300 TeilnehmerInnen begeistert
„Ich fühle mich hier richtig wohl” – mit diesen Worten begann der bayrische Landessprecher der LINKEn, Franc Zega, seine Stellungnahme auf einer der größten Podiumsdiskussionen, die im Rahmen der Sozialismustage 2009 stattfanden.
von Redaktion sozialismus.info
In zwanzig Veranstaltungen wurden so unterschiedliche Themen wie die Lage in der Automobilindustrie, das zwanzigjährige Jubiläum des Herbstes 1989 in der DDR, marxistische Wirtschaftstheorie, die Lage in China und viele weitere diskutiert.
Auch an Höhepunkten mangelte es nicht. Dazu gehörten zweifellos die Beiträge des chinesischen Marxisten Huang Qi-chang, der über die Oppositionsbewegungen gegen die von der KP Chinas betriebene kapitalistische Politik berichtete und die Debatte zwischen Elmar Altvater, emeritierter Professor an der Freien Universität Berlin und Autor zahlreicher ökonomischer Schriften mit marxistischem Anspruch und dem marxistischen Ökonomen und Journalisten Lynn Walsh, der auch dem Internationalen Sekretariat des Komitees für eine Arbeiterinternationale angehört. Und sicher gehörte für viele der jungen TeilnehmerInnen auch das Konzert des sozialistischen „Agit-Rappers“ Holger Burner im Rahmen der Party am Samstag Abend zu einem der Highlights.
Aber das Wochenende lebte vor allem von der regen Beteiligung der vielen TeilnehmerInnen, die ihre Meinungen und Erfahrungen in die Diskussion einbrachten. Über zwanzig Städte aus Deutschland waren vertreten und internationale Gäste waren aus England, Polen, Österreich, China, Belgien und Griechenland angereist. Darunter war das italienische Mitglied der Rifondazione Comunista Christel Dicembre und die griechische Studierendenaktivistin Anna Kleitsa. Beide berichteten von den Massenbewegungen und den linken Parteien in ihren Ländern.
Das Motto des Wochenendes war “Marx is back” und die Ideen des Begründers des wissenschaftlichen Sozialismus zogen sich wie ein roter Faden durch alle Veranstaltungen – und zwar nicht nur seine ökonomischen Analysen, die mittlerweile auch wieder von vielen Vertretern der Marktwirtschaft als lehrreich bzw. zutreffend angesehen werden, sondern vor allem auch seine Ideen des Klassenkampfes und der sozialistischen Veränderung der Gesellschaft.
Gesellschaft verändern, aktiv werden, sich einmischen und für die eigenen Interessen kämpfen – das war die Aufforderung, die von den Sozialismustagen ausging. 13 TeilnehmerInnen aus acht verschiedenen Städten beantworteten diese Aufforderung noch während der Veranstaltung mit ihrem Eintritt in die SAV. Viele weitere erklärten, dass sie weiter mit der SAV zusammen arbeiten wollen und sich diesen Schritt ernsthaft überlegen.
Debatte zur LINKEn
Samstag Abend fand eine Podiumsdiskussion mit Lucy Redler und Franc Zega statt. Der für das Podium ebenfalls angekündigte Bundestagsabgeordnete der LINKEn, Hüseyin Aydin, hatte kurzfristig aus persönlichen Gründen abgesagt. So entwickelte sich weniger eine kontroverse Debatte, als eine Debatte über den Zustand der LINKEn und die Frage, wie sozialistische Positionen in der Partei durchgesetzt werden können.
Es war deutlich, dass mit Redler und Zega zwei Personen debattierten, denen es um die Inhalte geht und nicht um Pöstchen und Karriere. Lucy Redler erklärte, dass die Führung der LINKEn angesichts der kapitalistischen Krise keine adäquaten politischen Antworten formuliert. Statt einer Forcierung des sozialistischen Anspruchs der Partei, werde das Programm verwässert und MarxistInnen ausgegrenzt. Zega sagte deutlich, dass es ein Unding sei, dass SozialistInnen wie die Berliner SAV-Mitglieder nicht in die Partei hinein gelassen werden. Inhaltlich pflichtete er Redler bei und sagte, dass “Rosa Luxemburg heute dasselbe gesagt hätte”.
Zega eroberte die Herzen der TeilnehmerInnen im Sturm, als er ausrief, dass man in den Wahlkämpfen klar und deutlich sagen müsse, was man will, anstatt rumzueiern: einen anderen Staat, eine sozialistische Gesellschaft. Er beklagte, dass in der Partei die Zahl derjenigen, die dies wollen zurück gegangen sei, für ihn ein Abrücken von dieser Zielsetzung aber nicht in Frage komme. Auch die vielen Mitglieder der Linksjugend[‘solid] im Saal fühlten sich angesprochen, als er betonte, dass der Jugend in der Partei mehr Respekt entgegen gebracht werden müsse, denn schließlich sei die Jugend die Zukunft. In Bezug auf alle großen Revolutionen erklärte er, dass es immer die zwanzig- bis 35-jährigen waren, die in der ersten Reihe gekämpft haben und deren Blut floss.
Die Frage, ob in der LINKEn angesichts des mächtigen bürokratischen Apparates und der Macht der Parlamentsfraktionen noch Veränderungen möglich sind, wurde von den BesucherInnen kontrovers diskutiert. Bis auf einige wenige, war man sich aber einig, dass der Kampf darum geführt werden müsse, um die oppositionellen und sozialistischen Kräfte zu sammeln, die in der Partei den einzigen Ansatzpunkt für eine linke Politik sehen und die Millionen WählerInnen und hunderttausenden potenziellen Mitglieder nicht einfach den Gysis und Ramelows überlassen kann.
Lucy Redler hatte von einem Besucher ein T-Shirt mit der Aufschrift "wider den tierischen Ernst" geschenkt bekommen. In diesem Sinne wird das Eintreten für eine plurale und sozialistische LINKE weiter gehen. Mit Blick auf die derzeitigen Entwicklungen in der Partei und der Notwendigkeit die Partei zu verändern sagte Redler: „Eine andere Partei ist möglich, eine sozialistische Partei ist nötig. Eine partei wider den tierischen Ernst und frecher als Oskar!“
Wie weiter nach dem 28. März?
Bei der Abschlussveranstaltung wurde die Frage diskutiert, wie eine Bewegung gegen das Abwälzen der Krisenkosten auf die Masse der Bevölkerung aufgebaut werden kann. Auf dem Podium saßen der verdi-Jugendsekretär aus Weser-Ems, David Matrai, der Aktivist der Antifaschistischen Linken Berlin, Tim Laumeier, Michael Prütz vom Berliner Bündnis für die Demonstration am 28. März und Tinette Schnatterer, Mitglied des LandessprecherInnenrates der Linksjugend[‘solid] aus Baden-Württemberg und auch Mitglied im SAV-Bundesvorstand.
Die lebhafte Diskussion machte deutlich, dass der 28. März nicht mehr als ein Auftakt für weiteren Widerstand gewesen sein kann. Michael Prütz schlug in seinem Statement einen dezentralen Aktionstag im September während der Arbeitszeit vor, als einen Schritt politische Streiks auf betrieblicher und lokaler Ebene umzusetzen und bundesweit zu vernetzen. Dieser Gedanke wurde von anderen DiskussionsteilnehmerInnen positiv aufgegriffen.
Tinette Schnatterer sprach sich dafür aus, anstehende Proteste wie die Arbeitsniederlegungen in Stuttgart am 13. Mai, die Großdemo des DGB am 16. Mai und den Bildungsstreik am 17. Juni zu nutzen, um den Druck auf die Gewerkschaftsführungen zu erhöhen, einen eintägigen Generalstreik als nächsten Kampfschritt vorzubereiten und durchzuführen.
David Matrai betonte, dass angesichts der Krise eine radikale Kapitalismuskritik nötig sei, wie sie beispielweise in den acht Thesen der verdi-Jugend formuliert sind. Er verwies zudem auf die steigende Bedeutung betrieblicher Konflikte gegen Massenentlassungen und sprach sich gegen Zugeständnisse an die Arbeitgeber aus, die zu einer Schwächung des Widerstands führen würden. Um Kämpfe zu gewinnen würden Betriebsbesetzungen und die Eigentumsfrage an Bedeutung gewinnen.
Ein GEW-Mitglied berichtete von einem Randtreffen der bei den Sozialismustagen anwesenden GEW-Mitglieder, die beim anstehenden GEW-Bundesgewerkschaftstag einen Antrag zur Unterstützung des für Mitte Mai geplanten Bildungsstreiks auf den Weg bringen wollen, der auch beinhalten soll, dass LehrerInnen zur Arbeitsniederlegung aufgerufen werden sollen.
Die Notwendigkeit und Bedeutung eines Generalstreiks stand im Mittelpunkt vieler Beiträge. Diese Forderung sollte nach Ansicht der SAV von den OrganisatorInnen der Demonstrationen am 28.März massiv auf der DGB-Demonstration am 16. Mai vorgebracht werden.
Debatte über Planwirtschaft
Die Krise zeige, dass der Kapitalismus überwunden werden müsse. Mit dieser These waren fast alle TeilnehmerInnen einverstanden. Wie jedoch eine andere, nichtkapitalistische Gesellschaft aussehen kann und wie deren Wirtschaft organisiert sein könnte, war die Frage, zu der der britische Marxist Lynn Walsh und Elmar Altvater debattierten. Altvater stellte seine Thesen einer ‘solidarischen Ökonomie’ vor , in der ‘es unterschiedliche Eigentums- und Regulierungsformen gibt, die nicht dem Profitprinzip verpflichtet sind.” Die dazu adäquate Eigentumsform seien Genossenschaften. In Altvaters Argumentation blieb weitgehend offen, welche Rolle er dabei dem Markt zukommen lässt. Walsh hingegen argumentierte deutlich dafür, dass eine Überwindung des Kapitalismus ökonomisch die Überführung der entscheidenden Wirtschaftsbereiche in öffentliches Eigentum und eine demokratische Wirtschaftsplanung voraus setze. Er betonte auch, dass diese Frage nicht von der Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse zu trennen ist. Genossenschaften könnten zwar auch in einer Planwirtschaft existieren, aber nicht als entscheidende und dominierende Eigentumsform. Nachdem viele Fragen an Elmar Altvater gerichtet wurden, in denen unter anderem die Genossenschafts-Konzeption angezweifelt wurde, gestand er zu, dass zum notwendigen ökologischen Umbau der Wirtschaft ‘staatliche Vorgaben im demokratischen Sinne’ wichtig seien und der Staat auch in seiner Vorstellung einer solidarischen Ökonomie eine zentrale Rolle spiele. Wie dieser Staat jedoch aussehen solle, führte er nicht aus. Walsh hingegen erklärte, dass eine Planwirtschaft im Interesse der Masse der Bevölkerung einen demokratischen Arbeiterstaat zur Voraussetzung habe, in dem – anders als in den stalinistischen Diktaturen in der DDR und Sowjetunion – keine Parteibürokratie die politische Macht okkupiert und mit Privilegien ausgestattet abgehoben von der Masse der Bevölkerung herrscht. Jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit von Funktionären und die Begrenzung von deren Einkommen auf einen durchschnittlichen Facharbeiterlohn sind dazu wichtige Bedingungen.
Bilanz und Ausblick
Die Sozialismustage waren wieder einmal eine ‘Tankstelle für marxistische Ideen’. Die Begeisterung für diese Ideen war groß und ebenso groß war der Wille, aus diesen Ideen eine materielle Kraft zu machen. Die Krise des Weltkapitalismus wird dazu in den nächsten Monaten und Jahren viele Gelegenheiten geben. Die Sozialismustage waren auch eine Vorbereitung auf diese Gelegenheiten.