DIE LINKE und der Pluralismus

26.4.: Bundesschiedskommission tagt über Mitgliedschaft von Lucy Redler und Sascha Stanicic


 

Folgenden Brief haben Lucy Redler und Sascha Stanicic an Kreisverbände und Gremien der Partei DIE LINKE gerichtet:

Berlin, 21.4.2009

Liebe Genossinnen und Genossen,

am 26. April wird die Bundesschiedskommission beraten, ob wir, Lucy Redler und Sascha Stanicic, Mitglieder der Partei DIE LINKE werden. Dies wird sicher gleich bedeutend sein für die später zu erwartende Entscheidung über die Mitgliedschaft neun weiterer SAV"lerInnen aus Berlin.

Klaus Ernst und andere hatten Einspruch gegen unsere Mitgliedschaft eingelegt und die Berliner Landesschiedskommission hatte diese Einsprüche bestätigt. Wir sind der Überzeugung, dass es sich dabei um den Versuch handelt, prominente KritikerInnen der Regierungsbeteiligung des Berliner Landesverbandes im so genannten rot-roten Senat aus der Partei auszugrenzen. Das widerspricht dem offenen, pluralen und demokratischen Anspruch, den DIE LINKE in ihrer Satzung festgeschrieben hat

Die Entscheidung der Landesschiedskommission basiert auf einer Prognose. Wir wurden also verurteilt, weil man von uns eine bestimmte Verhaltensweise in der Zukunft erwartet, obwohl wir diese Prognose zurück weisen. Dafür wurde die eigenständige Kandidatur des Berliner WASG-Landesverbandes zu den Abgeordnetenhauswahlen 2006 heran gezogen. Diese Kandidatur basierte auf mehrmaligen demokratischen Entscheidungen des Landesverbandes bei Parteitagen und in einer Urabstimmung. Entgegen der üblichen Praxis, dass landespolitische Fragen von den Landesverbänden autonom entschieden werden, hatte der WASG-Bundesparteitag damals die Berliner WASG aufgefordert, nicht anzutreten. Dieser Aufforderung wurde nicht nachgekommen, weil die Berliner Mitglieder der Meinung waren, dass diese Frage durch den Landesverband zu entscheiden ist.

Daraus leiten Klaus Ernst und die Landesschiedskommission nun ab, dass wir in der Zukunft nicht bereit sein werden, Parteitagsbeschlüsse zu respektieren. Dies gilt jedoch nur für uns, viele andere Mitglieder der WASG Berlin inklusive einiger SAV"lerInnen wurden ohne Widerspruch in die Partei aufgenommen. Auch viele WASG-Mitglieder aus anderen Bundesländern, die die Kandidatur der Berliner WASG im Jahr 2006 aktiv unterstützt haben, bekleiden heute verschiedene Positionen in der neuen Partei. Hier wird also offensichtlich mit zweierlei Maß gemessen.

Die Auseinandersetzung um unsere Mitgliedschaft hat aber eine neue politische Dimension durch die Begründung der Entscheidung der Landesschiedskommission erhalten. Darin heißt es: „Die Linkspartei kann und muss von ihren Mitgliedern auch eine Loyalität gegenüber demokratisch zustande gekommenen Entscheidungen verlangen. Dies gilt auch, wenn das jenige Mitglied, welches in einem Entscheidungsprozeß mit seiner Meinung unterlegen war, sehr wohl auch gehalten ist, die demokratisch zustande gekommenen Mehrheitsbeschlüsse nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern auch mit durchzusetzen.“

Was bedeutet diese Aussage konkret? Sie bedeutet zum Beispiel, dass ein Mitglied der Partei DIE LINKE sich nicht nur nicht öffentlich gegen Landesparteitagsbeschlüsse äußern darf, sondern von ihm erwartet wird, diese „mit durchzusetzen“. Wenn also der Landesparteitag der Berliner LINKEn, die Politik des Berliner Senats per Beschluss unterstützt, so muss jedes Mitglied der Partei in Berlin darauf verzichten die Umsetzung von Ein-Euro-Jobs in Berliner Bezirken, die Privatisierung von Wohnraum, Arbeitsplatzvernichtung und Lohnkürzungen im öffentlichen Dienst, Kürzung des Blindengelds, Abschaffung der Lehrmittelfreiheit etc. öffentlich zu kritisieren und dürfte auch an keiner Demonstration dagegen teilnehmen.

Wenn sich ein solches Parteiverständnis in der LINKEn durchsetzt, werden die Führungen und Schiedskommissionen die Möglichkeit haben, jedem Kritiker und jeder Kritikerin parteischädigendes Verhalten nachzuweisen, wenn man nur einmal laut in der Öffentlichkeit nachgedacht hat oder sich geweigert hat Flugblätter zu verteilen, in denen die Berliner Senatspolitik verteidigt wird.

Die Satzung spricht aber eine andere Sprache, als die Berliner Landesschiedskommission. Sie verlangt Respekt vor Parteibeschlüssen, aber keinen Zwang zur Umsetzung oder Verzicht auf öffentliche Kritik. Im Gegenteil sieht §4 Abs.2 der Satzung vor, dass jedes Mitglied das Recht hat „an der Meinungs- und Willensbildung mitzuwirken, sich über alle Parteiangelegenheiten zu informieren und zu diesen ungehindert Stellung zu nehmen“.

Hier ist nicht die Rede davon, dass diese Stellungnahmen nur vor Beschlussfassungen oder nur parteiintern möglich sind. Im selben Paragraphen wird außerdem unterschieden zwischen der Pflicht die Grundsätze der Partei zu vertreten und der Pflicht die gefassten Beschlüsse zu respektieren. Nun mag man sich über die Definition des Wortes „respektieren“ streiten können. Es bedeutet aber ganz sicher nicht „umsetzen“, „öffentlich vertreten“ oder „nicht kritisieren“. Respekt bedeutet gefasste Beschlüsse anzuerkennen und sich politisch (und das beinhaltet die Fortsetzung der Debatte, auch öffentlich, und ggf. auch die Teilnahme an außerparlamentarischer Opposition gegen Beschlüsse, die einen unsozialen Charakter haben) damit auseinanderzusetzen, aber zum Beispiel darauf zu verzichten, die Umsetzung durch Störung, Sabotage oder ähnlichem zu verhindern.

Viele Mitglieder und Gliederungen der Partei und des Jugendverbandes haben gegen diese Ausgrenzungsversuche protestiert. Darunter die Landesparteitage Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg, der Landesvorstand NRW, Linksjugend["solid]-Landesvollversammlungen in NRW, Baden-Württemberg und Bayern.

Wir möchten Euch bitten vor der Sitzung der Bundesschiedskommission ( schiedskommission@die-linke.de ) dieser gegenüber noch einmal deutlich zu machen, dass ihre Entscheidung eine weit größere Bedeutung hat, als zwei Mitglieder aufzunehmen oder nicht. Sie wird Einfluss auf den Pluralismus und die innerparteiliche Demokratie haben. Wir bitten Euch, uns zu unterstützen und die Bundesschiedskommission aufzufordern, die Entscheidung der Berliner Landesschiedskommission aufzuheben.

Eine Dokumentation dieses Falls findet Ihr hier: www.archiv.sozialismus.info/?swid=136

Mit sozialistischen Grüßen

Lucy Redler

Sascha Stanicic