Weltwirtschaftskrise und Weltbeziehungen

Sozialismus und Marxismus sind zurück auf der Tagesordnung. Bericht von der Diskussion auf dem Internationalen Vorstand des CWI


 

Peter Taaffe vom Internationalen Sekretariat des CWI leitete die Debatte zur Weltwirtschaftskrise ein. Er äußerte sich auch zu den wichtigen Fragen der Weltbeziehungen in der neuen Periode.

Zum Teil auch durch die Feinde der Arbeiterklasse sind der Sozialismus und Marxismus wieder zurück auf die Tagesordnung gerückt worden. Wichtiger noch ist, dass die Rolle des CWI nun größere Bedeutung bekommt; vor allem, weil die Krise unsere beständige Analyse bestätigt, wonach der Boom sein Ende erreichen wird und Kämpfe hervorrufen werden.

Kapitalistische Kommentatoren haben ihre Furcht vor dem „Mob“ zum Ausdruck gebracht. Weltweit grassiert berechtigte Wut unter Millionen von Menschen über die Folgen der Krise. In Island, wo die Wirtschaft mit einem verheerenden Kollaps nach den spekulativen Aktivitäten der dortigen Banken und deren möglichem Zusammenbruch konfrontiert ist, finden jetzt Demonstrationen statt. Bankiers und Minister sind nicht mehr in der Lage, sich frei zu bewegen! Das Beispiel Islands bedeutet ein modernes 1929; es verdeutlicht, wie eine neue Große Depression aussehen mag.

Die Krise hat die ArbeiterInnen der Welt betäubt, doch ihre Wut spiegelt sich in vielerlei Weise wider. Von der Financial Times in London wurde das anerkannt, die die Furcht vor „Revolution“ und „Nationalismus“ (in Wirklichkeit Konterrevolution) als besondere Merkmale der bevorstehenden Periode ansprach. Rosa Luxemburgs Formulierung von „Sozialismus oder Barbarei“ kann leicht zu dem Charakteristikum für die nächsten Jahre werden. Am Zerfall Somalias und den jüngsten, in den Medien hochgepuschten Fälle von Piraterie an seinen Küsten kann man sehen, was dies bedeuten könnte. Der Sozialismus wird in der neokolonialen Welt und in den Ländern der „aufstrebenden Märkte“ Relevanz bekommen, aber ebenso auch in den „entwickelten“ Ländern.

Bestimmende Züge der Krise sind die Geschwindigkeit, mit der sie sich ausgeweitet hat, ihr Schweregrad und die Wahrscheinlichkeit eines lang andauernden Zeitraumes, in dem sie fortbestehen wird. Bis dato hat das CWI eine schwere Krise nur als eine von mehreren Möglichkeiten betrachtet, aber die Krise könnte sich zu einer schweren Krise verschärfen. Die Verzweiflung der kapitalistischen Klasse ist international betrachtet so tief, dass sie alles aufbieten werden, damit ihr System die Krise überlebt. Ihre Repräsentanten erkennen jetzt, dass es ein Fehler war, die Bank Lehman Brothers nicht gerettet zu haben, als diese in Schwierigkeiten kam; zwei Tage später bewahrten sie AIG vor dem Zusammenbruch.

Jetzt haben viele Kapitalisten und ihre Kommentatoren eine kritische Haltung eingenommen. Der ehemalige Chef der US-Notenbank, Paul Volcker, hat auf die ökonomischen Schamanen eingedroschen, die den Kapitalismus in die Misere gezogen hätten. Nouriel Roubini, dessen Kommentare wir auf unserer Website gebracht haben, ist mit seinen düsteren Warnungen lautstark an die Öffentlichkeit getreten, wie gravierend dieser Zerfall ist und noch werden kann.

Können die Kapitalisten all dies vorübergehend überwinden? Es wird die längste und tiefste Krise seit der Großen Depression der 1930er sein, und sie kommt im Gefolge der stillen Rezession, des Niederhaltens der Löhne, des „freudlosen“ Booms, des verlorenen Jahrzehnts in Japan mit Deflation und Krise, die immer noch nicht vollends bewältigt ist. Aber wir leben in außergewöhnlichen Zeiten und die Kapitalisten sind darauf vorbereitet, außergewöhnliche Maßnahmen zu ergreifen und die Zukunft zu verpfänden, um zu überleben. Explodierende Staatsschulden zur Finanzierung von Notprogrammen, staatliche Beteiligungen an Banken und sogar komplette Banken-Verstaatlichungen – ja die Verstaatlichung auch anderer Branchen – stehen zur Debatte; all dies wird in Erwägung gezogen und könnte von den Kapitalisten umgesetzt werden, um ihr System zu retten. Viel davon wird nur zeitlich befristet in Betracht gezogen, könnte aber über längere Zeit umgesetzt bleiben, wie einige der Maßnahmen während der Bankenkrise in den 1990ern in Schweden zeigen. Bei diesen Maßnahmen ist für MarxistInnen wichtig festzustellen, dass selbst die Verstaatlichung unter kapitalistischen Vorzeichen die Idee in Frage stellt, wonach der Markt das effektivste Mittel ist, das die Produktion organisieren kann. Davon ausgehend werfen wir die Idee sozialistischer Verstaatlichungsmaßnahmen unter Arbeiterkontrolle und -verwaltung ab.

Der Zusammenbruch der Rohstoffpreise – in erster Linie Öl und Metalle – wird verheerende Auswirkungen auf die Erstproduzenten haben, die während dem Boom (vor allem der von Chinas Wirtschaftswachstum angefachten Blase)wesentlich höhere Erträge eingeplant haben. Nur ein äußerst geringer Teil der Gewinne aus dem Preisaufschwung fand seinen Weg bis zu Massen und die Krise wird dazu führen, dass ihr Anteil noch weiter abnehmen wird.

Obama hat vor Millionen von Arbeitsplatzverlusten gewarnt. Er schlug eine Stimulierung in Höhe von 700 Milliarden US-Dollar vor, um die USA vor dem Desaster zu bewahren. Auf dem kürzlich durchgeführten G20-Gipfel wurde nur mit recht mäßigem Erfolg der Versuch unternommen, die verschiedenen Stimulations-Pakete auf eine gemeinsame Grundlage zu stellen. Chinas Konjunkturprogramm ist nur von unwesentlich geringerem Umfang als das von Obama angekündigte. Die chinesische Führung hat höchste Angst vor den sozialen Konsequenzen, sollte sie nicht handeln. Zehntausende von Fabriken sind dieses Jahr in China bereits geschlossen worden – wird das Konjunkturprogramm also Wirkung zeigen?

Die Welt steht vor einer „deflationären“ Phase. Zu Zeiten der sich ausweitenden Globalisierung wurde die durch billige chinesische Waren hervorgerufene Deflation begrüßt, da sie die Preise niedrig hielt und die Arbeiterschaft aus Furcht vor dem Export ihrer Arbeitsplätze zwang, moderate Lohnerhöhungen hinzunehmen. Die jetzige Deflation allerdings ist ein „Übel“, da es zu einem allgemeinen Preisverfall kommt. Kapitalistische Kommentatoren haben die „Hubschrauber Theorie“ ins Spiel gebracht, wonach Geld unter die Menschen geschleudert werden muss, um den Konsum anzuregen. Der Financial Times-Kommentator Samuel Brittan meint, dass Gordon Brown, falls nötig, Banknoten drucken solle, um die Finanzierung der Konjunkturprogramme zu gewährleisten. Er bezichtigt die (in der Opposition befindlichen; Erg. d. Übers.) britischen Konservativen, wie die „Bourbonen“ (von den frz. Revolutionen 1789 und 1830 gestürztes Königshaus; Anm. d. Übers.) zu handeln: Nichts gelernt und sich an nichts erinnern – indem sie zu Zeiten der Krise die alte Politik Thatchers wieder zurückholen wollen.

Eines ist sicher: Das hier ist das Ende der Epoche des deregulierten Kapitalismus des freien Marktes. Das heißt nicht, dass keine neuen neoliberalen Maßnahmen mehr gefordert werden. Die Konzernchefs werden weiter fordern, die Löhne niedrig zu halten, Kürzungen bei den Staatsausgaben durchzuführen, damit „wir alle Opfer bringen“, und sie können auch weitere Privatisierungen vorantreiben.

Die Wahl Obamas markiert eine neue Periode. Millionen stimmten für ihn, weil sie die Hoffnung auf einen Wandel hatten. Das bedeutet, dass die Illusionen in ihn länger anhalten werden, da unter einigen der Wunsch besteht, ihm eine Chance zu geben. Seine ökonomische Reaktion ist weiter oben erwähnt worden. Was die Weltbeziehungen angeht werden aber auch gewichtige Entscheidungen zu treffen sein. Seine Wahl wird die Entwicklung inner-imperialistischer Rivalitäten nicht beenden und es kann zu geopolitischen Schock-Stößen kommen, mit denen umgegangen werden muss. So etwa die Instabiltät in Nord-Korea, falls das Regime Kim Jong-Ils zusammenbricht.

Irak gibt ein „trügerisches Bild von Ruhe” ab und Obama wird an seinem Versprechen gemessen werden, die US-Truppen abzuziehen. Er wird mit dem Iran umgehen müssen; Obama mag versuchen, mit dem Regime zu verhandeln – Israel wollte den Iran angreifen, bekam von Bush aber ein Veto – das iranische Regime steht derweil unter schwerem inneren wie äußeren Druck.

Obama hat für Afghanistan eine „Druckwelle“ versprochen, doch die Taliban sind weiterhin stark und sind trotz einer weiteren Zunahme an US-Truppen stärker geworden. Israel und Palästina sind ein hartnäckiges Problem im Kapitalismus und es bleibt abzuwarten, wie die israelischen Wahlen ausgehen werden und welche Politik von der neuen Regierung und von Obama kommen wird.

SozialistInnen sehen sich heute einem konfusen Bewusstsein gegenüber. In der momentanen Situation gibt es Elemente von Revolution wie auch von Konterrevolution und die ArbeiterInnen haben noch keinen klaren Blick auf einen möglichen Ausweg gefunden. Das CWI hat gezeigt, dass es die Klarheit der Ideen, der Perspektiven, Strategie und Taktik hat – als eine Antwort auf die tiefste Krise seit den 1930ern.

In der Diskussion machte eine Reihe von GenossInnen wichtige Beiträge. Hinsichtlich der Ökonomie meinte ein Genosse von der Rättvisepartiet Socialisterna in Schweden, wie die Befürchtungen der Kapitalisten zu Beginn dieses Jahres vor einer „Stagflation“ mittlerweile von der Furcht vor einer „Stagdeflation“ abgelöst wurden. Das Finanzkapital ist naturgemäß äußerst instabil; seit 1974 ist es in 93 Ländern zu 112 Finanzkrisen gekommen. Ein Genosse von unserer Sektion in Deutschland, der Sozialistischen Alternative (SAV) erklärte, wie sich die Kapitalisten fühlen: Es ist „der Tag nach Pearl Harbor“, so Spekulations-Guru Warren Buffett.

Unsere russischen GenossInnen berichteten, wie schnell die Wirtschaftskrise das Land getroffen habe. Es geschah schnell nach dem Krieg mit Georgien. Die Regierung Medwedew-Putin wird vielleicht nicht in der Lage sein, soziale und politische Proteste gegen die Auswirkungen der ökonomischen Krise zu verhindern. Der rasche Fall der Ölpreise kann gleichfalls zu internationalen Spannungen führen. Die Förderung russischen Öls kostet 66 US-Dollar je Barrel, der Verkauf aber bringt 50 US-Dollar. Wer wird den Differenzbetrag aufbringen: westliche oder die russische Regierung?

Ein Genosse vom Democratic Socialist Movement in Nigeria sagte, die jetzige Krise schreit geradezu nach einem Vergleich mit 1929-33, aber 80 Jahre danach lebt der Kapitalismus immer noch. Der Kapitalismus wird auch diese Krise überstehen, wenn die revolutionäre Partei nicht aufgebaut wird, um die momentanen Möglichkeiten zu nutzen. Ein Genosse aus Griechenland erinnerte die Versammlung daran, dass die Rezession von 1974-75 der Vorläufer revolutionärer Ereignisse in Europa und der neokolonialen Welt war.

Ein Genosse aus Malaysia berief sich auf die asiatische Wirtschaftskrise von 1997-98. Asiatische Staaten waren damals gezwungen, den IWF (Internationaler Währungsfond; Anm. d. Übers.) um Rettung anzuflehen. Dieses Mal ist der IWF eingeschritten, um das System zu retten. Die asiatische Krise sah, wie die indonesische Diktatur durch die Reformasi-Bewegung zu Fall kam und andere Regime ins Wanken gerieten. Werden die asiatischen Staaten mit der Ausweitung der Krise wieder so etwas durchmachen? Thailand erlebt bereits den politischen Stillstand und in Indonesien und den Philippinen entwickelt sich die Krise.

Eine Reihe von GenossInnen diskutierte die Auswirkungen des chinesischen Konjunkturprogramms. Kann es in China und in Verbindung mit weiteren ankurbelnden Programmen in der kapitalistischen Welt als Ganzer eine Rezession verhindern? Es gab einige Diskussionen über ersteres, aber allumfassende Übereinkunft, wonach China sich weder von der Weltwirtschaftskrise „abkoppeln“, noch dazu beitragen könne, diese abzumildern. Dennoch war klar, dass die chinesische Ökonomie bestenfalls mit einer beträchtlichen Verlangsamung hinsichtlich ihrer Wachstumsraten konfrontiert ist, die sich wie eine Rezession anfühlen würde. Es kam in Folge des Abschwungs bereits zu Protesten.

Es wurden auch wichtige Frage aufgeworfen, ob das Regime der Kommunistischen Partei es in der kommenden Zeit in China schaffen wird, an der Macht zu bleiben. Auch, ob sich eine Bewegung – analog zu den bunten Revolutionen in Teilen der ehemaligen UdSSR – entwickeln wird. Was wäre die Perspektive für solche Bewegungen und welche Rolle würden die chinesischen arbeitenden Massen dabei spielen?

GenosseInnen von der Socialist Alternative in den USA zeigten auf, was nach der Wahl Obamas möglich sein könnte. Millionen setzen Illusionen in ihn, aber indem wir unsere positive Kritik gegen Obama aufrecht erhalten, können wir das Gehör der sich radikalisierenden Schichten der Jugendlichen und der ArbeiterInnen erreichen. Gleichermaßen wird es neue Möglichkeiten aufgrund der Wahlkämpfe von Ralph Nader und Cindy Sheehan geben.

Darüber hinaus gab es auch Beiträge von GenossInnen zu Weltbeziehungen, die die möglichen Krämpfe, welche die Krise im Zusammenhang mit der allgemein explosiven Lage im und für den Nahen Osten bereit hält, zum Thema hatten. GenossInnen von Maavak Sozialisti in Israel erklärten, dass ArbeiterInnen Streikmaßnahmen ergriffen haben, um ihre Lebensbedingungen zu verteidigen und sich gleichermaßen auch auf die politische Ebene begeben.

Ein weiterer Genosse der SAV verdeutlichte unsere Aufgaben in der bevorstehenden Zeit. Die Situation wirft die Frage nach der Zukunft des kapitalistischen Systems auf und eine äußerst radikale Stimmung unter größer werdenden Teilen der Arbeiterklasse stellt alles in Frage. Wir brauchen eine Vision einer Zukunft des Sozialismus. Sozialistische Propaganda wird wesentlich größere Bedeutung bekommen – aber genau dafür sind unser Übergangsprogramm und unsere Übergangsforderungen da, um den Weg in Richtung Sozialismus aufzuzeigen. Wie werden wir konkret unsere Forderungen nach Arbeiterkontrolle und -verwaltung stellen? Wie sollen wir unsere Forderung für eine Arbeiterregierung aufwerfen? Das Tempo und die Tiefe der Rezession machen viele Entwicklungen möglich.

Das war zweifellos eine anregende Debatte, weil die Mitgliedschaft des CWI sich an einen neuen Zeitabschnitt anpasst, der eine zunehmende Radikalisierung und vermehrt stattfindende Kämpfe bringen wird und den gesteigerten Durst für sozialistische Ideen, mit denen nur unsere Internationale adäquat aufwarten kann.