Nordirland: Besetzung der Visteon-Fabrik in Belfast

Nach einer Woche kämpft die Belegschaft entschlossen weiter.


 

Auch nach gut einer Woche wird die Besetzung der Visteon-Fabrik im Westen von Belfast fest entschlossen weitergeführt. Unterdessen schmücken Transparente das Werksgelände, auf denen FORD dafür angegriffen wird, die Visteon/Ford-ArbeiterInnen betrogen zu haben. Vom Dach der Fabrik wehen jetzt die Fahnen von UNITE (2007 aus der Fusion von AMICUS, der Maschinenbaugewerkschaft, und der Transportarbeitergewerkschaft T&G entstandene Gewerkschaft; Anm. d. Übers.).

von Peter Hadden, Socialist Party (Schwesterorganisation von SAV in Nordirland)

Es wurde ein 24-Stunden-Schichtplan aufgestellt, um die Besetzung rund um die Uhr zu gewährleisten. Kohlegrills wurden beschafft und Zelte aufgestellt, da die ArbeiterInnen sich für den Fall vorbereiten, dass ein langer Atem vonnöten sein wird.

Überwältigende Unterstützung kommt von Seiten der BewohnerInnen aus dem Viertel und aus der ganzen Stadt. In einer Woche, in der in Nordirland 1500 Entlassungen im verarbeitenden Gewerbe angekündigt worden sind, müssen die Menschen aus der Arbeiterklasse nicht groß davon überzeugt werden, dass Kampf nötig ist, um Arbeitsplätze und Qualifikationen zu verteidigen.

Rob Williams, Organisator der Aktionen bei der Fabrik in Swansea, die bis vor kurzem noch zu Visteon gehörte, besuchte am Wochenende die Produktionsstätte in Belfast und wurde von allen ArbeiterInnen stürmisch empfangen. Freitagnacht standen sie an beiden Seiten des Fabriktors und applaudierten seiner Ankunft zu. Dasselbe taten sie, als er Sonntag wieder abfuhr.

Mehrfach wurden Treffen organisiert, so dass Rob und die örtlichen Betriebsräte und Vertrauensleute ihre Botschaft unter allen ArbeiterInnen verbreiten konnten. Der größte Applaus am ersten Abend brandete auf, als Rob sagte, dass die UNITE-Landesvorstände einen Hinweis an die FORD-ArbeiterInnen herausgeben sollten, Teile anderer Zulieferer zu schwärzen und als er hinzufügte: „Tony Woodley (Vorsitzender von UNITE; Erg. d. Übers.) sollte Gordon Brown anrufen und ihm sagen, dass – wenn als Ergebnis davon auch nur einem Arbeiter ein Haar gekrümmt oder ein Penny aus den Gewerkschaftsfonds genommen wird – die Millionen, die UNITE an New Labour (regierende sozialdemokratische Partei Großbritanniens; Anm. d. Übers.) zahlt nicht mehr überwiesen werden.“

Den zweitstärksten Applaus gab es, als John Maguire, Organisator der Aktionen in Belfast, der Socialist Party für ihre Unterstützung dankte und sagte: „Die Socialist Party macht den Job, den die Gewerkschaften machen müssten, um die ArbeiterInnen im Kampf zu unterstützen.“

Ein Sonderblatt der Socialist Party (im Original als pdf unter: http://www.socialistworld.net/eng/2009/04/pdf060201.pdf; Text s. unten) wurde sehr gut aufgenommen. Nach Meinung aller liegt der Schlüssel nun darin, FORD zu zwingen, der Pflicht zu Abfindungen nachzukommen und ebenso das Recht auf Rente zu gewährleisten. Der Konflikt dreht sich aber auch um die Arbeitsplätze. Es herrscht allgemeine Zustimmung zu der im Sonderblatt der Socialist Party formulierten Forderung, die Produktionsanlagen in öffentliches Eigentum zu überführen und – sollte es momentan keinen Markt für Motorenkomponenten geben – für die nötigen Investitionen bei Entwicklung, Umrüstung und Fortbildungen zu sorgen, um zu ermöglichen, dass die Qualifikationen der Belegschaft für eine alternative Produktion genutzt werden können.

Die Solidaritätserklärungen, die von CWI-Mitgliedern und -SympathisantInnen von überall auf der Welt eingetroffen sind, wurden außerordentlich begrüßt und haben an der Wand in der Kantine einen Ehrenplatz bekommen. Schickt also weiterhin und zahlreich Solierklärungen!

Sonderblatt der Socialist Party:

Unterstützt die Besetzung bei Visteon – Stoppt die Arbeitsplatzvernichtung

Die Visteon-ArbeiterInnen in Belfast haben die Führung im Kampf übernommen, um die jetzt einsetzende Arbeitsplatzvernichtung zu stoppen.

Am Dienstag wurde der Belegschaft – aus der viele schon seit Jahrzehnten dort arbeiten – sechs Minuten eingeräumt, um ihr mitzuteilen, dass die Fabrik geschlossen wird. Nach dieser beleidigenden Aktion erwartete man, dass sie mit leeren Händen von Dannen ziehen würden – sie könnten ja die gesetzlich festgeschriebene Abfindung beantragen und sich mit ihren eingefrorenen Renten zufrieden geben.

Statt dessen hielten die ArbeiterInnen die Stellung und begannen die Besetzung der Fabrikanlagen. Als sie die Nachricht von der Situation in Belfast erhielten, starteten die ArbeiterInnen der Produktionsstätten Basildon und Enfield, die ebenfalls geschlossen wurden, ihre eigene Besetzungsaktion. Enfield ist weiterhin besetzt, während die ArbeiterInnen in Basildon vor den Werkstoren protestieren.

Überwältigend ist die Unterstützung für die Besetzung in Belfast. Man kann schon von einem Strom an ArbeiterInnen aus anderen Fabriken und Gewerkschaften sprechen, der zur Fabrik zieht und seine Solidarität zeigt. Örtliche Ladenbesitzer haben Lebensmittel gespendet. PKWs und Lastwagen, die die Autobahn M1 herunterfahren, hupen den Fahnen und Transparenten, die die Fabrikanlagen schmücken, laut ihre Solidarität zu. Die Besetzung gewinnt jeden Tag an Kraft.

FORD muss seinen Zusagen nachkommen

Visteon gehörte zu FORD. 2000 wurde die Ausgliederung vorgenommen. Das war der Versuch von FORD, Kosten zu senken. Damals wurde den ArbeiterInnen garantiert, dass ihre Bezahlung und die Arbeitsbedingungen – einschließlich jedwede Abfindungsklauseln – an denen der anderen FORD-ArbeiterInnen angelehnt sein würden.

Die Belegschaft hat sich erfolgreich gegen die durchgehenden Versuche der Visteon-Geschäftsleitung zur Wehr gesetzt, diese Garantien außer Kraft setzen zu wollen. Die bei FORD geltenden Bedingungen wurden bis zur Schließung jetzt angewendet.

Indem sie die Fabrikanlage unter die Obhut eines Insolvenzverwalters gegeben haben, sind Visteon und FORD einseitig von ihren Garantien über einen Rechtsanspruch auf Abfindungen zurückgetreten. Die Belegschaft muss sich für ihre Forderung überhaupt nicht rechtfertigen, dass FORD ihre im Jahr 2000 gemachten Zusagen einhalten und dieselben Abfindungsklauseln anwenden muss, die für andere FORD-ArbeiterInnen in Großbritannien gelten.

Ist Visteon lebensfähig?

Die Presse und einige Lokalpolitiker wollen uns glauben machen, dass die Schließung von Visteon unvermeidlich war, weil das Unternehmen unwirtschaftlich und nicht überlebensfähig geworden ist.

Die Wahrheit ist, dass Visteon von FORD vorsätzlich runtergewirtschaftet wurde, weil man die Produktion zum Beispiel nach Südafrika verlagern will, wo auf Billigjobs zurückgegriffen werden kann.

Die „kreative Buchführung“ bei FORD mag Visteon als nicht überlebensfähig aussehen lassen. Indem Visteon weniger als der tatsächliche Wert ihrer Komponenten, die sie bauen, gezahlt wird, kann FORD Profite transferieren, die in Wirklichkeit bei Visteon für andere Teile des Konzern erzeugt wurden.

Aus diesem Grund haben die ArbeiterInnen bei Visteon, die nur dem Namen nach nicht zu FORD gehören, das volle Recht, einzufordern, dass ihre Vergütung, Konditionen, Renten und Abfindungsregelungen dieselben sein müssen wie bei jedeR anderen FORD-ArbeiterIn auch.

Die Geschäftsbücher von FORD wie von Visteon sollten gegenüber den Gewerkschaften und für eine öffentliche Einsichtnahme komplett offengelegt werden, so dass wir ein echtes Bild von dem bekommen, was vor sich gegangen ist.

Aktionen ausweiten: Schwärzt die ausgetauschten Teile!

Der Schlüssel, um diesen Kampf zu gewinnen, liegt darin, Druck auf FORD aufzubauen. Die Führung von UNITE sollte umgehend einen eindeutigen Aufruf an die FORD-ArbeiterInnen herausgeben, sie mögen es ablehnen, mit anderen Autoteilen zu arbeiten, die aus irgendeiner anderen Visteon-Fabrik angeliefert werden, um die Komponenten zu ersetzen.

UNITE sollte die FORD-ArbeiterInnen auch darauf vorbereiten, Streikmaßnahmen zu ergreifen, sollte auch nur einE ArbeiterIn für das Schwärzen von Autoteilen bestraft werden. Entschiedene Maßnahmen wie diese könnten FORD zwingen, einen Vergleich auszuarbeiten. FORD sollte unter Druck gesetzt werden, die Arbeitsplätze bei Visteon durch die Wiedereingliederung der Visteon-Produktionsstätten ins Unternehmen zu erhalten. Sollte das nicht gelingen, sollte der Konzern gezwungen werden, den Verpflichtungen hinsichtlich der Abfindungsklauseln nachzukommen und die Renten der Visteon-ArbeiterInnen zu gewährleisten.

Keine Schließung – Arbeitsplätze und Qualifikation der Belegschaft erhalten und nutzen!

Doch es geht hierbei nicht nur um einen Kampf um Abfindungsklauseln und Renten. Dies ist ein Kampf zur Verteidigung von Arbeitsplätzen. Nordirland wird gerade mit rasantem Tempo in eine Industriebrache verwandelt. Die ArbeiterInnen bei Visteon oder anderer Konzerne, in denen Arbeitsplätze gestrichen werden, haben wenig oder gar keine Hoffnung, woanders Arbeit zu finden. Und für die nächste Generation gibt es nur noch die Wahl zwischen schlecht bezahlten „yellow pack“ Jobs oder dem Schrotthaufen namens „dole“ (staatliche Arbeitslosenunterstützung; Anm. d. Übers.).

Wenn die Schließung von Visteon hingenommen wird, so ist es nicht nur das Fabrikgebäude und der Maschinenpark, der Geschichte sein wird; Qualifikationen und Fertigkeiten, die über Jahrzehnte erarbeitet wurden, würden ebenfalls verloren gehen.

Das darf nicht hingenommen werden. Anstatt Visteon zu erlauben dicht zu machen, sollte das Unternehmen umgehend in öffentliches Eigentum überführt werden. Wenn FORD es ablehnt, für die zur Zeit dort hergestellten Produkte einen Markt anzubieten, sollte das Unternehmen für eine alternative Produktion umgerüstet werden.

Diese Regierung kann Milliarden für korrupte Bankiers aufbringen. Es gibt keinen Grund dafür, warum sie nicht für die nötigen Startinvestitionen in Forschung und Entwicklung sowie für alles, was ansonsten an Fortbildung und Umrüstung noch nötig ist, sorgen sollten.

Öffentliches Eigentum unter demokratischer Geschäftsführung durch die Beschäftigten ist lebensfähig. Das einzige, was weder zur Lebensfähigkeit Nordirlands beiträgt noch überhaupt denkbar ist, ist, wenn den Grundindustrien erlaubt wird, zu verschwinden.

Kampagne zum Kampf gegen Arbeitsplatzvernichtung starten

In nur wenigen Tagen wurde die Streichung von über 1400 Arbeitsplätzen im verarbeitenden Gewerbe angekündigt. Visteon soll verschwinden. Fast 1000 ArbeiterInnen wurden bei Shorts-Bombardier entlassen. Weitere Unternehmen, die ArbeiterInnen loswerden wollen, sind Montupet, FG Wilson, Nortel und AVX.

Die lokale Auswirkung der globalen Wirtschaftskrise heißt Deindustrialisierung in enormem Ausmaß – und dabei beginnt die Krise gerade erst ihre Wirkung zu zeigen. Es wird noch schlimmer kommen.

Während den Bonzen über Rettungspakete Milliarden zugeschanzt werden, werden die Menschen aus der Arbeiterklasse dafür herangezogen, den Preis für diese Krise des Kapitalismus durch verlorene Arbeitsplätze, Lohnkürzungen und die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen zu bezahlen.

Die Wirtschaftsstrategien sämtlicher in der Assembly Executive (Parlament für die Provinz Nordirland; Anm. d. Übers.) vertretenen Parteien liegen in Trümmern. Vor gut einem Jahr wurde uns noch erzählt, der öffentliche Sektor hier sei zu groß.

Ihre Antwort darauf war einerseits die Kürzung öffentlicher Ausgaben und die Privatisierung des öffentlichen Dienstes sowie von teuer Geld bezahlte Reisen in die USA, um die Geschäftsführungen der multinationalen Konzerne zu bitten, hier im Privatsektor zu investieren.

Doch an Stelle von Investitionen vor Ort, meinten sie, dass alles, was wir anzubieten hätten, Investitionsabbau, Arbeitsplatzverluste und Fabrikschließungen seien. Unterdessen hält die Provinzregierung weiterhin an ihrer Agenda fest, privatisiert den öffentlichen Dienst und streicht dort die Arbeitsplätze.

Dieser desaströsen ökonomischen Strategie muss entgegengetreten werden. Die Gewerkschaften müssen jetzt eine Kampagne starten, um die Assembly Executive zu zwingen, Notmaßnahmen zu ergreifen und die Arbeitsplätze und den öffentlichen Dienst zu verteidigen.

Die Kämpfe im öffentlichen Dienst und in der Privatwirtschaft müssen miteinander verbunden werden. Die Gewerkschaften sollten jetzt einen Aktionstag organisieren, zu dem massive Demonstrationen gehören müssen, um die Arbeitsplätze zu verteidigen.

Diese Kampagne sollte fordern:

Keine weitere Vernichtung von Arbeitsplätzen – Firmen, die Entlassungen durchführen oder mit Schließung drohen, sollten verstaatlicht und unter die demokratische Geschäftsführung der Beschäftigten gestellt werden, damit sie im Interesse der Belegschaft und der Gesellschaft als Ganzem weitergeführt werden.

Erarbeitet ein Programm gesellschaftlich sinnvoller öffentlicher Arbeit zur Bereitstellung von Arbeitsplätzen mit tariflich festgelegten Löhnen und Bedingungen.

Keine Kürzungen oder Privatisierungen im öffentlichen Dienst.

Garantierte Arbeitsplätze, Weiterbildung bzw. freie Bildung für alle – auch für sämtliche SchulabgängerInnen.

Wir können uns nicht auf die etablierten Parteien hier oder in Großbritannien verlassen, die allesamt keine dieser Maßnahmen ergreifen werden. Die Gewerkschaften wie zum Beispiel UNITE und UNISON (brit. Gewerkschaft des öff. Dienstes; Anm. d. Übers.) sollten damit aufhören, Millionen von Pfund ihrer Mitglieder für New Labour auszugeben.

Dieses Geld kann zum Aufbau neuer Parteien in Nordirland und Großbritannien genutzt werden, um die Interessen der Gewerkschaftsmitglieder und der Menschen der Arbeiterklasse als solcher zu vertreten.

Webseite der Socialist Party in Nordirland hier.