden Dollar im Jahr standen, weil Kapitalströme austrockneten. Nur ein Viertel der verwundbaren Länder konnten den Schlag des Wirtschaftsabschwungs abfedern.” Die ADB schätzt die Kapitalverluste letztes Jahr für Asien ohne Japan auf 9,625 Billionen Dollar oder 109 Prozent des BIP, im Vergleich zum weltweiten Durchschnitt von 80-85 Prozent des BIP. Für Lateinamerika betragen die geschätzten Verluste für 2008 2,119 Billionen Dollar oder 57 Prozent des BIP des Kontinents. Schumpeter, der bekannte kapitalistische Wirtschaftsguru, charakterisierte den Kapitalismus einmal als einen Prozess „kreativer Zerstörung”. Diese Zahlen zeigen, dass viel „Zerstörung“ und sehr wenig „Kreativität” für die Arbeiterklasse und die Armen auf dem ganzen Planeten zu sehen sind. Obendrein schätzt die Internationale Arbeitsorganisation, dass die Zahl der ArbeiterInnen, die im nächsten Jahr arbeitslos werden oder in den grauen Strudel der „Unterbeschäftigung“ gezogen werden, irgendwo zwischen 30 und 50 Million liegen wird. Zusätzlich wird geschätzt, dass die Zahl der Armen als Ergebnis dieser Krise um 90 Million zunehmen wird. Es ist wenig überraschend, dass Martin Wolf in der „Financial Times” geschrieben hat, dass die Kosten der Krise bisher denen eines „Krieges” entsprechen.
Diese Zahlen zeigen den epischen Charakter dieser Krise an, die die Bourgeoisie und ihre SprecherInnen in panisches Trudeln gebracht hat. Ihre Stimmung hat einen Anflug von Demoralisierung. Dies wurde in einer Artikelserie in der „Financial Times“ zusammengefasst, die zunehmend den Charakter eines „internen Bulletins“ für den Welt- ,und nicht nur für den britischen, Kapitalismus angenommen hat. Diese skizzierte soweit möglich die Perspektiven für die Weltbourgeoisie in der nächsten Periode. Ihre Folgerungen? „Nicht nur leidet das Finanzsystem unter Verlusten in einem Ausmaß, das niemand vorhersah, auch die Säulen des Vertrauens, auf denen dieser neue Finanzkapitalismus aufgebaut war, sind praktisch zusammengebrochen. So mangelt es allen, vom Finanzminister über den Zentralbanker zum Kleininvestor oder Besitzer einer privaten Rentenversicherung, an einem geistigen Kompass, sie sind benommen und verwirrt.” Der Chef der Moskauer Abteilung von Merrill Lynch ging weiter: „Unsere Welt ist zerbrochen – und ich weiß ehrlich nicht, was sie ersetzen wird. Der Kompass, nach dem wir als Amerikaner gesegelt sind, ist weg … Das letzte Mal, dass ich ein ähnliches Gefühl von Desorientierung und Verlust sah, war bei meinen Freunden [in Russland] als die Sowjetunion zerbrach.” Der Zusammenbruch in Russland, die soziale Konterrevolution nach 1989 war das größte Schrumpfen der Produktivkräfte in der Geschichte in einem Land und übertraf selbst die der USA zwischen 1929 und 1933.
Die Strategen des Kapitals sind so desorientiert, dass sie selbst in den Werken von Marx und sogar dem früher verdammten Lenin Trost suchen. Die berühmte Aussage des letzteren, dass der Kapitalismus immer einen Ausweg finden kann, wurde von einem Ideologen des Kapitalismus in der Financial Times zustimmend zitiert! Dieser Kommentator vergaß hinzuzufügen, dass Lenin ergänzte, dass dies nur möglich sei durch unerträgliches, ungeheures Leiden der Arbeiterklasse, „auf den Knochen” der Arbeiterklasse und ihrer Organisationen, wie Trotzki schrieb. Zweifellos kann sich der Kapitalismus immer wieder festigen, wenn die Arbeiterklasse nicht einen Ausweg durch eine sozialistische Revolution sucht, wenn auch durch ein instabiles Gleichgewicht. Wie Trotzki zu Beginn der 30er Jahre bemerkte, konnte die Lage objektiv – was die Tiefe und das Tempo der Krise betraf – auf der ganzen Welt „mit einem gewissen Grad an Rechtfertigung“ vorrevolutionär genannt werden. Dies war so unter der Bedingung, dass darunter einer Ära verstanden wurde, die mehrere Jahre „von teilweisen Ebben und Fluten“ umfasste, die zwischen einer vorrevolutionären und einer direkt revolutionären Lage verstreichen können. Die Lage des Weltkapitalismus gegenwärtig enthält Elemente einer vorrevolutionären Lage.
Wie das CWI argumentiert hat, wird diese Krise einen lang gezogenen Charakter annehmen; es ist nicht nur eine Krise, sondern eine Reihe von Krisen. Sie hat schon extreme Währungsinstabilität gebracht, ein massives Anhäufen von Staatsschulden – „Diebstahl zwischen den Generation“, wie es der rechte republikanische Präsidentschaftskandidat McCain genannt hat – und riesige Probleme für den Kapitalismus, die letztlich nur durch einen direkten Angriff auf den Lebensstandard der Arbeiterklasse gelöst werden können. Aber die vergangene Periode des neoliberalen Kapitalismus, der sich über drei Jahrzehnte hinweg entwickelte, bestimmt vorerst die Prozesse nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Politik und dem Bewusstsein der Arbeiterklasse. Alles, was den Erfolg des Kapitalismus garantierte, verwandelt sich jetzt in sein Gegenteil. Die Globalisierung hat eine Periode der „Entglobalisierung“ eingeläutet. Die massive Ausdehnung des Welthandels mit einer Verringerung von Zollschranken und einer gewissen Überwindung des Nationalstaats heizten den Boom an. Jetzt hat sich das in einem neuen wirtschaftlichen Kontext in Protektionismus und einen unglaublichen Zusammenbruch im Welthandel verwandelt – auf dem Rücken eines Schrumpfens der Weltwirtschaft, das vom IWF auf zwischen 0.5 Prozent und 2 Prozent in diesem Jahr ge- oder unterschätzt wird. Dies allein bedeutet, dass die Krise schlimmer als irgendeine seit den 30er Jahren ist. Nach der Krise 1973-75 konnten wir sehen, dass diese Krise nicht zu einem tatsächlichen Fall in der Weltproduktion führte, sondern zu einer starken Verlangsamung der Wachstumsrate. Trotz aller Bitten des IWF und der frommen Versprechen, die auf dem letzten G20-Gipfel gemacht wurden oder im April gemacht werden, ist Protektionismus unausweichlich. Die kapitalistischen „Führer sprechen global [aber] denken national”, war der Kommentar eines Wirtschafts“experten“ über das bevorstehende G20-Treffen. Der Protektionismus wird vielleicht nicht das Ausmaß wie nach der Einführung des Smoot-Hawley-Gesetzes haben, das allein in den USA Zölle für über 20.000 Waren erhöhte, aber er ist schon beträchtlich. Angeführt von Britannien haben europäische Regierungen mit einander konkurriert, um ihre eigenen Bankanleger zu retten, Subventionen für Not leidende Branchen, zum Beispiel die Autoindustrie, einzuführen. Dies hatte schon eine katastrophale Wirkung auf die am meisten vom Welthandel Abhängigen – besonders in der verarbeitenden Industrie – wie Japan, Deutschland, China und die industrialisierten Länder Asiens.
Können Konjunkturpakete funktionieren?
Wie lang kann die Krise dauern und kann das Obama-Regime mit seinen Konjunkturpaketen den Weltkapitalismus retten? Der Weltkapitalismus und seine ernsthaftesten Vertreter geben bezüglich der Perspektiven offen zu, dass sie verwirrt sind, unsicher und nicht voraussehen, was wahrscheinlich an der wirtschaftlichen Front geschehen wird. Daher können die bewusstesten Elemente in der Arbeiterbewegung, die MarxistInnen, keine definitiven Antworten geben. Die Konjunkturpakete der verschiedenen weltkapitalistischen Regierungen werden auf etwa 2 Prozent des Welt-BIP geschätzt. In Europa sind es gegenwärtig 0,85 Prozent, wobei weitere 2,1 Prozent verfügbar sind in ausgedehnten Kreditlinien und anderen Garantien. In den USA war das vom Kongress verabschiedete Konjunkturprogramm 787 Milliarden Dollar (5,6 Prozent des BIP) wert und die Hypothekenhilfen und Garantien für Fannie Mae und Freddie Mac machen zusammen weitere 275 Milliarden Dollar aus. Diese werden zu einem geplanten Haushaltsdefizit von 1,75 Billionen Dollar oder 12,3 Prozent des BIP führen! In Britannien wird sich eines der größten Konjunkturprogramme abgesehen von China (in Prozent des BIP gemessen) – die jüngste „quantitative Lockerung“ der Bank von England –, wenn es eingeführt wird, auf 5 Prozent des BIP belaufen, eine Summe von 150 Milliarden £ (etwa 170 Milliarden Euro). Dies ist ein Zeichen für die verzweifelten Bemühungen des Kapitalismus, seiner Ideologen und Parteien, die Wirkungen dieses Zusammenbruchs zu vermeiden oder abzumildern.
Das Finanzsystem – besonders die Banken – liegt im ganzen Weltkapitalismus in Trümmern. Zweifellos war ihr erster und sichtbarster Ausdruck, auf das „angelsächsische“ Modell des Kapitalismus einzufallen, besonders die USA und Britannien. In diesen Ländern wurde der Prozess der „Finanzialisierung“ am weitesten getrieben. Jetzt sind dort die schlimmsten Folgen lokalisiert. Die Banken in Britannien und den USA – oder auch anderswo in der kapitalistischen Welt – sind gegenwärtig technisch insolvent. Sie sind praktisch „Zombiebanken“. Dies ist so, obwohl die Mehrheitskontrolle im Großteil des Bankensektors in Britannien vom Staat ausgeübt wird. Praktisch ist das auch in den USA so. Aber sowohl Brown als auch Obama wehren sich gegen die Idee, das „Zombietum“ der Banken, wie es Paul Krugman, der keynesianische kapitalistische Ökonom nennt, zu beenden. Dies hat Gründe, die wir früher skizziert haben. Volle Verstaatlichung würde ein offenes Zugeständnis des Bankrotts des „Privatunternehmertums“ darstellen. Aber selbst rechte Anhänger des Systems, wie James Baker, der Finanzminister des ersten George Bush, und der frühere Wirtschaftsguru Alan Greenspan befürworten jetzt „vorübergehende Verstaatlichung“. Selbst die Keynesianer halten Verstaatlichung für eine „kurzfristige Maßnahme“, bedauerlich aber unvermeidlich, notwendig zur Rettung des Systems, so wie es die schwedische Regierung im kleineren Maßstab in den frühen 1990ern machte. Sie sind so scharf darauf, diese Lösung dem Obama-Regime aufzudrängen, dass Keynesianer wie Krugman versuchen, den Begriff „Verstaatlichung“ fallen zu lassen und es als „Vorprivatisierung“ beschreiben: erst eine staatliche Übernahme, dann ihre Rückgabe an die Finanzverbrecher, die sie ursprünglich ruiniert hatten. Trotz all ihrem Zögern könnte, wenn sich die Krise vertieft – drei Monate lang sind die Arbeitslosenzahlen in den USA um 600.000 pro Monat gestiegen, die schlimmsten Zahlen seit 1945 –, der Druck für eine staatliche Übernahme des Finanzsystems für die Kapitalisten unaufhaltsam werden. Gleichzeitig müssen wir die Notwendigkeit demokratischer und sozialistischer Kontrolle und Verwaltung bei Staatsübernahmen betonen, wie wir es in dem Artikel zum Übergangsprogramm in „Socialism Today“ und auf der CWI-Website betonten.
Können Obamas Maßnahmen – und die von Brown und anderen kapitalistischen Regierungen – Erfolg haben bei ihrem Ziel, erst den die Krise des Weltkapitalismus abzufedern und dann die Grundlage für eine Wiederbelebung zu schaffen? Das Ankurbeln der Notenpresse soll eine Deflationsfalle vermeiden, die Keynes als das „Paradox der Sparsamkeit” beschrieb. Zinsen sind annähernd oder praktisch Null, was dazu führt, dass die Banken zögern, Geld zu verleihen, Kreditnehmer zögern, Kredite aufzunehmen und Anleger zögern, Geld anzulegen. Das Problem für den Kapitalismus in der Krise ist nicht so sehr Kredit – es gibt praktisch einen „Kreditstreik“ der Banken – sondern einen Mangel an „Nachfrage“, worauf viele prokapitalistische Ökonomen hinweisen. Was ist das, wenn nicht ein Ausdruck des Phänomens der „Überproduktion“ – die in vorkapitalistischen Epochen eine Absurdität gewesen wäre, wie Marx betonte. Die herrschenden Klassen Europas, zuerst Deutschland und Japan, griffen das „angelsächsische Modell“ der Finanzialisierung als verantwortlich für die Krise an – und glaubten, sie seien immun gegen den Abschwung. Aber in Wirklichkeit war die Überproduktionskrise, die wir gegenwärtig erleben, unabhängig von der Finanzkrise unvermeidlich. Die tödliche Verbindung von Finanzkrise und Krise in der „Realwirtschaft“ führte nur zur Verstärkung, Verlängerung und Vertiefung dieser organischen Krise des Kapitalismus. Überproduktion von Kapital, der Arbeiterklasse, und jetzt zunehmend der Mittelschicht kommt in dieser Krise zum Ausdruck. Es ist unwahrscheinlich, dass die Maßnahmen der kapitalistischen Regierungen zur „Stimulierung“ der Wirtschaft vollen Erfolg haben werden. Es ist nicht ausgeschlossen, es ist in der Tat wahrscheinlich, dass Obama es schaffen wird, die US-Wirtschaft in gewissem Maße abzupolstern; ähnliches gilt für Brown in Britannien. Wir müssen den Vorbehalt hinzufügen, dass die gegenwärtige Lage in ihrem Ausmaß, ihrer Tiefe und ihrem Tempo einmalig ist. Die ergriffenen oder vorgeschlagenen Maßnahmen sind beispiellos, selbst wenn man sie an dem Maßstab der 1930er Jahre misst. Nie in der Geschichte – nicht einmal in den 1930er Jahren – haben die Kapitalisten so verzweifelt versucht, die Krise in einer Weise abzufangen, wie sie es gegenwärtig versuchen.
Auswirkungen auf China
Wie wir im Voraus argumentiert haben, kann China dem Weltkapitalismus keine Rettungsleine liefern. Die Beziehung zwischen den USA und China war auf wirtschaftlicher Ebene eine Variante von „gegenseitig gesicherter Zerstörung“ („Mutually Assured Destruction“ [die Abkürzung MAD heißt zugleich „verrückt“ – der Übersetzer]), ein Ausdruck, der in der Vergangenheit genutzt wurde, um die militärische Beziehung zwischen Kapitalismus und Stalinismus zu beschreiben. Die Annahme von Wertpapieren in Dollar als Bezahlung für chinesische Exporte in die USA – im Wert von 1.600 Dollar für jeden und jede chinesische BürgerIn – stopfte die US-Handelsbilanz und garantierte einen Markt für chinesische Waren. China steht jetzt jedoch laut dem „Independent“ in London „vor seiner schlimmsten Finanzkrise in hundert Jahren”. Gleichzeitig wird die chinesische Wirtschaft laut IWF viel weniger wachsen als die von den chinesischen Behörden vorausgesagten 8 Prozent. Tausende Betriebe sind zusammengebrochen und ausländische Direktinvestitionen fallen, trotz „Versicherungen von Regierungsseite, dass Schranken für Geldüberweisungen aus Übersee beseitigt werden” (International Herald Tribune). Der Betrag von US-Kapital, der im Januar und Februar in China investiert wurde, fiel um die Hälfte. Gleichzeitig nutzt China die Krise, um im Ausland zu investieren, indem es Industrien, besonders in Afrika und anderen Teilen der neokolonialen Welt, aufkauft.
Angesichts dessen, dass ihre Waren aus den USA und anderen Ländern herausgehalten werden, hat das Regime auf die Entwicklung eines Binnenmarktes orientiert. Zu diesem Zweck schlug es ein Konjunkturprogramm von mindestens 580 Milliarden Dollar vor, das „größte fiskalische Konjunkturprogramm, das die Welt je gesehen hat” (The Independent). Aber das steht auf dem Papier; es ist nicht klar, wie viel von dem Versprochenen nur recyceltes „altes Geld“ und was neu ist. Trotzdem gibt es gewissen Spielraum – vielleicht mehr Spielraum wegen der Rolle des Staats – die finanziellen Reserven einzusetzen und ein ziemlich großes Infrastrukturinvestitionsprogramm einzuführen. Das wird zwar nicht den Weltkapitalismus „retten“, könnte aber eine gewisse Wirkung bei der Milderung des Abschwungs in China haben. Dies wird wahrscheinlicher gemacht durch die Rolle des Staatssektors, die immer noch beträchtlich ist. Er ist viel größer als in jedem vergleichbaren Land selbst in Asien, wo der Staat immer noch eine gewisse Kontrolle ausübt, wie in Südkorea etc.
Die Frage, welche Anteile der Wirtschaft im Staats- oder im ‚Privatsektor’ verbleiben, ist immer noch ein Thema für Diskussion, auch unter bürgerlichen Kommentatoren. Zum Beispiel argumentiert Ya Schin Wang, einer der frühesten Kritiker von Chinas „Wirtschaftswunder“, in einem scharf geschriebenen Buch auf der Grundlage „von vielen Seiten neu enthüllter Finanzdaten”, dass das Land in den letzten 10 Jahren „weniger kapitalistisch und weniger wirtschaftlich frei” geworden sei. In der Tat argumentiert er: „In den frühen 1980er Jahren erdrosselte die Regierung wesentlich die aufkommenden Privatunternehmer, die sowohl mit Makrounternehmen in Staatseigentum als auch gigantischen Multinationalen Konzernen konkurrieren mussten.” Dies ist immer noch eine kontroverse Frage in unseren eigenen Reihen, aber es ist unbestreitbar, dass der Staat begonnen hat, sich sowohl nach innen als auch nach außen durchzusetzen – unter der direkten Peitsche dieser Krise, während der Privatsektor in tiefer Krise ist. Die Regierung und die privilegierten Eliten, auf die sie sich stützt, versuchen, einen Ausbruch von Volkszorn über den Anstieg der Arbeitslosigkeit, die enormen und wachsenden Ungleichheiten beim Reichtum etc. durch eine Mischung von „Kooptierung“ besonders der städtischen Mittelschicht und Unterdrückungsmaßnahmen zu verhindern. Dies wird wahrscheinlich nicht funktionieren, schon gar nicht mittel- und langfristig. Aber wir müssen die Entwicklung der chinesischen Wirtschaft und die soziale und politische Lage in ihrer Entwicklung verfolgen, wie es unsere GenossInnen gemacht haben.
Wut der Arbeiterklasse
Der Sturz der US-Wirtschaft ist so tief, dass selbst Obamas Umfragewerte, die ursprünglich in der Stratosphäre waren, sich zu ändern begonnen haben. Innerhalb von Monaten nach seinem Amtsantritt sind seine Werte in Wirtschaftsfragen und seine Popularität niedriger als die von George W. Bush in der entsprechenden Phase seiner Amtszeit! Dies ist ein Anzeichen für die extreme Instabilität, die diese Krise kennzeichnet. Sie macht es schwierig für die Kapitalisten und daher auch für uns, den wahrscheinlichen Gang der Ereignisse und die sozialen und politischen Wirkungen der Krise zu skizzieren. In vielen Ländern scheint die Krise trotz ihrer Schwere Teil einer Art „Scheinkrieg“ zu sein. Wenn die „Bomben“ in Form eines steilen Anstiegs der Arbeitslosigkeit einzuschlagen beginnen, wird es anders werden. Die Kapitalisten haben bewusst versucht, den Widerstand der Arbeiterklasse zu bremsen, indem sie lieber Löhne kürzen und Kurzarbeit einführen als ganze Fabriken, Betriebe und Branchen zu schließen. Es gibt auch das aus der vergangenen Periode geerbte Bewusstsein der Arbeiterklasse; viele glauben, die gegenwärtige Krise und ihre Entbehrungen dauern nur kurz, werden bald vorbei sein und wir können dann zur „Normalität“ zurückkehren. Aber die Krise hat schon Reaktionen auf Seiten der Arbeiterklasse hervorgerufen, besonders wenn die Kapitalistenklasse versuchte, vergangene Errungenschaften anzugreifen, wie in Irland, Frankreich, Italien und in kleinerem Maßstab anderen europäischen Ländern wie Belgien. Es war der Versuch die Gesundheitsleistungen, besonders für die Alten, zu untergraben, der Ende letzten Jahres Massendemonstrationen in Irland hervorrief, denen jetzt eine ungeheure Demonstration im Februar in Dublin und die Drohung eines Generalstreiks im März folgte, obwohl die Gewerkschaftsführer ihr bestes tun, diese Bewegung zum Entgleisen zu bringen. Wir erlebten dasselbe Phänomen in Frankreich mit einem kolossalen Streik im Januar und am 19. März, bei dem über drei Millionen an Demonstrationen teilnahmen. Sarkozy, der in den ersten Monaten dieses Jahres höhnte, dass Frankreich „immun“ gegen Streiks zu sein scheine, spricht jetzt erneut von der Gefahr eines neuen „1968“. Die Besetzung der Sorbonne-Studierenden könnte ein Vorbote des Kommenden sein, ebenso wie der Generalstreik in Guadeloupe und Martinique und seine Auswirkungen auf Französisch-Guayana.
Es gibt auch eine verallgemeinerte bittere Klassenfeindschaft gegen die, die als die Haupturheber der gegenwärtigen Krise gesehen werden, die Banker und Financiers. Dies wurde enorm verschärft durch die unglaubliche Arroganz der Banken und Versicherungen wie der AIG, die von der US-Regierung mit einem Betrag von 170 Milliarden Dollar gerettet wurde, und doch noch die Absicht hatte, 175 Millionen an Boni zu zahlen! Der Aufstand gegen AIG und die Banken halfen, Obama dazu zu bringen, eine 90 Prozent-Steuer auf „Mitarbeiterbindungsboni” für Banken, die Staatshilfe erhalten, zu akzeptieren. Dies wiederum brachte die Banken dazu, eine „Hexenjagd à la McCarthy“ und den Geruch von „Französischer Revolution“ und von Karren, die die Verurteilten zur Guillotine fahren anzuprangern! Dies spiegelt die Klassenpolarisierung wieder, die sich schon entwickelt hat und ist ein Vorgeschmack auf ein verallgemeinertes Gefühl von Opposition gegen das kapitalistische System und nicht nur einen Teilbereich davon, die in der nächsten Periode Gestalt annehmen wird. Eine Schicht junger Leute und ArbeiterInnen ziehen schon sozialistische und revolutionäre Schlussfolgerungen und bewegen sich auf das CWI zu. Eine andere Schicht beobachtet das CWI und seine nationalen Sektionen, manche von ihnen warten ab und schauen, ob unsere Prognose sich bestätigt oder nicht! Auf der Grundlage von Ereignissen und unserer Arbeit können und werden viele von ihnen unseren Reihen beitreten.
Frühere stalinistische Staaten brechen zusammen
Dies ist auch der Fall in den früheren stalinistischen Staaten Russlands und Osteuropas. Paradoxerweise ist die wirtschaftliche Implosion hier größer als fast überall, aber das Massenbewusstsein hinkt hier mehr als anderswo hinterher. Der „Gangsterkapitalismus” ist gescheitert, aber der „realdemokratische Kapitalismus” muss noch getestet werden, denken viele, selbst ArbeiterInnen. Diese rosigen Illusionen werden durch die tumultartigen Ereignisse erschüttert werden, die nicht nur in dieser Region, sondern auch anderswo bevorstehen. Der Aufstieg von Arbeitermassenparteien und besonders mächtigen marxistischen Kräften in Westeuropa, den USA, Japan und der neokolonialen Welt werden einen entscheidenden Einfluss darauf haben, das Erscheinungsbild der ArbeiterInnen zu verändern und den Weg für das Wachstum unserer Kräfte in dieser Region vorbereiten.
Gleichzeitig gab es spontane Wutausbrüche auf den Straßen Osteuropas und Russlands. Wir haben Demonstrationen in Lettland, Wladiwostok in Russland und anderswo gesehen, die angesichts der katastrophalen Verschlechterung der Stellung der Wirtschaften Osteuropas und Russlands selbst Vorboten einer noch größeren Massenbewegung sind. Eine Reihe von Ländern in Osteuropa stehen „am Rande des Abgrunds“: Ungarn, Rumänien, Ukraine und andere, ebenso wie Russland selbst. Es wird zum Beispiel erwartet, dass die Arbeitslosigkeit in Russland sich dieses Jahr praktisch verdoppeln wird, von 6,3 Prozent auf 12 Prozent. Obendrein stehen bei einer halben Million RussInnen Löhne aus und die Inflation liegt immer noch über 10 Prozent. Der europäische und weltweite Zusammenbruch des Automobilmarkts wird sich mit besonderer Schärfe auf die Länder Osteuropas und Russland selbst auswirken. Die Verlagerung von Autofabriken in die Region durch die multinationalen Autokonzerne zielte auf ein Überangebot an billigen Arbeitskräften, folglich höhere Profite und den Export von Autos in Länder Westeuropas, nach Japan und die USA ab. Nun, da der Markt zusammengebrochen ist, werden auch ganze von der Autoproduktion abhängige Regionen zusammenbrechen. Die russische Industrie für den Binnenmarkt wird auch betroffen sein. Zum Beispiel arbeiten in Togliatti an der Wolga 60 Prozent der Bevölkerung an der Lada-Produktion, deren Verkäufe zusammengebrochen sind. Die Mehrheit der Bevölkerung in der Stadt wird daher arbeitslos sein. Ein Moskauer Kommentator sagte, dass die gegenwärtige Krise viel schlimmer als 1998 sein wird und „die Lage ist schlimmer als am Beginn der 90er Jahre”. Um allem die Krone aufzusetzen hat die Forbes-Reichenliste gezeigt, dass die Zahl der russischen Milliardäre von 87 letztes Jahr auf 32 heute gefallen ist. Es verwundert wenig, dass der frühere Sowjetführer Gorbatschow – der selbst der Türöffner für die Einführung des Kapitalismus in Russland war – jetzt erklärt, dass das „Beste von Sozialismus und Kapitalismus” der Weg vorwärts sei. Das war praktisch sein ursprüngliches Programm für einen „reformierten Stalinismus“, als er 1985 an die Macht kam. Osteuropa und Russland werden in der nächsten Periode ein paar der schlimmsten Beispiele für „hoffnungslose Fälle“ für den Kapitalismus liefern.
Auswirkungen des Zusammenbruchs osteuropäischer Regimes
Die Auswirkungen des Zusammenbruchs einer Reihe von Regimes in Osteuropa, wie Ungarn, sind ernsthaft. Seine möglichen Auswirkungen auf die Banken von Schlüsselländern von Westeuropa sind schwerwiegend. Zum Beispiel droht Österreich einen ähnlichen Zusammenbruch wie 1931 zu erleben, wenn in dieser Krise Länder des Baltikums und Osteuropas Konkurs gehen, was möglich ist. Österreichs Banken haben hohe Kredite vergeben – mit massiven ausstehenden Schulden – ebenso wie das schwedische Bankensystem. Österreichische und italienische Banken sind am meisten gefährdet. Österreichische Bankkredite an osteuropäische Länder sind heute fast so hoch wie 70 Prozent von Österreichs BIP. Dies bedeutet, dass sowohl Italien als auch Österreich nicht in der Lage sind, sich ein Rettungspaket für ihre eigenen Banken leisten zu könne, und verzweifelt um ein EU-„Paket“ bitten, um sie zu retten. Tatsächlich ist Europa mehr als selbst die USA der „sub-prime-Krise“ ausgesetzt. Die Lage in Russland ist dieselbe. Dreizehn Länder, die einst Teil der „Sowjetunion“ waren, hatten 2008 zusammen eine Schuld von mehr als einer Billion Dollar an ausländische Banken in ausländischen Währungen angesammelt. Etwas davon, ein knickriger Betrag, wurde investiert, aber das meiste davon ging, wie in den USA, in Konsum und Immobilien. Die „International Herald Tribune“ drückte die Sorge der europäischen herrschenden Klasse aus: „Die Schuldenkrise in Osteuropa ist viel mehr als ein wirtschaftliches Problem. Der Niedergang im Lebensstandard, die durch diese Krise verursacht werden, rufen soziale Unruhe hervor. Amerikanische sub-prime-Schuldner, denen ihre Wohnungen zwangsversteigert wurden, randalieren nicht – zumindest noch nicht – in den Straßen. ArbeiterInnen in Osteuropa tun es. Die Wurzeln der Demokratie in der Region sind nicht tief und das Gespenst eines rechten Nationalismus bleibt eine Bedrohung.”
Dies unterstreicht plastisch, wie die Integration des Kapitalismus – auf einem beispiellosen Niveau, selbst im Vergleich zur Periode vor dem Ersten Weltkrieg – bedeutet, dass die Krise in einem Sektor oder einer Region eine Reihe von wirtschaftlichen Zusammenbrüchen in anderen auslösen kann. Wir sahen dies in den 30er Jahren mit dem Bankrott und der Zahlungsunfähigkeit oder Beinahe-Zahlungsunfähigkeit vieler Länder in Europa und in der neokolonialen Welt, besonders Lateinamerika, beim Schuldendienst als Ergebnis der Auswirkungen der tiefen Krise. Etwas Ähnliches ist in dieser Periode wahrscheinlich. Das BIP in Lettland schrumpfte um 4.6 Prozent letztes Jahr. Und es wird erwartet, dass es 2009 um weitere 12 Prozent fällt! Die Arbeitslosigkeit hat 10 Prozent übertroffen, was eine Periode von „Instabilität” ankündigt, die sicher „Raum für einen populistischen Führer schaffen wird” (Financial Times). Dies ist die Umschreibung für die Parteien der extremen Rechten, die in Ungarn, Lettland und anderen osteuropäischen Ländern zu wachsen begonnen haben. Diese Länder werden wahrscheinlich zusammen mit Irland, Spanien, Griechenland und Portugal in der nächsten Periode die schärfsten Abschwünge erleben.