DIE LINKE in Hessen – wie weiter?

Für sozialistische Politik – gegen Tolerierung von Rot-Grün


 

DIE LINKE in Hessen steht im Focus der Aufmerksamkeit weit über die Grenzen des Bundeslandes hinaus. Vor allem GewerkschafterInnen und Aktive aus sozialen Bewegungen werden genau beobachten, ob die Partei angesichts der ersten ernsthaften Herausforderung in Westdeutschland einen Weg der politischen Anpassung an SPD und Grüne einschlägt oder für konsequente Interessenvertretung für abhängig Beschäftigte, Erwerbslose und Jugendliche eintritt. Mit den Entscheidungen in Hessen wird auch die bundesweite Entwicklung der LINKEN maßgeblich beeinflusst.

von Sascha Stanicic (SAV-Bundessprecher und Mitglied DIE LINKE) und C. Flöter (Mitglied im Landesvorstand DIE LINKE Hessen)

In einem Brief des Landesvorstands an SPD und Grüne wird einer rot-grünen Minderheitsregierung "Unterstützung" und "Tolerierung auf die Dauer der gesamten Legislaturperiode" angeboten. Dies wird mit mit der Erwartungshaltung verbunden, dass bestimmte Forderungen der LINKEN in ein rot-grünes Regierungsprogramm einfließen und ein Politikwechsel eingeleitet wird. Doch alle Erfahrung mit SPD und Grünen zeigen, dass von diesen beiden Agenda-Parteien auch in Hessen kein grundlegender Politikwechsel zu erwarten ist. Aus diesem Grund stellt die SAV, als marxistischer Flügel in der Partei DIE LINKE, mit dieser Stellungnahme ihre grundsätzliche Kritik an den bisherigen Richtungsentscheidungen von Landesvorstand und Landesparteitag dar und macht einen Vorschlag für einen sozialistischen Kurs in Hessen.

Aufgabe der LINKEN ist es eine starke Massenpartei aufzubauen, die sich der kapitalistischen Profit- und Sachzwanglogik widersetzt und einen entscheidenden Beitrag dazu leistet die Lebensverhältniss der Mehrheit der Bevölkerung dauerhaft und grundlegend zu verbessern. Davon sind wir noch weit entfernt. Unsere Politik, Schwerpunktsetzungen und Aktivitäten müssen aber diesem Ziel untergeordnet sein. Es darf für die Millionen, die von Lohn- und Sozialkürzungen, steigendem Arbeitsdruck, Billigjobs, Bildungsabbau etc. betroffen sind, keinen Zweifel geben, auf welcher Seite DIE LINKE steht. Viele Menschen setzen Hoffnungen in DIE LINKE, viele mehr bringen der Partei aber eine große Skepsis entgegen, obwohl sie mit unseren zentralen Reformforderungen übereinstimmen. Ein Grund hierfür ist, dass DIE LINKE ihre Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit aus Sicht der einfachen Bevölkerung noch nicht unter Beweis gestellt hat. Die Beteiligung am Berliner Senat und die unzureichend aufgearbeitete stalinistische Vergangenheit der PDS sind zwei Gründe, weshalb das Glaubwürdigkeitsproblem aus Sicht von vielen ArbeiterInnen und Jugendlichen nicht gelöst ist.

Kapitalismus in der Krise

Gerade in den letzten Wochen und Monaten bestätigt sich täglich, dass der Kapitalismus unfähig ist seine Krisenhaftigkeit zu überwinden. Vor unseren Augen breitet sich gerade die größte Weltwirtschaftskrise seit der Großen Depression in den 1930er Jahren aus. Auch vor diesem Hintergrund muss DIE LINKE ihre Politik formulieren. Es wäre eine gefährliche Illusion zu glauben, angesichts der bevorstehenden Rezession stünde keine Offensive von Regierung und Kapital gegen die abhängig Beschäftigten, Erwerbslosen, RentnerInnen und Jugendlichen bevor. Angesichts drohender bzw. schon einsetzender Profiteinbrüche bei den Banken und Konzernen und sinkender Steuereinnahmen der öffentlichen Haushalte werden die Kapitalisten und alle etablierten Parteien versuchen, die Krise auf den Rücken der Bevölkerung abzuwälzen. Was bedeutet das? Erstens, dass alle Parteien, die die Logik der kapitalistischen Marktwirtschaft akzeptieren sich an dieser Form der Krisenbewältigung – Verluste sozialisieren, Gewinne privatisieren – beteiligen werden. Zweitens wird in Zukunft noch mehr als ohnehin gelten, dass Angriffe abgewehrt und Verbesserungen nur erreicht werden können, wenn es zu massenhaftem Widerstand vor allem der abhängig Beschäftigten kommen wird. Und drittens wird es nicht möglich sein, im Rahmen des Kapitalismus einen Ausweg aus dieser Misere zu finden. Es kann keinen regulierten, humanen, sozialen und friedlichen Kapitalismus geben. Der Drang aus Kapital mehr Kapital zu machen setzt sich in diesem System immer durch, solange Banken und Konzerne in Privateigentum sind und zur Profitmaximierung wirtschaften. Regierungen sind diesem Drang in letzter Instanz immer untergeordnet, solange sie nicht bereit sind mit dem kapitalistischen System zu brechen. Deshalb ist es zentrale Aufgabe der LINKEN dieser kapitalistischen Krise eine tatsächliche sozialistische Alternative entgegen zu stellen. Messlatte für eine sozialistische Politik muss unserer Meinung nach sein: zum einen die oberste Priorität auf die Selbstorganisierung und Aktivität der Arbeiterklasse zu setzen, also die Initiierung und Organisierung von sozialem Widerstand. Zum anderen, ausgehend von aktuellen Bewegungen und Reformforderungen eine Verbindung zur notwendigen Abschaffung des Kapitalismus zu ziehen. Das bedeutet unter anderem die Überführung der Banken und Konzerne in öffentliches Eigentum unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung der arbeitenden Bevölkerung zu fordern. Es bedeutet auch, der brutalen Anarchie des kapitalistischen Marktes eine sinnvolle und demokratische Wirtschaftsplanung entsprechend den Bedürfnissen von Mensch und Natur entgegenzustellen. Kurz: einen sozialistischen Systemwechsel zu propagieren – in einer Zeit, in der angesichts der Finanzkrise in den Kommentaren der Presse täglich Systemfragen gestellt werden.

Koch abwählen? Ja!

Was hat all das mit Hessen und der Frage der Haltung zu einer rot-grünen Minderheitsregierung zu tun? Sehr viel. Denn die Politik einer hessischen Landesregierung findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern ist abhängig von bundesweiten und internationalen, nicht zuletzt wirtschaftlichen, Entwicklungen. Und die Politik einer sozialistischen Partei auf kommunaler oder Landesebene muss sich im Einklang mit einer bundesweiten und internationalen sozialistischen Strategie befinden. Leider hat DIE LINKE in Hessen einen Weg eingeschlagen, der sie früher oder später in einen Widerspruch zu sozialistischer Politik bringen wird.

Es ist richtig, Roland Koch in Hessen abzuwählen. Die dazu einzig praktikable Möglichkeit ist die Wahl von Andrea Ypsilanti zur Ministerpräsidentin und die Bestätigung ihres Kabinetts. Kein Wähler und keine Wählerin der LINKEN würde nachvollziehen können, warum man diese Chance nicht nutzt. Gerade weil Ypsilanti und die hessische SPD behaupten, für einen Politikwechsel zu stehen, soll DIE LINKE den Wählerinnen und Wählern die Möglichkeit geben, diese Versprechungen an den Taten einer SPD-geführten Landesregierung zu messen. Die Abwahl von Koch wäre ein Erfolg für alle diejenigen, die in den letzten Jahren gegen diese reaktionäre CDU-Landesregierung auf die Straße gegangen sind: von den Studierenden bis zu den Landesbeschäftigten. Doch eine Abwahl von Koch darf nicht gleichbedeutend sein mit einer Unterstützung bzw. Tolerierung einer rot-grünen Minderheitsregierung. Dies sieht allerdings der, zeitweilig geheim gehaltene, Brief des Landesvorstands, an SPD und Grüne vor. Im Landesvorstand wurde nur von dem einzigen SAV-Mitglied in diesem Gremium gegen diesen Kurs und gegen den Inhalt des Briefes gestimmt.

Rot-Grün tolerieren? Nein!

Die Haltung, die DIE LINKE in Hessen zur Frage einer Tolerierung einer rot-grünen Minderheitsregierung eingenommen hat, ist widersprüchlich und wird nicht aufrecht zu erhalten sein. Eine Unterstützung bzw. Tolerierung einer rot-grünen Regierung und das Festhalten am Programm der LINKEN sind zwei Positionen, die – nicht zuletzt aus den oben ausgeführten Gründen – zu einem unüberbrückbaren Widerspruch werden. Dieser Widerspruch basiert auf der Illusion, dass mit SPD und Grünen tatsächlich eine Politik im Interesse der Bevölkerungsmehrheit möglich ist. Das wird nicht möglich sein, weil beide Parteien die Verteidigung der kapitalistischen Ordnung als ihre oberste Priorität betrachten. Erst recht die zu erwartende Rezession wird eine rot-grüne Regierung zu noch offenerer arbeitnehmerfeindlicher Politik drängen, aber schon das Abstimmungsverhalten der Grünen bei der Beamtenbesoldung unterstreicht, wo diese Partei in sozialen und gewerkschaftlichen Fragen steht.

Dieser Widerspruch ist nur dadurch zu lösen, dass wir einer rot-grünen Minderheitsregierung keine politische Unterstützung aussprechen, keinen Blankoscheck für gar nichts geben und dass wir kein, wie auch immer geartetes oder genanntes, Tolerierungsabkommen schließen, sondern eine klare Botschaft an die Bevölkerung und damit auch an SPD und Grüne senden: Wir werden in den Betrieben, Schulen, Hochschulen und Nachbarschaften den Kampf für unsere eigene, unabhängige Politik fortsetzen und darauf setzen, dass eine rot-grüne Minderheitsregierung durch massenhafte Mobilisierung von abhängig Beschäftigten, Erwerbslosen und Jugendlichen unter größtmöglichen Druck gesetzt wird. DIE LINKE in Hessen steht weiterhin konsequent an der Seite kämpfender Belegschaften, UmweltschützerInnen, SchülerInnen und Studierenden. Im Parlament wird die Fraktion der LINKEN jeden Gesetzentwurf einer rot-grünen Minderheitsregierung auf seinen Inhalt prüfen. Die einzige Garantie, die DIE LINKE abgeben sollte ist, dass sie jeder Maßnahme zustimmen wird, die die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Bevölkerungsmehrheit in Hessen verbessern und alles ablehnen wird, was auf Kürzungen und Verschlechterungen, Demokratieabbau, Diskriminierung etc. hinaus laufen wird.

Nur mit einer solchen Haltung für Einzelfallentscheidungen im Parlament wird es möglich sein, DIE LINKE als antikapitalistische, kämpferische und unabhängige Partei weiter aufzubauen und zu einem Instrument für soziale und gewerkschaftliche Kämpfe zu machen. Denn jede Form von Tolerierung ist faktisch eine Regierungsbeteiligung ohne Ministerposten und wird bedeuten, dass DIE LINKE zum Anhängsel von Ypsilanti und Al-Wazir wird und letztlich eine Mitverantwortung für die Regierungspolitik übernehmen wird.

Es gibt in der Partei eine große Sorge, dass DIE LINKE für ein Scheitern einer Abwahl von Koch verantwortlich gemacht werden könnte. Dieser Sorge ist sich Ypsilanti bewusst und sie versucht uns deshalb zu erpressen und weitgehende, verbindliche Zusagen von uns zu erhalten. Wenn Ypsilanti aber unter den oben beschriebenen Voraussetzungen nicht bereit ist, sich mit den Stimmen der Landtagsfraktion unserer Partei zur Ministerpräsidentin wählen zu lassen, ist ihre Botschaft klar: sie will weiterhin eine Politik gegen die Interessen der arbeitenden Bevölkerung machen! Die Abwahl Kochs ist dann an der SPD und nicht an der LINKEN gescheitert. Das werden viele Menschen auch verstehen und das würde die Chance erhöhen, dass DIE LINKE in Hessen gestärkt aus der aktuellen Auseinandersetzung hervor geht.

Der Brief an SPD und Grüne

Der Landesvorstand der LINKEN hat mit seinem Brief an SPD und Grüne einen falschen Kurs eingeschlagen. Die kapitalistische Ordnung wird nicht in Frage gestellt, sondern faktisch hingenommen. Die gesetzlichen Voraussetzungen werden als unveränderbar betrachtet und kritiklos akzeptiert. Es wird nicht klar gemacht, dass man auf den außerparlamentarischen Kampf setzt und die parlamentarische Arbeit für SozialistInnen nur eine Erweiterung dieses Kampfes ist. Dies wird deutlich, wenn man liest, dass die Re-Verstaatlichung der Uni-Kliniken Gießen/Marburg unter Vorbehalt eines rechtlichen Weges gefordert wird; dass beim Haushalt die „verfassungsrechtlichen Grenzen einer Kreditfinanzierung einzuhalten sind“; dass man die Verlängerung der Kochschen Grundlagengesetze in Betracht zieht – aber noch mehr, dass gemeinsame Anträge mit SPD und Grünen verstärkt gestellt werden sollen und die „Unterschiedlichkeiten akzeptiert“ werden sollen. Für DIE LINKE darf es aber keine Akzeptanz der Unterschiede zu SPD und Grünen geben. Denn diese Unterschiede bestehen in einer pro-kapitalistischen und arbeitnehmerfeindlichen Politik seitens SPD und Grünen und gehören nicht akzeptiert, sondern aufs Schärste bekämpft!

Die LINKE darf nicht der Vorstellung des „kleineres Übels“ verfallen: wer glaubt, die LINKE könne nur Verbesserungen erreichen, indem durch Zusagen der LINKEN SPD und Grüne im Gegenzug einzelne Verbesserungen umsetzen werden, verfällt dem Parlamentarismus und verkennt, auf welchem Wege die LINKE eine andere Politik durchsetzen kann. Die Inhalte der LINKEN werden nicht vornehmlich im Parlament erstritten, sondern durch Massenbewegungen in Schulen, Universitäten und Betrieben. Das hat sich in Hessen grade bei der Abschaffung der Studiengebühren gezeigt: Nur eine starke Studierendenbewegung hat auch SPD und Grüne soweit unter Druck gesetzt, dass sie die Rücknahme der Studiengebühren tatsächlich umgesetzt haben.

Für außerparlamentarische Mobilisierungen

Anstatt ein Tolerierungsangebot an SPD und Grüne zu richten, hätte der Landesvorstand eine Offensive für sozialen Widerstand ausrufen sollen. Man hätte offensiv an Gewerkschaften, Erwerbslosen-, Schüler- und Studierendenverbände herantreten sollen und einen Vorschlag für eine große Protestmobilisierung für zentrale Forderungen machen sollen:

– für die Schaffung von 25.000 unbefristeten, sozialversicherungspflichtigen und tariflich bezahlten Arbeitsplätzen durch Umwandlung der Ein-Euro-Jobs in reguläre Arbeitsverhältnisse und durch ein massives Investitionsprogramm in Bildung, Umwelt, Soziales etc.

– Beendigung der Tarifflucht bei den Landesbeschäftigten. Das heißt volle Rückkehr zum Stand vor der Tarifflucht inklusive Rücknahme der Arbeitszeitverlängerung und Lohnkürzungen und der Wiedereinführung von vollem Urlaubs- und Weihnachtsgeld für alle

– für eine Bildungsoffensive u.a. mit der Umsetzung der Gemeinschaftsschule als Regelschule für alle Kinder und der Reduzierung der Klassengröße auf 20 SchülerInnen pro Klasse

– kein Flughafenausbau in Frankfurt/Main und Kassel-Calden

Eine solche Mobilisierungsoffensive durch Gewerkschaften und soziale Bewegungen, für die die Mitglieder der LINKEN den Anstoß hätten geben können, würde eine rot-grüne Minderheitsregierung von Beginn an unter den Druck aus den Betrieben und von der Straße setzen und die Erwartungshaltung deutlich erhöhen. Gleichzeitig würde deutlich, wie sich DIE LINKE den so oft erwähnten „Einstieg in einen Politikwechsel“ vorstellt. DIE LINKE würde nicht als Partnerin oder Anhängsel von SPD und Grünen bei der Bildung einer Minderheitsregierung gesehen, sondern als Partnerin von zehn-oder hunderttausenden ArbeiterInnen und Jugendlichen in ihrem Kampf für soziale Verbesserungen.

Die Haushaltsfrage

Gleichzeitig sollte die Forderung Ypsilantis nach Zustimmung zu allen rot-grünen Haushaltsentwürfen bis 2013 genutzt werden, um der kapitalistischen Haushaltspolitik eine grundlegend andere, nämlich sozialistische Haushaltspolitik entgegen zu stellen.

Der erste Schritt hierzu ist, den bisherigen Haushalten des Landes Hessen eine Fundamentalkritik zu unterziehen. Also: unter anderem öffentlich machen, dass der Haushalt 1,5 Millionen Euro für die Arbeit der Regierung vorsieht, dass 1370 Millionen Euro in Form von Zinszahlungen den Banken und anderen Kreditgebern in den Rachen geworfen werden, dass Privatunternehmen mit 80 Millionen Euro subventioniert werden – und deutlich machen, dass eine sozialistische Haushaltspolitik mit einer solchen Verschwendung öffentlicher Gelder Schluss machen würde.

Ein sozialistischer Haushalt wäre ein bedarfsgerechter Haushalt, der sich an den Notwendigkeiten für die Menschen im Land orientiert. Ein bedarfsgerechter Haushalt kann und soll in Zusammenarbeit mit Gewerkschaften, Betriebs- und Personalräten, sozialen Bewegungen, Bürgerinitiativen etc. ausgearbeitet werden. Das wäre ein Beitrag zu einer tatsächlichen Demokratisierung der Gesellschaft.

Offensiv muss man erklären, wie ein bedarfsgerechter Haushalt finanziert werden kann: der Kapitalismus sieht nicht vor, dass Länder und Kommunen mit ausreichend finanziellen Mitteln ausgestattet werden, um ihre Aufgaben zu erfüllen. DIE LINKE sagt: Geld ist genug da, nur in den falschen Händen. Wir beugen uns nicht den kapitalistsichen Sachzwängen: statt leere öffentliche Kassen zu akzeptieren, propagieren wir, dass die Bereitstellung der nötigen Gelder durch Massenmobilisierungen, Streiks und Proteste erkämpft werden muss. Ziel muss sein, den gesellschaftlichen Druck so zu erhöhen, dass Bundesregierung und Kapital nachgeben und entsprechende Gelder zur Verfügung stellen müssen. Das wäre gleichzeitig ein Beispiel dafür, wie der kapitalistische Rahmen in einer konkreten gesellschaftlichen Auseinandersetzung gesprengt werden kann. Das würde bedeuten als Teil eines solchen Haushaltsentwurfs die Überführung der in Hessen angesiedelten Banken und Konzernen in öffentliches Eigentum (was sogar nach der hessischen Landesverfassung möglich ist) unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung zu präsentieren und zu erklären, dass so sinnvoll gewirtschaftet werden kann und Gewinne der Allgemeinheit zu Gute kommen würden. Gleichzeitig sollte ein Ende der Zinszahlungen an die Banken gefordert werden, denn die Banken verdienen sich dumm und dämlich an der Verschuldung des Landes, die nicht zuletzt dadurch notwendig wurde, dass Banken und Konzerne von der bundesweiten Steuerpolitik immer mehr verschont werden.

Mit einem solchen Programm würde sich DIE LINKE als unabhängige, kämpferische und tatsächlich antikapitalistische Partei präsentieren. Ein solches Programm könnte nur erreicht werden, wenn es für eine solche Politik Massenmobilisierungen gäbe. Aber warum solle das nicht möglich sein? In Liverpool hat es in den 80er Jahren sogar stadtweite Generalstreiks gegeben, um eine solche vom damaligen sozialistischen Labour-Stadtrat betriebene Politik im Interesse der Bevölkerung zu unterstützen.

Mit einem solchen unabhängigen Programm und einer Schwerpunktsetzung auf die Unterstützung und Organisierung von außerparlamentarischem sozialen und betrieblichen Widerstand könnte DIE LINKE massiv an Unterstützung, neuen Mitgliedern und Wählerstimmen gewinnen.

Abstimmung zum Haushalt

Das eigentliche Abstimmungsverhalten der Landtagsfraktion der LINKEN bei der Haushaltsabstimmung würde vor dem Hintergrund einer solchen eigenständigen Kampagne und Politik in einem anderen Licht erscheinen. Eine solche Kampagne kann den Druck auf eine rot-grüne Minderheitsregierung steigern, keinen Sozialabbau und Privatisierungen vorzunehmen, sondern Forderungen der LINKEN, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen zu erfüllen.

Solange sich SPD und Grüne in den Augen der Bevölkerung noch nicht diskreditiert haben, kann es notwendig sein, einem Haushalt unter Protest zuzustimmen – nicht wegen dem Inhalt des Haushalts, sondern um zu verhindern, dass Koch und die CDU ihre Hände wieder nach der Macht ausstrecken können. Das wäre dann aber keine Entscheidung für einen Haushalt, sondern gegen den Sturz der Ypsilanti-Regierung zu einem bestimmten Zeitpunkt. Entscheidend wäre hier letztlich, ob sich durch Neuwahlen die Kräfteverhältnisse zugunsten der abhängig Beschäftigten (und damit DER LINKEN) verändern würden oder nicht. Das würde auch davon abhängen, ob es zu größerem außerparlamentarischen Widerstand kommt und ob DIE LINKE mit ihrer Unterstützung solcher Proteste und mit einer unabhängigen Kampagne für eine sozialistische Haushaltspolitik erfolgreich wäre. Das ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu entscheiden. Deshalb sollte in der wichtigen Haushaltsfrage eine Entscheidung über das Abstimmungsverhalten nach ausführlicher Debatte auf einem Landesparteitag gefällt werden.

Nein zur Politik des kleineren Übels

Eine Tolerierung von Rot-Grün ist ein erster Schritt zur Politik des kleineren Übels. Diese Logik führt unter dem Druck des Kapitalismus früher oder später zwangsläufig zur Akzeptanz von Angriffen auf die Rechte und Lebensbedingungen der Bevölkerung, spätestens dann, wenn SPD und Grüne das Argument bemühen, dass es unter Koch ja viel schlimmeren Sozialabbau geben würde. Diese Logik hat die PDS in Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin in einer Tolerierungs- und Koalierungspolitik angewendet, was zur Beteiligung an Sozialabbau und Privatisierungen geführt und die Unterstützung für die Partei massiv untergraben hat. Der Niedergang der PDS aufgrund dieser Politik des kleineren Übels wurde durch die WASG gestoppt. Auch im Osten profitiert die LINKE nun von dem bundesweiten Oppositionsprofil, das die vereinigte Partei hat. Dieses Profil wird in Hessen ersten Schaden nehmen, wenn eine rot-grüne Minderheitsregierung toleriert wird.

Doch es ist noch nicht zu spät für eine Kurskorrektur. Der Landesparteitag hat die Möglichkeit, den vom Landesvorstand mehrheitlich verabschiedeten Brief an SPD und Grüne zu verwerfen und eine Politik der Einzelfallentscheidung statt Tolerierung zu beschließen.

Anträge von C. Flöter an Landesrat (6.10.08) und Landesparteitag (11.10.08) der LINKEN Hessen

Antrag I

DIE LINKE Hessen verwirft das vom Landesvorstand an SPD und Grüne gesendete „Antwortschreiben zur Unterstützung einer Rot-Grünen Minderheitsregierung“. Angesichts der Erfahrungen mit SPD und Grünen ist es uns unmöglich eine Unterstützung oder Tolerierung einer Regierung dieser beiden Parteien festzuschreiben. Das Abstimmungsverhalten der Fraktion der Grünen in der Frage der Beamtenbesoldung hat uns in dieser Hinsicht bestärkt.

Gleichzeitig erklären wir, dass wir verlässliche und konsequente Partnerin im Kampf gegen Sozialabbau, Bildungskürzungen, Abbau von Arbeitnehmerrechten, Entdemokratisierung, Umweltzerstörung sein werden. Wir sehen uns in erster Linie als Partnerin von GewerkschafterInnen, sozialen Bewegungen, Schüler- und Studierendenvertretungen im außerparlamentarischen Widerstand gegen die kapitalistisch motivierte Politik aller etablierten Parteien. Nur durch massenhaften Widerstand sind Verbesserungen für die Mehrheit der Bevölkerung durchzusetzen. Die Arbeit im Landtag sehen wir vor allem als Unterstützung solche Kämpfe und Bewegungen.

Wir geben unseren WählerInnen, der Bevölkerung in Hessen und damit auch SPD und Grünen folgende verbindliche Zusagen:

– Wir werden unseren Beitrag zur Abwahl von Roland Koch leisten und AndreaYpsilanti zur Ministerpräsidentin wählen und ihrem Kabinettsvorschlag zustimmen. Dazu werden von uns keine Bedingungen gestellt. SPD und Grüne erhalten so die Möglichkeit unter Beweis zu stellen, ob sie tatsächlich für einen Politikwechsel im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung stehen.

– Wir werden jede Maßnahme und Gesetzesinitiative einer rot-grünen Minderheitsregierung auf die Frage prüfen, ob sie im Interesse der arbeitenden und erwerbslosen Bevölkerung steht.

– Wir werden jeder Maßnahme und jedem Gesetz zustimmen, bei dem diese Frage bejaht wird.

– Wir werden jede Maßnahme und jedes Gesetz ablehnen, die zu Verschlechterungen für die Mehrheit der Bevölkerung, zu Umweltzerstörung, Demokratieabbau etc. führt und dagegen Widerstand gemeinsam mit anderen gesellschaftlichen Kräften organisieren.

– Wir werden für die Positionen der LINKEN weiterhin werben und entsprechende Anträge und Gesetzesinitiativen ins Parlament bringen, vor allem aber dafür den außerparlamentarischen Druck erhöhen.

Damit steht der Weg zur Abwahl von Roland Koch und für einen Politikwechsel in Hessen offen und es liegt an SPD und Grünen, ob sie diesen Weg beschreiten wollen oder eine pro-kapitalistische, nur etwas abgemilderte Agenda-Politik fortsetzen wollen.

Antrag II

Der Landesvorstand wird beauftragt eine Kommission zur Ausarbeitung eines bedarfsgerechten Landeshaushalts einzusetzen. Diese soll in Kooperation mit GewerkschafterInnen, sozialen Bewegungen und Initiativen und Betroffenenverbänden einen Vorschlag für einen Haushalt vorlegen, der sich nicht an kapitalistischen Sachzwängen, sondern an den Bedürfnissen der Bevölkerung in Hessen orientiert.

Antrag III

Der Landesparteitag fordert alle Mitglieder der LINKEN in Gewerkschaften, sozialen Bewegungen, Erwerbslosen-, Migranten-, Schüler- und Studierendenverbänden auf, sich für eine große Protestdemonstration noch vor dem Termin der zu erwartenden Wahl von Andrea Ypsilanti zur Ministerpräsidentin oder an dem Tag der entsprechenden Landtagssitzung einzusetzen:

Für die LINKE stehen dabei die folgenden Forderungen im Vordergrund:

– für die Schaffung von 25.000 unbefristeten, sozialversicherungspflichtigen und tariflich bezahlten Arbeitsplätzen durch Umwandlung der Ein-Euro-Jobs in reguläre Arbeitsverhältnisse und durch ein massives Investitionsprogramm in Bildung, Umwelt, Soziales etc.

– Beendigung der Tarifflucht bei den Landesbeschäftigten. Das heißt volle Rückkehr zum Stand vor der Tarifflucht inklusive Rücknahme der Arbeitszeitverlängerung und Lohnkürzungen und der Wiedereinführung von vollem Urlaus- und Weihnachtsgeld für alle

– für eine Bildungsoffensive, v.a. mit dem Ausbau der Gemeinschaftsschule zur Regelschule für alle Kinder und der drastischen Reduzierung der Klassengröße

– kein Flughafenausbau in Frankfurt/Main und Kassel-Calden

Der Landesvorstand wird beauftragt in jedem Fall zu einer Protestaktion am Tag der Landtagssitzung aufzurufen und die Mitglieder und UnterstützerInnen der Partei dorthin zu mobilisieren.