Kein Signal zum Aufbruch
Wer gehofft hatte, der erste Bundesparteitag der Partei DIE LINKE nach dem Einbruch der kapitalistischen Krise in Deutschland würde die Partei auf die dramatische neue Situation einstellen und eine Aufbruchstimmung erzeugen, wurde enttäuscht.
von Sascha Stanicic
DIE LINKE beschäftigte sich auf dem Parteitag mit sich selbst, die Führung präsentierte alte Antworten auf neue Probleme und die Delegierten durften sich in der Behandlung hunderter Änderungsanträge am Europa-Wahlprogramm verirren. Diese Form formaler Demokratie – die Behandlung so vieler Anträge, die Anhörung von über achtzig KandidatInnen für die Europawahlliste – verhindert in Wirklichkeit, was dringend nötig ist: eine zugespitzte Diskussion zu den Ursachen der kapitalistischen Krise, zu den Lösungsmöglichkeiten und den sich daraus ergebenden Aufgabe für eine Partei, die sich als links und sozialistisch versteht.
Zu den Referaten der Vorsitzenden der Europaparlamentariergruppe der LINKEn Gabi Zimmer und des Parteivorsitzenden Lothar Bisky gab es eine Aussprache, in der ganze zehn Delegierte für jeweils vier Minuten zu Wort kamen – von denen wiederum einige die Gelegenheit vor allem nutzten sich für ihre Kandidatur zu präsentieren.
Die vielen Änderungsanträge am Programm konnten ebenso nur mit dreiminütigen Begründungen und jeweils zwei einminütigen Pro- und Contra-Reden „diskutiert“ werden. Eine politische Debatte, in der eine Partei ihre Linie festlegt und so vom Allgemeinen zum Konkreten vordringt, sieht anders aus.
Das wiederum macht es den Apparaten und Fraktionen der Partei leicht, letztlich die Politik zu bestimmen. Denn das Wahlprogramm verschwindet spätestens nach dem Wahltag am 7. Juni in der Schublade.
Die Angst vor dem S-Wort
Eine zutreffende Analyse der Krise ließen alle RednerInnen vermissen. Lothar Bisky begann seine Ausführungen dazu mit der richtigen und Erwartungen weckenden Aussage, dass die Ursache der Krise im System liegen. Um dann so forzufahren: „Die Autobranche steckt schon länger in der Krise. Kenner, auch in den Betriebsräten, sagen: manches wurde am Bedarf vorbei produziert. Kurzfristige Renditevorgaben verhinderten das Umsteuern. Gerade in der Krise gilt: Für ökologisch notwendiges Umsteuern braucht es staatliche Vorgaben. DIE LINKE setzt auf die Mitsprache der Belegschaften! Verschafft ihnen Einfluss auf die Investitionsentscheidungen! Wo, wenn nicht bei den Beschäftigten – liegt das langfristige Interesse am Erhalt eines Unternehmes. Dann entsteht eine Chance, für Eisenach und Rüsselsheim, für Kaiserslautern und Bochum – und nur gemeinsam mit den Belegschaften in Spanien aus der Marke Opel eine Firma zu machen.“
Zur Frage der Verstaatlichung sagte Bisky: „Die aktuelle Verstaatlichungsdeabtte hat etwas Gespenstisches: Verstaatlichung begegnet uns hier als letzter Rettungsakt neoliberaler Spekulation, nicht als erster Akt einer notwendigen Demokratisierung.“
Und zur Systemfrage: „Hier steht keine abstrakte Systemfrage als Frage nach irgendeinem „Ismus“. Hier steht eine konkrete Frage nach Grundrechten, nach Demokratiezuwachs und ökologischer Vernunft. Wir wissen, was der Staatssozialismus ohne Demokratie gebracht hat. Deshalb kommt uns einiges am alten Staatskapitalismus unseres jungen Wirtschaftsministers sehr bekannt vor.“
Nach solchen Ausführungen fragt man sich einerseits, was Bisky einem eigentlich mitteilen will. Andererseits ist aber bemerkenswert, wovon er nicht spricht: von Kapitalismus und Sozialismus. Von der Notwendigkeit einer sozialistischen Verstaatlichung unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung der Lohnabhängigen, von der Notwendigkeit Profitproduktion und Marktkonkurrenz durch demokratische Wirtschaftsplanung zu ersetzen. Und dadurch verharrt Bisky letztlich doch im System und sein Vorschlag der Mitarbeiterbeteiligung verkommt zu einer Krisenbeteiligung für Belegschaften, die im Rahmen der kapitalistischen Konkurrenz- und Krisenökonomie gar nicht in der Lage sind dem Teufelskreis aus Wettbewerb, Überproduktion/-kapazität und Krise zu entkommen. Oskar Lafontaine sprach zwar unterhaltsamer und wies auch auf die historische Tragweite der aktuellen Krise hin, ging aber in seinen inhaltlichen Vorschlägen nicht weiter, als Bisky.
Die zentralen Forderungen bleiben das Nein zum Lissaboner EU-Vertrag und eine Volksabstimmung darüber, eine Regulierung der Finanzmärkte, eine europäische Wirtschaftsregierung und Lohnkoordination, Verbot von Hedge-Fonds, Steueroasen etc.
Auffällig war, dass auch sonst keinE RednerIn von Sozialismus sprach und niemand darauf hinwies, dass die aktuelle kapitalistische Krise ein Beleg für die Notwendigkeit der Ersetzung des Kapitalismus durch eine sozialistische Demokratie ist. Da hilft es dann auch wenig, wenn ein erfolgreich eingebrachter Änderungsantrag zum Europaprogramm nun dazu führt, dass dieses die uneingeschränkte Überwindung des Kapitalismus fordert und das Programm auch an anderen Stellen eine etwas likere Nuancierung erhielt. Papier ist geduldig und Programme nichts wert, wenn sie nicht in reale Politik übersetzt werden.
SAV-Ausgrenzung und der Fall Dierkes
Vor Beginn des Parteitags protestierten SAV- und LINKE-AktivistInnen gegen die Ausgrenzung der elf Berliner SAV"lerInnen, die nicht in die Partei aufgenommen werden. Sie hielten ein Transparent mit der Aufschrift „Keine Ausgrenzung von MarxistInnen. Für eine plurale LINKE.“, verteilten Flugblätter und sammelten Unterschriften für einen Dringlichkeitsantrag zu diesem Thema an den Parteitag. Ein sich als für die Organisation des Parteitags verantwortlich bezeichnender Funktionär forderte die TeilnehmerInnen der Aktion dazu auf, dass Transparent einzurollen, um einen schlechten Eindruck vom Parteitag zu verhindern, war aber nicht zu einer Diskussion zum Thema bereit.
Der Antrag wurde am Ende des Samstags unter höchstem Zeitdruck aufgerufen. Die Antragskommission schlug dem Parteitag Nichtbefassung vor, ohne dies jedoch zu begründen. Auf Nachfrage schwieg das durch die Abstimmung führende Mitglied der Antragskommission zwanzig Sekunden und stotterte dann „aus formalen Gründen.“ Daraufhin wurde Bodo Ramelow für eine Gegenrede statt der Antragstellerin Choni Flöter aus Kassel aufgerufen, der mit erregeter Stimme davon sprach, man müsse das jetzt mal klären und er würde dann auch die Gegenrede gegen den Antrag halten. Lucia Schnell, Mitglied der Strömungen Sozialistische Linke und Marx21, sprach sich dann für Nichtbefassung aus, da es sich um ein laufendes Schiedsgerichtsverfahren handele. Mit knapper Mehrheit votierten die Delegierten für Befassung. Doch statt eine Diskussion zu dieser Frage, die immerhin Selbstverständnis und Charakter der Partei betrifft, zuzulassen erhielt Choni Flöter eine Minute zur Begründung des Antrags (und nach dieser Minute wurde ihr auch das Wort entzogen). Ramelow richtete in seiner Gegenrede einen persönlichen Angriff gegen Lucy Redler, ehemalige Spitzenkandidatin der WASG Berlin zu den Abgeordnetenhauswahlen 2006, und warf ihr vor, sie habe den Fusionsprozess der Parteien in Berlin abgelehnt und habe behauptet mit dieser Partei – womit er die Linkspartei.PDS meinte – könne man nicht zusammen arbeiten. Mit solchen Halbwahrheiten konnte er entsprechend Stimmung machen. Tatsache war, dass Lucy Redler nur die demokratischen Beschlüsse der WASG Berlin umsetzte, dass es Versuche der Übereinkunft mit der Linkspartei.PDS vor den Abgeordnetenhauswahlen gab und dass sie und die SAV immer zwischen der Berliner L.PDS und der bundesweiten neuen Partei DIE LINKE unterschieden haben. Kein Wort auch darüber, dass die Landesschiedskommission Berlin in ihrer Begründung zur Ablehnung der Aufnahme der elf SAV"lerInnen in die Partei ein zentralistisches und stromlinienförmiges Parteiverständnis zum Ausdruck brachte.
Der Antrag gegen die Ausgrenzung der Berliner MarxistInnen wurde dann im Schnelldurchgang abgestimmt und von einer Mehrheit abgelehnt. Das Abstimmungsergebnis, aber mehr noch das Verfahren, werfen ein Licht auf den Zustand der Partei. Der ganze Parteitag folgte einer professionellen und gut funktionierenden Regie und es gab zu keinem Zeitpunkt eine Situation, in der diese in Frage gestellt gewesen wäre. Alles war unter Kontrolle der Führung bzw. des Präsidiums. Die in der WASG noch bestehende Lebendigkeit, Dynamik, Basisrenitenz suchte man vergebens.
Ähnlich verhielt es sich mit einem Antrag der Solidarität mit dem zurück getretenen Duisburger LINKE-Fraktionsvorsitzenden Herman Dierkes einforderte. Dieser hatte in einem Zeitungsinterview positiv Bezug auf die Forderung des Weltsozialforums nach Boykott israelischer Waren genommen und war daraufhin Opfer einer medialen Diffamierungskampagne geworden, in der er als Antisemit bezeichnet wurde, erhielt Morddrohungen und auch aus den Reihen der Partei undifferenzierte und unsachliche Kritik. Dies übte einen solchen Druck auf Dierkes aus, dass er von allen Ämtern zurück trat. Der Parteitag sah sich nicht in der Lage zu einer Beschlussfassung in Solidarität mit ihm zu kommen, obwohl es ein leichtes für die Parteiführung gewesen wäre, auf Basis eines vorliegenden, sicherlich etwas unausgereiften Antrags, einen eigene Formulierung vorzuschlagen.
Die Listenwahl
Der Bundesausschuss hatte einen Listenvorschlag vorgelegt, auf dem zwar die beiden VertreterInnen einer EU-unkritischen Haltung, Sylvia Yvonne-Kaufmann und André Brie, nicht mehr vorgesehen waren, aber ebenso der profilierte Antimilitarist und Antikapitalist Tobias Pflüger nicht. Alle drei führten Kampfkandidaturen durch. Während Brie und Kaufmann durchfielen, wurde Tobias Pflüger sehr knapp auf Listenplatz 10 gewählt, was auch Ausdruck eines (noch) bestehenden gewissen antimilitaristischen Grundkonsens in der breiten Mehrheit der Partei ist. Das ist sicher ein Erfolg für die Parteilinke, aber angesichts der sonstigen Zusammensetzung der Liste markiert es keine allgemeine Linksverschiebung der Partei oder der Europaliste, auch wenn auf weiteren hinteren Listenplätzen sich linke KandidatInnen durchsetzen konnten.
Die Antikapitalistische Linke, der KandidatInnen Sabine Lösing und Pflüger, gewählt wurden, hatte auf ihrem Vortreffen unter anderem auch entschieden die Kandidatur von Thomas Händel zu unterstützen, was aufgrund dessen Rolle bei der Ausgrenzung der Berliner SAV"lerInnen aber auch auf Widerspruch stieß.
Fazit
Der Europa-Parteitag sollte eine Warnung sein. Die Führung der Partei setzt auf aalglatte Professionalität statt kämpferischer Praxis und Einbeziehung der Mitglieder. Die Reaktion auf die kapitalistische weltkrise ist völlig unzureichend und es wird kein Programm und keine Perspektive zu wirklicher Gesellschaftsveränderung angeboten. Die linken Kräfte sind entweder zu sehr damit beschäftigt Posten und Mandate zu erobern oder zu wenig organisiert, um dem bisher etwas entgegen zu setzen. Doch, wie es ein Delegierter ausdrückte: Die Basis steht links von dem Parteitag. Es gilt diese zu aktivieren, zu organisiern und zu mobilisieren.