Frauenbewegung 1968 und heute
Sie schreiben feministische Bücher („Wir Alphamädchen“ oder „Neue deutsche Mädchen“), kämpfen mit Weblogs gegen Sexismus im Netz und planen mit „Missy“ ein feministisches Magazin über coole Frauen, Popkultur und Politik. Es sind junge Frauen, die merken, dass sie (immer noch) schlechter bezahlt werden als ihre männlichen Kollegen, nach wie vor mit alltäglichem Sexismus konfrontiert sind und nachts wie ihre Mütter Angst haben müssen, einen zu kurzen Rock zu tragen. Stehen wir am Beginn eines neuen Feminismus? Zunächst einmal ist es ein guter Anlass, sich mit der Entstehung der „Neuen Frauenbewegung“ vor 40 Jahren auseinanderzusetzen.
von Leonie Blume, Kassel
Im Zuge der 68er Bewegung gründete sich im Januar 1968 der „Aktionsrat zur Befreiung der Frau“ in West-Berlin, welcher sich als Teil des SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund) verstand. Dabei mussten die Studentinnen schnell feststellen, dass ihre Gegner nicht nur in der herrschenden Klasse zu finden waren. Auch das Bewusstsein vieler männlicher Genossen in SDS und APO (Außerparlamentarische Opposition) für die Gleichberechtigung von Frauen ließ erheblich zu wünschen übrig.
Tomaten und Hefeteig
Auf der Bundesdelegiertenkonferenz des SDS am 13. September 1968 hielt die Filmstudentin Helke Sander stellvertretend für den Aktionsrat eine Rede, in der sie die Männer aufforderte, den Kampf gegen die Unterdrückung von Frauen mit dem Protest für eine sozialistische Gesellschaft zu verbinden. „Genossen, wenn ihr nicht bereit seid für diese Diskussion […] – dann müssen wir feststellen, dass der SDS nichts weiter ist als ein aufgeblähter Hefeteig. Wir werden dann unsere eigenen Schlussfolgerungen ziehen“, warnte sie die mittlerweile johlenden Delegierten. Als die Männer am Vorstandstisch süffisant lächelten und der Vorsitzende Hans Jürgen Krahl einfach zur Tagesordnung übergehen wollte, bewarf ihn die hochschwangere Sigrid Rüger mit Tomaten. Die Sitzung endete im Tumult.
Bald entstanden vor allem in den Universitätsstädten weitere Aktionsgruppen und Weiberräte, die sich vom SDS abwandten und mit provokanten Aktionen auf sich aufmerksam machten. Unter dem Leitmotiv „Das Private ist das Politische“ stürmten sie Gerichte, zogen ihre T-Shirts hoch und schrieben Flugblätter mit dem Titel: „Befreit die sozialistischen Eminenzen von ihren bürgerlichen Schwänzen!“
Kinderladenbewegung
Trotz negativer Erfahrungen gab es Frauen, die sich Positionen in den Bewegungen gegen den Vietnam-Krieg, gegen Aufrüstung oder für soziale Verbesserungen erkämpften. Andere zogen jedoch den Schluss, die Emanzipation der Frauen zunächst nur durch Frauen selbst erstreiten zu können. Sie wohnten in Frauenwohngruppen zusammen, gründeten Frauenläden und Teestuben mit Eintrittsverbot für Männer. Ihren Fokus legten sie auf die Verbesserung der Situation von Frauen mit Kindern. Viele der Studentinnen selbst hatten die Erfahrung gemacht, dass – sobald Kinder da waren – sie allein für die Erziehung und den Haushalt zuständig waren. Zeit für das Studium oder die politische Arbeit blieb so kaum noch. So organisierten sie Kinderläden, in denen Kinder zu kritischen Menschen erzogen werden sollten.
Errungenschaften
Die Spaltungserscheinungen im SDS übertrugen sich auch auf die Frauengruppen, viele Weiberräte verfielen. Trotzdem waren erste Strukturen entstanden und Frauen politisiert worden, auf die die spätere Bewegung zurückgreifen konnte.
Trotz chauvinistischer Einstellungen nicht weniger Aktivsten kam es zu einer Bewegung gegen die herrschende Politik und gegen bürgerliche Institutionen, radikalisierten sich viele, gab es eine Offenheit für sozialistische Ideen. Dieser Aufbruch und die Entschlossenheit vieler Frauen führten zu einer Reihe von Errungenschaften: von der freien Berufswahl für Frauen und Frauenbeauftragten an den Universitäten über das Gleichstellungsgesetz, die Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe, Frauenhäuser bis hin zur Entdeckung der Klitoris.
Die Politisierung von Frauen führte auch zu einer Belebung der gewerkschaftlichen Frauenbewegung. Die Zahl der weiblichen DGB-Mitglieder stieg 1971-1981 von einer Million auf 1,65 Millionen. Neben der Beteiligung am Kampf gegen den Paragraf 218 gab es zum Beispiel Kampagnen für die Abschaffung von Leichtlohngruppen und überhaupt gegen Lohndiskriminierung und die Wiederbelebung des Internationalen Frauentags am 8. März.
Damals und heute
Allerdings – und da kommt wieder die sogenannte „Neue Frauenbewegung“ ins Spiel – fällt jeder Frau, die nicht ganz wie Eva Herman denkt, auf, dass die Gleichstellung von Mann und Frau noch immer in weiter Ferne liegt. Leider scheinen die „Neuen deutschen Mädchen“ weder über ihren kleinbürgerlichen, weißen, großstädtischen Tellerrand hinauszuschauen, noch eine unabhängige Klassenposition entwickeln zu können. Wie 1968 muss auch heute die Schlussfolgerung lauten: Auch wenn es alles andere als unkompliziert ist, brauchen wir einen erfolgreichen Kampf für eine sozialistische Gesellschaft, um die tatsächliche Gleichberechtigung zu erlangen. Denn nur in einer Welt frei von Profitgier und Konkurrenz kann die Hausarbeit und die Erziehung der Kinder wirklich vergesellschaftet, gleiche Löhne für gleiche Arbeit durchgesetzt und das Bewusstsein unter Frauen und Männern für die Notwendigkeit einer wirklichen Gleichstellung erreicht werden.