Mit dem Störfaktor „Chef“ Schluss machen

Gemeineigentum und Arbeiterselbstverwaltung statt staatskapitalistische Verstaatlichung


 

Nach der Devise „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern“ gehen die Unternehmer und ihre Parteien zu massiven Staatseingriffen und sogar zu Verstaatlichungen über. Diese Entwicklung hat innerhalb der Gewerkschaften und der politischen Linken die Debatte um die Frage der Verstaatlichung neu auf die Tagesordnung gesetzt. Die SAV vertritt die Position, dass die Verstaatlichungen von Merkel, Ackermann und Co. im Interesse von Aktionären, Spekulanten und Managern sind. Wir fordern eine Verstaatlichung im Interesse und unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung der arbeitenden Bevölkerung.

von Ursel Beck, Stuttgart

Ein Hartz-IV-Empfänger muss seine gesamten Vermögensverhältnisse offen legen, bevor er einen Cent fürs nackte Überleben bekommt. Den Banken und Konzernen werden derzeit Hunderte von Milliarden Euro Steuergelder zur Verfügung gestellt – ohne Offenlegung ihrer Bilanzen geschweige denn der Managergehälter.

Öffnung der Geschäftsbücher

Banken und Unternehmer, die behaupten, dass sie vor der Pleite stehen, müssen als erstes ihre Bilanzen, Konten und Geschäftsbücher offen legen. Belegschaften und Bevölkerung müssen wissen, wie die Schulden entstanden sind, wer die Gläubiger sind und wer an den Schulden verdient. Die Großaktionäre rechnen sich jetzt arm. Die Gelder, die an der einen Stelle fehlen, sind aber nicht in schwarzen Löchern verschwunden, sondern weiter in den Taschen der Reichen.

Manager entlassen, Vermögen konfiszieren

Die Konzerne haben in den letzten Jahren gigantische Gewinne eingesackt. Es ist ihr Profitsystem, das die Krise verursacht hat. Deshalb müssen sie zur Rechenschaft und zur Kasse gebeten werden.

Vorstände und Manager müssen entlassen werden. Ihre Pensionszahlungen müssen gestrichen und ihre Privatvermögen konfisziert werden. Alle Verantwortlichen haben anschließend Anspruch auf ALG II. Wenn Ackermann, Zetsche und Co. das zu wenig ist, dürfen sie sich gerne am Kampf für ein angemessenes Mindesteinkommen beteiligen.

Entschädigungslose Enteignung

Die derzeitigen Staatseingriffe sind das ungewollte Eingeständnis der Herrschenden, dass die Marktkräfte die Wirtschaft nicht mehr am Laufen halten. Der bürgerliche Staat handelt hier aber im Interesse der Kapitalisten. Die staatlichen Gelder werden nicht über eine höhere Besteuerung bei den Reichen finanziert, sondern über Kredite – sprich die Reichen leihen dem Staat Geld und kassieren auch noch Zinsen. Am Ende bezahlt die arbeitende Bevölkerung die Zeche.

Diese staatskapitalistische Verstaatlichung muss von der Partei DIE LINKE und den Gewerkschaften abgelehnt werden. Stattdessen müssen wir die entschädigungslose Enteignung der Kapitalbesitzer fordern – mit Ausnahme von Kleinaktionären und Belegschaftsaktionären. Das gesamte Eigentum der verstaatlichten Banken und Betriebe muss dauerhaft in Bundes- oder Landeseigentum überführt werden.

Mitbestimmung = Mitverantwortung

DIE LINKE schlägt eine „erweiterte Mitbestimmung“ vor. Die IG Metall (IGM) fordert die Neuregelung des Mitbestimmungsgesetzes.

Der Grundgedanke der Mitbestimmungsforderung seitens der Gewerkschaftsführung und des Bundesvorstands der LINKEN ist die Gleichberechtigung von Kapital und Arbeit. Diese Gleichberechtigung kann es aber niemals geben, weil das Kapital durch den angeeigneten Mehrwert beziehungsweise die unbezahlte Arbeit vermehrt wird. Diese Tatsache bringen Belegschaften immer wieder zum Ausdruck, wenn sie davon reden, dass sie den Betrieb aufgebaut haben und er eigentlich ihnen gehört.

In der Stahlkrise der siebziger und achtziger Jahre hat sich gezeigt, dass die erweiterte Mitbestimmung (Montan-Mitbestimmung) die Beschäftigten nicht vor der Vernichtung von Hunderttausenden von Arbeitsplätzen und der Verarmung von Ruhrgebietsstädten geschützt hat. Aufgrund dieser Erfahrung hat der IGM-Gewerkschaftstag 1983 die Vergesellschaftung der Stahlindustrie beschlossen.

Arbeiterselbstverwaltung

Enteignete Betriebe müssen unter der Kontrolle und Verwaltung der Belegschaft und demokratisch gewählten VertreterInnen der arbeitenden Bevölkerung fortgeführt werden. Dass die KollegInnen in der Lage sind, ohne Chefs zu produzieren, haben sie in der Geschichte schon viele Male bewiesen. Zuletzt im Sommer 2007 bei der Fahrradfabrik Bike Systems. Um eine Betriebsschließung zu verhindern, besetzten die 135 Beschäftigten den Betrieb und produzierten in Eigenregie weiter.

In den folgenden Monaten werden Belegschaften immer wieder zu Betriebsbesetzungen greifen müssen, um Werksschließungen zu verhindern. Streikkomitees, die die Betriebsbesetzung organisieren, könnte die Aufgabe zukommen, Kontrolle und Verwaltung des Betriebs zu übernehmen. Die Chefs müssen entlassen werden. Meister und andere in Leitungsfunktionen oder Spezialisten müssen von den jeweiligen Abteilungen gewählt und ihrer Kontrolle unterzogen werden. Die Belegschaft muss vollen Einblick in die Geschäftsbücher und in die wirtschaftliche und technische Betriebsführung haben.

Die Leitung des Betriebes könnte ein Gremium übernehmen, das sich folgendermaßen zusammensetzt:

– ein Drittel von der Belegschaft demokratisch gewählte VertreterInnen. Sie können die Interessen der Belegschaft, ihr Wissen und Know How einbringen.

– ein Drittel VertreterInnen der Gewerkschaften, die durch die Belegschaft des betreffenden Betriebes bestätigt werden müssen. Dadurch kann die Verbindung zu den anderen Betrieben hergestellt und das Gesamtinteresse der arbeitenden Bevölkerung eingebracht werden.

– ein Drittel VertreterInnen des Staates als Eigentümer. Sie könnten von den jeweiligen Parlamenten (Stadt-, Land- oder Bundestag) entsandt werden und sollten regelmäßig in öffentlichen Sitzungen Rechenschaft ablegen.

Zusätzlich könnten Verbraucherschutz-, Umwelt- und sonstige relevante bereits existierende Initiativen und Organisationen beratend an diesen Leitungsgremien beteiligt werden.

Mit solchen oder ähnlichen Modellen der Arbeiterverwaltung wäre sichergestellt, dass die Interessen der Beschäftigten eine Zweidrittel-Mehrheit haben.

Demokratische Grundprinzipien

Um ein Abheben der gewählten VertreterInnen zu verhindern, dürfen diese nicht mehr verdienen als einen Durchschnittslohn der betreffenden Branche. Sie sollten außerdem jederzeit wähl- und abwählbar sowie ihrer Basis gegenüber rechenschaftspflichtig sein.

Durch regelmäßige Team-, Abteilungs- und Betriebsversammlungen kann die Belegschaft ständig kollektiv über die Optimierung der Produktion, die Verbesserung von Arbeitsbedingungen und Arbeitssicherheit und alle Belange des Betriebes diskutieren und entscheiden. Wären Siemens und die Bahn der demokratischen Kontrolle und Verwaltung durch die Beschäftigten unterstellt, wären zum Beispiel Produktion und Einsatz von hochgefährlichen Radachsen für ICEs ausgeschlossen. Hartmut Mehdorn und die Siemens-Manager gehen heute aus Profitgründen auch über Leichen.

Kreativität und Produktivität steigern

Durch den Wegfall von hierarchischen Strukturen würde enorme Kreativität freigesetzt. Bei einer Umfrage der Berufsgenossenschaft Metall im April 2008 waren 62 Prozent der Befragten der Meinung, die Führungskräfte seien „Teil der psychischen Belastungen der Mitarbeiter“. Eine Arbeiterselbstverwaltung würde sich vom Störfaktor Chef verabschieden.

Das System der Ausbeutung und die dafür nötige Disziplinierung hemmt heute die schöpferische Tätigkeit. Jeder Beschäftigte kann unzählige Beispiele nennen von kontraproduktiven Entscheidungen und Misswirtschaft von Vorgesetzten. Weil aufgrund der Rezession die Unterdrückungsmechanismen für die Unternehmer noch mehr an Bedeutung gewinnen, schaffen sie auch die Gruppenarbeit und die dadurch gewährte Autonomie von Teams wieder ab.

Die freie Entfaltung der Beschäftigten würde Produktivität und Erfindergeist auf bisher ungekannte Höhen bringen. Der Profit, den sich früher die Kapitalisten eingesackt haben, würde der Belegschaft für höhere Löhne, Arbeitszeitverkürzung oder Investitionen zur Verfügung stehen.

Branchenweite und überregionale Vernetzung

Ausgehend von der Verstaatlichung einzelner Betriebe und Branchen müssen alle Großbetriebe in öffentliches Eigentum überführt und unter demokratische Arbeiterkontrolle und -verwaltung gestellt werden. So wie im Einzelbetrieb könnten dann branchenweite, lokale, regionale, nationale und schließlich internationale Leitungsstrukturen gewählt werden. Ihre Aufgabe wäre es, nach den Bedürfnissen der Gesellschaft und unter Berücksichtigung des Umweltschutzes Produktionsziele und -pläne aufzustellen und diese gemeinsam umzusetzen. An die Stelle von Konkurrenz würde die solidarische und harmonische Produktion treten.